Kapitel 9. Rache
~ 15. Mond ~
Eibenfluchs Schritte wurden kräftiger. Ihre Atemzüge tiefer. Sie spürte, wie die Kiefern um sie herum erwartungsvoll den Atem anhielten, ihre Lunge mit dem Duft nach Nadeln und Harz füllten und sich eine tiefe Ruhe in ihr breitmachte.
Keine bleibende Ruhe, gewiss nicht.
Doch es war die Ruhe vor dem Sturm. Eine Ruhe, die sich über ihre Züge legte und im Kontrast zu ihren hell funkelnden Augen stand. In ihren Augen konnte das lodernde Feuer gesehen werden. Die Flammen, die gierig in ihrem Inneren züngelten und darum bettelten, freigesetzt zu werden, verschlingen zu dürfen und manisch zu wüten.
Doch noch beherrschte Eibenfluch die Ruhe und die Kälte, geschmeidig lief sie hinter den Katzen, die sich auf ein warmes Nest, eine entspannte Nacht freuten. Das Feuer brannte gleißender, ihre heißen Finger griffen nach ihrem Herzen, das vor Kälte ganz hart war.
Das SchattenClan-Lager tauchte zwischen den Kiefern und Tannen auf. Nadeln bohrten sich ihr in die Ballen.
Die Kälte überzog das heiße Feuer mit Frost, ließ es erkalten und beinahe erlöschen.
Eibenfluch sah, wie sich Nadelfalls boshafte Augen mit den gerissenen von Fuchsflug trafen. Die beiden Kätzinnen warfen einen flüchtigen Blick zurück, auf Eibenfluch, die Schnauzen gehässig und spöttelnd verzogen, 'Dreckpfote', schienen sie zu rufen und zu flüstern, wie früher.
Wie früher.
Das Feuer erwachte zischend zum Leben, doch dieses Mal war es eiskalt und tödlich. Nicht mehr rasend und kopflos, sondern berechnend und vergeltend. Es dürstete sie nach Rache, sie wollte diesen Schmerz betäuben und dieses verdammte Verlangen nach Liebe verstummen lassen.
Du wirst hier keine Liebe finden, flüsterte ihr Kopf, während ihr Herz mit den Augen eines einsamen und verlorenen Junges flehte und bettelte. Zuneigung, Freundlichkeit. Ein liebes Wort, ein gut gemeinter Blick.
Doch Eibenfluch wusste auch, dass ihr das nicht mehr genügen würde. In ihrem Inneren war etwas verhungert und das konnte kein Mäusebein, kein Hasenohr an Nettigkeit mehr rückgängig machen. Früher hätte es vielleicht gereicht, ihr Hoffnung gegeben und sie am Leben gehalten, wenn eine Katze ihr hin und wieder Freundlichkeit und Güte gezeigt hätte. Doch nicht mehr heute.
Sie war die Katze aus dem Fuchsbau.
Eibenfluch folgte den SchattenClan-Katzen mit harten Augen ins Lager, auf die Lichtung und sie blieb dort stehen, während sich die Katzen in ihre Nester zurückzogen. Über ihr funkelte ein klarer Sternenhimmel, die Nacht war kühl und ein seichter Wind fuhr ihr durch das dunkle Fell.
Sie blickte sich um. Schaute, ob es etwas gab, das sich lohnte, verschont zu werden.
Da waren Nadelfall und Fuchsflug. Sie trafen sich vor dem Kriegerbau mit Rotpelz, der sich gähnend streckte. Sie tauschten ein paar Worte aus, ein verstohlener Blick zu Eibenfluch.
"Vielleicht sollten wir dich eher Dreckjunges nennen?"
"Oder Dummjunges. Dämlichjunges klingt auch nicht schlecht."
"Was wäre mit Bescheuertjunges?"
"Au ja! Bescheuertjunges; weil du so bescheuert bist. Ich meine, sieh dich an, Bescheuertjunges."
Die Flammen leckten hungrig, verlangend.
Da war ihr Vater, Eschenstern, der einen Abstecher zum Frischbeutehaufen machte, bevor er sich hinlegen würde.
Du hast dem SchattenClan seit deinen Anfängen nur Leid, Schande und Ärger gebracht.
Da war Schattensee, in deren Augen immer nur Verachtung und Abneigung gestanden hatte.
Rattenschweif und Kleinnarbe, die so oft dabei zugeschaut hatten, wie sie erniedrigt und beleidigt wurde und dabei nie eine Pfote gerührt hatten.
Gelbgesicht, dieses alte Fuchsherz, die Liebe weder kannte noch wollte und lieber dem Hass zusprach.
Dornenzunge, die sie letztendlich allein gelassen hatte. Denn auch sie wurde von dunklen Geistern heimgesucht und von Hass zerfressen.
Hass, da war so viel Hass in diesem Clan. Es zerfraß und verschlang alles Gute und ließ nur Hässliches, Finsteres zurück.
Die Liebe verdarb und starb in diesem Clan.
Nachtbeere. Baumjunges. Minzschnee.
In ihren Herzen war das Licht größer als die Dunkelheit, doch überleben konnten sie damit nicht. Eibenfluch hatte überlebt, hatte die Finsternis angenommen und das Licht, das Gute mit ihren Krallen zerfetzt. Und jetzt würde sie diese Finsternis nehmen und mit ihr diesen Clan der Finsternis zerfetzen.
Nadelfall, Fuchsflug und Rotpelz kamen auf sie zu. In ihren Augen stand Bosheit und eine widerliche Vorfreude auf den Schmerz, den sie ihr immer noch zufügen wollten. Noch immer wollten sie sie leiden sehen. Was genau sie ihr antun wollten, war für Eibenfluch nicht von Belang, sie würde es nicht herausfinden.
Das Blut rauschte rasend schnell durch ihre Adern. Ihr war es ganz recht, dass die drei auf sie zukamen. So würde sie mit ihnen anfangen.
Sie ließ die drei näherkommen. Zwei, eine Schwanzlänge waren sie nun entfernt. Fuchsflug wollte ihren Mund öffnen, wollte etwas sagen, die scharfen Fangzähne blitzten im Mondlicht.
Schockiert riss die rotbraune Kätzin die Augen auf. Fassungslos stand sie da, nicht in der Lage, sich zu rühren. Etwas tropfte von ihrer Schnauze herab. Dickes, rotes Blut floss zwischen dem aufgerissenen Fleisch hervor, das wenige Augenblicke zuvor ihre Schnauze gewesen waren.
An Eibenpfotes Krallen hing ein Stück Haut, klebte Blut. Sie gab den drei Katzen einen Moment, um die Situation zu verarbeiten. Dann sprang sie wieder vor und dieses Mal ließ sie die Flammen frei.
Sie verbiss sich in Nadelfalls Ohr, schmiss sich zur Seite und biss noch fester zu, dass die kleine Kätzin schrill und schmerzerfüllt schrie. Rotpelz versuchte, sie wegzureißen, doch Eibenfluch ließ nicht los. Sie mahlte mit dem Kiefer, riss und zog an dem Ohr. Nadelfalls Augen waren aufgerissen, die Pupillen riesig und die Pfoten rasend vor Schmerz.
Mit einem Ruck zog sich Eibenfluch zurück, stieß Nadelfall von sich. Sie spuckte den Hautlappen, der Teil des Ohrs gewesen war, auf den Boden vor sich. Wimmernd kroch Nadelfall fort von ihr, Blut tropfte ihr ins Auge.
Mit drei brutalen Schlägen wehrte sie Rotpelz ab, der sich auf sie stürzen wollte. Keuchend landete er auf der Seite, Eibenfluch zog ihm die Krallen quer über den Bauch, bevor er sich wegdrehen konnte.
"Du bist verrückt, irre!", jaulte Nadelfall mit riesigen Augen. In ihnen stand Angst. Und oh, wie sehr Eibenfluch diesen Anblick genoss. Irgendwo tief in sich drin wusste sie, dass das nicht gut war. Dass sie sich vom Hass hinreißen ließ, dass sie nicht besser war als diese fuchsherzigen und flohverseuchten Schmutzhirne. Doch sie wollte sie bezahlen lassen.
Breitbeinig und mit Blut, dass ihr von den Lefzen triefte, stand sie über den dreien. "Ihr werdet jedes einzelne eurer schmutzigen Worte bereuen, jeden Blick und jeden Schlag und jede Tat. All der Hass kommt nun zu euch zurück", knurrte sie leise.
Sie machte sich sprungbereit, die Augen gefährlich glänzend.
"Sagt Hallo zu eurer Vernichtung." Spöttisch.
Und dann wütete sie. Es war ein Rausch, eine Droge, ein durstiges Trinken und ein hungriges Fressen.
Sie stand in Flammen. Spitze Dornen der Einsamkeit richteten sich nun gegen jene, die sie zurückwiesen. Und es fühlte sich gut an, viel zu gut.
Sie war furchterregend. Blutverschmiert, mit aufgestelltem, borstigen Fell und den Augen eines wilden Raubtiers.
Sie schlug, riss, knurrte, grollte, jaulte und schrie. Triumphierend, Wütend, hasserfüllt, trauernd. Der Schmerz sprach aus ihr, führte ihre Pfoten. Eibenfluch wurde zum reißenden Fluch des SchattenClans, zu dem sie sie gemacht hatten. Wenn sie davor schon gedacht hatten, Eibenfluch hätte Leid über sie gebracht, so bewies sie ihnen heute Nacht, was echter Schmerz war. Sie zeigte ihnen ein Stück ihres eigenen Leids, einen Teil ihres wahren Ichs.
Und dieses Ich dürstete nach Blut, nach Zerstörung. Sie riss die Baue ein, zerschlug Nester, biss in Ohren und Schnauzen und Hinterbeine. Sie kratzte mit stählernen Krallen Bäuche, Augen und das weiche Fleisch im Nacken.
Ihre Augen waren furchterregend. Sie war manisch, wirklich verrückt, wie Nadelfall gesagt hatte, und das machte den Clankatzen am meisten Angst. Eibenfluch wurde unberechenbar im Kampf. Sie zerkratzte den Rücken der einen Katze und sprang gleich darauf auf das Dach eines Baus und zerfetzte es, um sich gleich darauf blitzschnell umzudrehen und einer Katze die Schnauze einzuschlagen.
Sie war brutal, Gewalt war ihre Sprache und sie beherrschte sie flüssig. Nur den Heilerbau und die Kinderstube ließ sie aus, doch der Rest wurde verwüstet, zerstört und niedergemetzelt.
In ihr saß die Verzweiflung und lang gehegtes Leid auf ihrem Herzen, dem Herzen, das noch immer ein wenig Hoffnung besaß. Sie hoffte, wünschte, wollte, sehnte sich danach, dass ihr Vater zu ihr kam und dem Wüten ein Ende bereitete. Dass er sich schuldig bekannte und sagte, es wieder gut machen zu wollen. Dass er ihr zuhörte, sie ansah und sie verdammt nochmal liebte.
War es denn so schwer, die eigene Tochter zu lieben? Ihr Liebe und Wertschätzung zu zeigen?
Eibenfluch war wütend und rasend, doch sie war auch allein.
Die SchattenClan-Katzen erholte sich nach von der Furcht, die ihre Raserei und ihr Wahnsinn in ihnen ausgelöst hatten. Sie waren viele, sie waren stark. Und sie erhoben sich, um sich von dem seit jeher verhassten Fluch ein für alle mal zu befreien, um die Katze, die noch nie eine von ihnen gewesen war, aus ihren Reihen zu löschen.
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Hey Sternis,
das Finale hat begonnen. Das Ende naht, macht euch bereit.
Der Fluch wurde entfesselt.
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