21. Was wäre wenn

Hermine PoV:

Mitten in der Nacht weckte mich ein lauter Knall. Ohne zu zögern schlug ich die Bettdecke zurück, zückte meinen Zauberstab und leuchtete durch das Zimmer.
Keines der Betten war belegt, niemand aus meinem Jahrgang war nach der Schlacht zurückgekehrt... von denen die überhaupt noch übrig waren.

So ganz alleine fühlte ich mich einfach nur grauenvoll. Ich hatte mich nie besonders gut mit den Mädchen verstanden, sie waren so anders als ich gewesen. Mit Ron und Harry fühlte ich mich tausendmal wohler als jede Sekunde in diesem düsteren Schlafsaal, egal ob ich nun allein war oder Parvati, Lavender, Eleanor und Celina da wären.

Ich tapste zum Fenster, von wo der laute Knall zu hören gewesen war. Vermutlich war es nur wieder der alte knorrige Baum, der bis hier hoch hinauf reichte und mit seinen Zweigen im Wind tanzte. Die Blätter hatten sich schon alle bunt gefärbt.

Es hatte keinen Zweck weiterhin in diesem schaurigen Zimmer zu hocken, ich könnte ja doch nicht einschlafen. Bei dem, was heute alles geschehen war, war das kein Wunder.

Nachdem wir die Schüler im Gemeinschaftsraum zusammengetrieben hatten, machten Harry, Ron und ich uns auf den Weg nach unten, um den Lehrern zu helfen, gegen die magischen Pflanzen zu kämpfen.

Doch noch während wir auf die Treppen zueilten, begegneten uns Professor McGonagall und Draco Malfoy, sowie fünf der sechs Austauschschüler.

Ihre Gesichter sprachen Bände, etwas war geschehen, etwas schlimmes.
Percy fehlte, der Junge mit den schwarzen Haaren und den unfassbar grün-blauen Augen, die einem jedes Mal das Gefühl gaben, am Meer zu stehen, die kalte Seeluft einzuatmen und die Wellen rauschen zu hören.

Annabeth, Percys Freundin, wirkte völlig aufgelöst. Ihre blonden Locken sahen spröde aus, ihre Knie waren bedeckt mit Erde, sie lehnte gegen Piper und weinte leise.

Ich hatte sie noch nie so... fertig gesehen, ihr sonst so starkes Auftreten wirkte immer besonders einschüchternd, doch jetzt zeigte sie ein anderes Gesicht, etwas verletzliches. Es ließ sie mehr menschlich erscheinen, Annabeths anmutige Art, ihre Ausstrahlung, man konnte nicht den Blick von ihr oder den anderen wenden, sie waren etwas besonderes, zumindest machten sie den Eindruck.
Es war, als würden sie... Macht ausstrahlen.

"Ich hatte Ihnen gesagt, Sie sollen die Schüler in den Gemeinschaftsraum bringen!", fuhr uns die Direktorin streng an.
"Das haben wir schon, Professor. Wir dachten, wir könnten vielleicht helfen." Ron lächelte matt, etwas eingeschüchtert von unserer Lehrerin senkte er schnell den Kopf.

"Die Lehrer haben nun alles unter Kontrolle, aber es wird eine Besprechung für alle Vertrauensschüler in einer Stunde geben. Ich erwarte Sie drei", sie deutete auf Harry, Ron und mich, "in der großen Halle."

Während ich weiterhin aus dem Fenster sah, bemerkte ich nicht wie hinter mir die Tür leise aufgestoßen wurde.

"Hey, Du", begrüßte mich Ginny. Ich erschrak und richtete meinen Zauberstab sofort auf ihre Kehle.
"Immer langsam mit den jungen Pferden", lachte meine beste Freundin und schob meine Hand beiseite.

"Du kannst also auch nicht schlafen?", fragte sie, ehe sie sich auf ein leeres Bett fallen ließ.
"Nicht wirklich."

"Kaum hat das Schuljahr angefangen, schon gibt es furchtbare Katastrophen. Zauber funktionieren nicht, Pflanzen brechen aus..."

"... ein Schüler verschwindet", beendete ich ihren Satz. "Das muss doch alles ein kranker Scherz sein."

Doch Ginny antwortete mir nicht, denn sie schlief schon tief und fest. Lächelnd schüttelte ich den Kopf, das war so typisch für sie. Im einen Moment hellwach und am plaudern, im nächsten schon im Land der Träume, auf ihrem Quidditchbesen flog sie durch die Lüfte und sah dabei aus, wie die mutigste Person der Welt.

Ich deckte sie zu und verließ das Zimmer, ich wollte noch nicht schlafen, ich konnte nicht. Das prasselnde Feuer des Kamins würde mich wärmen und mir etwas Ruhe schenken.

Ich stieg die Stufen hinab und blickte auf meinen besten Freund, der mit verschränkten Armen und Beinen am Boden saß und in die tobenden Flammen stierte.
Seine schwarzen Haare stoben zu allen Seiten hinweg und die Brille saß verkehrt herum auf seiner Nase.

"Harry?"
Er zuckte zusammen, sprang auf und brach sich dabei fast das Bein, als er nicht richtig zum Stehen kam, nach dem Tisch griff, danebenlangte und mehrere Schritte zurück stolperte.
"W-wie, was?" Orientierungslos fuchtelte er mit dem Zauberstab vor meiner Nase herum, ehe er mich erkannte und sich aufrichtete.

Er räusperte sich. "Äh, Hermine... was machst du hier um die Uhrzeit?"
Ich rollte mit den Augen. Er wusste worauf ich hinaus wollte und beantwortete seine Frage selbst: "Das könntest du mich auch fragen."

Ich grinste und ließ mich in einen der roten Sessel fallen.
"So verpeilt habe ich dich ewig nicht gesehen, Harry. Was ist los?"
Mit schräggelegtem Kopf musterte ich meinen besten Freund. Tiefe Augenringe zierten sein Gesicht, er war blass und sein Blick leer.

Das letzte Mal als ich ihn so gesehen hatte, war an Weihnachten im letzten Jahr gewesen. Völlig fertig von der Suche nach den unauffindbaren Horkruxen, allein auf dem Friedhof in Godric's Hollow.
Ein Junge, verloren und zurückgelassen mit einer Aufgabe, die so viel größer war, als er selbst. Eine Waise, die einfach einen elterlichen Rat gebrauchen könnte.

Missmutig ließ er sich neben mir auf dem roten Samt-Sofa nieder, mit den Händen fuhr er behutsam über den Stoff, so als könnte er jeden Moment zerreißen.

"Ich habe über McGonagalls Worte nachgedacht. Über all das, was noch passieren kann..."
Ich nickte, wie könnte er auch nicht. Das taten wir alle. McGonagalls Neuigkeiten waren erschütternd gewesen, doch wenn ich ehrlich war, hatte ich damit gerechnet.

Harry, Ron und ich betraten mit den Vertrauensschülern von Ravenclaw und mit Neville und Hannah die große Halle. An der Decke tummelten sich dunkle Wolken und Blitze jagten über den düsteren Himmel, wodurch die bedrohliche Stimmung nur verstärkt wurde.

Die Vertrauensschüler aus Slytherin und Hufflepuff saßen schon zusammen mit unserer Direktorin an einem der langen Tische. Keiner sagte ein Wort, sie warteten auf uns.

"Nun können wir ja anfangen", sagte Professor McGonagall und blickte uns alle durch ihre runden Brillengläser an, als würde sie das schlimmste von uns erwarten. Ihr Gesichtsausdruck war kühl und reserviert. Sie war schon immer streng gewesen, doch in ihrem Blick hatte stets etwas warmes, etwas... beinahe mitfühlendes, freundliches gelegen.

Nun war davon nichts zu sehen. Ich fragte mich, ob es nicht etwas mit den Austauschschülern zu tun haben könnte, die vorhin mehr als durcheinander waren.

"Professor, was ist denn los? Geht es um die Vorfälle in den Gewächshäusern? Professor Sprout hat jetzt alles unter Kontrolle", meinte Neville. Er lächelte unsicher in die Runde.

"Speziell um die Gewächshäuser geht es nicht, doch damit können wir anfangen." Sie räusperte sich. "Die Pflanzen haben verrückt gespielt, wie alles Magische in unserer Welt. Zauber funktionieren nicht mehr, werden schwächer oder verstärken sich, nehmen andere Eigenschaften an. Die Zaubererwelt hat ein Problem und das Ministerium ist überfordert."

Nachdenklich fuhr ich mir über die Stirn, es war nichts Neues, dass das Ministerium über keinen funktionierenden Plan verfügte, doch das Problem war, niemand wusste sich zur Zeit richtig zu helfen.

"Über kurz oder lang müssen Entscheidungen getroffen werden. Und da es momentan schon beinahe gefährlich sein kann, überhaupt zu zaubern, müssen wir uns auf mögliche Konsequenzen einstellen."

Wir alle zogen scharf die Luft ein.
"Keine Magie mehr? Wir dürfen nicht mehr zaubern?", fragte die Hufflepuff-Vertrauensschülerin. Ihr Name war Geraldine Baker oder so ähnlich, ich hatte sie nur ab und an auf den Gängen gesehen, sie war in Ginnys Jahrgang.

"Das wäre wohl der erste Schritt", sagte McGonagall, doch sie wurde von Harry unterbrochen.
"Erster Schritt?! Was denn noch?"

"Es scheint so, als würden alle Zauber, die schon einmal gesprochen wurden, rückgängig gemacht. Ihnen wird die Kraft entzogen, sie lösen sich auf. Man stelle sich nur einmal das Chaos vor, dass bald unter den Muggeln herrschen wird, wenn jeder ausgesprochener Vergessenszauber zu Nichte gemacht wird..."

"Aber", murmelte Harry, "dann werden sie herausfinden... sie werden wissen, dass wir..."
"Ja Potter, die Menschen werden uns enttarnen und nicht alle werden damit umgehen können."

"Harry, wovor fürchtest du dich? Dass die Schule geschlossen werden muss, dass die Zauberer ihre Existenz verstecken werden? Du bist auch ohne die Zauberei etwas besonderes!"
Ich lächelte ihm aufmunternd zu, doch er schüttelte bloß den Kopf.

"Hermine, ich denke nicht über mich nach oder an die Konsequenzen, wenn Tante Magda sich daran erinnert, dass ich sie aufgeblasen habe." Er lachte leise und dachte vermutlich an ihre aufgeblähte Gestalt, auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, obwohl ich ihm deswegen immer noch Vorwürfe machte.

"Aber was dann?"
Harry nahm eins der Holzscheite, die neben dem Kamin, in einem Korb lagen und warf es in die Flammen. Kleine Funken stoben in die Luft und führten eine Art Tanz auf.

"Wenn alle Zauber sich auflösen... wenn alles rückgängig gemacht wird..."
Ich weitete die Augen.
"Kann das nicht bedeuten, dass auch dieser eine Zauber seine Kraft verliert und..."

"Harry, kein Zauber der Welt kann das."
"Aber das ist es ja!", rief er frustriert. "Es ist kein Zauber, der Zauber verliert nur seine Wirkung."

Ich konnte die pure Hoffnung in seinen Augen sehen, die Hoffnung, dass seine Vermutungen zutrafen.

"Ich kam vor fast 8 Jahren in diese Welt, eine Welt so bunt und fröhlich, so beeindruckend für einen kleinen Jungen, der sein Leben lang unter einer Treppe hauste. Doch mit all den Jahren und dem älter werden... ich weiß nicht, aber womöglich hat mir eben diese Welt mehr genommen als gegeben."

"Aber Harry, das kannst du überhaupt nicht vergleichen. Die Muggelwelt hätte dir das alles ebenso nehmen können, nur hättest du da niemandem, dem du die Schuld geben kannst."

"Hermine, was wenn der schlimmste Fluch, der dem ich das hier verdanke", er deutete auf seine Narbe, "wenn der seine Wirkung verliert. Vielleicht bekomme ich sie alle wieder zurück!"

Ich schluckte. Das war doch alles Wahnsinn. Konnte das wirklich sein? Kämen sie alle wieder?
Doch dann verdüsterten sich meine Gedanken. Wenn die Guten wiederkommen konnten, würden die Todesser es ihnen gleich tun.

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