3
Am Abend beschloss ich wieder in den Nachtclub zu gehen, in der Hoffnung dort auf Taehyung zu treffen. Es war schon armselig, dass ich mein Herz bereits so sehr, an ihn gehängt hatte, dass ich sogar freiwillig versuchte ihn zu treffen. Dieses Mal spielte leise Klaviermusik, als ich den Club betrat. Ein junger Koreaner saß hinter dem weißen Flügel in der Ecke des Clubs und spielte. Anscheinend auswendig, denn er hatte kein Notenheft vor sich.
Ich begab mich zur Theke, wo ich mir erneut einen Cocktail bestellte. Dann sah ich mich möglichst unauffällig um. Doch zu meiner Enttäuschung sah ich kein bekanntes Gesicht. Er war wohl heute nicht gekommen. Sofort verlor ich das Interesse an meiner Umgebung und nippte an meinem Getränk, während ich gedankenverloren den weißen Flügel ansah.
"Er spielt gut, nicht wahr?", wurde ich auf einmal von dem Barkeeper angequatscht und abwesend nickte ich. "Er heißt Min Yoongi. Kommt oft hierhin, um zu spielen. Früher war er ziemlich gesprächig, aber seit sein Bruder in die Psychiatrie musste, redet er kaum noch. Man munkelt, dass der Bruder wohl sehr gewalttätig war. Min Sora-" "Verschonen Sie mich mit Ihren Familiengeschichten", genervt wandte ich den Blick von dem weißen Flügel ab, um den Mann hinter der Bar anzufunkeln.
Er drehte sich beleidigt weg. "Dann eben nicht."
Ich trank mein Getränk aus und knallte das Geld dafür auf die Theke. "Stimmt so." Dann ging ich. Es regnete in Strömen, als ich nach draußen auf den Bürgersteig trat. Natürlich hatte ich keinen Regenschirm mit. Und in der Dunkelheit und durch den dichten Regenvorhang konnte man zusätzlich kaum etwas sehen. Trotzdem machte ich mich etwas orientierungslos auf den Weg zu meiner Wohnung.
Zu meinem Pech verirrte ich mich. Als der Regen nachließ, stellte ich angepisst fest, dass ich statt bei meiner Wohnung in dem heruntergekommenen Viertel gelandet war, wohin ich mich schon einmal verirrt hatte. Fluchend drehte ich mich einmal um die eigene Achse, doch ich hatte keine Ahnung in welche Richtung ich musste. Also stapfte ich einfach drauf los und hoffte irgendwie nach Hause zu kommen.
Ein Haus sah schlimmer aus, als das Andere. Die Fassaden waren beschmutzt und die Fenster teilweise eingeworfen und nur notdürftig mit Klebeband zugeklebt. Und dann wurde direkt vor meiner Nase eine der Haustüren geöffnet. Sie hatte einen schmutzig, blauen Farbton. Es war diese billige, hässliche Farbe, die bei Ikea immer im Sonderangebot war. Das Licht vom Inneren des Hauses fiel auf die Straße.
"Sieh zu, dass du Sport machst und das alles wieder loswirst, was du dir da angefressen hast." Ein zierlicher Schwarzhaariger wurde direkt vor meine Füße auf den Boden geschubst, wo er sich zitternd zusammenrollte und die Person im Türrahmen, die ihn vermutlich geschubst hatte, ängstlich ansah. Ich musste zwei Mal hinsehen, um zu erkennen, dass der junge Mann vor mir Taehyung war. Seine Kleidung war zerrissen und Blut lief ihm über die Wange. Seine Hände und Knie waren aufgeschrammt.
Fassungslos sah ich dem ganzen Spektakel zu. Der Mann im Türrahmen funkelte den Kleineren ein letztes Mal wütend an. "Sieh zu, dass du fortkommst und endlich einsiehst, dass du nicht perfekt genug bist. Du musst perfekter sein. Nur so machst du mich glücklich." Mit diesen Worten schlug er die Haustür zu. Sofort wurde es wieder dunkler und ich musste einen Moment warten, bis meine Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Dann beugte ich mich zu dem Schwarzhaarigen hinunter und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. "Hey. Tae." Er zuckte heftig zusammen und krabbelte von mir weg. "T-tu mir nicht weh", wimmerte der Kleinere. Traurig musterte ich ihn. "Das tue ich nicht. Schau. Ich bins doch nur. Kookie." Er starrte stur auf den Boden. "Geh weg." Doch ich schüttelte den Kopf.
"Weißt du noch gestern? Da bist du auch nicht weggegangen. Genauso, wie du gestern geblieben bist, bleibe ich heute bei dir", erklärte ich sanft und ging vor ihm in die Hocke, bevor ich meinen Finger unter sein Kinn legte und sein Gesicht sanft in meine Richtung drehte. Seine Augen glänzten in der Dunkelheit.
"Berühr mich nicht. Ich bin ekelhaft. Ein Parasit, der nicht perfekt genug ist", hauchte er gebrochen und sah mich mit schmerzerfülltem Blick an. "Wir Menschen sind keine Maschinen. Keiner von uns ist perfekt und es ist auch nicht unsere Bestimmung perfekt zu sein", entgegnete ich und strich sanft über seine Wange. "Ich muss aber perfekt sein", murmelte Taehyung leise und er sah so traurig und zerstört aus, als er diese Worte aussprach.
"Hör auf damit", widersprach ich. "Lass dich nicht runtermachen. Du musst nicht perfekt sein, hörst du? Dieser Mann dort, der dich gerade so angeschrien hat, der liebt dich doch überhaupt nicht. Dem macht es bloß Spaß dich zu zerstören!" Der Kleinere lächelte schwach. "Er liebt mich. Das sagt er mir oft genug. Ich muss mich nur verbessern, damit er stolz auf mich sein kann."
Frustriert fuhr ich mir mit den Händen durch die Haare. "Komm mit zu meiner Wohnung. Du musst verarztet werden und außerdem habe ich mich hier hoffnungslos verlaufen", wechselte ich das Thema, da ich wusste, dass Diskutieren nichts bringen würde. Der Schwarzhaarige hatte sich zu sehr in seine Vorstellungen verrannt. Er war felsenfest davon überzeugt, dass der Mann, der ihm so wehtat, das nur machte, weil er den zierlichen jungen Koreaner liebte. Eine Wahnvorstellung meiner Meinung nach.
Taehyung rappelte sich auf und klopfte sich den Dreck von den Kleidern. "Wie schaffst du es dich zwei Mal genau in mein Wohngebiet zu verlaufen?", neckte er mich, doch sein Lächeln war aufgesetzt und es erreichte seine Augen nicht, die immer noch tieftraurig in meine sahen.
"Lass es", murrte ich. "Hör auf so zu tun, als würde es dir gutgehen." Sofort sackten seine Mundwinkel herab. "Tut mir leid." Irrte ich mich, oder zitterte seine Stimme? "Komm schon her" Ich breitete meine Arme aus. "Ich glaube du hast eine Umarmung gerade dringend nötig." Er ließ sich dankbar von mir umarmen. Seine schlanken Finger krallten sich in meinen Rücken, als er seinen Kopf in meinem nassen Oberteil vergrub.
Zum Glück gab es in dieser Gegend keine Straßenlaternen und das Licht, das aus den Fenstern der Häuser kam, erreichte uns nicht. Ich war mir nämlich sicher, dass der Mann, der Taehyung so quälte, es nicht gerne sah, wenn der zierliche Junge hier eng umschlungen mit mir stand und mich umarmte.
Als wir uns voneinander lösten, griff der Ältere nach meiner Hand und zog mich mit sich. "Wir müssen hier entlang." Ich ließ mich mitziehen und war mehr als erleichtert jetzt nicht mehr stundenlang nach meiner Wohnung suchen zu müssen. "Wer war dieser Mann eigentlich?", erkundigte ich mich. "Mein Freund. Sora." Hatte ich diesen Namen nicht schon einmal gehört, heute? Der Barkeeper hatte ihn doch erwähnt.
"Hat dieser Sora einen Bruder namens..." Ich versuchte mich an den Namen des Pianisten aus dem Club zu erinnern. "Yoongi oder so ähnlich?" Meine Begleitung nickte stumm. Das klang gar nicht gut. Der Schwarzhaarige musste sich ausgerechnet jemanden psychisch Gestörten aussuchen. Ich verdrehte die Augen. Wie schaffte der Kleinere es eigentlich immer an Dinge oder Personen zu kommen, die ihn zerstörten?
Er nahm Drogen, trank und nun hatte er auch noch einen gewalttätigen Partner. "Du weißt schon, dass dein Freund eine psychische Krankheit hat, oder?", hakte ich vorsichtig nach. "Können wir dieses Thema nicht einfach lassen?", bat Taehyung mich und ich nickte seufzend. "Wenn du das wünschst."
Schweigend liefen wir weiter. Irgendwann kamen wir bei meiner Wohnung an und ich schloss die Tür auf, bevor ich sie einladend öffnete. "Hereinspaziert. Diese Räumlichkeiten müssten dir inzwischen bekannt sein", versuchte ich die Stimmung etwas aufzulockern. Er musste grinsen. "Räumlichkeiten? Also bitte, Kookie, benutz doch nicht solche altmodischen Wörter." "Hey", verteidigte ich mich. "Das Wort wird auch in der jetzigen Alltagssprache noch genutzt."
Der Ältere ignorierte mich und lief an mir vorbei in den Flur. Schmollend folgte ich ihm und schloss die Wohnungstür hinter uns. Doch mein Versuch hatte gewirkt. Der Schwarzhaarige wirkte nicht mehr ganz so angespannt und auch seine Augen funkelten wieder etwas lebhafter.
Im Licht der Flurlampe sah ich erst das Ausmaß der Verletzungen. "Um Gottes Willen, hat er dich zusammengeschlagen, oder warum siehst du so aus?", fragte ich leicht entsetzt. Der Kleinere öffnete den Mund und setzte an etwas zu sagen, vermutlich eine Lüge, doch dann gab er nach und sackte etwas in sich zusammen. "Vielleicht."
Kopfschüttelnd griff ich nach seinem Ärmel und zerrte ihn kurzerhand hinter mir her ins Bad. "Setz dich", wies ich an und zeigte auf den Badewannenrand. Folgsam tat er, was ich ihn angewiesen hatte. Ich kramte Verbandszeug aus dem Badezimmerschrank. "Okay. Wo tut es am Meisten weh?", fragte ich jetzt wieder etwas sanfter.
"Rücken", murmelte Taehyung kleinlaut. Ich nickte. Dann zupfte ich etwas an seinem zerrissenen Oberteil, wobei mir auffiel, dass es eigentlich meins war. Er hatte wohl vergessen mir die Sachen zurück zu geben. "Ist es okay für dich das hier auszuziehen, damit ich mir die Verletzungen besser ansehen kann?" Er zögerte. "Ich schäme mich aber", erwiderte der Schwarzhaarige leise. "I-ich bin nicht perfekt genug, weißt du?"
Ich atmete aus. Dann griff ich nach den schlanken Händen des zierlichen, gebrochenen jungen Mannes vor mir. "Vor mir musst du dich nicht schämen. Ich finde dich schön, okay? Egal, ob du dick oder dünn bist, egal, ob du voller Narben bist, oder die reinste, makelloseste Haut auf der Welt hast. Für mich zählt sowieso am Meisten der Charakter, aber selbst, wenn ich nach Aussehen beurteilen würde, würde ich dich schön finden."
Seine Unterlippe begann zu zittern und er sah mich mit diesem traurigen Blick an. "Ich wünschte ich könnte dir glauben. Alles, was du sagst, würde ich dir gerne glauben. Wären die Dinge so, wie du sie beschreibst... Aber ich kann nicht, weißt du? Langsam habe ich nämlich den Eindruck, dass Jeder mich anlügt."
"Lass es mich beweisen, wie ernst ich meine Worte meine", sagte ich und errötete sofort, nachdem ich diese Worte so unbedacht ausgesprochen hatte, doch ich nahm den Satz nicht zurück. "Wie denn?", fragte er verwirrt. Wortlos griff ich den Saum seines Oberteils erneut. "Vertrau mir einfach, okay?" Ich sah die Verunsicherung in seinen Augen. "Ich versuchs", erwiderte der Schwarzhaarige zurückhaltend.
Ganz vorsichtig hob ich das Oberteil an und streifte es langsam über seinen Kopf. Darauf bedacht keine falsche Bewegung zu machen, griff ich wieder nach seinen Händen, während mein Blick kurz über den viel zu dünnen Oberkörper, der voller Verletzungen war, schweifte. Dann sah ich wieder in Taehyungs Augen. "Und? Habe ich dich ausgelacht? Habe ich dich angeekelt angesehen? Habe ich irgendetwas gemacht, dass zeigen könnte, dass ich dich hässlich und nicht perfekt genug finde?"
Er schüttelte zaghaft den Kopf. "Nein. Du hast nichts gemacht." Ich lächelte sanft. "Weil ich dich schön finde, so, wie du bist, okay? Was ich sehe ist ein wunderschöner Mensch, der unter seinem Leben schwer leiden muss, und der das gar nicht verdient hat. Zugegeben: Ich finde dich zu dünn. Aber nicht, weil du so dünn hässlich aussiehst, sondern, weil ich weiß, dass es ungesund ist so mager zu sein."
Innerlich starb ich tausend Tode vor Peinlichkeit, obwohl keines meiner Worte gelogen war. Aber Jemandem Komplimente zu machen, das war ganz und gar nicht meine Art. "Danke, Kookie", antwortete der Ältere schüchtern. Ich nickte nur. Dann griff ich erneut nach dem Verbandszeug. "Darf ich mir jetzt deinen Rücken ansehen?" Der Schwarzhaarige neigte den Kopf zustimmend und drehte sich so, dass ich gut an seinen Rücken kam.
"Was genau hat er gemacht, dass das so zugerichtet ist?", fragte ich leise und begann ein paar blutende Stellen zu desinfizieren. "Er hat mich getreten. Und seine Schuhe sind aus hartem Leder", ich hatte eigentlich keine Antwort erwartet und die Antwort, die der Kleinere mir gegeben hatte, schockierte mich. Wie konnte man einem Menschen mit so einem reinen Herzen, wie Taehyung es hatte, so etwas Grausames antun?
"Sag mir, wenn es zu doll wehtut, okay?", sagte ich und sprühte erneut Desinfektionsmittel auf eine der Wunden. "Ach ich hab schon Schlimmeres mitgemacht", antwortete er nur. Ich schüttelte fassungslos den Kopf und griff nach der Packung mit den größten Pflastern, die ich hatte. "Man gewöhnt sich dran, weißt du?", redete der Schwarzhaarige weiter. "Und, wenn er seine guten Tage hat, dann ist er der beste Freund, den man haben kann. Ich darf ihn nur nicht enttäuschen."
Wie konnte er nur so in dieser falschen kleinen Welt verrannt sein, die er sich ausmalte? Es machte mich traurig den Kleineren so zu sehen und ihm nicht wirklich helfen zu können. Stumm verarztete ich auch die restlichen Verletzungen, die bluteten.
"Danke", lächelte der Ältere mich schüchtern an, als ich mich schließlich aufrichtete. "Keine Ursache", erwiderte ich leise. "Komm mit in mein Schlafzimmer, dann können wir dir noch schnell frische Anziehsachen von mir geben." Schuldbewusst sah er an sich herab. "Ist es schlimm, dass ich diese Sachen ruiniert hab?" Ich schüttelte den Kopf. "Mach dir keine Gedanken, okay?" Mit diesen Worten zog ich ihn mit mir.
"Such dir einfach was aus", sagte ich. "So lange mache ich etwas zu Essen für uns." "Warte, Kookie", hielt er mich auf. "Mir geht es jetzt gut und ich habe keinen sonderlichen Hunger also kümmere dich lieber mal um dich selber. Das ist doch viel wichtiger", sagte er vorwurfsvoll und erst jetzt merkte ich, wie meine nassen Klamotten noch an mir klebten und ich langsam begann zu zittern und mit den Zähnen zu klappern.
"Ach ist doch nicht der Rede wert. Mir geht's gut", versuchte ich trotzdem abzuwinken. "Dein Ernst?", Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. Dann zog er eine Jogginghose und einen warmen Kuschelpullover, dessen Existenz ich ehrlich gesagt komplett vergessen hatte, aus meinem Schrank. "Komm her."
Verwirrt machte ich einen Schritt auf ihn zu. "Arme hoch." Ich musste schmunzeln "Welches Verbrechen habe ich denn begangen?", fragte ich amüsiert und streckte meine Arme in die Luft. Taehyung streifte mir mein nasses Oberteil über den Kopf. "Du hast nicht genug auf dich selber geachtet", sagte er streng und zog dann aus dem Wäschekorb mit frisch gewaschen Sachen, der zufällig neben meinem Kleiderschrank stand, ein Handtuch, mit dem er meinen Oberkörper trockenrubbelte, bevor er mir den kuscheligen Pulli überzog. Dann schlang er das Handtuch um meinen Kopf und begann meine Haare zu trocknen.
"Ich fühle mich bemuttert", kommentierte ich sein Tun trocken. "Ist mir egal", erwiderte der Kleinere und fuhr fort meine Haare mit dem Handtuch trocken zu rubbeln. Dann drückte er mir die Jogginghose in die Hand. "Die ziehst du auch noch an." "Ja, Mama", ich verdrehte lachend die Augen und auch er musste schmunzeln.
Der Ältere bediente sich jetzt ebenfalls an meinem Kleiderschrank und kurz darauf waren wir beide in trockenen, sauberen Anziehsachen. "Darf ich uns jetzt etwas zu Essen machen?", fragte ich neckisch. "Es ist nach Mitternacht. Ich bin mir nicht sicher, ob man da noch etwas isst", antwortete der zierliche Koreaner vor mir. "Mir egal, ich habe Hunger und du weißt, dass ich darauf bestehe, dass du auch etwas isst", gab ich trotzig von mir.
Der Schwarzhaarige sah mir seufzend in die Augen. "Warum?" Obwohl ich schon ahnte, was er meinte, fragte ich trotzdem: "Was warum?" Seine schimmernden, klaren Augen sahen unverwandt in meine. "Warum kümmert es dich, ob ich esse, oder nicht? Warum kümmern dich meine Gedanken? Warum versuchst du mir zu helfen?" Dass er diese Worte so direkt aussprach, hatte ich nun schon wieder nicht erwartet, weshalb ich etwas überrumpelt den Blick abwandte.
Doch er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und drehte es wieder in seine Richtung. "Warum kümmerst du dich so sehr?" Seine schönen, braunen Augen bohrten sich in meine und ich zuckte verlegen mit den Schultern. "Ich mag dich halt", murmelte ich unbeholfen. "Du bist mir irgendwie wichtig geworden und-" Ich stockte.
Geduldig wartete mein Gegenüber auf meine Antwort. Ich schluckte. "Ich habe Angst dich zu verlieren."
Irgendwie hatte er es geschafft all diese Barrieren zu überwinden, die ich um mich herum aufgebaut hatte. Irgendwie hatte er es geschafft sich in mein Herz zu schleichen, das, was ich immer hatte verhindern wollen. Denn ich wollte den Schmerz nicht wieder spüren. Den Schmerz jemanden zu verlieren. Nicht nochmal.
Aufgewühlt fuhr ich mir mit den Händen durch das Haar und sah Taehyung überfordert an. "Ich habe Angst, okay? Nicht umsonst habe ich mich abgeschottet. Nicht umsonst war ich am Anfang so abweisend zu dir. Ich trete meine Umwelt normalerweise mit Füßen, lasse sie nicht an mich heran, damit ich nie wieder jemanden finde, der mir wichtig ist. Denn, als ich das letzte Mal jemanden gefunden hatte, der mir wichtig war, wurde er mir entrissen."
"Das wusste ich nicht", murmelte er leise und bedrückt. Ich nickte. "Woher hättest du das auch wissen sollen?" Und dann schlang der Kleinere plötzlich die Arme um mich. Überrascht erwiderte ich die Umarmung. "Es tut mir leid, Jungkookie", murmelte er in meinen Kuschelpullover, der für meinen Geschmack viel zu warm war.
"Aber ich kann dir leider nicht versprechen, dass du mich nie verlieren wirst. Wir kennen uns kaum. Und ich bin zu kaputt. Ich weiß nicht, wie lange ich das Leben noch aushalte. Ich würde dir gerne versprechen, dass ich versuchen werde mich zu bessern. Dass ich aufhöre mich kaputt zu machen. Aber ich habe zu wenig Kraft, um aufzustehen und gegen die dunkle Seite in mir anzukämpfen."
"Du gibst auf", stellte ich fest. Stumm nickte er und ich legte den Kopf in den Nacken, bevor ich gequält die Augen schloss. "Ist schon okay", brachte ich heiser über die Lippen. "Vergiss einfach, was ich gerade gesagt hab. Mach dir keine Sorgen wegen mir, okay?" Er sollte sich nicht zusätzlich noch von mir runterziehen lassen. "Lass uns einfach was essen. Bitte." Mit diesen Worten löste ich mich aus der Umarmung und ging in die Küche.
Mein Herz schmerzte. Aber ich wollte mir nicht eingestehen, wie sehr seine Worte mich verletzt hatten. Ist schon okay, widerholte ich in Gedanken. Selbst, wenn du ihn verlieren solltest, wirst du schon mit dem Verlust fertig werden. So, wie du es letztes Mal getan hast. Und dennoch konnte ich nicht verhindern, dass meine Augen glasig wurden. Ich wollte diesen Schmerz nicht wieder spüren.
Mit gesenktem Kopf schaltete ich den Herd an, bevor ich etwas Reis aus meinem Küchenschrank kramte. Als ich das Gemüse schnitt, schnitt ich mir mehrmals beinahe in den Finger, doch ich machte einfach weiter, bis das Messer mir sanft aus der Hand genommen wurde. "Ach Kookie." Nein. Ich durfte nicht schon wieder flennen. Ich durfte nicht schon wieder schwach werden. Doch die Tränen trübten meine Sicht.
Störrisch drehte ich den Kopf weg. "L-lass mich. Niemand darf mich so sehen", wimmerte ich. Doch er griff nur nach meinen Händen und strich sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken. "Das hatten wir doch schon. Du musst dich nicht schämen, okay? Weinen bedeutet nicht Schwäche. Im Gegenteil. Manchmal beweisen unsere Tränen, wie stark wir eigentlich sind und wie viel wir schon durchmachen mussten." Ich schniefte leise. "T-tae." "Ich bin hier", antwortete er ruhig. "Ich bin bei dir. Alles ist gut, Kookie."
Ich schüttelte den Kopf. "Ich wünschte das wäre es. Aber dir diese Worte zu glauben, würde mich nur in einer traurigen Illusion leben lassen, weißt du? Nichts ist gut. Überhaupt nichts." Er zog mich wortlos in seine Arme und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter. "Weißt du", begann der Schwarzhaarige leise mit beruhigender Stimme zu reden. "Manchmal, wenn es mir besonders schlecht geht, dann male ich mir aus, wie die perfekte Welt wäre. Wie ich sie gestalten würde. Es macht Spaß sich solche Dinge auszudenken und es beruhigt."
Ich nickte. "Das ist eine schöne Art sich von der Trauer abzulenken. Man erschafft sich einfach eine heile Welt. Nur leider lässt sich diese heile Welt nicht auf unsere übertragen", murmelte ich bitter und Taehyung lachte. "Es wäre doch langweilig. Ein Leben in einer Welt ohne Überraschungen und ohne Schmerz ist halb so wertvoll. Nein. Ich finde diese ausgemalte Welt sollte Fantasie bleiben. Ein Rückzugsort in deinem Kopf, den du aufsuchen kannst, wenn der Schmerz zu groß ist."
"Wie schaffst du es immer so schöne Sachen zu sagen", schniefte ich verheult und der Ältere lachte. "Ich denke einfach viel nach, schätze ich." Ein Zischen hinter uns riss mich in die Realität zurück. "Der Reis kocht über", lachte ich zittrig und löste mich aus der Umarmung, bevor ich zum Herd eilte und die Temperatur niedriger stellte.
Ich wischte die letzten Tränen aus meinem Gesicht und wollte gerade fortfahren das Gemüse zu schneiden, da hielt mich der Schwarzhaarige auf. "Ich mache das lieber. Setz du dich hin. Du hast sowieso schon genug für mich getan. Jetzt bin ich an der Reihe dir auch mal was Gutes zu tun." Schwach protestierte ich. "Du hast doch auch viel für mich getan. Du hast mich getröstet und festgehalten, als ich es gebraucht hab."
Doch seine Miene blieb eisern, sodass ich schließlich aufgab. "Ich hoffe du kannst kochen, sodass das Ergebnis essbar isst", sagte ich skeptisch und setzte mich auf einen der Küchenstühle. "Mach dir keine Sorgen. Früher habe ich ziemlich viel gekocht. Es war ein Hobby von mir." Routiniert schnitt der Kleinere das Gemüse klein, bevor er es in eine Pfanne tat und anbriet.
Wieder fiel mir auf, wie widersprüchlich er eigentlich war. Wer konnte schon gut kochen und mit Essen umgehen, obwohl er das Essen zu verabscheuen schien?
Wenig später war das Essen fertig und ich stand auf, um den Tisch zu decken, wurde aber gleich wieder auf meinen Stuhl gedrückt. "Ich mache das", sagte Taehyung streng und seufzend lehnte ich mich zurück, während er Teller aus dem Geschirrschrank holte und sie ordentlich auf den Tisch stellte. Dann deckte er noch Messer und Gabel und Gläser.
Wenigstens hatte er für zwei gedeckt, also würde es keine Diskussion mehr geben, ob er jetzt mit mir aß, oder nicht. Darüber dankbar beobachtete ich, wie der Ältere das Essen auf den Tisch stellte. "Es ist angerichtet", grinste er. Ich musste unwillkürlich lachen. "Und du beschwerst dich, dass ich altmodische Wörter benutze. Wer sagt denn heutzutage noch: 'angerichtet'"
Wie schaffte er es mich so schnell aufzumuntern und jetzt wieder zum Lachen zu bringen. Wie konnte so ein gebrochener Mensch, wie er dennoch so fürsorglich und aufmunternd sein? Ich ließ zu, dass er mir das Essen auf den Teller tat, bevor er sich selber etwas nahm. Testend nahm ich einen Bissen. Das Essen zerging mir förmlich auf der Zunge und ich staunte. "Wie hast du das denn hingekriegt?" "Mit einer bestimmten Menge an Gewürzen. Es ist gar nicht so einfach das richtig zu portionieren, sodass es gut schmeckt", gab der Kleinere zu.
Ich aß hastig eine weitere Gabel voll. "Du bist ein Spitzenkoch", lobte ich mit vollem Mund. "Danke." Er rührte in seinem eigenen Essen herum und schien nicht wirklich Anstalten zu machen es noch zu essen. Ich hielt inne. "Komm schon es schmeckt echt gut", versuchte ich den Schwarzhaarigen zu überzeugen. Er wirkte eher skeptisch.
"Du musst ja nicht gleich alles aufessen." Ich schaufelte mir erneut Reis in den Mund. "Aber daf pfmeckt echt gut", nuschelte ich kauend. Das lockte ihm ein Schmunzeln auf die Lippen. "Mit vollem Mund spricht man nicht." Ich schluckte das Essen herunter. "Tzz", schmollte ich und stopfte eine weitere Portion Reis in mich.
Auch mein Gegenüber schien sich langsam zu überwinden. Er tat sich ein kleines bisschen von dem gebratenen Reis auf die Gabel und hob sie zögernd zu seinem Mund. Aufmunternd lächelte ich ihm zu und er aß es tatsächlich. Na also. Ging doch. "Das hast du gut gemacht", lobte ich Taehyung. Merkst du jetzt, wie gut es schmeckt? Er nickte und fing jetzt tatsächlich an langsam zu essen. Er aß seinen ganzen Teller leer. Glücklich über diese Tatsache schenkte ich ihm erneut ein Lächeln.
Dann stand ich auf und räumte ab, bevor ich den Älteren abwartend ansah. "Willst du die ganze Nacht durchmachen? Denn wir haben schon vier Uhr Morgens. Oder willst du bis Mittags durchschlafen? Diese beiden Optionen gibt's." Er zuckte mit den Schultern. "Ich hab sowieso nichts vor also können wir ruhig ausschlafen."
Erleichtert, dass er das genauso sah, wie ich klatschte ich in die Hände. "Ich bin zu faul das Sofa jetzt noch zu beziehen, also schlafen wir wieder in meinem Bett. Dürfte dir ja nicht viel ausmachen." Schüchtern lächelnd stand er auf und lief mir voraus in mein Schlafzimmer.
Stumm legten wir uns nebeneinander in mein Bett. Zunächst befand sich einige riesige Lücke zwischen uns, doch ich bekam das Bedürfnis zu kuscheln, weshalb ich näher an den Schwarzhaarigen heranrückte. "Kann ich dich umarmen? Ich glaube ich kann dann besser schlafen", murmelte ich. In der Dunkelheit sah ich, wie er nickte und erleichtert schlang ich meine Arme um den zierlichen jungen Koreaner neben mir.
Sein Körper schmiegte sich an meinen und eine angenehme Wärme breitete sich in mir aus. Ich zog die Bettdecke etwas höher über uns, dann schloss ich die Augen. Neben mir nahm ich die gleichmäßigen Atemzüge des Kleineren wahr. "Weißt du?", nuschelte ich schläfrig und er antwortete mit einem fragenden "Mh?"
"Ich glaube ich war echt einsam, bevor ich dich kennengelernt hab", gab ich zu. Es war schön hier zu liegen. Die Atmosphäre war entspannt und ich fühlte mich angenehm schläfrig. Ein raues Lachen kam von Taehyung.
Ausgeruht wachte ich gegen Mittag des nächsten Tages auf. Ich blinzelte und drehte dann meinen Kopf in die Richtung des Schwarzhaarigen, der bereits wach war und seinen Kopf auf seine Hand gestützt hatte, während die schönen braunen Augen mich musterten. Es war jetzt bereits die dritte Nacht in Folge, die wir nebeneinander geschlafen hatten. Es war schon verrückt. Wir kannten uns so eine kurze Zeitspanne und trotzdem lagen wir hier nebeneinander, als würden wir uns schon ewig kennen.
"Hey", murmelte ich mit kratziger Stimme und er schenkte mir ein Lächeln. Auf meinem Nachttisch summte mein Handy. Ich seufzte und griff dann nach dem kleinen Teil.
Namjoon:
Hey hast du Lust
zu schreiben?
2:23 pm
Ich ignorierte diese Nachricht und schaltete mein Handy auf stumm. Was dachte sich dieser Typ eigentlich? Dass wir ruckzuck Freunde waren, nur, weil wir einmal im Supermarkt eine Konversation hatten? Das Display leuchtete erneut auf.
Namjoon:
Hey, ignorier mich
nicht T-T
2:25 pm
"Wer schreibt dir da die ganze Zeit?", erkundigte sich der Ältere hinter mir. Ich zuckte mit den Schultern. "So ein Typ aus dem Supermarkt. Er hat mir Wein über die Klamotten gespritzt und wollte sich irgendwie revanchieren, weil ich abgelehnt habe, dass er sie ersetzt. Also haben wir irgendwie Nummern getauscht, damit ich mich melden kann, falls ich Hilfe bei irgendwas brauche." Seufzend drehte ich den Kopf zu dem Kleineren. "Und jetzt nervt er rum. Womöglich denkt er wir wären Freunde oder sowas." Augenverdrehend legte ich meinen Kopf wieder auf meinem Kopfkissen ab.
"Sei doch nicht so unsozial, Kookie", stupste mein Gegenüber mich ärgerlich an. "Er meint es doch nicht böse." Ich drehte mich auf den Rücken und starrte an die Zimmerdecke. "Kann ja sein aber ich will keine Freunde. Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich lasse eigentlich nicht zu, dass mir jemand wichtig wird. Ich habe zu große Angst diese Person dann zu verlieren."
So, wie Donghae.
Sanft platzierte Taehyung seine Hand auf meiner Wange und drehte meinen Kopf in seine Richtung. "Aber so, wie du gerade lebst, wirst du doch nicht glücklich. Du lässt zu, dass deine Ängste dich kontrollieren. Wir alle haben Ängste, weißt du, aber früher oder später muss man sich ihnen stellen, bevor sie einen verschlingen und zerstören.
Wie hypnotisiert sah ich in die klaren, dunklen Augen meines Gegenübers. "Du weißt nicht, wie es sich anfühlt die Person zu verlieren, die dir am Wichtigsten ist", hauchte ich. Die Mittagssonne schien in sein Gesicht und sorgte dafür, dass seine langen Wimpern Schatten über seine Augen warfen. "Vielleicht weiß ich das nicht", erwiderte der Schwarzhaarige leise "Aber ich weiß durchaus, wie sich Schmerz anfühlt. Wie sehr das Leben wehtun kann. Wie es ist, wenn jeder Tag schmerzt und man einfach nur noch aufgeben will. Ich weiß, wie sich das anfühlt, Kookie. Nur zu gut weiß ich das."
Der letzte Satz war nur noch ein leises Wispern, welches über seine Lippen glitt und im Raum hängen blieb. Und ich glaubte ihm. Ich glaubte ihm jedes einzelne Wort, das er sagte. Und ich wusste, dass er mich auf irgendeine Art und Weise so gut verstand, wie kaum Jemand.
"Ich vermisse ihn", flüsterte ich und wandte traurig den Blick ab. "Immer, wenn ich denke ich bin über ihn hinweg, kommt der Schmerz doch zurück und schlägt mir mit voller Wucht ins Gesicht. Und ich kann das nicht mehr, verstehst du? Ich will, dass es aufhört. Warum kann es nicht einfach aufhören so wehzutun?"
Zart strich sein Daumen über meine Wange und es war eine tröstende, beruhigende Geste. "Es tut so weh, weil du nicht loslässt, Kookie. Du klammerst dich zu sehr an ihm fest. Du musst loslassen. Du musst ihn gehen lassen. Wenn du nicht loslässt, dann zerreißt dich der seelische Schmerz." Ein leises Wimmern verließ meine Lippen und gequält schloss ich die Augen. "Ich kann aber nicht. Ich kann ihn nicht loslassen. Es geht nicht."
"Kannst du nicht, oder willst du nicht? Hör auf dir einzureden du kannst es nicht, du kannst es. Aber du willst nicht. Lieber versteckst du dich hinter einer schwachen Ausrede, um dich weiter in dem Schmerz suhlen zu können. Denn obwohl der innere Schmerz so verdammt wehtut, lieben wir ihn trotzdem. Sehnen ihn uns beinahe herbei, damit wir uns dahinter verstecken können. Damit wir in unserem Selbstmitleid versinken können. Es ist krank nicht wahr? Es ist krank, dass wir uns selber so sehr zerstören."
Und er hatte Recht. Manchmal genoss ich den Schmerz beinahe. Die Tatsache, dass er meine Seele innerlich zerriss und mich innerlich zerstörte. "Wie geht denn das? Loslassen?", fragte ich heiser. Taehyung lachte. "Indem man akzeptiert, dass die Person fort ist. Dass sie nicht mehr zurückkommen wird. Indem man merkt, dass es okay ist, und dass die Person immer in seinem Herzen bleiben wird."
Ich nickte langsam. "Er war ein wirklich toller Mensch, weißt du? Niemand hat mich so geliebt, wie er es getan hat. Niemand hat mir so sehr gezeigt, dass ich wertvoll bin. Dass diese Welt mich trotz all meiner Fehler und meinen Macken braucht. Dass es nicht schlimm ist, wenn ich nicht perfekt bin. In dieser Welt sehen zu viele Menschen nur noch die negativen Dinge. Wenn man nicht perfekt ist, dann wird man dafür runtergemacht. Dabei ist doch niemand perfekt."
Taehyung schwieg. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. "Ich meine auch dich, Tae. Du bist nicht perfekt und das musst du auch nicht sein. Du bist nämlich vollkommen in Ordnung so, wie du bist. Ich mag dich so und nicht anders."
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