Gegenwart pt. 1
Es war tiefste Nacht. Eine einsame Gestalt bahnte sich einen Weg durch die eisige Kälte und hinterließ im glitzernden Schnee seine Fußspuren. Um ihn herum befand sich nichts als Leere und Dunkelheit. Die einzige Lichtquelle die der einsame Wanderer besaß, war der Mond, welcher im sanften milchton auf die Erde herab schien.
Bei jedem Schritt knirschte der tiefe Schnee. Es waren die einzigen Geräusche um ihn herum, ansonsten war es ganz still. Sämtliche Tiere hatten sich bereits in ihre Behausung zurückgezogen. Nicht einmal Wölfe waren zu sehen oder zu hören.
Ein mitleidiges Lächeln zierte das blasse ebenmäßige Gesicht. Die Haut hätte beinahe mit dem Weiß des Schnees konkurrieren können und doch waren die Lippen immer noch rosig zart und es wirkte auch nicht, als wäre der einsame Wanderer aufgrund des eisigen Schneesturms dem Tode nahe. Die Kälte kümmerte ihn nicht im geringsten. Es drang nicht bis in sein Körpers Innere und ließ auch nicht sein Herz gefrieren.
- Denn sein Herz, welches er einst einmal besessen hatte, schlug schon lange nicht mehr in seiner Brust. In seinen Gefühlen war er kalt wie der Teufel. Strahlte keine Wärme aus und fristete sein dasein, in dem er ziellos umher streifte. Ohne Ziel, ohne Plan und ohne jegliche Hoffnung.
So vergingen etliche Stunden. Wieviel genau? Das konnte er nicht mehr so genau sagen- was dem Wanderer im Grunde genommen auch egal war. Genauso war ihm auch die Tatsache egal, das seinem Körper allmählich die Kraft verließ. Die anarktische Kälte setzte ihm zu, sowie der endlose Fußmarsch - nicht zu vergessen der endlose Hunger. Das alles kostete ihm eine unmenge an Energie. Energie, welche er gezwungenermaßen von außen zu sich nehmen musste. Ohne diese Energie, lief er ansonsten Gefahr, in eine Starrheit zu verfallen und man mochte es vielleicht für unvollstellbar halten aber unter so hohen Meter Schnee und dauerhaften zweistelligen Minusgraden würde auch der robuste Körper eines Unsterblichen irgendwann aufgeben müssen.
Ein langer, schmerzhafter, quälender Prozess - doch dem Wanderer war es nach wie vor egal. Trotz mangelnder Kraft, schleppte er sich durch die frostige Nacht weiter, bis er auf einer gewissen Anhöhe ankam und dort zunächst stehen blieb.
Schon so lange war er auf der Suche nach Antworten gewesen, Antworten die ihm niemand geben konnte aber als der Wanderer so über das tief verschneite Gebiet blickte, gebannt von der uralten Vertrautheit, überwältigten ihn die alten Erinnerungen, die sein kaltes Herz für so lange Zeit verschlossen hielt und fragte sich, wann er endlich vergessen würde.
Eisiger Wind erfasste ihn, wirbelte die spärliche Beleidung auf die er am Leib trug, während ihm die nassen Locken unnachgiebig und tosend ins Gesicht peitschten.
Das leuchten seiner Augen, die in einem unirdischen Blau schimmerten, durchstachen die Nacht wie ein Dolch und doch, wenn man sich etwas mehr Zeit nahm und genauer hinsah, erkannte man die unüberwindbare Müdigkeit in ihnen, sowie den längst erloschenen lebensgeist.
Langsam und mit schweren Schritten setzte der Wanderer seinen beschwerlichen Weg fort und ließ die letzten wenigen Meter hinter sich.
Die Düsternis um das Gebiet, das er nun betrat, wirkte noch bedrohlicher - es lag nicht nur an dem Sturm, der einem das Gefühl gab, sich nicht am richtigen Ort zu befinden - sondern auch an dem Nebel. Ein dichter Schleier hatte sich nämlich um die verfallenen Überresten eines uralten Gemäuer gelegt und ließ es nun wie ein gespenstischen Ort erscheinen.
Teilnahmslos betrachtete er das alte Bauwerk, das einst vom unschätzbaren Wert und nun bereits lange in Vergessenheit geraten war.
Das erinnerungsvolle Gebäude weckten Erinnerungen auf, welche dem Wanderer wie tödliche Säure aufstiegen. Es waren Erinnerungen die er so verdammt lange versucht hatte zu verdrängen, doch ohne erfolg. Er hatte es geahnt und dennoch stapfte er nun weiter, begab sich bewusst der Gefahr hin - weitere schmerzvolle Erinnerungen wachzurütteln.
Als der Wanderer den Eingang erreicht hatte, blieb er zunächst davor stehen und starrte die alte massive Haustür an. Sie stand einen spaltbreit offen, schwankte aber aufgrund des heftigen Schneesturms immer wieder hin und her. Die Verankerungen waren bereits verostet und kaum zog er an dem alten Knauf, wehte ihm mit einem Male eine heftige Schneewehe um die Ohren und riss ihm die Tür aus der Hand. Mit einem gewaltigen Krachen schlug die Tür gegen die Außenwand und klappert immer wieder mit einem Ohrenbetäubenden Geräusch gegen die Steinmauer.
Den Wanderer riss es fast von den Füßen. Mit geballter Kraft stemmte er sich gegen den Sturmwind, während die harten Schneegraupel immer wieder wie unendlich feine Nadel in sein Gesicht stachen.
Schnee wirbelte in die große Halle hinein, als er es endlich ins Innere schaffte. Der Sturm rüttelte an den geschlossenen Fenstern und der enorme Lärmpegel schien sich erst zu beruhigen, als der Wanderer die alte Tür endlich hinter sich zuzog.
Keuchend vor Anstrengung ließ er sich gegen die kalte verfallene Wand fallen. Mit dem Ärmel seiner Kleidung wischte er sich den Schnee aus dem Gesicht.
Der Wind pfiff immer noch zwischen den ritzen der Mauern hindurch und es knirschte und knackte überall unter der Last die das uralte Haus auszuhalten hatte. Es war bedenklich aber trotz des heulenden Schneesturms und dem lauten wilden Rauschen der dicht stehenden Bäumen, rückte alles plötzlich so in weite Ferne. Nur von irgendwo drang das leises Tropfen von Wasser an seine Ohren. Irgendwo musste etwas undicht sein.
Die Kraft die den Wanderer bereits auf dem langen Weg hier hin verlassen hatte, brachte ihn dennoch nicht davon ab weiter zu gehen. Trotz der Müdigkeit die in ihm aufzog, verharrte er endlos lange Minuten in dem großen leerstehenden Flur und obwohl die Kälte und Schmerzen immer mehr Besitz von ihm ergriff, dachte er nicht daran sich wieder zu stärken. Nicht das er überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte. Weder Tier noch Mensch befanden sich hier in der Nähe.
Aber es war ohnehin egal. Es war eine Reise ohne Rückkehr.
Unwillkürlich wanderte sein Blick zu einer gewissen Tür im Südflügel. Selbst ohne Licht sah er gestochen scharf. Das funkelnde Blau in seinen Augen wurde intensiver, sobald er sich dem Zimmer näherte, hinter der sich eins der zahlreichen Schlafzimmer befand.
Knartschend ließ sich die Tür zu diesem Zimmer öffnen und presentierte einen unter einer dicken Staubdecke voll ausgestattete Einrichtung. Bett, kleiner runder Tisch, Stühle. Einige Möbel, sowie die der große Kleiderschrank waren unter einem weißen Laken verdeckt. Es sah alles noch genauso aus wie damals, nur waren jetzt die Farben sehr stark verblasst. Alles sah grau und trostlos aus. Die Wärme die es damals besessen hatte - in Erinnerungen eingefroren.
Mit einem müden Lächeln ließ er die dünnen Seiten eines Buches durch die Finger gleiten, das auf dem Tisch lag und klappte es anschließend zu. Die Aufschrift war kaum noch zu entziffern aber es war auch nicht nötig, er kannte dieses Buch bereits in und auswendig.
Sein Blick fiel als nächstes auf das Bett, das für damalige Verhältnis viel zu groß und wuchtig war. Nur die Reichen Leute besaßen so ein fein ausgefertigtes Bett. Gedankenverloren strich er über die Verzierungen. Seine Finger hinterließen deutlich sichtbare Spuren in der grauen Staubsticht. Er zog einige Schubladen auf, um festzustellen das alles, was sich dort einmal befunden hatte, lange bereits geplündert worden war. Seufzend schloss er die Schubladen wieder.
Der Stuhl der zu dem Schreibtisch gehörte, stand immer noch da. Der Wanderer war sich bewusst, töricht zu handeln, als er ihn herauszog und sich eins wie damals auf ihn setzte.
Erinnerungen fluteten umgehend seine Gedanken, als das Grau in der Umgebung mit einem Male verschwand und stattdessen mit den lebendigen Farben der Vergangenheit ausgetauscht wurden.
Der Wanderer schloss noch sofort die Augen und spürte wie sich sein eingefrorenes Herz schmerzhaft zusammenzog. Er schüttelte die aufkeimenden Erinnerungen sofort fort und kaum öffnete er wieder die Augen, erloschen die Farben und wurden wieder durch das dunkle grau ersetzt.
Er hielt den Atem an als er plötzlich glaubte Stimmen zu hören. Es klang so weit weg aber es war ihm nach wie vor vertraut, als hätte er die Stimme erst gestern gehört.
"B-bitte Sir, tun sie mir nichts. I-ich wollte nichts klauen! Das ist die Wahrheit!"
Einzelne Bilder tauchten wieder vor seinem geistigen Auge auf, wurden plötzlich wieder so greifbar, sodass es dem Wanderer spürbar Angst machte.
Es fühlte sich alles so unfassbar real an. Viel zu real.
Dieses Haus, dieser Raum. Alles begann hier. Dieser Ort hier war der Inbegriff seines Verlassens sein.
Alles schien ihn auf einmal von allen Seiten zu erdrücken. Überall wo der Wanderer auch hinsah, entdeckte er vergessene Erinnerungen. Sie platzen aus ihrem hart verschlossenen Kokon und brachen rücksichtslos über ihn ein. Er verlor das Gefühl zur Realität und trieb irgendwann in einem seltsamem Traumgefilde. Er versank in einer tiefschwarzen dumpfen Hitze, in der er nach und nach alle Sinne verlor.
Ein leises Ächzen verließ seine Lippen, während er sich in einem Meer aus unvollstellbaren Schmerz wälzte. Die Trockenheit brannte in seinem Hals. Der Hunger brachte ihn zusätzlich um den Verstand.
Das sanfte Blau wurde durch ein blutrünstiges rot ersetzt.
Ein rot das für Bedrohung stand, für Schmerz, für Verlust aber auch für... Liebe.
War diese Verbindung nicht Grotesk?
Rasselnd füllten sich seine Lungen mit Sauerstoff, als der Wanderer sich lachend erhob und den Kopf über seine eigene Einfälltigkeit schüttelte. Torkelnd umkreiste er den Schreibtisch und ging müde auf den Schrank zu, welcher auf der anderen Seite des Raumes stand. Er langte zu und riss mit einem Ruck das weiße Laken hinunter, was für eine heftig staubaufwirbeling sorgte.
Dahinter kam das edle dunkle Holz zum Vorschein. Auch hier strich er vorsichtig über die alte Verzierungen.
Er tat lange nichts als einfach dazustehen und den Schrank anzusehen.
"Ich flehte sie an Sir! S-sie werden mich töten.. b-bitte sagen sie nicht das ich hier bin! Bitte!"
Eine unerwarteter flashback riss ihn fast von den Füßen. Erinnerungen trugen diese Worte zu ihm und ohne noch wirklich sein Handeln steuern zu können, öffnete er den Schrank.
Leer blickte er ins Innere.
"Sir, ich tu alles was sie von mir verlangen aber ich will jetzt noch nicht sterben!"
Die Augen des Wanderer brannten, als er Minutenlang nur auf diesen einen gewissen Punkt im Schrank starrte, ehe er leise und gebrochen flüsterte.
"Alles gelogen... du hast mich angelogen..."
Wenige Momente später hallte ein lauter, schmerzgepeinigter Schrei durch den Südflügel des alten Hauses, der jedes noch so Laute Heulen des Sturmes, welches den dichten Wald in eine dicke Schneedecke hüllte, übertönte.
❥
Ich hab jetzt bereits so viel vorgeschrieben, daß ich es gar nicht mehr aushalten kann, als es mich euch zu teilen. Irgendwie wird es doch eher eine short Story mit mehreren parts als ein langer one shot. Ich schreibe und schreibe und schreibe und finde kein Ende 😅
Uff, ich bin echt gespannt was ihr zu der Idee sagt und wie das gesamte Ergebnis bei euch ankommen wird. 🙈
Wer meint ihr ist der geheimnisvolle Wanderer? 😏
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