22. Hekate zu Besuch

Hazel PoV:

Ich spazierte gemütlich durch Neu Rom, bewunderte die Architektur, wie es mich Annabeth gelehrt hatte, staunte über die immer größer werdenden Häuser und betrachtete den Sonnenuntergang. Der Himmel hatte sich schon in einen wunderschönen Goldschimmer verwandelt und strahlte eine unfassbare Wärme aus.

Jeden Abend lief ich hier durch die Straßen, aus Angst etwas von alledem zu vergessen, sollte es je zerstört werden.
Frank und Reyna befassten sich noch immer mit Angriffsstrategien und einer guten Abwehr, während wir anderen stumm auf das Eintreffen den Krieges warteten, der auf sich warten ließ.

Die Drohung, dass wir von mehr als 300 Mann angegriffen werden würden, hatte sich in ganz Camp Jupiter verbreitet wie ein Lauffeuer, doch noch war nichts passiert.

Währenddessen waren unsere Freunde in Schottland in einer Schule für Zauberei. Das wäre eine Aufgabe, mit der ich leben könnte. Doch hier zu sitzen, nichts zu tun und abzuwarten, war die pure Folter.

Die kühle Abendluft brauste um mich herum und ließ meine zimtfarbenen Haare fliegen. Ich zog meinen Mantel enger, um mich vor der aufkommenden Kälte zu schützen. Der September neigte sich dem Ende zu, die Tage wurden kürzer, die Nächte brachen früher herein und die Temperaturen sanken gewaltig.

Seit der Schlacht um Gaia hatte ich keinen einzigen Halbgotttraum erleiden müssen, ich konnte jeden Abend beruhigt in meiner Kohorte einschlafen und am nächsten Morgen ausgeruht und erfrischt aufstehen.

Im Großen und Ganzen ging es mir gut, ich dachte viel an die vergangenen Zeiten, an Leo und sein Opfer, daran dass er entgegen meiner Erwartungen nicht tot war. Als mich die Nachricht ereilte, war ich Frank vor lauter Freude um den Hals gesprungen und hatte ihn geküsst, so, wie ich es nicht in der Öffentlichkeit getan hätte.

Ich strich meinen Mantel glatt. Das berauschende Gefühl, wenn ich an diesen Kuss dachte, ließ mir das Blut in die Wangen steigen. Ich hatte mich ganz unangebracht verhalten.

Aber es war die beste Nachricht seit langem gewesen. Leo lebte.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen und fröhlich mit den Armen schlenkernd stiefelte ich weiter durch Neu Rom.

Was die anderen wohl gerade trieben? Frank und Reyna verbrachten momentan jede Minute zusammen und auch wenn ich wusste, dass die beiden nie... konnte ich trotzdem nicht von mir behaupten, deswegen weniger eifersüchtig zu sein.

Das alles war eine komplett neue Situation für mich, damals mit Samy, damals war das alles so anders gewesen. Mit Frank eine echte Beziehung zu führen, war eine Erfahrung, an die ich mich noch gewöhnen musste.

Ich dachte an unsere Freunde aus Camp Half-Blood. Sie saßen wohl gerade alle um einen warmen Kamin, lachten gemeinsam, genossen die Zeit zusammen und überlegten, wie sie diese ganze Nebel-Sache aufhalten könnten.

Percy und Annabeth saßen bestimmt arm in arm auf einer Couch, während Piper Jason mit Süßigkeiten bewarf und ihn anlächelte, so dass Jason einfach dahinschmolz und auch der letzte Rest seines römischen Auftretens einem dümmlichen Grinsen wich.

Mein Bruder Nico und sein neuer Freund Will waren auch noch über beide Ohren verliebt, doch vor den anderen würden sie sich wohl zurückhalten. Nico verhielt sich nach wie vor zurückhaltend und verschlossen.

Und irgendwo durchkämmte Leo Valdez, ein Junge von mittlerweile 16 Jahren, Wüsten oder Gebirge, Täler oder das Meer. Aber er lebte und war auf dem Weg zurück zu uns.

Ein lautes Knacken hinter mir ließ mich zusammenzucken, ich warf einen kurzen Blick über die Schulter und erstarrte. Vor mir stand eine Frau, eine Frau die ich gut kannte und deren Gesicht mir nie aus dem Kopf gehen würde, doch ihr gesamtes Auftreten hatte eine mehr als beängstigende Wendung genommen.

"Hekate?", fragte ich bestürzt.
Ihre Haut war so weiß wie der unberührte Schnee eines Wintertages, das lange Haar lag strähnig an ihrem Kopf und schimmerte silbrig-blau.

Die ehemals so schöne Frau mit den goldenen Haaren, der bleichen - aber deutlich gesünder aussehenden Hautfarbe - und dem Kleid, das aussah als würde es auf flüssiger Tinte bestehen.

Nun stand vor mir eine gruselige Gestalt, eine Art Alter Ego von der Göttin. Das Kleid, das sie trug, ähnelte nicht mal ansatzweise dem von früher. Es war grünlich schimmernd, es erinnerte mich an Schimmel und Dreck.

Ihre grünen, leblosen Augen musterten mich von Kopf bis Fuß.
"Hazel Levesque, meine alte Freundin." Ihre Stimme klang schneidig, so als könnte man damit das härteste Metall zerschneiden. Mir wurde eisig kalt.

Auch ihre Worte brachten mich zum zittern. 'Alte Freundin', das war nicht unbedingt ein Titel, der mir gefiel. Schon gar nicht wollte ich von einer Göttin so genannt werden.

Ich schüttelte mich. "Was wollt Ihr hier?", fragte ich. "Meine Freunde sind doch schon in eurem Auftrag unterwegs."
Die Göttin verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln. Ohne dieses gespenstische Auftreten hätte das wesentlich weniger wahnsinnig gewirkt.

"Aber Hazel, du bist die Einzige, die meinen Zauber wirklich versteht, du bist eine Zauberin wie ich. Nur du bist in der Lage, was da auf deine Freunde zukommt, in voller Größe zu verstehen."

Ich schluckte schwer. Das... das...
"Wieso? Wieso habt ihr uns dort nicht alle zusammenhingeschickt? Wieso erst jetzt? Wieso ich?"

Ich wollte das nicht hören. Eben wollte ich nichts lieber, als nicht mehr bloß abzuwarten, ich wollte bei meinen Freunden sein, eine Aufgabe haben, die nicht darin bestand, den ganzen Tag auf eine Schlacht zu warten, die nicht stattfinden würde. Aber jetzt wollte ich nicht von hier fort.

Nicht ohne Frank und mich beschlich dieses Gefühl, das Hekates Worte eben genau das verkündet hatten.
"Du, Hazel Levesque, bist eine besondere Halbgöttin. Deine Entscheidungen und deine Kraft werden bestimmten, ob dein Freund überlebt."

Meine Knie wurden weich. Mein Freund? Leo?
"Aber er muss überleben!", rief ich laut aus. Tränen sammelten sich in meinen Augen, meine Sicht wurde schwammig.

Das durfte doch alles nicht wahr sein, Leo war gerade erst von den Toten zurückgekehrt und jetzt stand sein Leben erneut auf dem Spiel? In meinen Händen?

"Der Sohn des Meeresgottes ist bei weitem einer der Mächtigsten seiner Zeit, doch auch ihn wird es irgendwann treffen und womöglich ist seine Zeit bald gekommen."

Nun war ich mit meinem Latein am Ende. "Percy?!"
"Du stehst an einem Kreuzweg, meine liebe Hazel. Wie wirst du dich entscheiden?"
Vor mir flackerten vier Projektionen auf.

In der ersten sah ich Annabeth, sie saß allein in einem dunklen Zimmer, die Beine an ihre Brust gezogen und das Gesicht in den Händen vergraben. Meine Freundin so zu sehen, brach mir das Herz. Ihre blonden Locken fielen ihr über die Schulter, als sie sie zurückstrich, funkelte ein kleines Fläschchen in ihrer Hand.

"Gorgonenblut, die Arme wird ohne die Liebe ihres Lebens wahnsinnig."
"Nein. Oh Götter, Annabeth, was ist nur passiert? Wo ist Percy?"
Ich konnte es nicht stoppen, die Tränen flossen meine Wangen hinab. Ich schluchzte und blickte Hekate mit schmerzverzerrtem Gesicht an.

"Der Junge hat es nicht geschafft, ist verendet, weil du nicht gehen wolltest. Du bist hier geblieben und hast ihn dem Tod überlassen."

Ich blickte zu den anderen Möglichkeiten, zwei von den dreien sahen genauso aus wie das erste. Annabeth mit den Nerven am Ende.

"Aber..."
"Hekate lachte, Hazel, wenn du versagst endet sein Leben auch, egal auf welche Weise, Annabeth wird daran zerbrechen."

Der vierte Weg war anders, ich sah uns alle. Annabeth, Percy, Jason, Piper, Nico, Will, aber auch Leo und ein Mädchen, das ihren Arm um ihn legte, der Satyr Grover Underwood, Thalia und ihre Jägerinnen, einen Jungen mit schwarzen Haaren und einer Brille, einen Weiteren mit rotem Haar und vielen Sommersprossen, ein Mädchen mit braunen, buschigen Haaren und dahinter noch so viele mehr.

Wir starrten mir entgegen, doch ich wusste, dass wir nicht mich ansahen. Unsere Blicke waren hart und kalt.

"Was ist das?", fragte ich?
"Du hast ihn gerettet, doch danach kommt es auf euch alle an. Werdet ihr die Schlacht gewinnen?"

"Eine Schlacht?"
"Hazel!", Franks Stimme schallte zu mir. Ruckartig drehte ich mich um.
"Nun, Hazel Levesque, dann ist es wohl an der Zeit, mich zu verabschieden."

Erschrocken sah ich die Göttin an. "Nein! Ich muss doch wissen was zu tun ist. Ich brauche doch..."

"Hazel!" Frank war keine Minute mehr entfernt.
"Wieso müssen Sie gehen?"
"Das ist deine Aufgabe, Hazel, du kannst damit umgehen, deine Freunde nicht. Sei mutig und stark."

Sie begann zu leuchten, ich drehte mich von ihr weg, um nicht sofort selbst in Flammen zu stehen und gleich darauf war sie verschwunden, so als wäre sie nie da gewesen.

"Hey Hazel!" Frank kam auf mich zu. "Ich hab dich schon überall gesucht."
Sein Lächeln erwärmte meinen ganzen Körper, doch die Angst saugte mir jegliche Freude aus den Knochen.

"Lass uns gehen, gleich gibt es Essen", er lächelte und bot mir seinen Arm an, den ich auch gleich ergriff, um nicht vornüber zu kippen.

"Alles gut bei dir?" Frank musterte mich mit besorgter Miene, doch ich zwang mich zu einem Lächeln.

"Sicherlich, ich war nur etwas in Gedanken. Essen klingt jetzt toll."

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