✓|05. Die Dritte Prophezeiung
⊱ψ•Annabeth•ψ⊰
Wir lagen eng aneinandergeschmiegt im feuchten Sand und lauschten dem Rauschen des Meeres.
Ein perfekter Sommertag.
Die Sonne stand in ihrem Zenit. Die Hitze brutzelte angenehm auf unserer Haut, während seine salzigen Lippen meinen Hals entlang wanderten.
An solch wunderbaren Tagen konnte man die schreckliche Vergangenheit, die uns in unseren Alpträumen verfolgte, beinahe vergessen. Doch spätestens wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwand, wurde es einem wieder schmerzlich bewusst.
Der Tartaros hatte Wunden und Narben hinterlassen, nicht nur diese, die sich auf unserer Haut abzeichneten - Verletzungen, die man mit bloßem Auge nicht sehen konnte.
Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich zärtlich seine Brust entlang. Eine der Narben zog sich von seiner Lende über sein Brustbein bis hin zu seinem linken Schlüsselbein. Gedankenverloren biss ich mir auf die Lippe.
"Ich liebe dich, Algenhirn", schmunzelte ich.
Er hob den Kopf, schob eine meiner blonden Locken zurück und küsste mich. "Ich liebe... Will?!"
"Was?", entgegnete ich irritiert.
Ich erhob mich ruckartig und wandte den Kopf über meine Schulter, als der Sohn des Apollo, hysterisch mit den Armen fuchtelnd, den Strand entlang gerannt und kaum wenige Zentimeter vor mir zum Stehen kam.
"Was ist los?", fragte Percy sofort.
"Es ist Rachel", keuchte er, "Ihr müsst auf der Stelle mitkommen!"
Ohne zu überlegen sprangen wir auf und rannten los. Unsere nackten Füße flogen beinahe über den staubigen Sand, das feuchte Gras.
Wills Blick ruhte auf dem Boden vor ihm, während er voraus eilte. "Eine neue Prophezeiung... der grüne Rauch... hat nicht aufgehört..."
Percys Augen trafen meine. Das war kein Zufall. Das konnte kein Zufall sein. Nicht einmal eine Woche nach Hekates Auftauchen... und den Vorfällen mit dem Nebel
Der Pavillion kam in Sicht und uns bot sich das Schauspiel des Grauens.
Rachel war umringt von Demigöttern, die versuchten ihr zu helfen. Grüner Rauch quoll aus ihrem Mund, bildete feste Rauchschwaden, die sich um ihren Körper hüllten und die anderen Halbgötter fortstießen.
Ihre roten Locken wirbelten umher und es wirkte beinahe, als würde sie an Drahtseilen vom Boden gehoben. Ihre Fußspitzen scharrten unkontrolliert über den Boden, das Gesicht völlig entstellt und verzerrt, als hätte sie ungeheure Schmerzen. Ihre Augen waren leer, fast gänzlich weiß, weit aufgerissen und schrien nach Hilfe.
Ohrenbetäubender Wind preschte um uns herum.
Jason, Piper und Nico waren auch vor Ort.
Doch entsetzt mussten wir feststellen, dass ihre Blicke - wie auch die der anderen - teilnahmslos in die Luft starrten.
Dann geschah es.
Jason zückte sein Schwert. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, griff ich nach Percys Hand, um ihn auf den Sohn des Jupiters aufmerksam zu machen, aber ich griff ins Leere.
Percy stand schon einige Schritte weiter vorne. Auch er trug Springflut in der Schwerthand, die Augen glasig und vollkommen leblos.
"Percy!" Es half nichts. Die Schwaden, die um Rachel tobten, verschluckten meine Stimme gänzlich.
Jason eilte schnurstracks auf Rachel zu, Percy ihm dicht auf den Fersen.
Was sollte das bloß? Sie würden ihr doch nichts antun... oder?
Jason kam Rachel immer näher, wich den Rauchschwaden aus, zerschlug einige mit seinem Schwert aus kaiserlichem Gold. Sein besessener Blick löste in mir einen widerwärtigen Brechreiz aus, der mich nicht länger zusehen ließ. Auch ich packte meinen Dolch und stürzte los, doch mit jedem Schritt weiter fragte ich mich, wieso ich ihr eigentlich helfen wollte? Wozu das alles?
Was tat ich hier überhaupt? Rachel war eine Gefahr, sie brauchte keinen Schutz, sie...
Knall!
Piper hatte mir eine saftige Ohrfeige verpasst. "Bleib wach!"
Ich sah gerade noch auf, als sich der Rauch für einen winzigen Moment um Rachel herum löste, doch der Anblick brachte mich beinahe um. Ich packte Pipers Hand und preschte mit ihr vor, doch nie würden wir es rechtzeitig schaffen.
Jason stand direkt vor ihr, seine himmelblauen Augen so unendlich leer - glanzlos, als wäre seine gesamte Menschlichkeit, seine Seele, das, was ihn ausmachte, einfach ausradiert worden. Er holte zum Schlag aus. Sein Ziel: Rachels Kopf.
Piper schrie vor Entsetzen und ich verharrte. Dann besann ich mich eines Besseren. "PERCY!"
Der Sohn des Poseidon mit den rabenschwarzen Haaren, stand keine zwei Meter von Jason entfernt. Auch Percy hob nun sein Schwert. Hatte er mich nicht gehört? War es zu spät?
Der Nebel schloss sich wieder um sie herum wie eine Sichtschranke und ein Schlag ertönte.
Ein Strom voll hellem grünen Licht strömte zu allen Seiten über uns hinweg, riss uns von den Füßen, ehe wir unsanft im Gras landeten.
Ruckartig hoben Piper und ich die Köpfe.
"Jason!?"
"Percy?!"
Der Rauch verzog sich und Rachel, Percy und Jason lagen alle leblos am Boden, die Schwerter der beiden gekreuzt im Gras.
Über sie gebeugt waren zwei hochgewachsene Gestalten. Ein braungebrannter Kerl, Mitte zwanzig, mit blondem Haar, in weißen Shorts und Tshirt, der verboten gut aussah. Neben ihm - die opalfarbene Göttin Hekate.
"Dad?", sagte Will, der sich ebenfalls aufgerappelt hatte.
Die anderen Camper kamen zu sich, wirres Stimmengemurmel summte durch die Luft wie ein aufgeregter Bienenschwarm.
Und endlich. Percy zuckte. Jason ebenfalls. Mit zusammengepressten Augenlidern erhoben sie sich, die Hände gegen ihre Stirn gepresst. Doch Rachel rührte sich nicht.
"Was war das?", fragte Piper.
Hekate sah auf. "Meine Magie wird der Erde entzogen und so auch die Magie des Orakels von Delphi."
"Meinem Orakel?" Apollo fasste sich theatralisch an die Brust. "Was hat das mit meinem Orakel zu tun?"
Hekate schnaubte bloß.
"Was ist mit Rachel?", fragte Percy gereizt. Er rieb sich noch immer schmerzlich den Schädel.
"Sie wird mit Sicherheit einige Zeit-"
Weiter kam die Göttin nicht. Rachel hustete, ihr roter Lockenkopf schoss nach oben. Ihre Hände umklammerten Percy und Jasons Arme, krallten sich in den Stoff ihrer Tshirts. "M-mir geht's - gut", krächzte sie. "Das glaub- glaube ich zumindest..."
Jason stöhnte. "Piper, was ist überhaupt passiert? Was ist hier los?"
Unsanft kniff ich die Augen zusammen. "Heißt das... du kannst dich nicht erinnern?" Seine Antwort abwartend, überbrückte ich den Abstand zwischen uns und kniete neben Percy nieder, der Rachel noch immer dabei half, aufrecht sitzen zu bleiben.
Das unruhige Gemurmel der Umstehenden erstarb.
"Ich weiß auch nicht mehr, was passiert ist", sagte eine Tochter des Hermes. Zustimmendes Nicken folgte.
"Jason? Percy?" Ich sah unsicher zu ihnen auf, in der Hoffnung, sie würden meine Befürchtungen zu Nichte machen, doch keiner von ihnen hielt meinem Blick stand.
"Keinen blassen Schimmer...", sagte Percy und fuhr sich mit der Hand in den Nacken.
"Das war die Magie des Orakels", verkündete Hekate gebieterisch. "Keiner der von seiner Macht ergriffen wurde, dürfte sich wohl an das eben gehörte erinnern. Die Prophezeiung ist demnach... nutzlos, denn jeder, der sie gehört hat, wurde des Zaubers Knecht. Es erneut zu versuchen, könnte tödlich enden."
"Ich weiß es." Rachel sah auf. "Ich erinnere mich."
Alle Blicke schnellten zu ihr.
"Das ist unmöglich", erwiderte Hekate überrascht. Apollo nickte verhalten, seine besorgte Miene wich jedoch dem strahlenden Zahnpastalächeln, als Rachel darauf beharrte.
"Der Geist des Orakels von Delphi spricht durch dich, du dürftest es nicht wissen", erklärte Hekate ruhig.
"Die Magie spielt verrückt", warf ich ein, "Wer behauptet, dass das nicht auch zu unserem Vorteil genutzt werden kann? Rachel, wie lautete die Prophezeiung?"
Apollo lachte. "Da ist was dran, Hekate. Du bist immer so eine Schwarzseherin."
Die Göttin war nicht erfreut. Mit einer einfachen Handbewegung wies sie Rachel an, loszulegen.
Blass und zittrig richtete Rachel sich auf. Der aufkommende Wind, wehte ihr durch das dunkelrote Haar und jagte eine Gänsehaut über ihre blassen Arme. Unsicher sah sie zu mir und Percy. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Er nahm meine Hand in seine und drückte beruhigend zu.
Noch einmal holte sie tief Luft, sie senkte den Blick.
"Die Schlacht ist kaum vorbei,
Es vereinen sich der Welten zwei,
Magie scheint zu schwinden,
Und lässt Mächte sich binden.
Das Grauen erwacht,
Als es niemand gedacht,
Doch der Junge, der dem Blitz zum Opfer fiel, kann siegen,
Wenn er nicht aufhört zu fliegen.
Der Sohn der Meere muss vergehen,
Denn alleine kann er nicht bestehen.
Und das kluge Kind wird sterben,
Wenn sich bekriegen des Monsters Erben."
Stille. Keiner sagte ein Wort. Hekate und Apollo sahen sich an, stumm führten sie eine Debatte, die jedoch nicht zu einer Einigung zu kommen schien. Mein Atem war rasselnd, Percys Blick war leer.
"Das ist die...", begann Piper, doch ich untebrach sie.
"Die dritte große Prophezeiung. "
•| ⊱ψ⊰ |•
Tage und Wochen schritten voran, doch mir kam es vor, als wäre alles, was um mich herum geschah, bloß eine einzige Illusion. Ich hatte das Warten so satt.
Ich nahm kaum etwas wahr, lebte in meinem Trott - in meinem eigenen Lied des Lebens, traute mich nicht aus der Reihe zu tanzen, denn dann würde die Schallplatte bersten, die Musik würde aufhören zu spielen und die Erde sich weiterdrehen.
Mit angewinkelten Beinen und verschränkten Armen hinter meinem Kopf lag ich zusammen mit Percy in Hütte Drei auf seinem Bett und starrte stumm an die Decke.
"Mom schickt dir eine Umarmung", murmelte Percy abwesend, einen Gummiball immer wieder gegen die Wand werfend, wenn er ihn geschickt aus der Luft fing.
"Hast du es ihr gesagt?"
"Nein... ja... irgendwie... keine Ahnung."
Ich setzte mich auf und musterte ihn. Das rabenschwarze Haar fiel ihm in die Augen, doch er ließ sich nicht beirren, sah nur weiterhin missmutig nach oben.
Er stöhnte. "Ich habe nichts von der Prophezeiung gesagt, bloß... dass der nächste Auftrag ansteht und wir eine Weile weg sein werden. Dass ich dieses Jahr erstmal nicht in irgendeine High School zurückkehren werde... auch wenn das so nicht ganz richtig ist. Immerhin müssen wir bei der Mission ja wirklich in die Schule gehen... so ein Mist."
Ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen, doch ich konnte es mir noch verkneifen.
"Es ist gut, dass du dich noch einmal von ihr -" Das Wort verabschieden blieb mir einfach im Halse stecken. Ich senkte den Blick und begann meine Finger zu kneten. Einige blonde Locken fielen mir ins Gesicht, doch Percy strich sie sanft hinter mein Ohr und küsste mich.
"Das ist nicht die Erste Mission, die uns weismachen will, dass wir da nicht lebend heraus kommen werden. Und es wird sicherlich auch nicht die Letzte sein, doch ich will verdammt sein, Annabeth, wenn das das Ende ist. So wird es nicht zuende gehen."
"Prophezeiungen sind vielschichtig", bestätigte ich, doch meine Stimme klang so gar nicht mehr nach mir.
"Ich hasse die Götter manchmal", sagte er grinsend und es war so ansteckend, dass ich zu lachen begann.
"Ach? Nur manchmal?"
•| ⊱ψ⊰ |•
Der 31. August war unser Stichtag. Der Tag der Abreise.
In einer Reihe aufgestellt warteten wir um Punkt zwölf auf die Göttin, die ich zurzeit mehr verachtete als die heilige Hera. Hekate, die Frau in Fischschuppen, die unser Leben - mal wieder - komplett auf den Kopf gestellt hatte.
Neben mir und Percy, hatten sich Piper, Jason, Nico und - zu meiner Überraschung - Will Solace bereit erklärt mitzureisen.
"Die Dreierregel ist totaler Blödsinn, Annabeth!", rief Piper entrüstet, nachdem ich ihnen eröffnet hatte, dass sie nicht alle mitkommen könnten.
"Hekate hat uns alle zu sich rufen lassen", ergänzte Jason, doch er mied meinen Blick.
"Will nicht", erwiderte ich entnervt. Wieso konnten sie es nicht einfach begreifen? "Percy, Jason und ich gehen, wir wurden in der Prophezeiung erwähnt. Der Rest muss hier bleiben, sich um die Nebelangelegenheiten kümmern. Hier wo es noch sicher ist, wo unser zu Hause ist."
"Ihr geht ganz sicher nicht allein! Woher nimmst du dir überhaupt das Recht heraus, zu entscheiden, dass du es bist, von der in der Prophezeiung gesprochen wird? Wenn du mich fragst, ist das ziemlich eingebildet, kluges Kind."
"Es. Ist. Eine. Metapher. Und ich bin verdammt nochmal klug!"
"Ver-damm-t."
Percy grinste, ehe ihm das Lachen bei unseren ernsten Gesichtsausdrücken erstarb. "Entschuldigt, Insider-Witz."
"So klug, dass du glaubst, du könntest das alles allein bewältigen?", fuhr Piper fort, bevor sie sich an Jason wandte.
"Sag doch auch etwas!"
Der sah zwischen Piper und mir hin und her, ehe er das Gesicht verzog und hilfesuchend zu Percy starrte, der mit Nico und Will lässig gegen eine alte Eiche gelehnt auf das Camp unter uns herabsah.
"Jason?", fragte Piper erneut, diesmal intensiver.
Der Charmesprech wirkte, seine Aufmerksamkeit galt allein ihr, doch er zögerte nach wie vor. "Ich will keiner von euch widersprechen", sagte er, "Ihr beide habt gute Argumente geliefert, doch..." Sein unruhiger Blick, blieb an meinem hochroten Kopf hängen.
Er starrte mich an, als würden meine Ohren rauchen.
Piper rollte mit den Augen. "Bei den Göttern, Jason, du hast gegen Titanen und Monster gekämpft, doch du hast Angst vor Annabeth?"
Percy gluckste.
"Piper, niemand ist so beängstigend wie eine wütende Annabeth Chase."
"Oh, da hast du Recht", antwortete ich.
Nebel stieg plötzlich vom Boden auf, ein ohrenbetäubendes Dröhnen setzte sich über uns hinweg und mit einem lauten Knall und sehr viel Rauch trat eine perlmuttschimmernde Frau zu uns heran.
"Ihr seid alle da", ihre Augen huschten von einem zum nächsten. Als sie Will erblickte, runzelte sie die Stirn. "Wer bist du?"
"Will Solace, Sohn des -"
"Apollo. Je besser desto mehr. Oder wie das unter den Sterblichen heißt."
"Je mehr desto besser", verbesserte ich.
Hekate betrachtete mich finster wie ein lästiges Insekt, das sie am liebsten plattgetreten hätte.
"Ihr werdet alle zu sechst die Mission antreten. So maximiert ihr die Möglichkeit, Verbündete aufzugreifen. Sollte einer von euch verletzt werden, haben wir auch genug Reserven, um den Auftrag zu beenden."
Zufrieden klopfte sie ihre schneeweißen Hände zusammen. Im Schein der Sonne schimmerten sie in allen Regenbogenfarben. Es wäre schön gewesen, wenn Hekate nicht den Eindruck von drei Jahren Regenwetter machen würde.
Piper sah sehr selbstzufrieden aus und feixte mir zu. Ich schüttelte bloß den Kopf und wartete ab, was geschehen würde, doch ohne ein Wort presste Hekate ihre eisige Handfläche gegen meine Stirn. Zunächst war es überwältigend, eine überdurchschnittliche Reizüberflutung, ein Einsturz auf alles, was ich glaubte zu wissen, doch dann entstand Klarheit. Alles lenkte sich, Nervenbahnen bildeten ihren Weg und ihre Verbindungen. Ich spürte wie meine Finger statisch aufgeladen wurden, ein warmer Schauer jagte durch meinen ganzen Körper und mich durchströmte ein Gefühl der Leichtigkeit.
Dann war alles vorbei.
Ich stolperte ein paar Schritte zurück.
"Was war das?!"
"Ich habe dir meinen Segen verliehen. Ihr sollt schließlich nicht unvorbereitet und nicht im Stande Magie zu praktizieren in Schottland auftauchen."
"Eine Warnung vorher wäre nett gewesen."
Die Göttin schnaubte.
"Wer ist der nächste? Euer Flug geht in drei Stunden."
Alle traten vor.
"Ich."
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