》• Zweites Kapitel •《

,,Ich bin so froh, dass du jetzt endlich entlassen wurdest. Die wollten dich ja gar nicht mehr gehen lassen.", sagte Dad während er meine Tasche mit Leichtigkeit trug.

Ich stimmte nickend zu, da ich gerade nicht wirklich an einem Gespräch interessiert war.

Es war das erste Mal seit Wochen, dass ich mal so richtig rauskam. Natürlich war ich im Krankenhaus nicht eingesperrt worden, aber es war schön, mal wieder etwas anderes als lange Flure, weiße Wände und das nicht gerade aufregende Krankenhausgelände zu sehen.

Es war noch ziemlich hell für Oktober um diese Uhrzeit, dafür war es umso kälter und doch strich die Wärme der Sonne über mein Gesicht.

Es war recht leer auf der Straße, nur das Rauschen der Autos und das Zwitschern von ein paar letzten Vögeln, die noch in den Süden flogen, war zu hören.

Große alte Bäume eingetaucht in ein Meer aus rot - braunen, zum Teil fast schon goldenen Blättern zogen sich durch die Allee, in die wir einbogen. Es sah wunderschön aus. ,,Königsallee" stand auf dem etwas schräg stehenden Straßenschild. Auf den zweiten Blick ein fast schon melancholischer Name, wenn man sich die runter gerockten Häuser daneben anschaute.

Es war die Sorte von Häusern, bei der man dachte, sie wären schon längst verlassen worden. Schiefe Rollläden, ungelesene Zeitung und abblätternder Putz.

Dass dort niemand mehr wohnte, stimmte jedoch in den wenigsten Fällen, denn eines Tages sah man dann doch noch jemanden hineingehen.

Der Wind wirbelte ein paar Blätter umher. Mom ging zügig einige Schritte vor mir. Die Straße hatte ihre besten Zeiten wohl schon lange hinter sich gelassen. Das einzige, was noch strahlte, waren die Kastanienbäume.

Ich liebte Alleen, sie gaben einem immer das Gefühl, als wären sie unendlich oder der Weg in eine magische Welt. Doch leider stimmte das nicht, jede Allee hat ein Ende, wie jede andere Straße auch und dieses hatten wir jetzt auch fast erreicht. Es sah etwas trostlos aus, die letzten paar Bäume, die versuchten, die Wirklichkeit fernzuhalten, waren bei weitem nicht so glanzvoll wie der Rest.

Dadurch bemerkte ich vermutlich auch jetzt erst die Autos am Straßenrand, die unter den Blättern fast versunken zu sein schien. Dads Schritte wurden nun auch schneller, ich hatte fast schon Mühe mitzukommen. Anscheinend waren wir bald da. Eines der vor mir liegenden Autos musste das meine Eltern sein. Welches war es wohl?

Wir gingen noch ein Stück bis ich das Klicken eines sich öffnenden Autos hörte. Das Geräusch war anders, als die, die ich kannte, und dennoch wusste ich, dass es zum Auto meines Vaters gehörte. Meine Augen weiteten sich auf der Suche nach einem aufblinkenden Auto. Ich schnappte nach Luft, als ich sah, welches Auto sich geöffnet hatte.

Es war ein pechschwarzer Oldtimer, sauber poliert und ohne einen einzigen Kratzer. Mein Vater verstaute meine Tasche. Meine Mutter setzte sich auf den Beifahrersitz als wäre dieses Auto das normalste der Welt.

Ich stand wie angewurzelt davor. Mein Vater kam zu mir und öffnete mir die Tür. Langsam ließ ich mich ins Auto fallen, Vater setzte sich ebenfalls. Es roch nach Leder und dem rosigen Parfüm meiner Mutter. Es schien ein wunderschön hergerichteter Wagen zu sein. Mein Vater drehte den Schlüssel, der Motor brummte gefährlich auf. Vater begann, breit zu lächeln. „So muss sich das anhören, Livia," erklärte er mir.

Mein Vater war herzlich, aber auch autoritär. Das war eine gute Mischung meiner Meinung nach. Dennoch war mir aufgefallen, dass Dad sehr oft während der Besuche telefoniert hatte, anscheinend war er sehr beschäftigt. Worum es ging, sagte er aber nie, er schien generell nicht gerne über seine Arbeit zu reden.

Ich schaute aus dem Fenster, wir waren bereits aus der Stadt gefahren. Die Felder waren leer, das Korn abgeerntet. Große Bäume erstreckten sich kilometerweit am Rande der Straße, Bäume, die fast noch majestätischer aussahen als die aus der Königsallee. Die Bäume sahen alt aus. Wie lange sie wohl schon hier standen? Tag für Tag an derselben Stelle und immer die gleichen Autos auf der gleichen Straße vorbeirauschen sahen. Ziemlich trostlos, wenn man so darüber nachdachte. Friedlich zogen die bunten Bäume an uns vorbei und zogen meine Gedankenspiele mit sich.

,,Siehst du das Schloss da vorne zwischen den Bäumen?", fragte Mutter.

,,Ja?", antwortete ich mit einer gewissen Neugierde, es gab schließlich nicht vielmehr um uns herum.

,,Wir sind gleich da." , sagte Dad.

Ich war froh, dass er das gesagt hatte, denn auch wenn ich das schon seit der Minute, in der wir losgefahren waren, wissen wollte, hatte ich mich nicht getraut zu fragen.

Mutter fuhr fort:,, Kannst du dich noch erinnern?"

Ich schwieg einen Moment und gab dann ein zustimmendes,,Mhm" von mir, obwohl ich es eigentlich nicht mehr wusste. Ich wollte Mutter nicht traurig machen, dieser Moment, dieses zufriedene Lächeln wollte ich ihr nicht nehmen.

Es schien mir so, als ob wir geradewegs auf das Schloss zusteuerten.
Doch als wir dann durch ein riesiges Tor mit großem Löwenkopf fuhren, war ich mir nicht mehr sicher, ob das die Realität war.

Das Schloss was in der Ferne noch so romantisch und hübsch wirkte, erschien mir jetzt gigantisch. Vier Türme ragten in den Himmel, dazwischen große Fenster und eine Veranda aus blankem weißen Stein.

Hinter uns schloss sich langsam das elektronische Tor und damit auch langsam mein Mund, aus dem vor Erstaunen fast das Wasser lief.

Mein Vater fuhr nur einige Meter an der Veranda vorbei, so als wollte er mir das Schloss absichtlich präsentieren. Dann bog er nach rechts ab, in eine Denise aus vier überdachten Steinsäulen, die im Barockstil Kriegsfiguren und Götter darstellten, verziert mit Moos und Efeu.

Wir stiegen aus, mein Vater hielt die Tasche aus dem Auto, sie schien jetzt nicht mehr so leicht wie zuvor zu sein. Wieder das Klicken des Autoschlüssels. Mein Vater ging mit langsamen, schweren und meine Mutter mit langen eleganten Schritten zur gigantischen Eingangstür.

Meine Mutter war wohl eine der elegantesten aber auch kühlsten Frauen, die ich kannte. Als Außenstehender würde man das nie vermuten, doch ihre Liebe und Fürsorge schien nur Show zu sein. Show, damit sie die perfekte Mutter war.

Eins musste man ihr jedoch lassen, während andere 40-jährige Mütter den Sport schon lange aufgegeben hatten, hatte meine Mutter noch den Körper eines Teenagers.

Mit jedem vergangenen Tag war ich meinem Vater näher gekommen und hatte mich von meiner Mutter weiter entfernt. Mein Vater schien so ziemlich das Gegenteil von meiner Mutter zu sein, warmherzig, aber nicht unbedingt elegant. Dennoch schienen sie eine gewisse Verbindung zu haben.

Meine Mutter atmete lautstark Luft aus, als sie die riesige Eingangstür öffnete. Es war unglaublich. Wir standen in einem Raum, der fasst doppelt so groß wie zwei Klassenzimmer und bestimmt 6 oder 7 Meter hoch war. Die Decke bestand aus einem handgemalten Barockbild mit Engeln, Wolken und kleinen Blumen. In der Mitte des Raumes standen zwei dunkelbraune edle Ledersofas, dazwischen ein Glaskaffeetisch mit Kerzen, Holzfiguren und einem Tulpenstrauß, welcher komischerweise identisch mit dem aus dem Krankenhaus zu sein schien. An der linken Seite war ein Marmorkamin mit golden Streifen am Rand. Überall waren Bilderrahmen, Marmorfiguren und Kerzen. Durch eine Front aus raumhohen Fenstern hatte man freien Blick über den Wald ins Tal. Es war ein altes Schloss, vermutlich schon aus der Barockzeit, vermutlich renoviert.

,,Klick" meine Mutter knipste eine der zwei Tischlampen, die jeweils auf den Beistelltischen neben den Sofas standen, an.

,,Komm Livia, ich zeig dir das Schloss.", sagte Dad, während er die Tasche abstelle.

Eine dunkelhaarige, zarte Frau mit schwarzem Kleid und Schürze betrat das Wohnzimmer durch eine der Durchgänge an der Seite.

,,Guten Tag Mrs. Adair.", sagte sie während sie mit zielstrebigen Schritten auf uns zukam- oder vielmehr auf mich.

Sie legte mir lächelnd ihre Hand auf meine rechte Schulter, nachdem sie sich innerlich überlegt zu haben schien, dass eine Umarmung zu viel gewesen wäre, was mir, ehrlich gesagt, ganz recht war. Ich war es nämlich leid ständig von "fremden" Leuten umarmt zu werden, auch wenn sie nichts dafür konnten.

,,Schön, dass du wieder da bist, Livia. Das Schloss war ganz schön ruhig ohne dich.", raunte sie mir zu, da sie anscheinend nicht wollte, dass Mutter, die etwa zwei Meter weg stand, es hörte.

,,Katlyn haben sie Livias Zimmer hergerichtet?", fragte Mutter kritisch.

Entweder sie hatte gehört, was Katlyn gesagt hatte, und es passte ihr nicht oder sie war immer so. Das konnte ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wirklich sagen. Meine Tendenz ging jedoch eher zum zweiten.

,,Ja Madame.", antwortete sie knapp.

Ohne ein Zeichen von Dankbarkeit und ohne Katlyn überhaupt anzuschauen, da sie zu beschäftigt war, sich im Spiegel über dem Kamin herzurichten, fragte sie mit einer gewissen Anspruchshaltung:,,Wann wird das Essen fertig sein? Livia ist sicher hungrig."

Als sie fertig war, warf sie mir einen Blick zu, der anscheinend darauf abzielte, dass ich ihr zustimmte, doch das tat ich nicht. Als Mutter das wenig später auch bemerkte, warf sie mir noch ein falsches Lächeln zu und wendete ihren Blick wieder dem Spiegel zu.

,,Das Essen ist bald fertig, ich werde ihnen Bescheid sagen.", unterbrach Kathlyn die Stille und verließ ebenso schnell, wie sie gekommen war, auch wieder den Raum.

Kathlyn tat mir etwas leid, doch es schien mir so, als wäre sie schon daran gewöhnt, also beließ ich es dabei und folgte Dad, der nur darauf aus zu sein schien mir das Schloss zu zeigen.

Dad war ein Gentalman, er hatte darauf bestanden, meine Tasche zu tragen, obwohl sie sichtlich etwas zu schwer für ihn war. Er führte mich eine Holztreppe hoch, deren lackiertes Eichenholz den Anschein erweckte, sie sei neu, obwohl sie in Wahrheit vermutlich schon sehr alt war. Ohne die Tasche abzustellen oder nur einen Blick nach hinten oder zur Seite zu verschwenden, ging Dad auf die nächste Treppe zu.

,,Ich zeige dir erst dein Zimmer, den Rest kannst du dir später ansehen. In diesem Stock schlafen deine Mutter und ich."

Der erste Stock war kaum kleiner als das Erdgeschoss und stellte ebenfalls eine Art Wohnzimmer dar, aber ein gemütlicheres. Eine große beige Stoffcouch und die dazu passenden Sessel standen auf einem alten Teppich in der Mitte des Raums daneben, unter der Treppe in den dritten Stock war eine gigantische Bücherwand aus demselben Holz wie bei der Treppe integriert. Darin standen Bücher, die älter aussahen, als das Schloss selbst. Und dann waren da noch die Türen, eine Menge Türen, allesamt geschlossen. Eine musste ins Schlafzimmer meiner Eltern führen, aber was war mit den anderen?

Ich wollte am liebsten alle öffnen und mich umschauen, doch stattdessen folgte ich Dad brav mit leichten Schritten die Treppe in den dritten Stock hinauf. Dad stellte die Tasche endlich ab-Aufatmen.

,,Danke, Dad.", murmelte ich bevor ich meine Tasche hochhob.

Ich merkte, dass ich jetzt wieder viel mehr Kraft als direkt nach meinen Erwachen hatte. Dad schaute mich überrascht an.

,,Was ist los?", fragte ich irritiert.

Er lächelte. ,,Nichts Prinzessin, alles gut. Kathyn wird dich dann zum Essen rufen."

Ich war mir nicht sicher, ob es sein beruhigendes Lächeln oder mein Vertrauen in ihn war, was mich nicht weiter nachfragen ließ.

Er schleppte sich über die knarzende Treppe wieder hinunter, ohne eine Antwort von mir abzuwarten und verschwand aus meinem Sichtfeld.

Ich schaute mich ungläubig um. Ich stand in einem viereckigen Raum, neben der Treppe stand ein Billardtisch mit einem perfekt liegenden Dreieck. An der Wand daneben hingen die dazugehörigen Stöcke und daneben war wiederum eine Tür. Insgesamt waren es drei Türen, die aus dem Raum führten.

Ich öffnete zuerst die, neben der ich praktisch schon stand. Es war ein Dachbodenzimmer oder eher ein Turmzimmer - mein Turmzimmer.

Ebenfalls wie auch die anderen Zimmer hatte es eine ungewöhnlich hohe Decke in weiß, verziert mit goldenen Elementen. Mein Blick fiel sofort auf ein bestimmt zwei Meter breites, weißes Himmelbett mit weißen seidenen Vorhängen, auf dem drei ordentlich aufgestellte Kissenreihen und eine penibelst glattgestrichene Bettwäsche war.

Daneben stand eine antike Nachttischlampe auf einem hell beigen geschnörkelten Nachttisch. Links vom Bett befand sich ein filigraner Schreibtisch mit drei kleinen Fächern und ein im selben Stil gehaltener Schreibtischstuhl mit beigem Polster, von welchem man durch ein großes, von seidig leichtem Stoff verhängten Fenster direkt in den Englischen Garten schauen konnte.

Ich griff nach dem Scheibentelefon und begann an der Scheibe zu drehen.

Man hörte tatsächlich ein klingeln, es schien noch zu funktionieren.

Daneben standen einige Kerzen, ein Schmuckteller mit Goldschmuck und ein Stapel aus Fashionbüchern. Sie schienen aber eher zur Deko als zum Lesen da zu sein, aber wir hatten ja genug im ersten Stock. Ausräumen konnte ich später...

...

,,Also gefällt dir dein Zimmer?", fragte Dad schmunzelnd, obwohl er die Antwort natürlich schon kannte.

,,Ja, das Zimmer ist toll und das Ankleidezimmer erst... , aber vor allem das Badezimmer...es ist alles unglaublich.", antwortete ich begeistert.

Das Badezimmer hatte es mir besonders angetan, Eine cremeweiße Badewanne, mit Marmoroberfläche und einem Spiegel direkt an der Wand daneben. Überall waren stilistisch passende Dekorationen. Ich konnte mir schon bildlich vorstellen, wie ich im Kerzenschein ein Bad nehmen würde.

Ich nippte gerade an meinem Wasserglas und schob mir dann ein Stück Salzkartoffel in den Mund, als Mom das Thema wechselte:,,Wann geht Livia denn wieder in die Schule?"

Sie hatte eindeutig meinen Vater gefragt und dennoch mich angeschaut, also war ich mir nicht sicher, ob die Frage indirekt auch an mich gerichtet war.

An die Schule hatte ich bis jetzt noch überhaupt nicht gedacht...

,,In ein bis zwei Tagen sind doch sowieso Herbstferien, wenn ich mich nicht täusche und danach kann sie doch wieder gehen.", schlug Dad vor.

,,Sicher, das wird das Beste sein. Nicht Livia?", sagte sie mir einem mehr oder weniger freundlichen Lächeln, was mir verriet, dass es ihr am liebsten gewesen wäre, wenn ich direkt weg gewesen wäre.

Mir war es aber sehr recht so wie Dad es entschieden hatte. Ich fühlte mich jetzt schon etwas überfordert, auch ohne neue Schule....

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