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Erst versuchte ich mich noch schwach gegen die Umarmung des Kleineren zu wehren, doch dann gab ich einfach auf und ließ meinen Kopf auf seine Brust fallen, wo ich mich ausheulte. Er strich mir sanft über den Rücken und ich umklammerte seinen knochigen Körper haltsuchend mit meinen Armen. Es war lange her, dass ich in den Armen von jemandem geweint hatte und auf einmal fühlte ich mich wieder, wie ein kleines Kind.

Früher war ich oft mit meinen Problemen zu meiner Mutter gekommen. Ich hatte geweint und sie hatte mich getröstet und mir geholfen die Probleme zu lösen. Damals hatten ein paar Worte gereicht, um meine zerstörte Welt wieder zu reparieren. Warum ging das jetzt nicht mehr? Warum musste alles komplizierter werden?

Langsam versiegten meine Tränen, doch ich löste die Umarmung noch nicht. Es war angenehm in Taehyungs Armen zu liegen, die mir gerade den letzten Halt auf dieser Erde gaben. Er ging nicht, wenn ich ihn von mir stieß. Er blieb bei mir. Und irgendwie war das Balsam für meine Seele. Denn obwohl ich immer krampfhaft versuchte alleine zu sein, fühlte ich mich dennoch einsam.

Ich wollte nicht verletzt werden. Wollte, dass mich die Menschen in Ruhe ließen, damit meine mühsam aufgebaute Fassade nicht zusammen fiel. Und eigentlich hatte ich nur Angst. Angst mich an jemanden zu binden und ihn dann zu verlieren. Diesen Gedanken konnte ich nicht ertragen.

Schwach hob ich den Kopf, um Taehyung endlich richtig ins Gesicht zu sehen. Seine klaren, braunen Augen erwiderten meinen Blick ruhig. Mir fiel seine dunkel verfärbte Wange auf und besorgt streifte ich mit dem Finger darüber. "Wie hast du das schon wieder hinbekommen?" Er griff nach meinem Handgelenk und zog meine Finger fort.

"Es ist nichts. Ich bin einfach tollpatschig, okay?"

Er log. Ich konnte es in seinen Augen sehen, die so traurig aussahen und voller Schmerz. Doch mir zu Liebe ignorierte er seinen eigenen Schmerz und versuchte stattdessen meinen zu lindern. Dieser Mensch hatte wirklich ein viel zu gutes Herz. Ich räusperte mich. "Danke, dass du bei mir geblieben bist, obwohl ich versucht habe dich wegzuschicken. Ich glaube ich habe deine Umarmung gerade wirklich gebraucht."

"Was ist passiert?", fragte der Kleinere sanft und drückte meine Hand aufmunternd. Ich sah weg. "Du wirst mich für ein Weichei halten", murmelte ich verlegen und sah zu Boden. "Nein, das werde ich nicht. Es gibt keinen lächerlichen Grund zu weinen. Jeder hat ein Recht darauf, egal, wie klein der Grund zu sein scheint." Wie schaffte er es genau das Richtige zu sagen und zu tun?

Ich schluckte und sah dann auf seine schlanke Hand, die meine hielt. Vorsichtig verschränkte ich unsere Finger und schloss dann kurz die Augen, bevor ich traurig aus seufzte. "Heute war einfach ein mieser Tag. Mein Chef hat mich angemeckert, weil ich zwei Minuten zu spät war. Ich durfte den ganzen Tag im stickigen Büro arbeiten, mit Kopfschmerzen und Schwindel und meine Mittagspause wurde auch gestrichen. Und zu allem Überfluss..."

Erneut stiegen in mir die Tränen hoch und ärgerlich wischte ich mir mit der freien Hand über die Augen. "Zu allem Überfluss habe ich einen Drogenabhängigen an einer Überdosis sterben sehen." Ich schluchzte leise auf. "Bestimmt gab es Menschen, die ihn geliebt haben. Stell dir mal vor jemanden zu verlieren, der dir wichtig ist".

Mitfühlend sah Taehyung mich an. "Du hast alles Recht deswegen zu weinen. Das muss wirklich ein höllischer Tag für dich gewesen sein", wisperte er mir zu und zog mich erneut in eine Umarmung. Ich nickte nur und vergrub mein Gesicht in der Halsbeuge des Schwarzhaarigen.

Nach einer Weile stand er auf und half auch mir auf die Beine. "Komm. Ich begleite dich nach Hause." Ich nickte dankbar und umklammerte ängstlich, wie ein kleines Kind die Hand des Kleineren. Er erwiderte den Händedruck und in gewisser Weise beruhigte es mich gerade ungemein, wie er mir Sicherheit und Halt gab.

Der Schwarzhaarige schien sich in diesem Gewirr aus Straßen und Gassen gut auszukennen, sodass er uns zielstrebig in mein Wohnviertel führte. Ich war erleichtert, als ich wieder die wohlbekannte Umgebung sah.

Gemeinsam begaben wir uns zu meiner Wohnung. Vor der Tür blieben wir stehen und ich zog langsam meine Hand aus der des Kleineren. "Danke für alles", bedankte ich mich verlegen und er lächelte. "Das ist kein Problem." Inzwischen war es dunkel geworden und selbst in der Dunkelheit konnte man seine verletzte Wange immer noch deutlich erkennen. Ich streckte unwillkürlich die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen noch einmal vorsichtig darüber. "Pass gut auf dich auf", bat ich leise.

Er lachte, doch es war kein ehrliches Lachen. Es klang hohl und gefälscht. "Werde ich schon. Mach dir keine Sorgen." Niedergeschlagen nickte ich. Eigentlich ging es mich ja auch gar nichts an, woher er die Verletzungen hatte, aber ich sorgte mich trotzdem und wollte demjenigen , der dem Schwarzhaarigen wehtat echt gerne eine reinhauen.

Mit einem Klacken drehte sich der Schlüssel im Schloss. "Ich geh dann mal", verabschiedete Taehyung sich. Ich nickte und öffnete die Wohnungstür. Am Liebsten hätte ich den Kleineren aufgehalten. "Tschüss, Tae", murmelte ich leise. "Auf Widersehen, Kookie." Ich ging in die Wohnung und hinter mir schloss sich die Tür mit einem leisen Knallen.

Yuki kam mir maunzend entgegen und ich beugte mich zu ihr herunter, um sie zu streicheln. Das rotgetigerte Tier strich um meine Beine, bevor es vor mir her in die Küche lief. Ich seufzte "War klar, dass du eigentlich nur Futter haben willst, du denkst schließlich an nichts Anderes." Trotzdem gab ich meiner Katze das Gewünschte, bevor ich mich ins Schlafzimmer begab, um endlich bequeme Klamotten anzuziehen.

Es war still in der Wohnung. Normalerweise genoss ich die Stille, doch heute war es anders. Ich hatte das Verlangen mit jemandem zu reden. Ich wollte, dass Stimmen diese Räume füllten. Gelächter. Verwirrt über mich selber schüttelte ich meinen Kopf. Seit wann sehnte ich mich nach Gesellschaft? Und warum fühlte ich mich so einsam? Ich hatte doch Yuki.

Doch die Stille nagte weiterhin an mir und meine Gedanken schienen auf einmal so unglaublich laut in meinem Kopf zu sein. Ich hielt es nicht mehr aus und beeilte mich ins Wohnzimmer zu kommen, wo ich auf dem Fernseher Spotify anmachte und die Musik laut aufdrehte.

Ich aß zu Abend und legte mich dann ins Bett. In der vorherigen Nacht hatte Taehyung hier mit mir gelegen. Ich vermisste die Wärme, die er mir geschenkt hatte. Unruhig wälzte ich mich auf der Matratze hin und her und wartete auf den Schlaf, doch er wollte einfach nicht kommen. Also richtete ich mich nach einer Weile wieder auf.

Ich zog mir Jeans an und hängte mir meine Lederjacke um die Schultern, bevor ich die Wohnung verließ und beschloss etwas herumzulaufen. Geld hatte ich vorsichtshalber auch eingesteckt. Planlos irrte ich durch die Gegend, bis ich am Ende der Straße die roten Lichter eines Nachtclubs sah. Vielleicht würde etwas Alkohol mir helfen mich etwas zu entspannen.

Also steuerte ich auf den Club zu und hielt dem Türsteher meinen Ausweis entgegen, um zu beweisen, dass ich über 18 war. Dann wurde ich ins Innere gelassen. Es war dunkel und matte, bunte Lichter wurden von einer Diskokugel reflektiert und tanzten durch den Raum. Der Club war nicht besonders gut besucht. Eine Gruppe von Betrunkenen stand in einer Ecke und ich war mir sicher, dass nicht nur der Alkohol Schuld an ihrem Zustand war.

Mit schnellen Schritten eilte ich zur Bar und bestellte mir einen Cocktail. Das Gewünschte wurde mir innerhalb weniger Zeit vor die Nase gestellt und genießerisch trank ich einen Schluck. Sofort breitete sich der fruchtige Geschmack auf meiner Zunge aus. Die Wirkung trat nur wenig später ein. Ich fühlte mich leicht schwindelig und leichter. Meine Muskeln entspannten sich und ich seufzte leise auf.

Mit nur wenigen Zügen war nicht nur das Glas, sondern gleich drei weitere geleert. Dann legte ich das Geld auf die Theke und lief etwas verloren durch den Raum. Ich war zwar nicht betrunken, aber dennoch erheblich beschwipst. Irgendwie stieß ich dann gegen einen der Betrunkenen, die lachend herumalberten.

Er packte mich am Handgelenk und sah mich begeistert an. "Hey Leute seht mal, hier ist noch Einer. Vielleicht will er ja mitspielen" Ich wollte erst ablehnen, doch dann sah ich ein bekanntes Gesicht in der Runde. Taehyung erwiderte meinen Blick, doch er schien eher durch mich hindurchzusehen. Er war komplett zugedröhnt.

Ich seufzte. Eigentlich ging es mich nichts an, was er hier tat. Doch irgendwie machte ich mir Sorgen um den Schwarzhaarigen, weshalb ich beschloss mitzuspielen. "Okay ich spiele mit", lächelte ich gefälscht und ließ mich in den Kreis ziehen, den sie um eine Flasche gebildet hatten. "Ich bin Jason", stellte sich der junge Mann vor, der mich eingeladen hatte mit zu spielen. "Ich bin mir sicher, du weißt, wie das Spiel geht." Er klopfte mir lachend auf die Schulter und ich nickte geistesabwesend.

Mein Blick galt nur Taehyung. Eine Blondine trat in die Mitte des Kreises und drehte die Flasche. Sie zeigte auf meinen Nebenmann. "Wahrheit oder Pflicht?" Natürlich wollte er nicht feige sein und wählte Pflicht. "Schütte dir eine ganze Flasche Bier über den Kopf und singe dabei 'Alle meine Entchen'", verlangte die junge Frau und er folgte ihren Anweisungen ohne mit der Wimper zu zucken.

Dann drehte er und zu meinem Pech zeigte die Flasche auf mich. Seufzend wählte ich Wahrheit. "Bist du noch Jungfrau?" Ich zuckte mit den Schultern und nickte. Alle fingen an zu grölen und zu lachen. Viele klopften mir auf die Schulter und gaben dumme Sprüche, wie: "Ist dein Schwanz etwa zu klein?", ab. Auch Taehyung sah mich an, doch er lachte nicht.

"Die Größe meines Schwanzes geht glaube ich niemanden hier etwas an", sagte ich nur trocken und drehte die Flasche ohne ein weiteres Wort. Der Flaschenhals zeigte auf Taehyung. Ich schluckte. "Wahrheit oder Pflicht?" Ruhig erwiderte der Kleinere meinen Blick. "Wahrheit." Unmengen an Fragen schossen mir durch den Kopf, wie Wer ist für die Verletzungen an deinem Körper verantwortlich? Oder Warum trägst du so viel Schmerz mit dir? Doch ich sprach diese stummen Fragen nicht aus. Stattdessen fragte ich: "Bist du noch single?" Er zuckte zusammen und auf einmal spannte sich sein ganzer Körper an. "Nein", erwiderte er leise.

Er schien nicht glücklich damit zu sein. Verwirrt musterte ich den Schwarzhaarigen. Was verbarg er? Was hatte ihn zu dem Menschen gemacht, der er nun war? Er drehte die Flasche und stellte dem Nächsten irgendeine Pflichtaufgabe, was ich allerdings eher nur im Hintergrund wahrnahm. Dann trat er plötzlich zurück. "Entschuldigt mich". Unseren Mitspielern war es komplett egal, dass er sich entfernen wollte.

Taehyung eilte mit hastigen Schritten in Richtung Herrentoilette und ich beschloss ihm zu folgen.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und betrat den Raum. Aus einer der Kabinen hörte ich ein leises Würgen. Taehyung schien sich zu übergeben. Dann ertönte ein klägliches Schluchzen, was dafür sorgte, dass sich mein Herz zusammenzog. "Tae?", zaghaft klopfte ich gegen seine Kabinentür. Sein Schluchzen wurde nur noch lauter und dann würgte er wieder und erbrach sich erneut geräuschvoll. "Fuck, Tae, machst du mir auf? Bitte."

Zu meiner Erleichterung näherten sich tatsächlich tapsende Schritte der Kabinentür, bevor das Schloss mit einem Klacken geöffnet wurde. Besorgt fing ich den schmächtigen jungen Mann auf, der mir entgegen stolperte und sich verzweifelt an meiner Lederjacke festkrallte. "Ich kann nicht mehr, Jungkook", wimmerte er leise. "Ich kann das alles einfach nicht mehr, es macht mich so kaputt."

"Was macht dich kaputt?", fragte ich vorsichtig nach, doch er wollte mir darauf keine Antwort geben, weshalb ich ihn seufzend noch fester in meine Arme zog und ihm stumm einfach den Halt gab, den er gerade brauchte.

"K-kann ich mit zu dir?", fragte er nach einer Weile und sah mich mit verweinten Augen an. Erneut fiel mir seine blau angeschwollene Wange auf und es machte mich wütend, dass jemand diesem unschuldigen, wunderschönen Menschen vor mir wehtat. "Wo Anders würde ich dich in diesem Zustand überhaupt nicht hinlassen", erwiderte ich und strich dem Schwarzhaarigen eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn.

Er schniefte und lächelte mich dann zaghaft an. "Hast du irgendetwas mitgenommen, was ich noch holen müsste? Eine Jacke, oder eine Tasche?", fragte ich und half dem Kleineren sich wieder aufrecht hinzustellen. Er schüttelte den Kopf. "Hab ich nicht." Ich nickte und dirigierte Taehyung vorsichtig aus der Herrentoilette.

Er wirkte so schwach und zerbrechlich, wie er sich auf mir abstützte und beinahe abhängig von meiner Hilfe war. Nein. Nicht nur beinahe. Er war abhängig von meiner Hilfe. Ganz sanft legte ich seinen Arm um meinen Nacken, bevor ich meine eigene Hand stützend auf seiner Taille platzierte. "Ich hab dich, ich werde dich auffangen, wenn was ist, okay? Halt dich einfach an mir fest."

Ich erkannte mich selber in Taehyungs Gegenwart nicht wieder. Er weckte eine fürsorgliche, sanfte Seite von mir, die ich selber noch nicht gekannt hatte.

Irgendwie bugsierte ich uns aus den Club und langsam bewegten wir uns über den Bürgersteig in Richtung meiner Wohnung. Taehyung brabbelte leise unzusammenhängende Sachen in mein Ohr. "Die Sonne ist nicht da. Warum ist die Sonne nicht da? Hat sie sich hinter dem Mond versteckt, oder ist sie vielleicht heimlich explodiert?", spekulierte er.

"Taehyung es ist normal, dass die Sonne Nachts nicht da ist", versuchte ich ihn eher weniger einfühlsam aufzuklären, was ihn schmollen ließ. "Ach was du lügst, das kann nicht normal sein." Ich seufzte und ließ ihn einfach weiter reden.

Irgendwann kamen wir bei meiner Wohnung an und ich brachte den Kleineren dieses Mal direkt in mein Schlafzimmer. In diesem Zustand konnte ich ihn nicht alleine lassen. "Was hast du eigentlich genommen?", erkundigte ich möglichst neutral und half dem Schwarzhaarigen dabei ein paar frische Anziehsachen von mir anzuziehen, bevor ich selber in einen Schlafanzug schlüpfte.

"Nichts Hartes. Nur Alkohol und etwas Gras", gab er zu. Ich hob die Bettdecke an und wies ihn mit einer Kopfbewegung an darunter zu schlüpfen. Dann krabbelte ich neben ihn und deckte uns Beide zu. "Kuscheln?", bettelte Taehyung. "So wie gestern, das war echt schöön", schwärmte er, was mich schmunzeln ließ. Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden zog ich den Kleineren in meine Arme.

Er kuschelte sich an mich und gab einen genüsslichen Laut von sich. Ich warf einen Blick auf meine Weckeruhr, die auf meinem Nachttisch stand. Halb fünf am Morgen schon. Ich war heilfroh, dass am nächsten Tag Wochenende war und ich somit ausschlafen konnte. "Gute Nacht, Tae", wisperte ich dem zierlichen Jungen in meinen Armen, leise ins Ohr. Er gähnte. "Schlaf gut, Kookie."

Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl von dem warmen Körper, der sich in meine Arme schmiegte. Mit einem Satz sprang nun auch Yuki auf mein Bett, maunzte einmal zur Begrüßung und rollte sich dann auf der Bettdecke zusammen.

Es war kuschelig warm im Bett und ich fühlte mich pudelwohl. Schläfrig vergrub ich mein Gesicht in Taehyungs Halsbeuge, dann dämmerte ich langsam weg.

Am nächsten Tag lagen der Kleinere und ich immer noch eng umschlungen in meinem Bett, als ich die Augen öffnete. Auch Yuki hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Leichte Kopfschmerzen machten sich bei mir bemerkbar, die Folgen des Alkohols. Und ich war mir sicher, dass es den jungen Mann, der neben mir lag noch viel schlimmer treffen würde, wenn er aufwachte.

Ich gähnte und blinzelte etwas in das helle Licht der Sonne, die durch das Fenster schien. Dennoch machte ich keine Anstalten aufzustehen. Es war gemütlich hier zu liegen, im Bett, mit Taehyung und Yuki. Ich betrachtet das makellose Gesicht des Schwarzhaarigen und mir fiel auf, dass er ein kleines Muttermal neben der Nase trug.

Seine Haut war unglaublich rein und hell, wie Porzellan. Das Haar fiel ihm wuschelig ins Gesicht und verdeckte seine Stirn. Ein leises Seufzen entfloh den Lippen des Kleineren und langsam begann er sich zu regen. Dann schlug er die Augen auf. Ich regte mich nicht. Erwiderte einfach nur seinen Blick, der sich langsam fokussierte und sah in diese klaren, braunen Augen, die seine Gefühle oft so deutlich widerspiegelten.

"Guten Morgen", begrüßte ich ihn mit einem sanften Lächeln. Er streckte sich und antwortete mit einem leisen Murren. "Nicht so der Morgenmensch, wie?", kommentierte ich sein Verhalten und sah dann auf die Uhr. "Naja eigentlich ist es schon Mittag." Ich richtete mich auf und machte Anstalten die Beine aus dem Bett zu schwingen, als ich zurück gehalten wurde. "Nicht. Bleib hier. Es ist gerade so gemütlich", kam es verschlafen von dem Schwarzhaarigen und ich ließ zu, dass er mich wieder neben sich zog.

Unsere Beine verhakten sich irgendwie miteinander und mit einem wohligen Schnurren, legte Taehyung seinen Kopf auf meiner Brust ab. Ich musste zugeben, dass der Kleinere gerade unglaublich niedlich wirkte, in seiner Anhänglichkeit. Vermutlich hatte ich noch nie jemanden so nah an mich herangelassen, wie diesen jungen Mann. Und seine Nähe gefiel mir. Obwohl es schwierig für mich war mir das eizugestehen.

"Du bist so besonders, Kookie", gab der Schwarzhaarige plötzlich von sich. "Noch nie hat sich jemand so sehr um mich gesorgt, wie du." Verwirrt sah ich ihn an. "Was ist mit deiner Freundin?" Er sah mich geknickt an. "Meinem Freund. Ich bin schwul." Dann wich er meinem Blick aus. "Und ja, doch, er sorgt sich auch gut um mich, denke ich", sagte der Kleinere unsicher.

Irgendetwas war falsch mit diesem 'Freund', von Taehyung. Ich sah dem Kleineren an, dass in dieser Beziehung irgendetwas gehörig schief laufen musste, so, wie er reagierte, wenn man darüber sprach. "Hast du Hunger?", fragte ich, doch der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. "Taehyung", ermahnte ich ihn. "Hast du wirklich keinen Hunger, oder willst du nichts essen, weil du meinst abnehmen zu müssen." Er zog verlegen die Schultern hoch und ich seufzte.

"Sogar ich sehe, dass du deutlich im Untergewicht liegst, obwohl ich kein Arzt bin", meckerte ich. "Ich mache jetzt etwas. Versuch jetzt einfach mal das zu vergessen, was diese eine Person dir eingeredet hat. Bitte." Taehyung sah mich ängstlich an. "I-ich hab Angst." Sofort wurde mein Blick sanfter. "Wovor?" Er schüttelte den Kopf und griff sich unwillkürlich an die verletzte Wange.

"Ich darf nicht zunehmen", wisperte der Kleinere schließlich. "Ich darf einfach nicht, verstehst du?" Verwirrt schüttelte den Kopf. "Nein, das verstehe ich nicht. Warum darfst du das denn nicht?" Er drehte den Kopf weg von mir. "Es ist mir verboten worden." Der Kleinere wirkte verschlossen und abweisend. Es würde hoffnungslos sein weiter nachzufragen.

"Bitte iss trotzdem etwas. Mir zuliebe", beharrte ich. "Was isst du gerne? Ich kann es dir kochen." Er schüttelte den Kopf. "Ich liebe Pizza, aber..." "Nichts einfacher, als das. Eine Pizza kann ich mit Leichtigkeit in den Ofen schieben, dass ist nicht einmal ein großer Aufwand", unterbrach ich ihn enthusiastisch und stand auf. "Pizza am Morgen?", zweifelte Taehyung. "Mittag", korrigierte ich und lief in die Küche.

"Salami, Funghi, Magherita, oder Hawaii?", schrie ich in Richtung Schlafzimmer. Erst blieb es stumm, doch dann kam ein zögerliches: "Salami" zurück. Also kramte ich eine Salami Pizza und eine Pilzpizza aus meiner Tiefkühltruhe, die ich kurz darauf auf einem Blech in den Ofen schob. Dann lief ich zurück ins Schlafzimmer, wo der Schwarzhaarige immer noch in meinem Bett lag. Er rieb sich mit schmerzerfülltem Gesicht die Schläfe und mir fiel ein, dass er ja immer noch einen gewaltigen Kater haben musste.

"Hier". Ich kramte eine Schmerztablette aus meinem Nachttischschränkchen und reichte sie dem Kleineren zusammen mit einer Flasche Wasser. Er nahm Beides dankbar an und schluckte die Tablette hastig. Dann schwang auch er die Beine aus dem Bett und lächelte mich zaghaft an. "Ich hab Hunger, wann ist das Essen fertig?", fragte er etwas kindlich und überrascht sah ich ihn, bevor sich auch ein Lächeln auf meine Lippen schlich. "Nur noch etwas Geduld, der Herr, es ist fast fertig."

Gemeinsam begaben wir uns in die Küche, wo uns auch schon der Geruch von Pizza entgegenschlug. Mein Magen knurrte, was Taehyung auflachen ließ. Warum war er so wechselhaft? In der einen Sekunde zu Tode betrübt und voller negativer Emotionen und in der nächsten Sekunde positiv und beinahe fröhlich.

Er verwirrte mich. Noch nie war ich einem Menschen begegnet, der zu lesen war, wie ein offenes Buch und trotzdem schwierig einzuschätzen war. Taehyung war so Anders, als die Menschen, denen ich bis jetzt begegnet war. Und irgendwie gefiel mir das. Ich war froh, endlich mal Jemandem zu begegnen, der wusste, das die Welt alles Andere als heile war und, der nicht das perfekte Vorzeigekind spielte.

Taehyungs Klamotten waren schmuddelig und er hing mit Trinkern und Junkies ab, er war selber einer von ihnen. Obwohl ich es nicht verstand. Ich verstand nicht, was in dem zierlichen jungen Mann vorging. Warum er sich selber so sehr zerstörte, obwohl das nicht zu seiner restlichen Art passte. Er wirkte unschuldig und beinahe naiv. Er nahm sich die Worte zu Herzen, die man zu ihm sagte.

Am Liebsten würde ich ihn in Watte einpacken und nicht aus meiner Wohnung lassen, einfach nur, damit er sich nicht täglich mit der Grausamkeit der Welt dort draußen auseinander setzen musste. Mit all den Menschen, die sich nichts daraus machten, ob ihre Worte jemanden verletzten, oder nicht.

Die Pizzen waren fertig und ich schnappte mir zwei Kochhandschuhe, bevor ich mich daran machte die Bleche aus dem Ofen zu holen. Der Schwarzhaarige machte sich währenddessen daran den Tisch zu decken. "Achtung, es ist sehr heiß bitte nicht an die Bleche kommen", warnte ich und stellte die beiden Bleche dann auf den Tisch.

Gemeinsam setzten wir uns und wünschten uns einen guten Appetit. Argwöhnisch beobachtete ich, wie der Kleinere sich ein winziges Stück von seiner Pizza nahm, ließ das Ganze jedoch vorerst unkommentiert. Ich selber nahm mir gleich die Hälfte von der Pilzpizza und aß sie auch in Rekordzeit auf. Ich war schon immer ein schneller Esser gewesen.

Als Taehyung keine Anstalten machte sich nachzunehmen, seufzte ich. "Komm her", forderte ich ihn auf und klopfte auf meinen Schoß. Verwirrt sah er mich an, leistete dann aber meinen Anweisungen Folge. Ich zog ihn nah an mich heran, sodass er bequem sitzen konnte. Dann zog ich den Teller mit der Salami Pizza zu uns und schnitt sie in kleine Stücke.

"Mach Aah." Ich fütterte den Schwarzhaarigen mit einem Häppchen, welches er zögernd annahm und kaute. Zufrieden lächelte ich. "Das machst du gut!" Ich hielt ihm noch einen Bissen unter die Nase. Das Ganze widerholte sich so oft bis der zierliche junge Mann auf meinem Schoß ein ganzes Viertelstück von der Pizza gegessen hatte. Dann erst ließ ich zu, dass er den Teller wegschob. "War doch gar nicht so schlimm, oder?", fragte ich sanft nach und er schüttelte den Kopf.

Er machte keine Anstalten von meinem Schoß aufzustehen, sondern blieb lieber sitzen und sah mich aus seinen großen, braunen Augen an. "Puppy", murmelte ich grinsend, womit ich mir einen irritierten Blick einfing. "Warum Puppy?", fragte der Kleinere. Ich zuckte mit den Schultern. "Ich finde du hast richtige Welpenaugen. So klar und unschuldig."

Er errötete und sah weg. "Wie alt bist du eigentlich?", fragte er nach einer Weile. "Dreiundzwanzig", gab ich zu. "Oh, dann bin ich ja dein Hyung, ich bin ein Jahr älter", gab Taehyung überrascht von sich. "Sieht wohl so aus", nickte ich und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Es war schön mal wieder die Nähe eines Menschen zu spüren und dabei war mir Tatsache, dass der Schwarzhaarige mir eigentlich wildfremd war, komplett egal.

Der Ältere ließ zu, dass ich mich an ihn kuschelte, warf dann aber einen Blick auf die Küchenuhr. "Ich muss langsam los, mein Freund erwartet mich." Verständnisvoll nickte ich. "Ja, klar dann geh ruhig. Aber Tae?" Er sah mich fragend an. "Meine Tür steht jederzeit offen für dich. Ich... mag dich", gab ich zu. Er lächelte. "Danke, Kookie."

Ich begleitete ihn zur Tür. "Tschüss. Pass gut auf dich auf, und iss bitte mehr", murmelte ich leise zum Abschied. "Ich versuchs." Er zog sich seine Schuhe an und wich meinem Blick aus. "Auf Wiedersehen." Er öffnete die Wohnungstür und ging. Ich hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und drehte mich seufzend weg, bevor ich mich auf den Weg in die Küche machte, wo ich das dreckige Geschirr spülte und die Pizzareste in den Kühlschrank stellte.

Was sollte ich jetzt machen? Es war Wochenende, ich musste nicht arbeiten gehen... Ich beschloss mal wieder einzukaufen. Yuki brauchte sowieso dringend neues Katzenfutter.

Die Schiebetüren des Supermarktes öffneten sich vor mir und ich betrat den Laden mit einem Einkaufswagen. Wahllos griff ich nach irgendwelchen Lebensmitteln, die lecker aussahen, bevor ich in die Getränkeabteilung ging. Gerade überlegte ich, ob ich mir ein Fläschchen Sekt oder Hugo gönnen sollte, da stolperte jemand gegen mich.

Eine Flasche Rotwein wurde aus dem Regal mitgerissen und zerschellte auf dem Boden, als ich überrumpelt zurückwich. Ein großer junger Mann mit lila gefärbten Haaren stand mit zerknirschter Miene vor mir und betrachtete die Sauerei. Auf dem Boden war eine riesige rote Pfütze, in der Glasscherben herumschwammen und etwas Wein war auch auf meine Jeans gespritzt.

Verärgert sah ich mein Gegenüber an. Meine schöne Hose. Ich hatte sie erst vor wenigen Wochen gekauft. "Entschuldigung", stotterte der Lilahaarige und sah mich so geknickt an, dass ich die Schimpftirade, die ich ihm eigentlich hatte halten wollen, herunterschluckte und stattdessen abwinkte. "Schon gut, kann Jedem passieren."

"Nein das ist gar nicht gut, ich bin so ein Tollpatsch", jammerte er. "Natürlich werde ich dir deine Hose ersetzen." Er wirkte wie ein kleines Häufchen Elend und sackte noch mehr in sich zusammen, als Jemand neben ihn trat." "Kim Namjoon", schimpfte der Braunhaarige, der das Häufchen Elend wohl zu kennen schien." "Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mehr auf deine Bewegungen und deine Umgebung achten sollst? Immer zerstörst du alles."

"Tut mir leid, Jin", murmelte Namjoon kleinlaut. "Ich habe ihm schon gesagt, dass ich die Hose ersetzen werde." Ich beobachtete etwas irritiert das Spektakel, bevor ich einwarf: "Nicht nötig. Wirklich, es macht mir nichts, dass die Hose versaut ist, die war eh schon ,alt." Der Lilahaarige tat mir zu leid, als, dass ich ihm böse sein konnte.

"Dann haben wir eben etwas Anderes bei dir Gut", überlegte der Kleinere der Beiden. Dann zog er eine Visitenkarte aus der Tasche. "Ruf einfach an, wenn du irgendwann mal dringend Hilfe brauchst." Ich lachte und nahm das kleine Kärtchen entgegen. "Okay, mache ich." Dieser Jin nickte mir noch einmal freundlich zu, dann packte er Namjoon am Ohr und zog ihn mit sich.

Kopfschüttelnd griff ich nach einer Flasche Hugo, bevor ich weiter zur Tierabteilung ging. Die Beiden hatten wohl irgendwie einen Vogel. Aber sympathisch wirkten sie trotzdem. Ich legte das Katzenfutter zu den restlichen Sachen in den Einkaufswagen, bevor ich beschloss, dass ich genug Lebensmittel hatte, um die nächste Woche damit auszukommen.

Also bezahlte ich und schleppte die Sachen mit Müh und Not nach Hause. Yuki begrüßte mich dieses Mal nicht, als ich die Wohnung betrat. Sie war wohl noch satt von ihrem Frühstück. Ich räumte die eingekauften Sachen ein und wechselte meine Hose, bevor ich beschloss noch ein wenig spazieren zu gehen.

Also schlenderte ich gemütlich durch den Park, als ich auf einmal aufgehalten wurde. "Du, hey du. Junge mit den dunkelbraunen Haaren!" Genervt und verwirrt drehte ich mich um und sah den schrägen Typen von vorhin auf mich zu rennen. Namjoon. "Ja, was ist?", bemühte ich mich freundlich zu bleiben. Er kam keuchend vor mir zu Stehen. "Ich wollte mich nochmal entschuldigen, wegen vorhin. Leider bin ich ein echt tollpatschiger Mensch und schaffe es immer wieder Sachen kaputt zu machen, oder einzusauen." Ich winkte ab. "Kein Ding."

Der Lilahaarige lächelte. "Du scheinst echt ein cooler Typ zu sein." Nein. Normalerweise war ich das ganz und gar nicht. "Wie heißt du?" Darauf hoffend, dass er mich gleich in Ruhe weiterspazieren lassen würde, nannte ich ihm tatsächlich meinen Namen. "Jungkook. Jeon Jungkook." Mein Gegenüber streckte mir die Hand entgegen. "Freut mich. Ich bin Kim Namjoon." "Ich weiß", sagte ich und ergriff seine Hand, um sie kurz zu schütteln.

"Deine Begleitung hat deinen Namen schließlich halb durch den Laden gebrüllt", fügte ich trocken hinzu. Er lachte. "Ja, mein Verlobter kriegt manchmal echt die Kriese mit mir, also kann man es ihm nicht übel nehmen." Ich setzte mich langsam wieder in Bewegung und Namjoon dackelte aufgeregt neben mir her.

Langsam ging mir seine Präsenz wirklich auf den Geist, trotzdem hielt ich krampfhaft mein falsches Lächeln aufrecht. "Ich muss langsam wieder nach Hause", gab ich zu und war mehr als erleichtert, als der Lilahaarige meinen Wink mit dem Zaunpfahl verstand. "Oh, ich muss auch wieder los, ich habe Jin noch versprochen mit ihm zusammen zu kochen. Aber lass uns vorher noch Nummern tauschen, ja?"

Genervt nahm ich sein Handy entgegen, wo ich mit wenigen Tastenklicken meine Nummer einspeicherte. Dann machte ich mich vom Acker. "Machs gut, Namjoon", rief ich noch über meine Schulter, bevor ich mit eiligen Schritten den Parkweg entlang in Richtung meiner Wohnung lief. Endlich hatte ich wieder meine Ruhe. Warum waren Menschen auch immer so anstrengend und laberten einen stundenlang zu, wenn man einmal nett zu ihnen war?

Ich sollte schleunigst wieder zu meiner abweisenden Haltung zurückkehren, sonst würde ich von einer ganzen Horde Menschen belagert werden. Bei dem Gedanken keinen Raum und keine Zeit mehr für mich selber zu haben, schüttelte ich mich innerlich. Der Umgang mit Menschen war wirklich nicht mein Ding. Und Bindungen aufbauen erst Recht nicht.

Gerade, als ich meine Wohnung erreichte, gab mein Handy einen Nachrichtenton von sich. Ich zog es aus der Tasche, um auf das Display zu sehen, auf dem eine Nachricht aufleuchtete:

Unbekannte Nummer:

Hallo, hier ist
Namjoon ;) Jetzt
hast du meine Nummer
auch und kannst
sie einspeichern
1:24 pm

Seufzend starrte ich auf den Bildschirm und hoffte, dass die Nachricht sich auflösen würde. Dass ich mir das alles nur eingebildet hatte. Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen? Genervt steckte ich mein Handy zurück in meine Jackentasche, bevor ich die Tür meiner Wohnung aufschloss und in den Flur trat. Dann schloss ich die Augen und atmete einmal tief durch, bevor ich mein Handy wieder hervorkramte und eine Nachricht eingab.

Me:

Hallo, Namjoon.
1:26 pm

Ich drückte auf Senden und bereute es in der gleichen Sekunde. Doch es war zu spät etwas daran zu ändern, denn zwei blaue Häkchen tauchten hinter meiner Nachricht auf. Na das konnte ja heiter werden.

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