7
"Ich muss nach Hause", sagte der Kleinere plötzlich zu mir. Verwirrt sah ich ihn an. "Nein. Bitte geh nicht. Er wird dir wehtun." Ich stand vom Sofa auf, auf dem wir gerade noch gesessen hatten und griff nach seinem schmalen Handgelenk. Doch er entzog seine Hand meinem Griff. "Ich liebe Sora, Kookie. Es tut mir leid." Ich schüttelte nur den Kopf. "Dann geh doch", sagte ich bitter. "Aber dann komm nicht zu mir gekrochen, damit ich deine Wunden flicke. Denn es tut weh, dass du immer noch zu ihm gehst, obwohl du genau weißt, dass er dir wehtun wird."
Stumm sah der Schwarzhaarige mich an, dann zog er die Schultern hoch und auf einmal sah er so klein und verletzlich aus, dass ich meine harten Worte am Liebsten zurück genommen hätte. "Die Kekse waren echt lecker. Und danke, dass du mir heute diese schöne Zeit geschenkt hast. Ich war schon lange nicht mehr so glücklich, wie heute", wisperte er. Ich nickte.
"Ich fand es auch schön." Eine Weile blieb er noch zögernd dort stehen, dann kam er auf mich zu und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. "Es tut mir leid, Kookie. Aber je länger ich hier bleibe, desto härter wird er mich bestrafen, das verstehst du doch, oder?" Die Stelle, wo seine Lippen auf meine Haut getroffen waren, kribbelte. "Dann bleib doch für immer hier. Geh nie wieder zu ihm zurück, dann kann er dich auch nie mehr bestrafen", flüsterte ich.
"Er würde kommen und mich gewaltsam zu ihm zurückholen." Taehyung trat einen Schritt zurück und musterte mich traurig. "Dann zeig ihn an. Wenn er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wird, kann er dir nichts mehr tun." Doch der Schwarzhaarige schüttelte nur den Kopf. "Ich könnte ihn niemals anzeigen. Denn er hat nicht nur böse Seiten. Und seine guten Seiten liebe ich."
Er lief mit langsamen Schritten rückwärts in Richtung meines Flurs. Verließ mich. Und ich blieb einfach auf der Stelle stehen und gab auf. Ließ ihn gehen. Die Wohnungstür fiel mit einem Knallen ins Schloss. Und da brach ich zusammen. "Warum?", hauchte ich und schlug mit der Faust auf den harten Wohnzimmerboden. "Warum lässt du mich jetzt auch alleine? Wir haben doch gerade erst angefangen eine glückliche Zeit miteinander zu verbringen."
Doch es war immer so. Jeder ließ mich alleine. Ich konnte mich auf niemanden verlassen. Immer, wenn ich begann zu vertrauen und mich etwas an Jemanden zu lehnen, wurde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. "Bleib hier", wimmerte ich. Und auf einmal kam all der Schmerz wieder zurück, den ich die letzten Stunden so erfolgreich hatte ausblenden können. "Donghae. Donghae komm zurück! Du sollst nicht tot sein! Lass mich nicht alleine", meine Stimme war heiser. Mein Hals tat weh. Ich rappelte mich auf und griff blind nach meinem Wohnungsschlüssel und ein paar Geldscheinen, bevor ich die Wohnung ebenfalls verließ.
Draußen regnete es. Natürlich regnete es. Es regnete, damit ich Taehyung nicht vergaß. Damit die Erinnerungen in mir hochkamen, von dem Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
Es regnete, als ich ihn zum ersten Mal sah. Er stolperte den Gehsteig entlang und sah nicht wirklich so aus, als wüsste er noch, wo oben und unten war. Ich wich ihm aus. Hoffentlich würde er nicht gegen mich stolpern, oder auf den Gehsteig kotzen.
Aufgewühlt fuhr ich mir mit den Händen durch das bereits klatschnasse Haar. Das Wasser spritzte hoch, als ich achtlos durch eine Pfütze lief. "Donghae", rief ich. "Taehyung. Bitte kommt zurück! Beide!" Die wenigen Menschen, die bei diesem Wetter unterwegs waren, drehten sich nach mir um, doch das interessierte mich nicht. Sollten sie doch starren. Sie hatten keine Ahnung, wie sich der Schmerz anfühlte, den ich gerade spürte.
Ich stolperte und fiel direkt in eine tiefe Wasserpfütze. Das Wasser war kalt. Und ich war durchnässt von Kopf bis Fuß, doch ich machte keine Anstalten aufzustehen. Frustriert blieb ich einfach dort liegen und weinte, wie ein kleines Kind, hemmungslos vor mich hin. Erbärmlich. Ich war erbärmlich. Ich sollte aufstehen und mich zusammenreißen, doch ich konnte nicht. Jegliche Kraft war aus meinem Körper gewichen. Also blieb ich einfach dort liegen und ließ zu, dass die Kälte bis in meine Knochen sickerte. Ich fing an zu zittern. Leise und hilflos wimmerte ich.
"Jungkook?" Nein! Jetzt nicht. Sie sollten mich in Ruhe lassen. Alle sollten mich in Ruhe lassen. Sie sollten sich nicht um mich kümmern, denn früher oder später wurde ich sowieso wieder alleine gelassen. Zwei zertretene, schlammverschmierte Turnschuhe traten in mein Sichtfeld. "G-geh weg. Lass mich alleine!" Ich wollte aufstehen und wegrennen, doch ich war zu schwach, also blieb ich einfach kraftlos dort liegen. Vielleicht würde ich ja erfrieren. Wenn ich tot war, würde all dieser Schmerz bestimmt verschwinden. Und ich wäre dann wieder bei Donghae.
"In diesem Zustand lasse ich dich bestimmt nicht alleine." Zwei starke Arme schoben sich unter meine Achseln und zogen mich hoch. Doch ich wollte nicht aufstehen, also sackte ich einfach wieder zusammen. "Geh weg. Lass mich einfach hier", wisperte ich erschöpft. "Du würdest sterben, würde ich dich hier lassen." Namjoons Stimme klang ruhig. Beinahe beruhigend. "Vielleicht will ich das ja auch." Der Lilahaarige packte mich bei der Hüfte und warf mich über seine Schulter. "Das werde ich aber nicht zulassen." Wie ein schlaffer, nasser Sack, hing ich über seiner Schulter. Immer noch regnete es und ich zitterte immer stärker. Ein klägliches Husten entwich meinem Mund.
"Ich nehme dich mit zu mir. Mein Verlobter ist Arzt. Er wird sich um dich kümmern, denn du wirst dir mit Sicherheit etwas einfangen. So kalt und durchnässt, wie du bist." Irgendwie beruhigte es mich, wie er mit mir umging. So bestimmt und sicher. Er wusste genau, was er tun würde. Er hatte eine Struktur und das gab mir Halt. Also wehrte ich mich nicht, als der Lilahaarige sich in Bewegung setzte.
Kraftlos hing ich ihm über der Schulter. Bei jedem Schritt schlug mein Kopf gegen seine Schulter. Ich konnte nicht mehr. Und ich wollte nicht mehr. Ich hatte aufgegeben.
"Namjoon. Du hast einen Haustürschlüssel, warum klingelst d- Ach du Scheiße." Das Licht aus dem Inneren des Hauses fiel auf den nassen Bürgersteig und brachte die einzelnen Wassertropfen zum Glitzern. Ich regte mich nicht. Es war mir egal, dass Jin mich in so einem Zustand sah. Alles war mir egal.
Namjoon betrat mit mir das Innere der Wohnung. Keine weiteren Regentropfen fielen mehr auf mich. Ich vermisste die Kühle der kleinen Tropfen. Es war eigentlich angenehmes Gefühl gewesen, wie sie stetig auf mich gefallen waren und mich durchnässt hatten. "Was ist passiert?" Ich hörte, wie Jin hektisch über den Holzfußboden des Flurs lief und eine Tür öffnete. "Ich habe ihn in einer Pfütze gefunden. Emotional am Ende. Er scheint dort zusammengebrochen zu sein." Ich wurde auf einem Sofa abgesetzt. Der Stoff war olivgrün und weich. Insgesamt war der Raum sehr gemütlich eingerichtet, doch ich schenkte der Einrichtung keine Beachtung. Stumpf starrte ich auf den roten Wollteppich, der den gesamten Boden des Zimmers bedeckte.
Das Sofa senkte sich etwas, als der Braunhaarige Arzt sich neben mich setzte. "Jungkook?" Ich reagierte nicht. "Hey. Jungkook." Seine Stimme klang einfühlsam und weich. Langsam sah ich auf. Und dann fing ich wieder an zu weinen. "Lasst mich nicht alleine. Bitte lasst ihr mich nicht auch noch alleine. Jeder lässt mich alleine und ich will das nicht mehr. Bin ich wirklich so wenig wert?", wimmerte ich. "Bitte lasst mich nicht alleine."
Erschrocken sahen mich die beiden Verlobten an. "Nein wir lassen dich nicht alleine, versprochen", sagte Jin schließlich und schloss mich in die Arme. Ich schluchzte hilflos.
Mein Telefon klingelte. Ich wollte nicht abheben. Es war bestimmt nur mein Chef. Doch es hörte nicht auf zu klingeln. Schließlich griff Namjoon nach dem kleinen Gerät, welches in meiner Hosentasche war und wie durch ein Wunder die ganze Nässe überstanden hatte. Immer noch bebte ich am ganzen Körper. Jin umarmte mich immer noch. Er sollte mich nicht umarmen, ich machte seine Kleidung nur nass und dreckig. Bestimmt tat er es nur aus Mitleid. Aber ich wollte nicht bemitleidet werden. Mitleid half mir noch auch nicht weiter.
"Hallo?" Namjoons Stimme klang ruhig und gefasst. Ich hoffte man würde mein leises Schluchzen im Hintergrund nicht hören. "Nein, mein Name ist Kim Namjoon..." Eine kurze Pause entstand. "Ja, er ist neben mir. Ist es dringend? Es geht ihm gerade nicht so gut... Entschuldigung." Er reichte mir das Handy.
Ich wollte nicht. Wollte nicht wissen, wer am anderen Ende der Leitung war. Mir war kalt. Ich zitterte. "Jetzt nimm schon", forderte der Lilahaarige mich auf. "Es ist die Polizei. Die solltest du nicht warten lassen." Ich schreckte hoch. Die Polizei?
"Jeon Jungkook", meldete ich mich heiser. "Hallo. Hier spricht die Polizei. Kennen Sie zufällig einen jungen Mann namens Kim Taehyung?" Stumm nickte ich. "Ja", hauchte ich in den Hörer. "Den kenne ich." Und obwohl ich mich traurig und enttäuscht fühlte, keimten in mir die Sorgen auf. Was war passiert?
"Wir haben Herrn Kim nach einer Vergewaltigung aufgefunden. Er hatte uns nach der Tat verständigt und wir haben es geschafft den Gewalttäter bereits in Gewahrsam zu nehmen. Herr Kim liegt jetzt im Krankenhaus, Seoul. Er hat ausdrücklich nach Ihnen gebeten." Ich ließ den Hörer sinken. Taehyung. Ich musste zu ihm. Langsam hob ich den Hörer wieder an mein Ohr. "Herr Jeon? Sind Sie noch dran?" Ich schluckte. "J-Ja, bin ich. Ich werde sofort zu ihm gehen." Ich legte auf.
"I-ich muss los. Schnell." Hastig war ich aufgesprungen. Doch der Braunhaarige hielt mich fest. "Erst mal ziehst du dir trockene Sachen an. Und dann werde ich dich mit dem Auto bringen, okay?" Ich schluckte. Doch dann nickte. Namjoon führte mich in das gemeinsame Schlafzimmer der beiden Verlobten. "Beiden dich an unserem Kleiderschrank", sagte er und wies auf ein riesiges hölzernes Ungetüm von Schrank, aus dem die Klamotten nur so quollen. Ich nahm mir die schlichtesten Sachen, die ich finden konnte, und, die vielleicht nicht zu auffällig nach Jins Stil aussahen und streifte mir eilig die nassen Sachen vom Körper, bevor ich die warme, trockene Kleidung anzog.
"Wir können", meinte ich anschließend und spielte angespannt mit den Fingern am Saum des Pullovers rum. "Sicher?", fragte der Lilahaarige. "Du bist völlig verweint und wirkst geschwächt." Heftig schüttelte ich den Kopf. "Mir egal. Ich muss jetzt sofort zu Taehyung. Er liegt im Krankenhaus." "Wer ist Taehyung?", fragte Jin vorsichtig nach, der ebenfalls im Schlafzimmer aufgetaucht war. Ich schüttelte den Kopf. "Jetzt", schrie ich schon fast. "Entschuldigung aber ich muss wirklich zu ihm", schaltete ich einen Gang zurück. "Ist ja gut." Der Braunhaarige hielt mir einen Autoschlüssel unter die Nase.
"Danke", sagte ich hastig und stieg aus dem Auto. "Gern geschehen", antwortete der Braunhaarige. Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden hastete ich in das Innere des riesigen Gebäudes. Alles roch nach Desinfektionsmittel. Erinnerungen stiegen in mir hoch. Hier war Donghae gestorben. In diesem weißen, sterilen Gebäudekomplex. Ich hasste es hier. Aber früher war es beinahe wie mein zweites Zuhause gewesen, so oft, wie ich Donghae hier besucht hatte.
"Ich suche nach Kim Taehyung. Können Sie mir bitte seine Zimmernummer sagen?", bat ich am Empfangstresen. Es war immer noch dieselbe alte Dame, die dort hinter dem Computer saß. Sie blickte auf. "Oh, Herr Jeon. Sie habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen. Herr Kim erwartet Sie bereits. Seine Zimmernummer ist A321."
Natürlich wusste ich sofort, wo ich hinmusste. Zu oft waren Donghae und ich durch die Gänge des Krankenhauses gestreift, manchmal war er im Rollstuhl gewesen und ich hatte ihn schieben müssen." Danke", murmelte ich und flüchtete dann. Zu viele Erinnerungen. Viel zu viele Erinnerungen. Und natürlich wusste ich, wie die Dame hieß, die mir gerade die Auskunft gegeben hatte. Mrs Choi. Natürlich hatte ich ihren Namen nicht vergessen. Obwohl ich das am liebsten getan hätte. Denn am liebsten würde ich diese ganzen Erinnerungen aus meinem Kopf radieren. Sie waren zu schmerzvoll.
Wenig später klopfte ich gegen die weiße Tür. Der Türrahmen war aus rotem Plastik. Und die Türklinke war blau. Oberflächlich betrachtet waren die Gänge strahlend weiß, doch, wenn man auf die kleinen Details achtete, dann war das Krankenhaus dennoch überraschend bunt. Donghae hatte immer auf die kleinen Details geachtet. Und jetzt tat ich es auch. Er hatte es mir beigebracht. Denn nur, wenn man auch auf die Details achtete, erkannte man die Schönheit in den Dingen.
"Herein." Die tiefe Stimme des Älteren klang dünn und schwach. Ich wollte diese Türklinke nicht herunterdrücken. Es würde wieder ein geschwächter Mensch in dem Zimmer sitzen, für den ich stark sein musste. Doch ich konnte das nicht mehr. Stark sein. Es tat zu weh. Alles tat zu weh. Am Liebsten würde ich mich umdrehen und zu Hause unter der Bettdecke verkriechen.
Dennoch trat ich ein.
Taehyung saß aufrecht im Krankenbett. Das weite Nachthemd des Krankenhauses war ihm viel zu groß und ließ ihn klein und verletzlich aussehen. Seine Haut war blass, beinahe durchsichtig. "Hey", murmelte ich und trat auf ihn zu. "Hi", flüsterte er und seine großen braunen Augen sahen in meine. Und dann streckte er die Arme nach mir aus. Er wirkte so hilflos. So klein und hilflos, wie ein Kind.
Mit wenigen Schritten war ich bei ihm und schlang meine Arme um seinen zierlichen Körper. "Hast du geweint, Kookie?", fragte er mit brüchiger Stimme. "Deine Augen sind so rot. Und warum zitterst du?" Ich schüttelte den Kopf. "Das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass es dir gut gehst, hörst du? Dass du jetzt hier bei mir bist, und, dass er dir nichts mehr antun kann."
"Ich hab ihn angezeigt. E-er hat mir wehgetan", wimmerte der Kleinere. Ich wiegte ihn hin- und her. "Ich weiß. Aber das wird jetzt nicht mehr passieren. Du bist in Sicherheit. Es ist alles gut." Der Schwarzhaarige klammerte sich an mir fest. "W-wo soll ich denn jetzt hin? Ich will nicht zurück in meine Wohnung. Z-zu viele schlechte Erinnerungen. Und I-ich habe kein Geld. Wir haben von Soras Geld gelebt. E-Er konnte gut wetten. Bei illegalen Autorennen, weißt du?" Meine Hand wanderte in sein weiches Haar und sanft streichelte ich dem Kleineren über den Kopf. Sein ganzer Körper fühlte sich so zerbrechlich an.
"Natürlich kommst du mit zu mir. Und wegen Geld musst du dir keine Sorgen machen, okay?" Er nickte und schmiegte sich in meine Arme, wie ein kleines Kind, welches Schutz bei seiner Mutter suchte. "K-können wir kuscheln?" Und natürlich schlug ich ihm diesen Wunsch nicht ab. Ich konnte ihm keinen seiner Wünsche abschlagen. Er war zu zerbrechlich und ich hatte viel zu große Angst ihn zu verletzen.
Ich streifte meine Schuhe ab und schlüpfte dann zu dem Älteren unter die weiße Decke. Wir mussten nah aneinander rücken und zusätzlich klappte ich noch die Kindersicherungen hoch, damit wir nicht aus dem schmalen Bett fallen konnten.
Taehyungs Atem prallte gegen meinen Hals, während wir miteinander verschlungen dort lagen. "Kookie?", selbst seine Stimme klang zerbrechlich. "Was ist?" Ich drehte den Kopf, um ihm liebevoll in die Augen sehen zu können. Seine schönen, klaren Augen waren glasig geworden. Der Kleinere biss sich auf die Unterlippe und unwillkürlich hob ich die Hand, um seine Lippe sanft von seinen Zähnen zu befreien. "Lass das. Du tust dir damit nur weh", wisperte ich. Schüchtern erwiderte er meinen Blick und griff nach meiner Hand. "I-ich habe doch alles richtig gemacht, oder? Es war richtig die Polizei zu rufen, nicht wahr?" Ich nickte. "Das war richtig und das hast du gut gemacht, Tae."
Mein Daumen streichelte über seinen Handrücken. Die Haut war rau und geschunden. Auch sein hübsches Gesicht war mit zahlreichen Verletzungen übersät. Sie kontrastierten seine Haut so stark, dass er unnatürlich blass wirkte. Es tat weh ihn so zu sehen. Natürlich tat es das. Es tat immer weh die Person, die man liebte in diesem Zustand zu sehen.
"Kookie?", fragte er erneut. Ich rückte noch näher und er vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge. "Bist du nicht mehr sauer? Weil ich gegangen bin, obwohl du mich aufhalten wolltest?" Ich schluckte "Ich war es nie. Ich war nur... Traurig. Und enttäuscht", gab ich zu. Er drückte mir einen sanften Kuss auf den Hals und ein wohliger Schauer durchfuhr mich. "Tae" Seine Hand drückte meine kurz. "Hast du deshalb geweint? Weil ich weggegangen bin?" Ich wollte lügen. Denn ich wusste, dass die Wahrheit ihn treffen würde. Doch ich wusste, dass er die Antwort ohnehin schon wusste. "Ja", wisperte ich also.
Seine Haare kitzelten auf meiner Haut, als er bedrückt nickte. "Und warum sind deine Haare nass? Und warum warst du gerade so kalt?" Seine zarten Finger schlangen sich haltsuchend um mein Handgelenk und der Kleinere kuschelte sich an mich. Es war schön hier. Es war schön mit Taehyung hier zu liegen, obwohl das Krankenhausbett eng war und wir ohne die Kindersicherung mit Sicherheit schon rausgefallen wären. "Ist das so wichtig?", fragte ich. "Es... es hat geregnet, das ist alles." Doch er schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass das alles ist."
Ich schluckte wieder. Mein freier Arm schlang sich noch fester um den Schwarzhaarigen. "Du hast Recht, es ist nicht alles", murmelte ich. Er küsste meinen Hals erneut. Hinterließ federleichte, kleine Küsse auf meiner Haut. "Tae", wimmerte ich leicht und legte den Kopf in den Nacken. Es fühlte sich so gut an. Die Zuneigung, die er mir schenkte. Sein warmer Körper, der so eng an meinen gepresst war und die Kälte vertrieb. Und die sanften Küsse, die mich beinahe um den Verstand brachten. Ein leises Keuchen entfloh mir. "Was ist denn dann alles?", hauchte der Ältere gegen meine Haut. Das war nicht fair. Wusste er überhaupt, was er in mir auslöste?
"I-ich-" Er drückte einen Kuss auf meine Kieferlinie. "Ich bin rausgerannt. Ich war völlig fertig, weil ich dachte du würdest mich jetzt auch alleine lassen. Alle lassen mich alleine", presste ich hervor. Er stockte. Seine Hand löste sich von meinem Handgelenk und strich stattdessen sanft über meine Wange. "Und dann bin ich halt einfach zusammengebrochen. Und ich wollte nicht mehr aufstehen. Ich dachte, selbst, wenn ich an einer Unterkühlung sterbe, ist es doch egal." Der Kleinere streichelte vorsichtig über meine Wange und seine Hand wanderte über mein Gesicht, die knochigen, schlanken Finger fuhren die Konturen nach, beinahe ehrfürchtig.
"Nein, es ist nicht egal, wenn du stirbst, Kookie. Ich brauche dich doch! Und du hast mir gezeigt, dass Sora schlecht ist. Als er mir wehgetan hat, da musste ich immer an dich denken. Wie fürsorglich du bist. Du behandelst mich so viel besser, als der, der immer behauptete mich zu lieben. Wegen dir habe ich die Polizei gerufen. Weil ich wusste, dass es das ist, was du als Richtig betrachtest und ich habe auch gemerkt, dass es richtig ist." Ich lächelte traurig. "Ich dachte du würdest nie merken, wie schädlich Sora eigentlich für dich ist. Du stures kleines Dummerchen." Jetzt traute auch ich mich ihm einen Kuss zu geben. Sanft küsste ich ihn auf seinen wuscheligen Haarschopf.
"Was hat er dir angetan?", fragte ich vorsichtig nach. Sofort schlang Taehyung beide Arme um mich und vergrub seinen Kopf schutzsuchend in meinem Oberteil. "E-er hat mich g-gefesselt. Und dann h-hat er mich a-ausgepeitscht u-und-" Ängstlich krallten seine Finger sich in mein T-Shirt. "V-vergewaltigt." Stumm hielt ich ihn fest. Ich hatte zwar schon gewusst, was Sora dem Kleineren angetan hatte, aber es von Tae selber zu hören, war noch einmal etwas ganz Anderes und es machte mich wütend, wie man so einem zarten, wertvollen Menschen wehtun konnte.
"Es ist vorbei", wisperte ich in das schwarze Haar des Kleineren und küsste ihn erneut auf den Kopf. "Er kann dir nichts mehr tun. Okay?" Er zog schniefend die Nase hoch und nickte. "A-aber es tut weh. Mir tut alles weh", gab er leise zu. "Es wird aufhören", versprach ich. Meine Hand strich ganz leicht über seinen Rücken. Ich konnte seine Wirbelsäule fühlen. Warum musste dieser wundervolle junge Mann nur so sehr leiden? Er hatte so eine zarte, reine Seele. Er war so wertvoll. Um nichts auf der Welt hatte er den Schmerz verdient, den er ertragen musste.
Eine Krankenschwester betrat das Zimmer. Laura. Von all den Krankenschwestern, die hier arbeiten, musste es ausgerechnet eine von den Wenigen sein, die ich kannte. Sie blieb stehen und lächelte, als sie mich sah. "Jungkook. Dich habe ich hier lange nicht mehr gesehen." Ich nickte. "Hatte ja auch keinen Grund hier hin zu kommen", gab ich trocken zurück und sie lachte. Dann zog sie den Infusionsständer hinter dem Bett hervor. "Herr Kim, Sie werden jetzt noch etwas Schmerzmittel bekommen und danach würde ich Ihnen empfehlen etwas zu ruhen. Jungkook kann gerne bei Ihnen bleiben, das Krankenhaus war ja früher schon praktisch sein zweites zu Hause." Konnte sich nicht einfach still sein? Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen und bedankte mich höflich.
"Wann werde ich entlassen?", fragte der Schwarzhaarige schüchtern, während die Schwester den Tropf an dem Eingang an seiner Hand befestigte. "Morgen. Wir wollen Sie nur zur Überwachung eine Nacht im Krankenhaus behalten. Danach werden Sie entlassen, ich würde Ihnen aber raten erst mal bei einem Freund oder bei der Familie unterzukommen, der Sie weiterhin überwacht. Nur zur Sicherheit." "Ich mache das", meldete ich mich zu Wort. "Er kommt mit zu mir." Sie lächelte mich an. "Super, dann spare ich sogar Zeit, weil ich dir nicht erklären muss, wie man Schmerzmittel spritzt." Konnte sie nicht einmal aufhören mich an die Vergangenheit zu erinnern?
Endlich verließ Laura den Raum. Ich seufzte laut aus und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Taehyungs fragender Blick lag auf mir. "Was meinte sie?" Ich schüttelte den Kopf. "Ich habe dir doch von Donghae erzählt, nicht wahr? Er hatte Lungenkrebs. Am Ende seiner Lebenszeit war er fast nur noch im Krankenhaus. Und ich war natürlich bei ihm. Daher kennen mich Einige vom Personal." Mehr wollte ich dazu nicht sagen. Und der Ältere schien das zu spüren, denn er fragte nicht weiter nach. Stattdessen schlang er den freien Arm, an dem kein Schlauch hing, um mich und legte den Kopf stumm auf meiner Brust ab.
Immer gleichmäßiger wurden die Atemzüge des Kleineren neben mir. Stetig hörte man das leise Tropfen der Infusion, die das Schmerzmittel durch die Nadel in den Körper des Schwarzhaarigen leitete. Er schlief ein. Das Gewicht seines Kopfes auf meiner Brust beruhigte mich. Er war bei mir. Ich war nicht alleine. Er hatte doch verstanden, wie schädlich Sora war und jetzt war er wieder hier. Ich war nicht mehr alleine. Und ich glaubte auch nicht mehr, dass er gehen würde denn inzwischen war das Band zwischen uns viel zu stark. Meine Hand verirrte sich in seine Haare. Sie waren weich und rochen nach meinem Shampoo.
Und weil Taehyung bei mir war, fand ich es auf einmal nicht mehr so schlimm in diesem Krankenhaus zu sein. Für ihn blieb ich gerne hier. Langsam kroch die Erschöpfung auch in meine Glieder. Doch ich zwang mich dazu wach zu bleiben, bis der Tropf durchgelaufen war. Dann drückte ich auf den Schwesternknopf. Dieses Mal kam eine andere Schwester, ich kannte sie nicht und ehrlich gesagt war ich froh darüber. Sie entfernte die Nadel von der Hand des Schlafenden, er schien wohl keine weitere Infusion mehr bekommen zu sollen. Dann lächelte sie mich sanft an. "Er kann sich glücklich schätzen Sie zu haben." Etwas verwirrt erwiderte ich ihren Blick. "Warum das denn?" Sie schob den Infusionsständer zurück hinter das Bett. "Alleine wegen der Art, wie Sie ihn ansehen. Als wäre er das Wertvollste auf der Welt." Ich lächelte und nickte ihr zu. Dann wandte ich den Blick an. War es wirklich so offensichtlich, dass ich den Kleineren liebte?
Er wälzte sich leicht hin und her und es endete damit, dass er fast vollständig auf mir lag. Ich schmunzelte und bettete meinen Arm unter dem Kopf des Schwarzhaarigen, damit er bequemer lag. Dadurch geriet ich zwar in eine unbequeme Position, aber es ließ sich aushalten. Jetzt ließ ich zu, dass die Müdigkeit von mir Besitz ergriff. Meine Augen fielen zu und ich merkte, wie ich langsam wegdriftete.
Jemand streichelte mir sanft über die Wange. Seine Finger glitten über mein Gesicht, streiften kurz meine Lippen, bevor sie sich in meine Haare verirrten und Diese langsam kraulten. Ein wohliges Seufzen entglitt mir. Dann öffnete ich die Augen. Ich sah direkt in die von Taehyung. Erschrocken zuckte der Schwarzhaarige zurück. Unwillig murrte ich. "Nicht aufhören, es war so angenehm." Ich blinzelte und sah mein Gegenüber leicht vorwurfsvoll an. Zaghaft hob er erneut die Hand und seine schlanken Finger glitten sanft durch meine Haare. Zufrieden seufzte ich aus. Vor gar nicht so langer Zeit hätte ich überhaupt nicht zugelassen, dass mir jemand so nahe kam, doch der junge Mann vor mir hatte es geschafft alle meine Barrieren einzureißen und ich machte mir nicht die Mühe sie wieder aufzubauen. Dazu genoss ich die Wärme seiner Präsenz viel zu sehr.
"Hab ich dich geweckt?" Seine Stimme klang schon wesentlich kräftiger als am Vortag und ich war froh, dass es ihm anscheinend etwas besser ging. Ich nickte und seine Bewegungen stockten. "Tut mir leid", murmelte der Kleinere. "Hey, ich finde es gut, dass du mich geweckt hast", antwortete ich nur. "Sonst hätte ich wahrscheinlich bis Mittag durchgeschlafen und danach wäre ich sauer auf mich gewesen, weil du dich die ganze Zeit, in der ich geschlafen hätte, gelangweilt hättest."
An der Tür klopfte es. Die Schwester, die am Vortag auch schon dagewesen war, die ich aber glücklicherweise nicht von früher kannte, schob ein Wägelchen mit Frühstück in das Zimmer. Sie stellte das Essen auf dem Tisch ab, wünschte uns einen guten Morgen und verließ den Raum dann wieder.
Ich stand auf und holte die Tablets mit dem Frühstück zum Krankenhausbett. "Isst du was mit mir?", fragte ich. Der Kleinere zögerte. "D-du findest es nicht schlimm, wenn ich zunehme, oder?" Ich nahm sein Gesicht zwischen seine Hände. "Ich würde mir sogar wünschen, dass du zunimmst. Du bist ungesund dünn", gab ich offen zu. Taehyung griff zögernd nach seinem Brötchen und wollte es schon ohne Aufstrich vertilgen, da nahm ich es ihm aus der Hand und schnitt es auf, bevor ich ihm die verschiedenen Aufstriche unter die Nase hielt. "Welchen willst du? Ich schmiere dir das Brot, du kannst es doch nicht einfach trocken essen." Ein Schmunzeln schlich sich auf die Lippen des Älteren. "Nutella klingt ganz gut, findest du nicht auch?" Ich nickte zufrieden. "Eine ausgezeichnete Idee", kommentierte ich seinen Vorschlag und begann Nutella auf das Brötchen zu schmieren.
Dann gab ich dem Kleineren das Brötchen wieder und er begann es hungrig zu vertilgen. Erst konnte ich meinen Augen kaum trauen. So lange hatte er sich gegen Essen gewehrt und jetzt aß er ein Nutella-Brötchen. Einfach so. Aber um so besser, ich würde ihn auf keinen Fall daran hindern. Stumm griff ich mir ebenfalls mein Brötchen und beschmierte es auch mit Nutella. Dann hörte man nichts mehr als das Kauen und das Geräusch, wenn jemand von uns von seinem Brötchen abbiss. Es war ein guter Morgen. Wirklich. Besser konnte der Tag nicht starten, trotz Allem, was am Vortag passiert war.
Als wir aufgegessen hatten, reichte der Schwarzhaarige mir seinen leeren Teller, damit ich Diesen wegstellen konnte. Es klopfte an der Tür. Erwartungsvoll blickte ich zu Dieser und der junge Mann rief ein leises: "Herein". Eine sympathisch aussehende Frau, die vermutlich Ende ihrer Dreißiger, oder Anfang ihrer Vierziger war, betrat das Zimmer. Neben mir erstarrte Taehyung. Eine weitere Person betrat den Raum. Ein Mann, der aussah, als würde er irgendeinen Bürojob haben, da er in einem blauen Anzug steckte. Doch er schien nicht einer dieser ernsten, humorlosen Typen zu sein, die nur an Geld dachten, was sonst typisch für Menschen mit einem Bürojob war, denn er hatte jede Menge kleine Lachfalten um die Augen und die Mundwinkel herum.
"Mama, Papa", wisperte der Kleinere neben mir. Ich lächelte die Beiden an, die anscheinend die Eltern, des wundervollen jungen Mannes waren, in den ich mich verliebt hatte. Dann machte ich Anstalten aufzustehen und das Zimmer verlassen und ihnen ein wenig Zeit für sich zu geben, doch der Ältere hielt mich am Ärmel zurück. "Bleib", flüsterte er leise, weshalb ich mich zurück in das Kissen des Krankenhausbettes fallen ließ.
Taehyungs Mutter machte einen Schritt auf uns zu. "Taehyung", sie legte den restlichen Abstand, der zwischen uns lag, zurück und umarmte dann ihren Sohn stürmisch. "Was machst du nur für Sachen? Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht. Du hast dich nicht einmal bei uns gemeldet." Der Schwarzhaarige erwiderte die Umarmung. "Tut mir leid. Sora hat mir den Kontakt verboten", murmelte er geknickt. Sie seufzte. "Warum hast du dich auch auf so einen Mistkerl eingelassen? Dieser miese-", sie riss sich im letzten Moment zusammen, trat zur Seite, um ihrem Mann die Möglichkeit zu geben sein Kind ebenfalls zu umarmen und richtete ihren Blick auf mich. Misstrauisch. "Und du bist?" Ich reichte ihr die Hand. "Jeon Jungkook. Ich bin ein Freund Ihres Sohnes." Sie schüttelte meine Hand, doch ihr Misstrauen schien sich nicht zu legen. "Was machst du in seinem Bett?"
"Mama", Taehyung hatte sich inzwischen aus der Umarmung mit seinem Vater gelöst. "Sei netter zu Jungkook. Ich durfte bei ihm unterkommen, obwohl ich komplett zugedröhnt war und er mich nicht kannte. Er hat mir geholfen. Er war für mich da, hat mir zugehört und vor Allem ist er der Grund, warum ich mich endlich dazu durchgerungen hab die Polizei zu rufen und Sora anzuzeigen. Er hat mir gezeigt, dass ich mich in die Vorstellung verrannt hatte, Sora würde mir aus Liebe wehtun und, dass diese Vorstellung Unsinn war." Mit großen Augen sah ich den Kleineren an. Dass er sich so für mich einsetzte. Der Blick von der Frau mir gegenüber war mit Taehyungs Worten immer sanfter geworden. "Entschuldigung", sagte sie zu mir. "Ich wollte nur nicht, dass er gleich den Nächsten abschleppt, der ihm wehtut und schadet." Ich nickte. "Das kann ich verstehen, mir würde es genauso gehen, aber ich verspreche ihnen, dass ich mir eher die Hand abhacken werde, als Tae absichtlich zu verletzen." Sie lächelte. "Du kannst mich Sunmi nennen."
Sie blieben lange und sprachen sich mit ihrem Sohn aus. Ich war froh, dass der Schwarzhaarige seine Familie wieder hatte. Aber etwas nagte in mir. Würde er jetzt lieber bei ihnen unterkommen wollen? Ich biss mir auf die Unterlippe und spielte mit dem Saum meines Oberteils, bis sich die Hand des Schwarzhaarigen auf meine Eigene legte. "Was ist los, Kookie?", fragte er sanft. Ich schluckte. "Du wirst zu ihnen nach Hause gehen, statt bei mir zu bleiben, oder?" Doch zu meinem Überraschen schüttelte er den Kopf. "Nein, ich bleibe bei dir. Ich lasse dich doch nicht alleine." Und ich fragte mich, ob er wusste, dass seine Worte tiefer reichten, als sie klangen. Als hätte er seine Antwort auf meine Bitte, dass er mich niemals verlassen sollte, geändert.
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