𝐏𝐚𝐫𝐭 𝟏𝟕
Delala min
[Mein Schatz]
~ by CCsFavCake
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Heute war es soweit. Wir würden Jabo ins Krankenhaus begleiten. Ich hatte gestern wieder bei Miran geschlafen.
Während Miran und ich Jabo ins Krankenhaus fuhren, würden Agit und Berfîn meine Sachen ins Haus bringen.
Es wäre besser direkt abzuschließen, als in diesem Haus alleine herumzuhocken und zu trauern.
Auf der Fahrt war es still. Jabo saß neben mir. Unsere Hände waren miteinander verschränkt. Seufzend legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und dachte über unsere gemeinsame Vergangenheit nach.
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𝐅 𝐋 𝐀 𝐒 𝐇 𝐁 𝐀 𝐂 𝐊
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»Jabo! Jabo, schau mal! Ich habe heute mit Yadê einen Kuchen gebacken!«, rief ich kreischend, während ich in seine Arme lief, die mich behutsam hochhoben.
»Sehr schön, keçam*. Wollen wir den gleich zusammen probieren?«, lobte er mich grinsend.
Ich nickte hastig und wartete darauf dass er mit mir in die Küche ging. Yadê kam gerade aus dem Badezimmer und kam auf uns zu.
Jabo gab mir ihr einen Kuss auf die Stirn.
Yadê's Augen fingen an zu glänzen.
»Wow«, dachte ich mir. Was ein Kuss alles für Gefühle erzeugen kann. Wenn ich irgendwann groß bin, möchte ich auch dass mein Kind meinen Mann und mich so anblickt.
»Evîn? Sollen wir den Kuchen etwa ohne dich probieren?«, stichelte Jabo mich provozierend aus meinen Gedanken heraus.
Ich schüttelte heftig meinen Kopf und fing an auf Jabo's Arm herumzuzappeln. Lachend liefen wir zu dritt in die Küche.
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𝐅 𝐋 𝐀 𝐒 𝐇 𝐁 𝐀 𝐂 𝐊 | 𝐄 𝐍 𝐃 𝐄
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[* = Meine Tochter]
Tränen rollten aus meinen Augen, wie bei einem Wasserfall. Ich schniefte leise. Zumindest versuchte ich es. Jabo drückte meine Hand etwas fester.
Es war lieb gemeint, dass wusste ich, doch dass würde die Situation nicht verbessern. Wir sagten nichts. Unsere Seelen sprachen Bände. Was würde geschehen?
Wenn Jabo weg ist, bin ich ein Waisenkind. Zu wem würde ich gehen, wenn ich Liebe brauchte? Familiäre Liebe bräuchte.
Ax ev dinja ax.
[Ach diese Welt ach]
Jabo streichelte weiterhin meine Hand und murmelte mir beruhigende Worte zu. Ich schloss meine Augen in der Hoffnung dass das alles nur ein Traum war und ich bald aufwachen würde.
Doch das einzige was geschah nachdem ich aufwachte war dass wir Jabo in sein Krankenzimmer begleiteten.
Miran und ich standen vor dem Zimmer, während die Jabo alles erklärt wurde. Ich hatte keine Ahnung was er tun musste, aber ich hatte Angst.
Beruhigend nahm Miran mich in den Arm und küsste meinen Kopf.
»Es wird alles gut, dilê min«, murmelte er gegen meine Stirn.
»Inshallah«, flüsterte ich leise.
Wir standen ungefähr eine halbe Stunde dort rum. Langsam wurde ich panisch.
Was hatten sie mit ihm gemacht?
War es schon soweit?
War er schon weg?
Ich verstand die Welt nicht mehr. Doch nicht mal fünf Minuten später kam eine Krankenschwester aus dem Zimmer und teilte uns mit dass wir jetzt Zeit hätten uns von ihm zu verabschieden.
Mit weichen Knien betrat ich das hell eingerichtete Krankenzimmer mit der Nummer 777.
777
Eine Engelszahl.
Es steht für Glück.
Glück?
Mein Vater wird sterben und ich glaube dass ich Glück haben werde, weil seine Zimmerzahl 777 ist?Ich glaube dass ich einfach nur durch den Wind bin.
Ich schaute mich um und ging weiter in den Raum hinein. Miran schloss hinter mir die Tür und folgte mir leise.
Jabo lag in seinem Krankenbett und starrte aus dem Fenster. Schüchtern ging ich auf ihn zu und setzte mich auf den Stuhl neben ihm. Miran setzte sich neben mich.
Ich nahm seine Hand und drückte sie einmal. Jabo drehte seinen Kopf in meine Richtung und lächelte mich an.
Doch das Lächeln auf seinen Lippen, reichte nicht bis zu seinen Augen, empfing nicht seine Augen. Seine Augen waren einfach nur schwarz. Es gab kein Licht mehr in ihnen.
»Tu çawa yî?«, fragte ich ihn vorsichtig.
[Wie geht es dir?]
»Ez başim, keça min. Tu çawa yî?«, antwortete er mir seelenruhig auf meine Frage. Erleichtert atmete ich aus.
[Mir geht es gut, meine Tochter. Wie geht es dir?]
»E-ez jî başim«, murmelte ich mit zitternder Stimme.
[M-mir geht es auch gut]
Jabo blickte mir eindringlich in die Augen. Er wusste es. Natürlich wusste er es. Wie sollte es mir denn sonst gehen, wenn ich an dem Bett meines Vaters sitze mit dem Gedanken dass er heute noch von uns gehen wird.
Jabo nimmt Tabletten. Wenn er diese aufhört zu nehmen, hört sein Herz auf zu schlagen. Ein einfacher Tod, sagen wir's so.
Ich hoffe einfach dass er keine Schmerzen hat. Dass ihm all das Leid was ihm zugefügt wird, genommen wird, wenn er bei Xwedê ist.
Jabo drückte meine Hand etwas fester: »Ji bo min dua bike, keça min«
[Bete für mich, meine Tochter]
Verwirrt schaute ich ihn an. Das hatte er nie gesagt. Allgemein war beten bei uns ein Thema für sich. Wir beteten im stillen.
Keiner sollte davon erfahren.
Das nennt man Urtrauma.
~𒀭~
Die Yeziden in der Heimat damals durften nicht erkannt werden, also trugen weibliche Personen ein Hijab, obwohl sie yezidisch waren.
Sie beteten leise oder so dass es keiner sah. Sie aßen kein Schwein, damit nicht auffiel dass sie Yeziden waren. Sie versteckten sich.
Denn wenn jemand erfahren hätte, dass sie Yeziden wären, hätte es das ganze Dorf mitbekommen und sie wären entweder Zwangskonvertiert oder umgebracht worden.
Damals hat man sie direkt getötet oder man hatte versucht sie zum konvertieren zu überreden. Doch als der Islamische Staat eintrat änderte sich alles.
Die Yeziden wurden nicht mehr einfach erhängt oder überredet zu konvertieren, nein. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt.
Mädchen die in der Pubertät waren, wurden an Männer weitergegeben, die so alt waren wie ihre Väter. Sie wurden vergewaltigt, wie Spielzeuge behandelt.
Man redete ihnen ein, dass wenn sie weglaufen würden, ihre Familien sie sowieso nicht mehr zurücknehmen würden, da sie mit einem Moslem Geschlechtsverkehr hatten.
Sie wurden geschlagen, gezwungen ein Niqab mit einer Abaya zutragen ~ ihre yezidischen Gewänder wurden weggeschmissen oder verbrannt. Sie mussten die Shahada aufsagen ~ also konvertieren, gegen ihren Willen.
Männer mussten sich auf den Boden setzten ~ ihnen wurde in den Rücken geschossen. Die, die fliehen konnten, sind wahrscheinlich an der nächsten Ecke aufgrund von Blutungen umgekommen.
Jungen wurden mitgenommen und ausgebildet um für den Islamischen Staat zu kämpfen. Ihnen wurde eine Gehirnwäsche verpasst.
Jahre später hielten sie mit stolz die Flagge der Islamisten hoch und scherten sich nicht mehr um ihre eigentliche Religion. Mit stolz nannten sie sich Kurden, obwohl sie Yeziden waren.
Mütter wurden angespuckt, wenn sie nach essen fragten, kochte man ihre Kinder.
~𒀭~
Aus diesem Grund redeten wir nicht darüber. Es hatte sich in unser Gehirn geschlichen dass wir nicht laut beten durften, was ein Schwachsinn! Natürlich durften wir das, doch wir taten es nie.
********
Ich schüttelte meinen Kopf: »Was?«
»Bete, Evîn. Laut und deutlich«, wiederholte Jabo sich.
Er meinte es ernst.
»Was soll ich den beten, Jabo?«, ich hatte keine Ahnung. Wir hatten viele Gebete.
»Das was du gerne beten würdest«, antwortete er mir sanft.
Ich schloss meine Augen und dachte nach. Nach einigen Minuten öffnete ich sie wieder.
Abschiedsgebet
Dua Oxirê
Ich legte meine Hände aufeinander. Miran und Jabo taten es mir nach. Wir schlossen synchron die Augen und ich fing wieder einmal an im stillen das Gebet zu beten.
*****
Als ich fertig war öffnete ich meine Augen. Jabo lächelte mich dankbar an. Ich lächelte leicht.
»Xwedê Te qêbûl bike, keçam«, flüsterte er leise, bevor er Miran eine Rede hielt, dass er sich bloß gut um mich kümmern solle.
[Möge Gott dich akzeptieren, meine Tochter]
Ich nickte bekommen. Kurz darauf öffnete sich die Zimmertür. Eine Krankenschwester betrat das Zimmer.
»Wir würden jetzt anfangen, Sie sollten sich verabschieden«, gab sie uns Bescheid.
Meine Nase begann zu brennen, meine Augen fingen an zu tränen, ich hielt Jabo's Hand immer fester.
»Keçam«, sagte er immer und immer wieder.
»Nein!«, flüsterte ich mit erbärmlich weinerlicher Stimme.
Jabo umarmte mich: »Es wird alles gut«. Miran hielt meine Hand, während Jabo mir einen Stirnkuss gab und mich das letzte mal umarmte.
Die Krankenpfleger kamen und brachten ihn weg. Unser Band wurde zerrissen. Immer wieder rief ich nach ihm. Doch keine Antwort.
Ich fiel. Fiel in ein Loch voller Dunkelheit. Miran hielt mich, während wir auf dem kalten Marmor des Krankenhauses lagen.
Nach einer Stunde, nach 60 Minuten, nach 3.600 Sekunden kam ein Arzt auf uns zu. Ich nahm nur ein leises »Es ist vorbei« wahr, bevor mich der Bann der Dunkelheit komplett an sich zog.
******
Ich träumte.
Jabo stand war vor mir.
Er lächelte mich an.
Er machte mir Mut.
Immer wieder rief er
»Du schaffst das, Evîn«.
Der Klang seines Lachens hallte in meinen Ohren. Unsere gemeinsame Vergangenheit umhüllte mich. Videos und Bilder von uns.
Das durfte nicht enden.
Nicht weil er von uns gegangen war.
Ich musste stark bleiben.
»Geh zurück, Evîn. So wie ich zurück zu Hayat gegangen bin«
*****
Ich schrie.
Schweißgebadet setzte ich mich auf. Miran hielt mir ein Glass Wasser vor den Mund, welches ich dankend annahm.
»Wo ist er?«, fragte ich aufgebracht.
»Der Şhêx führt gerade die Todeswaschung durch. Wenn du bereit bist, gehen wir dazu«, berichtete er mir.
Wir durften keine Zeit verlieren. Ich stand auf und zog mir meine Schuhe an, welche mir wahrscheinlich Miran ausgezogen hatte.
Ich hatte mir bevor wir angekommen waren, mein schwarzes Kopftuch mitgebracht, welches ich mir jetzt umlegte.
»Los!«, sagte ich entschlossen.
Miran nickte und wir fuhren los zu der Halle. Als wir ankamen stand der Şhêx bereits dort und wartete auf uns.
»Er ist in dem kleinen Raum«, murmelte er mit gesenktem Kopf.
Ich nickte ihm zu und betrat den kleinen Raum. Dort lag er, eingehüllt in seinem Lieblingsanzug, im Sarg.
Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen. Doch dieses Mal ließ ich kein schluchzen zu. Sei stark!
Der Sarg wurde geschlossen und in einen Saal gebracht. Die nötigen Gebete wurden durchgeführt und kaum hatte ich mich umgedreht lag Jabo im Leichenwagen und fuhr davon.
In den nächsten Tagen wird er in die Türkei gebracht werden, er wird auf einem yezidischen Friedhof begraben werden.
Ob ich mitfahre, steht noch nicht fest. Jabo's Geschwister würden ihn bringen. Ich brauchte Zeit.
Miran und ich blieben noch ein paar Stunden in der Halle, bevor wir nach Hause fuhren. Angekommen empfing mich Miran's Mutter, welche sich den ganzen Abend um mich kümmerte.
Genau so wie Yadê es immer getan hatte.
Miran's Vater heiterte mich ebenfalls auf, in dem er mir von seinem Leben in der Heimat erzählte.
Genau so wie Jabo es immer getan hatte.
*****
Rehma Xwedê li wan bê û cihê wan cinet be
Amîn
*****
[Möge Gottes Barmherzigkeit mit ihnen sein und möge ihr Platz das Paradies sein. Amen]
~𒀭~
HAAAALLLOOOO
Voten und kommentieren nicht vergessen, Freunde 😛
Bis zum nächsten mal 😛😛
-Cece
1790 Wörter
14 Seiten
[Emoji des Kapitels ➜ 😛]
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