18. Verschwunden

Nico PoV:

"Piper, jetzt starr nicht so, er hat's bestimmt nur vergessen", murrte ich in meine Müslischüssel.
Egal wieviel Zucker ich da reinkippen würde, es war einfach nicht genug - kein Vergleich zu dem Frühstück in den Camps und/oder zu Wills Gesundheitssnacks, die mit Nektar versetzt waren. Am liebsten wär ich dennoch einfach zu McDonalds gefahren und hätte mir Pommes und einen Burger geholt. (Für ein HappyMeal war ich mittlerweile zu alt.)

"Jason würde nie unser Date vergessen!", protestierte Piper lautstark und schlug mit der Faust auf den Tisch. Neugierige Blicke flogen zu uns herüber.
"Er und Percy waren", ich senkte meine Stimme, "auf einer Mission. Danach hatte er bestimmt andere Dinge im Kopf."

Wieder landete ihre Hand mit einem lauten Knall auf dem Holz. "Halt die Klappe! Ich kann - und will - das nicht glauben."
"Verleugnung hat noch nie geholfen", schaltete sich Draco ein, der gerade neben der Furie mit den unregelmäßig abgeschnittenen Haaren Platz genommen hatte.

Piper stöhnte laut und verschränkte die Arme. "Ihr seid scheiße."
Sie schob ihren Teller mit dem halb aufgegessenen Butterbrötchen beiseite und wandte ihren Blick wieder zum Eingang der großen Halle.

Nachdem Jason und Percy sich dazu bereit erklärt hatten, mit den Zentauren zu sprechen, hatte sie keiner mehr gesehen.
Piper war ganz fuchsteufelswild und die anderen hatten wir nicht informiert.
Besonders Annabeth wollten wir erst etwas sagen, wenn es zu 100% sicher war, dass er und Jason nicht auftauchen würden.

"Was ist eigentlich los?", fragte Draco, während er lustlos in ein kleines Stück Toast biss.
"Jason ist weg!", jammerte Piper.
"Der läuft bestimmt gleich durch die Tür."
"Zum Hades, Nico! Sei doch nicht so ne Gorgonenpfeiffe! Etwas ist passiert!"

Ich riss die Augen auf. Konnte Piper sich noch dämlicher verhalten?
Ihr war wohl aufgegangen, was sie da gerade durch die Halle geschrien hatte, jedenfalls hob sie ihre Stimme und legte all ihre Kraft hinein.
"Ihr habt euch verhört. Ich habe Nico nur beschimpft, wie jeder andere es auch getan hätte."

Selbst mein Gehirn waberte bei ihren Worten und das Gefühl abzudriften machte sich in mir breit.
Sie hatte das ganze Charme-sprech-Dings echt gut im Griff, das musste man ihr lassen.

Die Schüler wandten sich alle wieder ihrem Frühstück zu und Piper atmete erleichtert auf.
"Das war knapp", sagte ich und zog dabei eine Augenbraue nach oben.
"Du hast mich auf die Palme gebracht."

Will und Annabeth betraten die Halle, ich konnte schon von Weitem sehen, dass Annabeth etwas bedrückte. Dennoch strahlte sie eine solche Stärke aus, dass es beinahe einschüchternd wirkte.

Will kam zu unserem Tisch hinübergeschlendert, er lehnte sich zu mir und drückte mir einen leichten Kuss auf die Lippen. Piper jubelte leise und Draco nickte mir aufmunternd zu. Sofort wurde ich rot.

Der Sohn des Apollo grinste mich an und fuhr mit seinen Händen meinen Nacken hinab, meine Schultern entlang.
"Du bist ganz angespannt, Neeks. Da müssen wir was tun..." Er kramte in seiner Tasche nach einem seiner berühmten Nussriegel mit der Geheimzutat Nektar.

Er überging meine Proteste und stopfte es mir ohne ein Wort in den Mund. "Gut kauen, ich will nicht, dass du erstickst."
Ich funkelte ihn böse an. Er benahm sich mal wieder typisch wie Will Solace, Sohn des Apollo, unserer Camp-Arzt.

Piper nutzte mein Schweigen und griff nach Wills Arm, der sich daraufhin an sie wand und sie fragend musterte. "Piper, alles okay?"
"Hast du Jason schon gesehen?"
Ich schluckte und spürte sofort, wie meine Schultern entspannten, ich wurde ruhiger und auch der kleine Kratzer hinter meinem Ohr, den ich mir heute Nacht zugefügt hatte, als ich versuchte, meine Haare zu schneiden, begann zu heilen.

"Nein, tut mir leid. Er und Percy sind gestern Abend los und danach... keine Ahnung."
Bedrückt ließ Piper den Kopf hängen. "Es muss etwas passiert sein. Percy würde nie freiwillig das Frühstück verpassen und Jason hätte an unser Treffen gedacht." Mit festem Blick starrte sie mich an, ihre Augen schienen zu lodern.

Brand, Flammen, das erinnerte mich an Leo, vielleicht würden wir ihn bald wiedersehen. Ja, vielleicht.

Annabeth setzte sich an den Ravenclawtisch, ganz weit weg von den anderen, als würde sie ihre Mitschüler meiden.
"Piper?"
"Ja?" Sie legte den Kopf schief, ihre Augen glitzerten stark, Tränen bildeten sich.

"Du denkst immer noch, dass etwas nicht stimmt, oder?", fragte ich mit rauer Stimme.
Sie nickte, eine Träne rann ihre Wange hinab. Mit einer raschen Bewegung wischte sich Piper über die Augen. Als eine Tochter der Aphrodite wurde sie schnell als "zu emotional" und "gefühlsduselig", sogar als "schwach" bezeichnet.

Ich schnappte mir ihre Hand und drückte sie leicht. "Du hast Angst. Du liebst ihn. Du darfst weinen."
Ihre Mundwinkel zuckten leicht nach oben.
Vor uns musste sie sich nicht verstellen, nicht die Starke vorspielen, sie konnte ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

"Wir sollten mit Annabeth reden. Wie es aussieht, ist nicht nur Jason verschwunden."
Will nickte und lief schon auf den Tisch der Schlauköpfe los.

Draco sah uns verwundert hinterher. Er tat mir fast schon leid. Jedesmal ließen wir ihn zurück, wenn wir unseren "Problemen" nachgingen, doch wir konnten ihn schließlich nicht einweihen.

Wir riefen Annabeth zu uns und eilten aus der Halle. Für heute waren wir auffällig genug vorgegangen.

"Ihr seid sicher?" Die Tochter der Athene warf ihr blondes Haar über die Schulter und legte die Stirn in Falten. Ihre grauen Augen blitzten zu uns auf wie Schwertklingen im Sonnenlicht.

"Jason ist verschwunden, davon bin ich überzeugt und er war mit Percy unterwegs..."
Die Mädchen betrachteten bedrückt den Boden. Mein Kopf pochte, kleine schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, Schwindel setzte ein.

Ich hatte Piper nicht geglaubt, sie für verrückt und überfürsorglich gehalten. Schon vor dem Frühstück, direkt nach dem Aufstehen hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Wenn es jetzt zu spät wäre, hätte ich Schuld daran.
Jason machte mich sowieso für das ganze Leo-Debakel verantwortlich, hierfür wollte ich nicht auch noch die Schuld tragen.
Ich wollte doch nicht, dass so etwas passiert.

"Wir suchen sie. Wir teilen uns auf. Ich gehe mit Piper, wir durchkämmen die Ländereien. Will, Annabeth, ihr nehmt euch den Wald vor. So wie wir Percy kennen, fand er es bestimmt lustig, etwas verbotenes zu machen."

Meine Freunde nickten.
"Los!"

"Jason?", schrie Piper. Sie stand auf einem kleinen Erdhügel. Das Gras war noch feucht, ihre Strümpfe sogen das Wasser förmlich auf.
"Jason!"

Die Sonne war hinter den Wolken versteckt, nur hier und da tauchten vereinzelte Strahlen durch die weiße Decke herab und beschienen die grünen Wiesen.
Das Wasser des Sees glitzerte. Percy hätte dieser Anblick sicher gefallen.

"Jason!"
Der Unterricht hatte längst begonnen, unser Fehlen musste auffallen, doch die Mission war momentan zweitrangig.
Ich hörte Hekates Stimme in meinem Kopf: "Jackson und Grace sind die Mission nicht wert! Rettet den Nebel! Rettet die Magie!"

"Raus da!", knurrte ich und schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.
"Nico?"
"Alles gut, suchen wir weiter."

Ich kletterte zu Piper hinauf, von da oben hatte man sicher einen besseren Überblick.
"Jason?"
"Jason?"

Piper zitterte am ganzen Körper, der kalte Wind wehte um uns herum. Sie hatte ihren Mantel im Schloss gelassen, wir waren sofort losgestürmt.
"Hier." Ich streifte meinen Umhang ab und legte ihn ihr um die Schultern.

"Aber du, jetzt frierst du doch", protestierte sie, ihre Versuche mir den Umhang zurückzugeben blieben jedoch alle erfolglos.
Die Bäume raschelten im Wind, die Blätter hatten sich schon gänzlich verfärbt - ein kunterbuntes Farbenspiel, doch trotzdem wirkte alles so trostlos, so ... tot.

Einer der Büsche raschelte am Rande des Waldes. Zwischen zwei toten Ästen lugte ein blonder Schopf hervor.
"Jason!", schrie ich, so laut ich nur konnte.
Auch Piper drehte sich in seine Richtung.

Wir stürzten los, stolperten den Hang hinab.
Jason kämpfte sich aus dem Dickicht hervor, sein Gesicht, die Arme und der ganze Oberkörper waren von Schrammen übersäht.
Seine Augen waren rot unterlaufen, er konnte kaum atmen.

Keine zehn Sekunden später tauchten Annabeth und Will hinter ihm auf.
"Wir haben Stimmen gehört...", nuschelte Will.
Annabeth sah sich verzweifelt um. Percy war nicht hier.

"Jason!" Piper schloss ihn in die Arme. Mit halber Kraft drückte er sich von ihr weg, um sie zu betrachten. Er küsste sie, ehe er auf die Knie fiel. Jason begann zu husten, Blut zu husten.

"Oh Götter, was ist mit ihm?!", schrie Piper.
"Jason, wo ist Percy?" Annabeth hatte Tränen in den Augen, sie war klmplett aufgelöst, ihre Stimme zitterte und war brüchig. Sie wirkte schwach.

So hatte ich sie nur einmal erlebt. Als Percy das letzte Mal verschwunden war.
Jason stiegen ebenfalls Tränen in die Augen, er versuchte sich aufzusetzen, doch jedes Mal kippte er vorn über.

Seine Lippe bebte, als er anfing zu reden. Es war mehr ein Krächzen, doch noch immer gut verständlich.
"Percy ist... er hat es nicht... er ist tot."
Seine Augen verdrehten sich, so dass nur das weiße zu sehen war, er hustete erneut und verlor dann das Bewusstsein.

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