15. GNADE DES BARMHERZIGEN

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— GNADE DES BARMHERZIGEN —

1930 | MOSKAU, RUSSLAND — Der Dezember, war wie immer sehr kalt und verschneit. Alles färbte sich in weißem Glanz, die Natur war wunderschön, still und ruhig. Tiere, Gewässer und Pflanzen verschliefen die kalten Nächte, während der Winter tobte, atmete und arbeitete, sodass sich alles Leben ausruhen konnte.

In gewisser Weise, beschützte der Winter sie. Er schützte sie, mit Schnee und Ruhe, so wie es die Natur vorgesehen hatte. Der Winter hatte ein Herz, auch wenn er eiskalt war und keiner ihn mochte. Die Menschen waren undankbar, hassten den Winter und beschwerten sich ständig über die Kälte und den Kummer, den er mit sich schleppte.

Auch Elisabeth Barnes hasste den Winter.

Sie hatte weder Interesse an der Kälte, noch an seine vielen Opfer. Tausende von Menschen starben jedes Jahr, weil sie sich nicht genug, vor seiner gewaltigen Kälte schützen konnten. Ihnen fehlte das Geld, aufgrund der Ernte, die zerstört durch ihn wurde. Sie konnten sich weder Medikamente, noch warme Kleidung leisten. Sowas wie eine Heizung oder ein Kamin, war reine Luxussache.

Einen Schneemann zu bauen, war zwar schön und gut. Doch sie würde sich niemals, aufrichtig auf den Winter freuen. Mittlerweile, war sie vierzehn und kümmerte sich um andere Dinge, als einen Schneemann zu bauen. Sie wollte Menschen helfen, sie wollte gutes in der Welt bewirken. Vielleicht eines Tages sogar bei der Army mithelfen...

Doch heute war sie gezwungen, sich ihrem Vater und ihrem Bruder bei einem Ausflug in die Wälder anzuschließen. Anfangs, dachte das Mädchen sie würden sich nur auf eine ganz normale Wanderung begeben, so wie sie es fast jeden Winter taten. Heute aber, war alles anders.

Mehrere Stunden musste Elisabeth, in dieser fürchterlichen Kälte durch den Wald herum stapfen, sich das Gemecker von James anhören und ihrem Vater vorspielen, sie hätte tatsächlich Spaß auf diesem Trip.

Der Wald war wunderschön, keine Frage. Doch es war einfach zu kalt und zu anstrengend, vielleicht sogar gefährlich ihrer Meinung nach. Zu viel Eis, zu viel Schnee.

Elisabeth's blaue Augen studierten permanent den verschneiten Boden, während James und ihr Vater die Ferne beobachteten.

Manchmal, war sie eifersüchtig auf ihren Bruder. Es war eindeutig, dass er der Liebling ihres Vaters war. Ein perfekter zukünftiger Soldat, würde er sagen und James gefiel, dieser Gedanke genauso.

Doch sobald es zu Elisabeth kam, war ihr Vater sehr überfürsorglich was sie betraf. Er wollte, dass sie später mal etwas großes leisten würde. Er wollte, dass sie zu einer Anführerin heranwächst. Sie sollte nicht in Kriegen kämpfen, sondern sie versuchen aufzuhalten. Er wollte, dass sie ihren Kopf und Herz einsetzte.

Wir erziehen unsere Söhne zu Soldaten.
Und unsere Töchter zu Anführerinnen.

Elisabeth gefiel der Gedanke, eine Anführerin zu sein. Doch zu diesem Zeitpunkt, wusste sie noch nicht, ob sie dem gerecht werden könnte. Mit Herz und Verstand, würde ihr Vater sie gelegentlich erinnern. Und sie machte es sich zum Ziel, seinen Worten zu folgen.

Als sie tiefer durch den Wald stampften, hätte Elisabeth schwören können, plötzlich ein merkwürdiges Geräusch gehört zu haben. Doch es waren keine Vögel oder andere Tiere des Waldes, sondern eher eine art Melodie. Ein Klang, so schön wie Sirenengesang aus den Märchen, die ihre Mutter ihr als Kind vorgelesen hatte.

Sie blieb stehen, drehte sich um und suchte vergebens nach der Geräuschquelle. Es mussten die Bäume sein und der Wind der durch sie hindurch blies, schaltete sie sich. Doch dann bemerkte sie gar nicht, wie diese Melodie sie in ihren Trance verschleppte. Es war als würde sie, das Mädchen zu sich rufen.

Sie studierte den Boden unter sich und entdeckte eigenartige Abdrücke. Es war eine art Hufabdruck, in der Mitte gespalten, doch der untere Teil hatte etwas eigenartiges an sich. Unterhalb, befand sich eine art Stern oder Schneeflocken Symbol. Kein Tier der Welt, hatte solche Spuren.

Dann hörte sie das gleichmäßige Geräusch von, was sie glaubte Hufe zu sein, doch kein Tier war in der Nähe. Sie wollte schon einen Schritt vom Weg gehen, der Stimme folgen aber James stoppte sie und zog sie wieder mit sich.

„Alles okay?" Fragte er, als sie seinen Arm um ihren Rücken spürte, der sie umdrehte. „Hast du das nicht gehört?" Antwortete sie verwirrt und ließ sich von ihrem Zwilling zu ihrem Vater schleppen. Sie blickte in den Schnee, doch die Spuren die sie noch vor wenigen Sekunden dachte gesehen zu haben, waren wie vom Winde verweht. „Was gehört?" Fragte er stirnrunzelnd.

„Elly, hast du wieder geträumt, mein Kind?" Fragte ihr Vater und musterte besorgt sein Kind, als er ihren Schal am Halse richtete, damit sie nicht noch an der Kälte Erfror. „Ja, der Wald ist echt toll." Seufzte sie, immer noch nachdenklich über die Stimme.

Er strich ihr über die Wange, lächelte über die Verträumtheit seines kleinen Mädchens. Vielleicht hatte sie es sich, doch nur eingebildet. Der Winter, spielt mit deinem Verstand, schaltete sie sich.

Die drei kamen schließlich zu einem Halt, bei einem Hügel und sie ließen sich dort auf einer warmen Decke nieder. Elisabeth, wollte einfach nach Hause. Schon mehrere Male, war sie in diesem Wald gewesen, aber mittlerweile oder besser gesagt heute, fühlte sie sich unwohl unter seinen verschneiten Tannen. Es war dieses Geräusch, es musste damit zutun haben, dachte sie.

Der Vater, öffnete die riesige Tasche, die er die ganze Zeit über auf dem getragen hatte und enthüllte ein Gewehr, mit braunem Griff. James Augen glitzerten vor Neugier, Elisabeth wurde bleich wie Schnee. Ihr Magen verknotete sich, sobald sie die Waffe zu Gesicht bekam.

Er wollte ihnen zeigen, wie sie zu schießen haben. Es sollte sie auf den Krieg vorbereiten, sie mussten wissen, was auf sie zukommen würde. Sie mussten auf Hunger, Kälte, Feind und den Winter vorbereitet sein, alles was ihnen das Schicksal vor die Füße verwerfen würde.

Elisabeth zuckte zusammen, als sie das klackende Geräusch hörte, sobald ihr Vater das Gewehr mit Munition auffüllte. Es war falsch, schüttelte sie ihren Kopf. Sie waren noch zu jung, für das töten.

James wiederum, starrte mit einem gewissen Maß an Interesse, zu seinem Vater hinauf. Der perfekte Soldat, bemerkte sie. Und wie er es erhofft hatte, durfte er die Waffe als erstes führen.

Die drei lagen auf ihren Bäuchen, das Gewehr mittig auf einem Zweibein, das James bewachte. Elly lag links, neben ihrem Bruder und Rechts von ihm gab sein Vater ihm etwas Hilfe.

Auf was für ein Tier warteten sie überhaupt, fragte sie sich und starrte durch die weiße Gegend. Sie war sich ziemlich sicher, dass James schonmal mit einem Gewehr geübt hatte, doch noch nie hatte er es mit lebendigen Zielscheiben zutun.

Elly bettelte mehrmals, nach Hause umzukehren, da sie die Stille, langweile und Kälte nicht mehr aushielt, aber dann erklang die sanfte Melodie in ihren Ohren wieder.

Dann hörte sie das Hufgetrappel und fühlte sich verpflichtet zu bleiben, dem Klang weiter zu horchen.

„James, hast du das gehört?" Flüsterte das Mädchen, als sie sich gegen seine Schulter lehnte. „Ja, ein Rascheln." Nickte er, genau wie sein Vater. „Nein, die Melodie." Schüttelte sie ihren Kopf. „Fängst du jetzt schon wieder damit an?"

Sie wollte nach Hause. Sie spürte, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Als würden sie etwas stören...

„Leise ihr zwei!" Flüsterte ihr Vater, als er etwas zwischen den Tannen vor ihnen erhaschte. Zuerst sah sie die Hufe, welche von dicken weißem Fell bedeckt waren. Dann den riesigen Körper, der Kreatur und schließlich die Krone auf seinem Kopf, ein riesiges verzweigtes Geweih.

Die Schnauze des, Tiers atmete feinen Eishauch aus, während es sich langsam durch die Bäume mehrere Meter vor ihnen fortbewegte. Es war ein Hirsch, vielleicht auch ein Rentier, doch es wirkte so anmutig wie ein Pferd.

Noch nie hatte Elisabeth so ein schönes Tier, wie dieses zu Gesicht bekommen, es wirkte beinah wie ein erfundenes Fabelwesen. Sein Fell war sehr dick und glänzend, sie war sich sicher, es würde sich auch warm anfühlen. Doch sein Geweih, war am bezauberndsten, ließ ihn wie ein König wirken. Aber im Wahrheit, war seine Krone seine Waffe.

Elisabeth bemerkte, wie ihr Vater James ein Zeichen gab und er sich bereitmachte. In wenigen Augenblicken, würde sie den Schrei des Tiers hören, welches den weißen Schnee mit rot beflecken würde. Es würde in kalten Winde ausbluten und den Winter anbeten, ihn schnell sterben zu lassen. Seine Herde würde ihn suchen, würden aber nur das Blut riechen.

James nahm einen tiefen Atemzug und bewegte den Finger auf dem Abzug. Bevor aber, ein einziger Tropfen Blut vergossen wurde, riss Elisabeth mit ihren Händen, das Gewehr in ihre Richtung, sodass er verfehlte.

Der Knall ertönte, dicht gefolgt vom Duft des Schießpulver welcher in ihre Nase aufstieg. Der Hirsch blickte in ihre braunen Augen. Und für einen kurzen Moment, dachte sie er würde in ihre Seele starren und ihr danken. Alles um sie herum, wurde immer kälter und weißer. Es war, als gäbe es nur sie und den Hirsch.

Noch bevor ein weiterer Schuss fallen konnte, verschwand der Hirsch und galoppierte tiefer und tiefer zurück in den Wald, bis man nichts außer weißen Schnee mehr sah.

„Was soll das?!" Fragte James wütend. „Wieso musstest du alles ruinieren?" Warf er ihr an den Kopf, sagte auch noch andere Sachen. Auch ihr Vater war enttäuscht von ihr, hatte mehr von ihr erwartet.

Doch es war ihr alles egal. Denn sie wusste, dass es richtig war, als sie die Melodie nun zum allerletzten Mal in ihren Ohren hörte, als der Winter ihr durchs Gesicht blies...

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