Kapitel 5. Nebelnacht Augen
~ 10. Mond ~
Eibenpfote lag dort unter den schützenden Ästen des Gebüsches, der sie verdeckte und dessen Duft sie einhüllte, von der Außenwelt abschirmte, mit der sie nichts zutun haben wollte. Das Clanleben erschien ihr grausam und unendlich einsam, sie war erschöpft. Wie sollte sie es ohne ihre Mentorin schaffen, weiterzumachen?
Wenn Dornenzunge nun nicht mehr da wäre, wer würde sie dann unterstützen, ihr den Rücken stärken, wenn jeder ihr noch einen Hieb geben wollte, noch einen Schlag, um ihr zu zeigen, wie schlimm sie war. Es hatte keinen Sinn, sich anzustrengen. Das Gesetz zu befolgen, eine gute Jägerin oder freundliche Clangefährtin zu sein. Das ist doch alles bloß geheuchelt. Außerdem wusste Eibenpfote nicht einmal mehr, was in ihrem Clan alles abging, niemand würde es ihr abnehmen, sollte sie nun anfangen, sich einzugliedern.
Sie wusste, dass es während einer Großen Versammlung einen Sturm gegeben hatte, allerdings hatte sie währenddessen die Nacht am Fluss verbracht und den tanzenden Wellen zugeschaut, sie selbst hatte sich im Schutze eines Höhleneingangs befunden. Eigentlich war es bloß ein ehemaliger Fuchsbau, der jedoch schon lange verlassen dalag und so versteckt zwischen Büschen und Gräsern war, dass Eibenpfote lange gebraucht hatte, bis sie ihn entdeckt hatte.
Der Sturm soll wohl vom SternenClan geschickt worden sein, um dem Wind- und dem DonnerClan ein Zeichen zu senden. Die beiden Clans hatten sich in irgendeinem Konflikt befunden, das interessierte Eibenpfote jedoch nicht.
Das Ganze war im Nachhinein großer Gesprächsstoff im Lager gewesen - ein Sturm während einer Großen Versammlung, so etwas hat es ja noch nie gegeben! Eibenpfote bezweifelte das, vermutlich war es einfach bloß selten, aber dennoch nicht einmalig, doch sie hütete sich davor, irgendetwas zu sagen.
Undenkbar, sich jetzt wieder zurück zu ihrem Clan zu begeben und sich normal zu verhalten. So, wie es jede andere SchattenClan Katze auch tat. Gemeinschaftlich, folgsam und so weiter. Der Gedanke allein widerte Eibenpfote schon an, schickte einen angeekelten Schauer durch ihren eh schon zitternden Körper. Die Blattleere nahte und der Boden, auf dem sie sich zusammenkauerte, war kalt. Es lag nicht allein an ihrer Verzweiflung, dass ihr bebender Leib sich immer kleiner machte, nach Wärme suchend den Kopf unter den Vorderpfoten vergrub.
Dann riss ein Schrei und ein lautes Platschen Eibenpfote auf einmal aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf. Lauschte. Der Schrei war verstummt, direkt nachdem das Platschen ertönt war.
War eine Katze ins Wasser gefallen?, wunderte sie sich.
Sie stand auf, schüttelte sich das Zittern aus den kalten Gliedern und lugte vorsichtig aus ihrem schützenden Gebüsch hervor. Die unruhige Wasseroberfläche des Flusses absuchend, entdeckte sie schließlich einen hellen Katzenkopf, der auf den Wellen zu tanzen schien. Die Katze, noch recht jung, wie es Eibenpfote erschien, kämpfte sich durch das Wasser, trieb jedoch immer weiter auf die SchattenClan Seite zu. Und das, obwohl es sich um eine FlussClan Katze handeln musste, denn die doch recht sicheren Bewegungen, mit denen sich die Katze durchs Wasser bewegte, konnten unmöglich von einer SchattenClan Katze stammen.
Neugierig trat Eibenpfote aus ihrem Unterschlupf hervor, sie wollte sehen, was die Katze vorhatte. Nicht viel, so wie es aussah, denn sie strampelte noch immer umher, ohne irgendwo hinzukommen. Der Strömung allein verdankte sie es, dass sie schließlich gegen das Ufer auf der SchattenClan Seite stieß und sich daran hochziehen konnte. Endlich an Land konnte Eibenpfote erkennen, dass die nasse Katze weißes Fell mit grauen und rötlichen Flecken hatte - eine faszinierende Anordnung an Farben und Mustern.
Die dreifarbige Katze blinzelte hektisch, Wassertropfen perlten dabei an ihr herab und blieben an den hohen Halmen des am Fluss wachsenden Grases hängen.
Vielleicht hatte die FlussClan Katze Wasser ins Auge bekommen und war deswegen so unkoordiniert geschwommen?
Die schmalen Flanken hoben und senkten sich angestrengt, sie rang nach Luft und blinzelte ins sich neigende Sonnenlicht. Dann entdeckte sie Eibenpfote. Erschrocken riss die Kätzin - Eibenpfote war sich sicher, dass es eine Kätzin war - die Augen auf.
Und es waren die schönsten Augen, die Eibenpfote je bei einer Katze gesehen hatte. Ein tiefes dunkelblau, an manchen Stellen von fast grauen Schlieren durchzogen, wirkte es beinahe, als würde Eibenpfote in eine neblige Nacht hineingezogen. Ein klares, waches Leuchten ließ die großen Augen unschuldig und intelligent zugleich schimmern. Und trotz der kalten Farben hatte Eibenpfote nie mehr Wärme in den Augen einer Katze gesehen, sie wirkten so mitfühlend und verständnisvoll, dass Eibenpfote sich schon allein unter dem bloßen Blick der fremden Katze geborgen und sicher fühlte.
"Wer bist du denn?"
Und diese Stimme! Ihr Miauen floss Eibenpfote wie flüssiger Mondschein über die Seele und goss einen neuen, frischen Samen, der sich soeben erst neben der Blume der Einsamkeit gepflanzt hatte.
Eibenpfote widerstand dem Drang, die Augen zu schließen und dem Klang dieser sternengleichen Stimme nach zu lauschen, stattdessen kam sie ein paar Schritte näher.
"Eibenpfote", miaute sie und erschrak, als sie ihre eigene, raue und abweisende Stimme hörte. Sie schämte sich beinahe, in der Gegenwart dieses vollkommen scheinenden Wesens zu sprechen, wagte es dann jedoch noch, so kurz angebunden wie möglich, zu fragen: "Und du?"
Die fremde Kätzin schüttelte sich ein wenig, um das nasse Fell frei vom schweren Wasser zu bekommen, wobei einige wenige Tropfen bis auf die Pfoten von Eibenpfote fielen. Sie erschauerte.
"Ich bin Nebelpfote, du bist sicherlich vom SchattenClan, oder?"
Eibenpfote konnte nur nicken, vorsichtig kostete sie den Namen der Kätzin auf ihrer Zunge, hätte ihn am liebsten wieder und wieder vor sich hin gemurmelt.
"Ich glaube, ich habe schon was von dir gehört. Hast du die Anführer nicht schon einmal auf der Großen Versammlung herausgefordert und während ihrer Rede unterbrochen?"
Eibenpfote sank das Herz in die Pfoten. Ihr Fell kribbelte vor Scham. Wahrhaftig, sie schämte sich! Schämte sich dafür, dass diese wundervolle Katze schon von ihren Schandtaten gehört hatte.
Sie räusperte sich.
"Zweimal."
Die nebeldurchzogenen Augen blickten Eibenpfote verwirrt an.
"Wie bitte?"
"Zweimal. Ich habe die Anführer zweimal unterbrochen und herausgefordert."
In Nebelpfotes Augen zeichnete sich Belustigung ab, wie schön es aussah, als sie so amüsiert aufleuchteten! Eibenpfote hätte ewig so dastehen und die dreifarbige Kätzin anstarren können. "Ach so, dann entschuldige ich mich für meine falschen Informationen", schnurrte sie.
Eibenpfote musste blinzeln, um sich von diesem Anblick loszureißen. Ein wenig defensiv fragte sie: "Was machst du hier auf der SchattenClan Seite?"
Und im selben Moment hätte sie sich aufs Ohr schlagen können - es interessierte sie doch nicht, warum diese wunderschöne Kätzin die Grenze überschritten hatte, schließlich tat Eibenpfote das selbst andauernd. Doch sie war einfach so nervös, da war es schwer, freundlich zu sein. Zumal das ohnehin noch nie ihre Stärke gewesen war.
Nebelpfote begann, sich die Nässe aus dem Fell zu putzen. Wahrscheinlich war ihr ziemlich kalt. Nebenbei miaute sie: "Ich wollte eigentlich einen Fisch fangen, bin dann aber ins Wasser gefallen. Und ich bin noch nicht so gut darin, meine Augen unter Wasser zu öffnen."
Ihre Zunge fuhr in einem gleichmäßigen Rhythmus über den Pelz.
"Leider habe ich den Fehler gemacht, meine Augen öffnen zu wollen, weil ich komplett orientierungslos war."
Sie sah Eibenpfote mit einem verschmitzten Funkeln in den Augen an.
"Tja, danach war ich komplett verloren."
Eibenpfote musste auch schnurren, sie setzte sich.
"Und wie kommst du jetzt wieder zurück?", fragte sie, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass die durchgefrorene Kätzin nochmal in das kalte Wasser zurückwollen würde.
Nebelpfote deutete mit dem Kinn den Flusslauf entlang, in Richtung Felsenmitte.
"Wenn ich ein Stück laufe, müssten dort ein paar Steine im Wasser auftauchen, über die kann man den Fluss bequem überqueren. Wir nutzen die immer, wenn wir zur Großen Versammlung wollen."
Eibenpfote nickte bloß. Die Steine hatte sie auch schon einmal gesehen, allerdings waren sie ihr etwas zu suspekt gewesen, als dass sie sich getraut hätte, auf ihnen herumzuhopsen.
Nebelpfote stand auf, wirkte auf einmal etwas schüchtern.
"Na dann, ich würde mich dann mal auf den Weg machen."
"Ja."
"Möchtest du", sie zögerte, schlug die Augen verlegen nieder. "Möchtest du mich vielleicht begleiten?"
Eibenpfotes Ohren wurden heiß.
"Ja?" Sie starrte konzentriert auf einen grauen Stein.
"Ja?", hakte Nebelpfote nach.
"Ja."
Und so begleitete Eibenpfote die FlussClan-Schülerin den Flusslauf entlang bis zu den Übergangssteinen. Dort verabschiedete sich Nebelpfote recht freundlich und Eibenpfote sich recht wortkarg.
Doch sie blieb noch lange stehen, beobachtete die schmale Kätzin, wie sie mit graziösen, anmutigen Sprüngen flink von einem Stein zum anderen sprang. Wie sich ihre Muskeln unter dem beinahe wieder getrockneten Fell bewegten. Wie ihre Pfoten sicher auf den rutschig aussehenden Oberflächen landeten, nur um sich dann wieder elegant in die Luft zu begeben.
Wie sie, am anderen Ufer angelangt, sich noch einmal zu Eibenpfote umdrehte und ihr freundlich zuzwinkerte. Wie sie hinter den Büschen und Bäumen verschwand, wie das Muster ihres bunten Fells das letzte Mal zwischen den grünen Blättern und Farnen aufblitzte.
Lange saß die SchattenClan-Schülerin noch so da, bis sie schließlich aufstand und zurück in ihr Lager lief, in Gedanken noch bei warmen Augen, die die Farben einer nebligen, dunklen Nacht hatten.
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- 1400 Wörter
Hey Sternis ^^
Na, was haltet ihr von den jüngsten Entwicklungen?
Wer mag wohl diese Kätzin sein - erinnert sich noch jemand an sie? ;D
Ich bin seeehr auf eure Kommis gespannt!
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