✩ Kapitel 9 ✩

„Warum nicht? Flöte ist gut! Perfectio! Musik ist sehr schön von Flöte, wie auch bei eine Klavier! Weißt du, ich spiele die Klavier schon sehr lang und habe da meine Spaß und Ruhe!" Ich beobachtete Yaak während er träumerisch zu der Decke sah und lächelnd eine heitere Melodie vor sich hin summte.

„Nein, ich glaube, du verstehst nur nicht ganz, was ich meine, Yaak. Sie spielt Flöte nachts. Genau dann, wo jeder normale Mensch im Land der Träume schwebt. Ich kann doch nicht einfach so auf mein Schlaf verzichten, damit Mary ihren „Spaß" haben kann!"

Shieq. Kannst du nicht, recht hast du da. Aber du kannst reden mit ihr." Reden! Als ob ich es nicht versucht hatte!
„Wann soll ich denn sonst spielen? Tagsüber lerne ich, da habe ich keine Möglichkeit zu üben" — war das einzige gewesen, was ich als Antwort bekommen hatte! War es denn dem Direktor so schwer, Marys Prüfung etwas eher stattfinden zu lassen? Weshalb weigerte er sich? Was war der Grund?

„Ich kann Mary nichts verbieten. Keine Regel besagt, dass es unerlaubt ist, Flöten in der Nacht zu spielen."

„Dann führe so eine Regel ein!" Ich wusste gar nicht mehr, woher die Wagnis gekommen war. Ratlos war ich gewesen und misstrauisch. Doch in Nai Fortis' Augen erkannte ich keinen Vorwurf. Nein, er fühlte sich auch keines Wegs angegriffen. Es war eher Verständnis, was ich mit meinen zerbrechlichen Sinnen wahrnahm und noch etwas ... Mitleid? Ein belustigtes Schmunzeln umspielte seine purpurroten Lippen, während er mich kopfschüttelnd musterte. Ja, er bemitleidete mich, nichts weiter. Er sah mich wie ein verwöhntes Ding ohne Zukunft. Er sah mich, wie eine Waise.

„Stur bist du, junge Lady! Stur, wie eine Callidus! Nicht jedem kann man es gerecht machen. Wenn Jäger leben will, muss er andere Leben nehmen, du verstehst mich?" Niedergeschlagen nickte ich. „Gut, dann lass uns nun mit dem Unterricht beginnen, keine Zeit dürfen wir noch verlieren."

Die Einzelstunden mit Yaak fand ich nicht nur langweilig, sondern außerordentlich nutzlos. Eigentlich waren sie dafür da, um meiner Gabe ein wenig unter die Arme zu greifen, ihr zu helfen, sich schneller zu offenbaren. Doch anstatt dies zu tun, stellte mir Yaak jedes Mal eine brennende Kerze vor die Nase und meinte, dass nur Ruhe und Entspannung die Gabe des Wassers entfesseln konnte.
Täglich trainierte ich, sowohl zu Hause, als auch in der Schule, saß stundenlang in einer Pose, versuchte mich zu entspannen, doch zur Folge waren nur Müdigkeit und schmerzende Glieder. Da waren sogar Schasanisch und Tierkunde erträglicher.

So nebenbei — das mysteriöse Artefakt, welches Kyan so besorgte, ließ so weit nichts von sich hören. Langsam begann ich zu zweifeln, was seine Existenz anging. Wer wusste, was sich ein junger unerfahrener Magier nach einem mühsamen Schultag einbilden konnte?

Dementsprechend war meine Zeit in der Academy sehr abwechslungslos und zum Heulen anstrengend. Ich verlor mich in den ewig tanzenden Sekunden, zwischen den Minuten, welche mich spielerisch neckten und hatte mich fast schon damit abgefunden, dass mein Leben für immer so eintönig bleiben würde, wie es eben jetzt war. Doch ich hatte Unrecht. Schon bald änderte sich alles, jedoch nicht unbedingt so, wie ich es gerne hätte. Aus zu langsam wurde zu schnell, aus einfach nur lästig — grausam. Und aus Chaos wurde ... noch viel mehr Chaos.

𑁍 𑁍 𑁍

Alles begann am neunten Tag der Zareyanischen Woche* fast am Ende einer Mittagspause. Die goldenen Arme der Sonne kämpften sich durch die dicken Fensterscheiben und beschenkten die düsteren Flure mit Licht, sowie der kostbaren Wärme. Leider war ich zu gestresst, um die friedliche Atmosphäre voll und ganz genießen zu können. Begleitet von dumpfen Tönen, welche meine Schritte erzeugten, jagte ich durch die Gänge der Bright-Water Academy.
Erschöpft und müde war ich, was vielleicht auch die Gründe dafür waren, weshalb ich schon wieder in jemanden hineinlief. Wie üblich wollte ich kommentarlos vorbeigehen, als der Unglückliche mich fest am Oberarm packte und zu sich zog.

„Langsamer, Süße. So schnell kommst du mir diesmal nicht davon", hörte ich eine tiefe Stimme direkt neben meinem Ohr. Verbissen hob ich mein Kopf und erblickte den Jungen vor mir. Sein Körperbau, seine Geste, seine Gesichtszüge — alles an ihm verriet mir einen erfahrenen Kämpfer aus einer vornehmen Familie. Seine Mähne an langen weißen Haaren und die außergewöhnlichen Augen gewannen sofort mein Interesse. Sogar die einfache azurblaue Uniform der Magier lag wie angeschmiert an dem athletischen Körper. Dieser Junge musste gar von Gott höchstpersönlich geschaffen worden sein.

„Wer bist du?", fragte ich und versuchte meinen Arm aus seinem festen Griff zu befreien, was allerdings nichts brachte. Hektisch sah ich mich um — der Raum um uns war leer. Was wohl geschehen würde, wenn uns ein Vorbeigehender hier so entdeckte? Reden über mich, die im Flüsterton in der ganzen Academy verbreitet werden, war das Letzte, was ich noch brauchte.
„Du weißt es nicht?" Seiner Stimme nach, schien er sich wirklich zu wundern „Normalerweise brauche ich mich gar nicht vorzustellen, doch extra für dich weiche ich sogar von meinen Gewohnheiten ab. Ich bin Nyaan Pulcher. Sagt dir der Name etwas?"
Was zum ... verflucht! Beschämt sah ich zu Boden und überlegte fieberhaft, was in dieser Situation zu machen war.

Von den Pulchers wusste in Zareya nahezu jeder. Sie gehörten zu den Reichsten im ganzen Lande, den größten Hafen am Lichtermeer besaßen sie. Außerdem hatte ich gehört, dass die Schönen, wie ihr Familienname übersetzt hieß, zur Hälfte der Elfenrasse gehören sollten. An den spitzen Ohren Nyaans merkte ich, dass er also nicht gelogen haben musste — er war wirklich einer von den Schönlingen.

Allerdings hieß das auch, dass ich schon zwei Mal einen Adeligen angerempelt habe! Augenblicklich stieg mir Röte ins Gesicht. Theoretisch müsste ich mich jetzt entschuldigen, aber ... ich konnte das nicht. Unter meinem Niveau, meiner Würde lag es, wie ein schüchternes Mädchen um Vergebung zu bitten.

„Okay, hör auf wie Espenlaub zu zittern. Beruhige dich. Sag mir, wie heißt du, Maid?" Mit seinem Daumen und Zeigefinger fasste er mich am Kinn und zog es hoch, sodass ich ihm widerwillig in die Augen schauen musste. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich so ein tiefes Blau gesehen. "Was hast du denn überhaupt gesehen, Ayla?", dachte ich mir, "die Wände deines Zimmers, mehr nicht. Du warst eingesperrt. Jetzt bist du frei."

Jetzt war ich frei ... Freiheit. So ein stolzes, edles Wort. Doch diese Freiheit war wild und tat nur das, was ihr so passte. Man konnte sie nicht zähmen, nicht fangen. Ja, nicht einmal kaufen! Sonst hätte ich es doch früher schon längst getan. Ich hatte Geld gehabt... Jetzt hatte ich es nicht mehr, dafür aber die Freiheit. Doch ob sie mich glücklich machte? Ich wusste es nicht ...

„Ich warte auf eine Antwort!" Seine Stimme klang herrisch und überheblich, Kraft lag darin. Sie musste riesig sein.
„Ayla ... Ayla Mare." Ich wollte auch stark wirken, wie die Ayla von früher es immer getan hatte. Es gelang mir jedoch nur teilweise.

„Mare?", nachdenklich runzelte er die Stirn, „Waren das nicht die Reichen aus der einen Stadt im Westen? Zamis, oder?", ich bejahte die Frage, „hätte ich gar nicht erwartet, wenn ich ehrlich bin. Nun, aber ein hübsches Gesicht hast du, das kann man dir nicht nehmen." Er ließ mich los, worauf ich hektisch begann, durchzuatmen. Nyaans Nähe schränkte mich ein, ich fühlte mich klein und bedeutungslos neben ihm, was mich ein wenig in Verwirrung setzte.

„Hör hin, was hältst du von einem Treffen, heute nach dem Unterricht beispielsweise? In der Nähe der Academy gibt es ein kleines Dorf mit einem guten Café. Ich könnte uns eine Kutsche reservieren." Auf eine Antwort wartend, strich er sich eine weiße Strähne von der Stirn.

Anfangs war ich mir unsicher. Mit einem Fremden, wenn auch einem gutaussehenden und reichen, auf ein Date zu gehen, schien mir etwas absurd. Diesen Gedanken erläuterte ich auch, worauf der Elf mit dem Argument einsetzte, dass wir nicht zufällig zweimal zusammengestoßen sein mussten und dass es vielleicht so unser Schicksal gewollt hatte. Daraufhin nahm ich zögernd seine Einladung an.

𑁍 𑁍 𑁍

*Zareyanische Woche — eine Zareyanische Woche besteht aus 11 Tagen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top