✩ Kapitel 4 ✩
„Raus da, schnell!", rief Vajkan, doch ich schaffte es nicht mehr. Laut krachend brach die Tür auf. Ein Feuerpfeil schoss mit einem schallenden Pfiff durch die Luft und sauste geradewegs auf die gegenüberliegende Wand der Kutsche zu. Knall. Panisch schrie, nein, brüllte ich und schlug chaotisch mit den Armen umher, um den sichtraubenden schwarzen Rauch zu verdrängen.
Pfiff. Knall.
Zitternd krümmte ich mich vor Schmerzen und erblickte meine errötete Hand. Brandwunde.
„Ayla!"
An die brennende Kutsche lehnend, versuchte ich etwas zu erwidern, doch bekam nur ein unverständliches Grummeln raus. Ich hatte nicht einmal die Kraft, einen Schutzzauber aufzustellen.
In diesem Tempo würde ich womöglich noch Angst vor geschlossenen Räumen bekommen. Meine innere Stimme ergänzte: „Wenn du davon kommst".
Pfiff. Mit einem neuen abgehackten Atemzug sprang ich ruckartig zur Seite. Knall. Und die hungrigen Flammen arbeiteten sich durch das Holz der Kutsche, und zwar dort, wo noch vor wenigen Sekunden mein Kopf gewesen war. Irgendwo da draußen hörte ich das unruhige Wiehern der Callidussen, während meine Sicht immer verschwommener wurde.
Pfiff. Knall ... Pfiff. Knall ...
„Ayla. Um Gottes willen, bleib bei Bewusstsein!" Ein fester Griff der eiskalten Hand an meinem Oberarm ließ mich langsam zurück in die reale Welt gleiten.
„Sind sie das? Sind das die Flames?", flüsterte ich erschöpft in der Hoffnung, dass der Kutscher mich durch das Geknister des Feuers hören würde.
„Wäre auch nur zu seltsam, wenn es keine wären. Findest du nicht?"
Ein dumpfer, tiefer Ton nahm mir das Recht auf eine Antwort. Funken flogen in alle Richtungen und trafen teilweise auf meine nackte Haut am Handgelenk. Vajkan zerrte mich an meinem Arm, worauf ich hörbar nach Luft schnappte. Bum! Erneut prallte ein Feuerball gegen die Kutsche, diesmal aber viel näher an uns.
Da es keine Zeit für Worte blieb, wechselten wir nur verzweifelte Blicke — Feuerbälle flogen im Gegensatz zu Feuerpfeilen nur eine bestimmte Strecke. Und das konnte nur eins heißen: Die Flames mussten schon nah sein.
Kraftlos ließ ich es zu, als Vajkan mich plötzlich hochhob und mich über seine breiten Schultern warf. Durch das brennende Holz schleppte er mich nach draußen und setzte mich auf den türkisen Rücken eines der Callidussen, welcher durch das Feuer zu aufgeregt war, um auf mich zu achten. Die Leiche seines Artgenossen lag daneben in einer unnatürlichen Pose im Laub und brannte langsam ab. Viel mehr tat mir aber Vajkan leid, der mit Tränen in den dunklen Augen dem lebenden Callidus behutsam über den Rücken strich.
„Was tust du?" Vajkan neigte sich leicht, um einem Feuerball auszuweichen, ehe er mir eine Antwort gab.
„Das einzige, was mir noch bleibt."
„Und das wäre?"
„Dein Leben retten", er musterte aufmerksam mein Gesicht, bevor er fortfuhr, „Ich werde sie ablenken und du reitest in die Unendlichlange Wüste. Klar?"
Ich verneinte seine Frage. Der Plan gefiel mir ganz und gar nicht. Es war unter meiner Würde, dass ich Menschen für mich sterben ließ. Schon die vier Höllenhunde letzte Nacht war mehr als genug gewesen. Doch Vajkan schien meine Meinung gar nicht zu interessieren.
„Orel. Enttäusche mich nicht. Der Weg ist dir vertraut.", dann wendete er sich wieder mir zu, „Alles wird sich schon irgendwie zum Guten wenden. Du wirst sehen." Sein Mundwinkel zuckte kurz aufmunternd nach oben, doch es ließ mich trotzdem nicht besser fühlen. Ein ätzendes Gefühl, ein Bedauern, kribbelte wie Ameisen unter meiner Haut, zerfetzte mein Herz, meine Seele und ließ mich Worte vergessen, welche ich in diesem Moment unbedingt erläutern wollte ...
Und als sie mir endlich wieder einfielen, war es schon zu spät.
𑁍 𑁍 𑁍
Wie lange war ich schon geritten? Vajkans laute Schreie waren längst verstummt, jedoch ließen sich zum Glück auch keine Flames hören. Nur noch Orels Schnauben zerriss die Stille der leeren, toten Wüste, in die wir unvermeidlich immer tiefer hineingingen. Die Bäume waren nun bereits hinter uns geblieben und auch das Gras wurde mit jedem Callidussen-Schritt dürrer. Fluchend zappelte ich auf Orels Rücken herum.
„Bleib jetzt endlich stehen! Wo willst du nur hin? Vajkan ist nicht da, wir sind verloren!" Ich schlug genervt gegen Orels Hals.
„Verdammt!" Eilig zog ich meine Hand zurück und sah einen tiefen Schnitt in der Handfläche, welche von Orels Stacheln am Hals stammte. Das hat mir gerade noch gefehlt bei den ganzen Brandwunden! Zum Glück hatten die Feuerbälle und -Pfeile mir nur über die Haut gestreift und keine ernsten Verletzungen hinterlassen.
„Wir werden uns verirren, ist das dir eigentlich bewusst? Vielleicht sollten wir lieber kehrt ma ..." Ich verstummte, als ich mich an die Flames erinnerte ... Nein. Nicht zurück in diese Hölle. Doch was blieb mir sonst noch? Vor mir war die Wüste, die mir nur einen Tod versprach. Hinter mir — meine Feinde, die mich lebendig verbrennen würden. Ob nach vorne oder zurück — überall würde es für mich nur ein Ende geben. War es dann nicht gleichgültig, wo ich hinritt?
„Na ja, ist auch egal. Kannst du aber vielleicht etwas langsamer laufen? Meine Oberschenkel fallen gleich ab." Keine Reaktion. Empört biss ich mir auf die Zunge und ließ die Versuche, mit Orel klarzukommen, schließlich sein. Blödes Tier.
Verzweifelt probierte ich, mir einen Zauberspruch einfallen zu lassen, doch auch dies musste ich aufgeben. Noch nie hatte ich einen Zauber gelernt, der mir als Navigationsgerät dienen könnte. Das einzige, was mir einfiel, war der sogenannte Schazhiso-Spruch, welchen ich in meiner Magie-Basis Schule gelernt hatte. Der Selbstmordzauber war nun einmal sehr hilfreich für viele zu unserer Zeit. Es war wichtiger denn je sich selber die Qual des Lebens schmerzfrei nehmen zu können, wenn man in solche Situation wie ich geraten sollte.
Mehrmals hob ich meine Zeige- und Mittelfinger in die Höhe, um die mir bekannten Runen in der Luft aufzuzeichnen. Aber kein einziges Mal traute ich mich.
Doch warum? Warum kämpfte ich trotz allem weiter, was erhoffte ich? Dass Vajkan wusste, was er da tat, als er gemeint hatte, dass Orel den Weg kennt? Dass ich nicht lache! Seine letzten Worte waren eher eine Art Wahn gewesen, eine Fantasievorstellung einer kurz vor dem Tod stehenden Person.
Wie aus dem Nichts blieb Orel abrupt stehen, wodurch ich schroff nach vorne kippte und beinahe von seinem Rücken flog.
„Verflucht, Orel! Kannst du nicht einmal aufpass ..." Das letzte Wort blieb mir wie ein Klumpen im Hals stecken.
Direkt vor uns stand ein großer antiker Spiegel. Sein silbern schimmernder Rahmen war mit zahlreichen verschnörkelten Ornamente und bläulichen Steinen verziert.
Ohne den misstrauischen Blick von dem alten Gegenstand abzuwenden, stellte ich einen Schutzzauber auf. Normale Spiegel standen üblicherweise nicht mitten in der Wüste, also könnte es ein Artefakt sein. Und diese verfügten nicht immer nur an guter Magie.
Langsam stieg ich von Orel runter und näherte mich dem Artefakt. Mit jedem Schritt versanken meine Füße im Sand, was das Gehen verkomplizierte. Doch in dem Moment war ich nicht in der Lage mich auf etwas anderes, als auf den magischen Spiegel zu fokussieren. Mit seiner ungewöhnlich hellen Aura raubte er mir gierig meine Sinne, meine Gedanken und versetzte mich in einen traumähnlichen Zustand. Mit jeder Sekunde verlor ich immer mehr die Kontrolle über die Situation und mein Körper.
Kurz vor dem Artefakt blieb ich endlich stehen. Ach, wie nah er doch war! Ich müsste nur die Hand ausstrecken, um die kühle Oberfläche zu berühren. Eine Weile kämpfte mein Verstand mit der Anziehungskraft des Spiegels, während ich stumm mein erblasstes Spiegelbild in Vajkans übergroßem Hemd betrachtete. Danach gab ich der Versuchung nach. Behutsam legte ich meine Fingerspitzen auf die Verzierungen am Spiegelrahmen, wodurch das Material unter ihnen zu vibrieren begann. Doch dies war mir nicht genug.
Und als meine Finger die Oberfläche berührten, kräuselte sie sich wie Wasser. Geschockt wollte ich zurückweichen, doch die Verlockung übertraf die Angst. Ich tauchte hinein.
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