𖧷 THIRTYFOUR 𖧷
Mein Hals brannte, meine Glieder schmerzten, mir war kalt. So unendlich kalt. Ich wischte mir eine Träne von der Wange, als er schon wieder nicht an sein Handy ging. Mit zittrigen Händen schob ich mein Handy wieder zurück in meine hintere Hosentasche, lehnte meinen brummenden Schädel an dem Glasfenster des Busses, in dem ich gerade saß, an und schloss für Sekunden meine geröteten Augen. Man könnte wahrscheinlich denken, ich hätte mir irgendetwas eingeschmissen, doch kam die Röte einzig durch die Tränen und wegen der stechenden Kälte des Windes zustande.
Vorsichtig wagte ich einen Blick nach draußen. Alles war rabenschwarz, man konnte keine Umrisse von Landschaften erkennen. Die Sonne war schon längst hinter den peitschenden Wellen des Meeres verschwunden, ließ eine kühle Nacht zurück. Schon etwas über eine Stunde saß ich in diesem Bus, der mich wieder zurück in die Stadt fuhr, denn anders wusste ich nicht, wie ich von diesem Berg mit den gefährlich steilen Klippen runter gekommen wäre.
In der Zwischenzeit hatte ich wiederholt versucht Jimin anzurufen, doch reagierte er weder auf meine Nachrichten, noch gab er ein anderes Lebenszeichen von sich. Tatsächlich machte ich mir Sorgen um ihn, wer wusste denn schon genau, was ihm in dieser düsteren Nacht geschehen könnte? Auch wenn ich seine Aktion nicht gerade toll fand und er mich von sich stieß; verständlich war es dennoch. Es war tatsächlich das eingetreten, was ich gehofft hatte, es würde mir erspart bleiben, dabei war es ein ganz neues Gefühl. Noch nie hatte sich jemand in mich verliebt, man wollte mich stattdessen immer nur wegen meinem Körper und das auch nur für wenige Stunden.
Er liebte mich. Mich, der sich selbst immer eingeredet hatte, er könne nicht lieben, da er eine Sexualität besaß, die diese Sache unterband. Und es war auch immer okay so gewesen, ich hatte nie das Verlangen gehabt, jemanden lieben zu wollen. Ich hatte nie das Gefühl des Fehlens in mir verspürt, es war verdammt nochmal für mich in Ordnung gewesen, denn ich hatte mich wohl dabei gefühlt, mich endlich auf eine Sexualität festlegen zu können, die mir kein Gefühl gab, absolut fehl am Platz zu sein.
Einmal im Leben wusste ich, dass ich eben nicht den Gedanken haben musste, dass etwas nicht mit mir stimme, denn so kam ich mir als Teenager immer vor, der jegliches Interesse an romantischen Gefühlen abwies. Ich fühlte mich einmal im Leben sicher, hatte endlich eine Beschreibung, einen Begriff für das gefunden, der ich vermutete zu sein. Doch gerade eben...
Meine Haltestelle, an der ich raus müsste, blinkte hell auf, durchschnitt grell die Finsternis.
...gerade eben begann alles von Neuem zu bröckeln.
Ich widerstand dem Drang, meine Hand auszustrecken und den Knopf zu drücken, damit der Bus anhalten würde. Ich wollte nicht nachhause, denn dort war ich nur wieder alleine. Alleine in dieser ungewissen Stille, umgeben von meinen finstersten Dämonen, die mir alle gleichzeitig versuchten einzuflüstern, wer ich überhaupt war, dabei wusste ich es zu diesem Zeitpunkt selbst nicht.
Stattdessen fuhr ich immer weiter, bis außer mir und dem Busfahrer keine Menschenseele mehr aufzufinden war, immerhin war es spät nachts oder gar schon morgens? Ich wusste es nicht mehr, presste dagegen meine eiskalten Finger, in denen sich schon eine gewisse Taubheit breit gemacht hatte, an den Stopp-Knopf, erhob mich mit weichen Knien und sprang an der nächsten Haltestelle raus. Nun befand ich mich im reinsten Nirgendwo und doch kam mir der Ort bekannt vor. Anscheinend war ich weiter gefahren, als ich es vermutet hatte, denn hier, wo ich gerade eben stand, begann schon die nächste Ortschaft, außerhalb der Umkreisstädte. Sprich, ich war ganze dreißig Kilometer südlicher meiner Wohnung, kannte mich hier aber wie in meiner eigenen Westentasche aus.
Wie ferngesteuert trugen mich meine Füße durch die schmutzigsten Gassen, in denen mich nicht gerade selten purer Ekel überfiel, wenn ich darauf schaute, wer oder was sich hier herumtrieb. Hastig durchquerte ich die hässlichen Teile dieses Viertels, bis ich endlich den weißen Häuserreihen immer näherkam. Ein winziger Funke an Erinnerung von Kindheitszeiten durchzuckte mein bis jetzt mehr oder weniger lahm gelegtes Gehirn, das sich allmählich wieder mit Farben füllte, die mir die schwarze Nacht zuvor geraubt hatte.
Im Kopf zählte ich die Häuser auf der rechten Seite, ging auf ein ganz bestimmtes zu. Zögerlich stellte ich mich auf die Fußmatte, führte zitternd eine Hand an die Klingel. Ein Läuten erklang, weckte wahrscheinlich die Person auf, die mir wenige Sekunden später, bewaffnet mit einem Besen die Tür vor der Nase öffnete. Überrascht, mich hier und zu dieser Uhrzeit anzutreffen, ließ er stumm den Besen fallen, trat einige Schritte auf mich zu und zog mich an seine warme Brust.
"Was machst du denn hier Jeongguk?", fragte er. Seine Stimme war im Vergleich zu meinem letzten Besuch etwas gealtert, das Leben war eben hart und doch schaffte er es immer, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und mir Hoffnung zu schenken.
"Ich hab Scheiße gebaut, Dad", schniefte ich in seine Halsbeuge hinein, festigte den Druck der Umarmung und ließ meinen Tränen, wie ein einstürzender Damm, freien Lauf. Mein Herz zog sich schmerzlich zusammen, ein kläglicher Laut entkam meiner Kehle.
"Sollen wir erstmal rein gehen? Du bist ja eiskalt mein Junge", streichelte er meinen Rücken auf und ab, spürte die eiserne Kälte, die sich von mir auf ihn übertrug. Ich nickte kurz, ließ mich darauf an der Hand von ihm ins Innere des Hauses führen, welches er mit einem Tippen des Lichtschalters erhellte.
Gemeinsam setzten wir uns auf sein Sofa, er wickelte mich Burrito mäßig in einer Decke ein und hörte meiner Erzählung schweigend zu, nachdem er mir noch einen Tee gekocht hatte. Er brauchte mich gar nicht erst zu fragen, was geschehen war, denn ich begann augenblicklich, als sich das Polster des Sofas unter seinem Gewicht senkte, zu sprechen. Ich redete mir all die Gedanken, die mich belasteten von der Seele, erzählte ihm von Jimin, seiner Liebe zu mir und von meinem Herzklopfen. Er lauschte mir aufmerksam bis zum letzten Wort und als ich am Ende endlich fertig war, war es wie, als würde mir die betonschwere Last von den Füßen gebunden werden, die mich auf meinem Weg zurückhielt.
Mein Vater war zu diesem Moment die einzige Person bei der ich sein wollte und er half mir. Er half mir zu verstehen, was mit mir los war, erklärte mir manch so eine Reaktion meiner Gefühle und Handlungen und hier verstand ich. Ich verstand, dass ich all die Jahre falsch lag.
"Du meinst also wirklich, dass ich in Jimin verliebt bin? So richtig mit romantischen Gefühlen?"
Meine Augen wurden groß, mein Herz setzte einen Takt aus, bis es doppelt so schnell weiterhämmerte.
"Das, was du mir vorhin beschrieben hast, ist eindeutig Liebe, Jeongguk. Du liebst diesen Jungen und deswegen verspürst du all diese Dinge in seiner Gegenwart. Und das bei keinem anderen, nur bei ihm. Denn du liebst nur ihn. Nur Jimin. Er ist der Besondere, der dir das Lieben beigebracht hat, so merkwürdig das auch klingen mag."
"Aber das geht doch alles gar nicht. Ich bin doch aromantisch", stieß ich verzweifelt aus, war gerade eben mehr als nur verunsichert.
"Ich weiß, dass es für dich wahrscheinlich ziemlich verwirrend und auch belastend sein muss, immerhin hältst du an deiner Sexualität fest, aber du brauchst keinen Begriff, der definiert wer du bist und wer du sein willst. Sei einfach du selbst und wenn es sich richtig mit Jimin anfühlt, dann ist es auch gut. Folge deinem Herzen, denn das hat dich dorthin gebracht, wo du jetzt stehst. Du bestimmst wer du bist Jeongguk und nicht ein Wort, das du womöglich immer für richtig hieltst, es jetzt aber nicht mehr mit dir übereinstimmt."
Ich schluckte, senkte den Kopf. All diese, für mich beinahe schon übermenschlichen Reaktionen meines Körpers auf ihn, dieses Prickeln auf der Haut, wenn er mich berührte, dieses Flattern in meinem Herzen, wenn er mich ansah und diese Gänsehaut auf meinem Körper, wenn er mich küsste, das alles konnte ich endlich verstehen. Und ich war mir sicher, wenn ich nicht mit meinem Vater geredet hätte, dass ich mir all dem noch immer nicht bewusst gewesen wäre.
Aber es ist wahr, es stimmte... ich liebte Jimin. Es war genau das, was ich mir so sehr gewünscht hatte und ich hatte nur jemanden gebraucht, der mir die Augen öffnete und mir zeigte, dass ich tatsächlich lieben konnte. Denn das tat ich und das so sehr, dass ich mir ein kleines Lächeln nach meinem Eingeständnis nicht verkneifen konnte.
𖧷𖧷𖧷𖧷𖧷
uwu it's loveee~
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