Gegenwart pt. 2
Der Wanderer atmete zittrig aus, als die Gedanken an die Vergangenheit über ihn hinwegfegten und in ein noch tieferes Loch fallen ließ, aus dem er alleine einfach nicht mehr herausfand.
Das leise knarren des Fußboden und das tosende rauschen das der Schneesturm verursachte, brachte die Fensterläden so heftig zum klappern, das ihn dieser Lärm irgendwann aus seiner Trance zurück brachte.
Geisterhaft führte er die Hand an seine Lippen und strich darüber. Regungslos verharrte er. Sekundenlang. Minutenlang. Er wollte sich nicht bewegen, wollte nicht gehen. Ebenso wenig, wie er der Zeit erlauben wollte, fortwährend zu vergehen.
Alles sollte erstarren. Nichts mehr sollte existieren. Er für seinen Teil hatte genug von dieser Welt und doch wandelte er immer noch auf ihr.
Ein leichtes brennen bewegte ihn irgendwann zum blinzeln. Stockend bewegte er die Hände. Was nur hatte er sich erhofft, wenn er nach all der Zeit zurückkehrte? Erwartete er ein Wunder?
Dachte er, damit würde er vergessen können?
Das Leben ging weiter und bedauerlicherweise auch für ihn. Dabei gab es nichts wofür sich das weiterleben lohnte. Er war allein. Aber hatte er sich es nicht selbst so ausgesucht?
Er wollte niemanden mehr an sich heran lassen, aus Angst erneut verletzt und belogen zu werden.
Sein ganzer Körper verspannte sich, so kalt, als hätte sich Eis durch jede Faser gefressen. Dumpf schlug der Puls unter seiner Haut aber er regestrierte es kaum. Er atmete wieder aus, bewegte die Lippen aufeinander und blickte langsam zum Fenster.
Alles um ihn herum war stark mitgenommen von Zeit und Staub und doch hatte sich kaum etwas verändert und auch als er zum Fenster Schritt und hinaus in den verschneiten Hof blickte, erkannte er die Relikte Vergangener Zeit.
Doch plötzlich erhaschte etwas ganz anderes seine Aufmerksamkeit. Seine gestochen scharfen blauen Augen ermöglichten ihm ein wesentlich schärferes sehen und selbst durch die dicken stürmischen Flocken, erkannte er im unteren Hof... Fußspuren.
Es waren nicht seine.
Wer verirrte sich an so einen abgelegenen Ort? Zur dieser Stunde, unter solch schlechten Wetterbedingungen?
Die Augen des Wanderer lösten sich vom Fenster aber gerade als er sich wieder umdrehen wollte, fiel ihm plötzlich ein zugeschneiter schwarzer Haarschopf auf.
Es fiel ihm schwer das alles zu Realisieren. War das vermutlich erneut einer seiner Hirngespinnste? Es war immerhin nicht das erste Mal, daß er glaubte ihn gesehen zu haben. Es musste nur ein junger Mann mit schwarzem Haar an ihm vorbeigehen und er dachte sofort noch an ihn.
Dennoch überschlugen sich seine Gedanken, als er von hieraus beobachten konnte, wie dieser mysteriöse Fremde sich gewaltsamen Zugriff ins Innere des alten Gemäuer verschaffte.
Das konnte sich doch nur um einen Zufall handeln. Gnadenlos wurde er mit den verschiedensten Eindrücken bombadiert. Es fühlte sich so an, als wäre sein Denken und fühlen nicht schnell genug. Es polterte in der unteren Etage des Hauses und spätestens ab da, wusste der Wanderer, das es sich um keine Einbildung handelte.
Verschiedene Geräusche drangen an seine Ohren und es kam ihm so vor als würde er leises Winseln vernehmen. War der Fremde etwa nicht alleine?
Unauffällig und ohne es wirklich steuern zu können, ging der Wanderer der Tür entgegen aber kurz bevor er die Klinke erreichte, blieb er aprubt stehen.
Reflexartig griff er sich an den Hals. Seine Narbe juckte plötzlich so unangenehm. Flüchtig verzog er das Gesicht als ein schmerzhaftes ziehen sich an der Stelle ausbreitete, als würde Jemand die Narbe aufreißen wollen aber als er das alte verletzte Gewebe ertastete, hatte sich nichts an ihr geändert und trotzdem fühlte es sich sonderbar warm an.
Sein Pulsschlag stieg. Das Herz klopfte im kräftig gegen die Brust und hallte penetrant in seinen Ohren wieder.
Eine furchtbare Nervosität griff nach ihm und er versuchte sie zwanghaft hinab zu schlucken, was ihm aber auf ganzer Strecke misslang.
Was wenn— Nein, er konnte diesen Gedanken nicht einmal zu Ende denken, er konnte nicht! Er kam sich dann völlig bemitleidenswert vor.
Das Poltern unten wurde lauter und irgendwann konnte er deutlich das Jammern und winseln junger Wölfe vernehmen. Bei dem bloßen Gedanken, verkrampfte er sich am ganzen Körper.
Sein Hass auf die Wölfe schien grenzenlos und er konnte es kaum ertragen das eines dieser Abschaum sich mitten in seinem alten Zuhause befand.
Er ballte die Hände zusammen und presste die Lippen stark aufeinander, das Knurren, welches seine Kehle verließ war leise aber als er plötzlich eine Stimme hörte, hielt er augenblicklich die Luft an. Irgendwas klapperte und klirrte und als nächstes wurde Papier aufgerissen, woraufhin sich das Jammern der Wölfe zu einem aufgeregten Winseln veränderte.
"Ya ihr kleinen Racker! Ihr fresst mir noch die Haare von dem Kopf! Seit froh das ich bei diesem Wetter überhaupt rausgekommen bin, also übt euch etwas in Geduld okay?"
Umgehend überkam den Wanderer ein eiskalter Schauer. Er war plötzlich wie gelähmt, als er in die Stille lauschte. Sein ganzer Körper war verkrampft und in sich verzogen.
"Schon gut, schon gut, hier habt ihr etwas. Aber langsam und nicht so hastig Schlingen wie beim letzten Mal, einverstanden?"
Einfach unmöglich.
Jede Bewegung fiel ihm plötzlich unsagbar schwer. Er bemerkte auch gar nicht, wie er sich so fest auf die Lippe biss, das sie sogar anfing zu bluten aber das war ihm egal.
Harsch legte er seine Hand auf die Klinke, drängte sie hinab und trat anschließend ganz leise und in einer fließenden Bewegung in den Flur hinaus. Magisch wurde er von der Stimme angezogen, die seiner so ähnlich klang aber wie, wie war das nur möglich?
"Macht mal halblang sonst muss ich euch das Futter wieder wegnehmen und das wollen wir nicht, oder? Vertragt euch."
Schweigend und mit rasenden Herzen kam der Wanderer der Geräuschekullise entgegen. Er fürchtete sich vor dem was ihn erwarten könnte. Das er enttäuscht wurde aber dem war ohnehin abzusehen, oder nicht?
Aber kaum hatte er die Treppen hinter sich gebracht, stellten sich ihm mit einem Male die Härchen im Nacken auf und er blieb erneut stehen.
Aufgrund der gefrierenden Kälte und seiner anhaltenden Schwäche, musste sein Geruchssinn getrübt sein. Es musste daran liegen, anders konnte er sich diesen Geruch nicht erklären - oder aber er war gerade erneut dabei zu Halluzinieren.
Ohne seine Handlungen wirklich noch steuern zu können, schloss er die Augen und atmete tief ein und aus. Er inhalierte und inhalierte, bis er dachte sich in diesem unglaublich vertrauten Geruch zu verlieren. Tränen der Wonne und Unglauben machten sich Platz und ließen den Wanderer sprachlos zurück.
Das er jemals wieder in diesen Genuß kommen würde, diesen Duft zu riechen, war unvollstellbar. Davon hatte er unzählige Male geträumt und doch reichten keine dieser Erinnerungen an das Original heran.
Plötzlich wollten seine Beine nachgeben. Sein ausgemergelter Körper kam ihm auf einmal so viel gebrechlicher und schwächer vor. Dennoch hielt er sich aufrecht und zwang sich weiter zu gehen. Immer weiter der Stimme und dem Duft entgegen.
Es kam aus der Küche. Angsterfüllt blieb er vor der Tür stehen, traute sich kaum weiter aber da streckte er bereits, ohne es richtig zu realisieren, den Arm aus und öffnete die Tür, die in den dunklen nicht weniger zerfallenen Raum führte.
Da hockte er. Ein junger Mann in schwarzer Kleidung. Die Ärmel des Pullovers waren hochgekrempelt, daher fiel dem Wanderer als aller erstes die Tattoos auf, die seinen ganzen rechten Unterarm schmückten und sich anschließend irgendwo im dunklen Stoff verliefen. Die Kaputze die der Fremde sich über den Kopf gezogen hatte, versperrte ihm zwar die Sicht in das Gesicht aber das schwarze glänzende Haar blitze dennoch etwas hervor und hatten sich in anbetracht der Nässe leicht gekräuselt. Sie kleben ihm in der Stirn und auch so schien er komplett durchnässt zu sein.
Der Fremde wuschelte den kleinen Wolfswelpen über das Fell und bekam überhaupt nichts von der Anwesenheit des Wanderer mit. Selbst die Welpen schienen sich lieber mit ihrem Fressen beschäftigen zu wollen.
"Ihr seit solche Fressäcke!" witzelte der junge Mann und zog sich im nächsten Moment, ohne jegliche Vorwarnung, die Kaputze vom Kopf. Er fuhr einige Male durchs Haar und versuchte so die letzten Eisklumpen aus ihnen zu entfernen, was ihn lauthals Fluchen ließ.
Der Wanderer hingegen hörte auf zu existieren. Die Zeit stand still und das erste Mal in den ganzen vergangenen Jahrhunderten, wollte er, das sie sich wieder weiter drehte, schneller, damit er auch wirklich sicher gehen konnte, das er ihn sich diesmal wirklich nicht nur einbildete.
Er tat nichts anderes als nur dazustehen und ihn anzublicken und doch erlangte er plötzlich die Aufmerksamkeit des jungen Mannes. Zuerst nur flüchtig und durchaus desinteressiert schweife der Fremde über ihn hinweg, doch fahrig und rasend schnell machten seine Augen kehrt und mit einem Male erstarb etwaige Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes.
Seine Mimik versteinerte sich, in einem schieren Entsetzen weiteten sich seine Augen. Er war ebenso geschockt, verwirrt, verängstigt, verstört.
Der Wanderer versuchte wieder zu schlucken aber der Druck in seinem Hals verringerte sich nicht, im Gegenteil, es nahm zu, ließ ihn nicht atmen, nicht einmal sprechen konnte er, als ihm stumme Tränen über die Wangen liefen.
"Woha, w-woher—?!" nun setzte das Reaktionsvermögen bei dem jungen Mann doch ein. Er sprang reflexartig auf die Beine und schreckte damit auch die Welpen auf aber er konnte sich gerade wenig darauf konzentrieren. Sein Blick lag einzig und allein auf den Wanderer.
"Wow krass! Moment— Was.. was geht hier vor sich? Woher kommst du her?!" er wusste gar nicht wo er zuerst anfangen sollte und die Erscheinung von dem Wanderer schien ihn auch nicht wirklich beruhigen zu wollen. Das unnatürliche Blau in seinen Augen war bei dem Ganzen nur das gewisse i-Tüpfelchen.
"Normalerweise verirrt sich hier Niemand....Wer bist du? Woher kommst du?"
Er sprach und sprach aber der Wanderer schaffte es nicht zu antworten — er war viel zu überwältigt. Es glich einfach einem unerreichten Traum.
Der Junge Mann bemerkte die seltsame Atmosphäre und hielt irgendwann in seinem Redefluss inne. Er neigte irritiert den Kopf. Vorsichtig musterte er den Wanderer intensiver, trat dabei einen Schritt näher, während die Welpen sich knurrend hinter ihm versteckten und zuviel Angst hatten.
"Sag mal.... kennen wir uns?" er erwartete nicht einmal eine sofortige Antwort aber etwas in seinen Augen leuchtete auf, so als würde er ihn erkennen.
Unmöglich, das war einfach unmöglich.
"Hey— weinst du etwa? I-ich hab echt nicht erwartet hier jemals jemanden anzutreffen... uhm... willst du auch?"
der junge Mann, der seiner verstorbenen Liebe eins zu eins ähnelte, reichte ihm plötzlich ein Heißgetränk hin.
Der Wanderer stand da, blinzelte nur kurz zur Hand, ehe er wieder aufsah und einfach nicht vom Gesicht wegkam.
"Ehm.. du kannst es ruhig haben. Ich hab noch eine, also hier. Nimm ruhig."
Erneut wurde die Dose in seine Richtung gehalten und diesmal reagierte der Wanderer, zwar nur zögerlich aber er streckte die Hand aus. Es dauerten eine gefühlte Ewigkeit aber der junge Mann wartete geduldig, als würde es sich bei ihm um einen der verschrecken Wolfswelpen handeln.
Gerade aber als er die Dose annehmen wollte, berührten sich ihre Finger ganz ausversehen. Er erschauderte sofort aber auch der junge Mann zuckte merklich zusammen.
Selbst das Gefühl seiner Hände war wie damals.
"Ich träume das hier gerade nicht oder?" gelang es zögerlich an seine Ohren, was den Wanderer wieder veranlasste aufzusehen.
"Das ist unmöglich.." sprach er das aus was ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf ging. Der junge Mann lachte nervös und schüttelte den Kopf.
"Ich hab vorhin doch nur ein Bier getrunken. Ich kann doch nicht so betrunken sein, das ich—" er verstummte, sie sahen sich daraufhin wieder so eindringlich an, als wäre die Zeit um sie herum in Vergessenheit geraten. Irgendetwas in diesen dunklen Augen wirkte einfach so unfassbar vertraut.
"Du siehst aus wie... er." flüsterte der Schwarzhaarige anschließend, so leisen das man ihn kaum hören konnte aber der Wanderer verstand.
"Es tut mir leid aber du siehst Jemanden aus meinen Träumen verdammt ähnlich... Ich will dich damit echt nicht überrumpeln oder so aber das ist wirklich abgefahren. Ich dachte die ganzen Jahre ich würde einem Phantom hinterher schwärmen, dabei gibt es dieses Gesicht tatsächlich... ehm... sorry, du denkst bestimmt ich hab sie nicht mehr alle."
Er schüttelte nur stockend mit dem Kopf, während ihm auf einmal wie im sturzbach immer mehr Tränen über die Wangen liefen.
"H-hey ich wollte dich nicht zum weinen bringen..." Überforderung machte sich in dem Gesicht des jungen Mannes breit und auch wenn er sich sichtlich Mühe gab die Situation irgendwie zu entspannen, stellte es sich als äußerst schwierig heraus.
Außerdem waren da immer noch die Wolfswelpen die den Wanderer feindselig anknurrten. So jung wie sie noch waren und doch hatten sie bereits von ihm gehört.
Der Schwarzhaarige fuhr sich überfordert durchs Haar und stieß ein tiefes Schnaufen aus, als er von den Welpen zu dem Wanderer zurück sah.
"Normalerweise sind sie ganz friedlich. Ich hab sie hier gefunden, als ich mich mal im Wald verirrt hab. Von ihrer Mutter fehlte jede Spur... naja und seitdem kümmere ich mich um sie." erklärte er bereitwillig, als würden sie sich bereits ewigkeiten kennen. Auch wenn es dem Schwarzhaarigen skurril vorkam, so hatte er tatsächlich das Gefühl als würde er die mysteriöse Person vor sich länger kennen, als er auf der Welt war.
Ein Widerspruch in sich und trotzdem.
Ein Gedankenblitz durchfuhr ihn, als er hastig begann in seiner Hosentasche herum zu kramen. Er zog ein bereits leider feucht gewordenes Taschentuch hervor und drückte es dem Wanderer in die Hand, der daraufhin perplext die Tränen wegblinzelte und auf das Taschentuch starrte, als wäre es etwas ganz seltsames.
"So jemand Schönes die du, sollte nicht so viel weinen."
Das Herz schien ihm augenblicklichen aus der Brust springen zu wollen. Es war als würde es ihn jede erdenkliche Kraft kosten, die Stimme zu erheben aber er öffnete die Lippen dennoch, ignorierte den dicken Tränenschleier vor seinen Augen als er ganz leise und gebrochen fragte." Wie.. Wie ist dein Name?"
Der Junge Mann schien damit nicht gerechnet zu haben. Er starrte ihn eine ganze Zeitlang einfach nur stumm an. Mit zusammengezogener Augenbrauen und unsicheren Blick, schnappte er schließlich hörbar nach Luft.
"... Jungkook." antwortete er leise und leckte sich schluckend über die Lippen.
"Mein Name ist Jungkook."
❥
Drei Kapitel noch und dann ist Schluss. Die Story geht eh schon eindeutig zu lang 😅 denke mal bis zum Wochenende ist sie dann beendet.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top