✩ Kapitel 3 ✩
Kutscher Vajkan Iustus war ebenso wie Onkel Jacob ein Ausgestoßener. Der Gedanke, dass jetzt ich und nicht er, diejenige ohne jeglicher Rechte war, ließ mich gereizt auf die Unterlippe beißen. Schließlich war ich schon mein Leben lang eine edle Lady gewesen und badete beinahe in Geld. Und was blieb mir jetzt? Ich seufzte.
Was Vajkan anging — ich wusste selber nicht ganz genau, was ich von ihm halten sollte. Mal war er offen und gesprächig und ein paar Minuten danach wieder aufgebracht. Er hat den Fakt, dass er absolut entrechtet war, nie akzeptieren wollen, was sein Leben vermutlich deutlich erschweren musste.
Und nun stand der stämmige Kutscher vor mir, angelehnt an den Türrahmen seines kleinen Häuschens, mit an der Brust verschränkten Armen und vielen Falten zwischen den zusammengekniffenen buschigen Augenbrauen, welche perfekt mit seinen dunklen, fast schwarzen Augen harmonierten. Sein Blick schweifte unbeeindruckt über meinen Körper und blieb schließlich bei meinem Gesicht hängen.
„Nun, was ist los?" Kein Zittern in seiner Stimme, kein Mitleid, die Gleichgültigkeit, das war es, was ich wahrnahm.
„Häuser werden zerstört, Menschen werden getötet und ich wurde in der letzten Nacht fast vergewaltigt. Das ist los!", übertrieb ich.
Vajkans Braue wanderte in die Höhe und schon bald darauf folgte ihr die Zweite. Sofort bereute ich meine Ungeduld und meinen Ärger. Klar, ich brauchte jemanden, an dem ich meine Wut rauslassen konnte, jedoch sollte ich den Kutscher fürs Erste lieber nicht provozieren. Letztendlich war er der Einzige, der mir irgendwie helfen konnte.
„Was überrascht dich denn so? Ihr Waves, habt uns schon immer wie ein Haufen Dreck behandelt. Es war doch klar, dass die Flames sich irgendwann wehren würden." Er blickte mir vorwurfsvoll in die Augen, als wäre es ich allein, die schuldig an seinem Schmerz war. Zwar wusste ich, dass ich keinerlei Verantwortung für sein Leiden trug, doch spürte trotzdem eine erstickende Reue.
Vajkan war immer schon der Einzige gewesen, der mich so etwas wie Scham fühlen ließ. Nur dank ihm wusste ich überhaupt, was dieses Wort bedeutete. Aber am meisten ärgerte es mich, dass ich nicht verstand, wie es ihm immer wieder aufs Neue gelang, mich in so einen Zustand zu bringen.
„Warum haben die Monarchen noch nie etwas unternommen?"
„Könige Oakley und Fatjon sind in freundschaftlicher Beziehung zueinander und die „kleinen" Meinungsverschiedenheiten der Völker interessieren sie eher weniger, solange es nur die kleinen Städtchen sind, die von Angriffen betroffen sind", zuckte Vajkan mit den Schultern. Darauf seufzte ich nur — was wahr war, war wahr, der König der Waves und der König der Flames waren im Geringsten nicht verantwortungsvoll.
„Nun, kommen wir mal zur Sache!", nervös knetete ich meine verschwitzten Finger, „ich würde dich gerne bitten, wenn es dir nichts ausmacht mich zu der Bright-Water Academy zu bringen. Ich habe sogar das Geld!"
Stolz zog ich mir einen der Hausschuhe aus. Vajkan beobachtete mich belustigt, während ich im Schuh herumkramte, dann endlich den zerknitterten Geldschein hinauszog und ihn erfolgsverwöhnt dem Kutscher von allen Seiten präsentierte.
„Ayla, ich kann dir nicht helfen", meinte Vajkan schroff und lenkte seinen Blick in eine andere Richtung.
„Wieso nicht?", erschrak ich und ließ enttäuscht die Schultern hängen. Das durfte doch nicht wahr sein!
„Die anderen Flames haben mir gesagt, ich soll keinen Wave aus Zamis hinausbringen." Meine brüllende Wut ließ sich wieder anmerken. Warum gab es zu meiner Zeit so wenige ehrenvolle Menschen? Ich ballte meine Hände zu Fäusten, doch versuchte die Emotionen sofort wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Aber den Flames sollte das doch egal sein! Die Könige würden sich eh nicht für Zamis interessieren, wenn jemand die Flames verpetzten würde! Und wenn überhaupt — seit wann lässt du dir was von den anderen sagen?"
„Sie wollen euch alle vernichten, verstehst du das etwa nicht? Nur deshalb sind sie doch hier! Sie wollen Rache, das ist alles", er seufzte, „Dieses Gespräch wird zu nichts mehr führen, Ayla. Es tut mir leid. Lebe wohl!"
Mit diesen Worten wollte der Flame schon die Tür vor mir ins Schloss fallen lassen, doch ich ließ es nicht zu. Ich hatte genug von geschlossenen Türen! Fest klammerte ich mich an Vajkans Ärmel. Ich musste nun mal dringend meine Taktik ändern.
„Nein, Vajkan! Bitte! Du warst doch immer so fair, viel fairer als die anderen! Du kannst mich doch nicht hier allein zurücklassen. Vajkan!"
„Ayla, das reicht jetzt! Lass mich los! Ayla!", brüllte mich der Kutscher zornig an, doch ich hörte nicht auf. Im Gegenteil — immer hastiger wiederholte ich meine Worte, immer mehr Tränen rollten mir die Wangen hinunter und immer rascher drückte ich mich gegen Vajkans Arm, als wäre er meine einzige Rettung und wenn ich ihn loslassen würde, würde ich auch gleichzeitig meine letzte Hoffnung verlieren.
Eine Zeit lang versuchte Vajkan mich loszuwerden, doch schließlich gab er auf und drückte mich fest an sich ran. Fassungslos und ohne geringster Ahnung, was ich da tat, entgegnete ich die Umarmung.
Im Gegensatz zu meinem Onkel roch Vajkan nicht nach Schweiß. Sein Geruch war erfüllt mit Nadelbäumen und einem Hauch von frisch gemähtem Gras. Ich mochte, wie es roch. Es erinnerte mich daran, wie ich als noch ein kleines unschuldiges Mädchen durch die Felder lief und mich in Heuhaufen vor meinen Hausmädchen versteckte. Obwohl meine ganze Kindheit gar nicht so schön war, hatte ich das Leben mit meinen riesigen Augen betrachtet und es wie etwas ganz einfaches und verständliches wahrgenommen, etwa wie ein spaßiges Spielchen.
„Ich werde gucken, was ich machen kann, Ayla. Bitte hör nur auf zu heulen!", hauchte mir der Kutscher ins Ohr, worauf ich befriedigt mich von Vajkans durchnässtem Shirt löste und mir mit der Hand über die Wange wischte.
„Du kleine Schauspielerin!", schnaubte der Flame, worauf ich ihm nur zufrieden entgegenlächelte. Uns beiden war bewusst, dass Frauentränen Vajkan weicher werden ließen, was ich gerade erfolgreich ausgenutzt habe.
„Ich bin bloß nur sehr anpassungsfähig."
„Komm jetzt rein und bring dich in einen gepflegteren Zustand! So kannst du wohl nicht in der Academy erscheinen", wechselte der Flame das Thema und deutete mit einer Kopfbewegung auf meine hellblaue Pyjama mit lächerlichen Höllenhunde-Welpen darauf, welche die Welt mit ihren riesigen Glupschaugen betrachteten.
Zufrieden nickte ich und marschierte an Vajkan vorbei in seine kleine und doch gemütliche Wohnung.
„Gerade aus, die Tür links. Die Klamotten bringe ich dir gleich", warf mir der Kutscher nur hinterher.
𑁍 𑁍 𑁍
Es war so weit. Zögernd stand ich vor Vajkans Callidussen-Kutsche und bemühte mich um Selbstbeherrschung. Es war unerwartet schwer, mich von meiner Heimatstadt für immer zu verabschieden. Ich hatte Zamis in all den Jahren tatsächlich ans Herz schließen können, trotz der eintönigen Tage der grausamen Vergangenheit. Doch nun schien sie mir, wie etwas ganz utopisches und unerreichbares gewesen zu sein im Vergleich zu der Gegenwart, die sich anscheinend ganz gegen mich gewendet hatte.
Ein unruhiges Schnauben unterbrach meine dunklen, hoffnungsfreien Gedanken. Vor Schreck fuhr ich zurück, bevor ich die Callidussen erblickte, welche mit ihren menschenartigen Fingern genervt die Erde durchwühlten und mich hassvoll ansahen. Was sie wohl gegen mich hatten? Sogar Vajkan, der soeben auf dem Kutschbock saß und sie zu beruhigen versuchte, akzeptierten die Callidussen mehr, obwohl dieser ein Flame war und es für niemanden ein Geheimnis war, dass die Monster die Feuerherrscher über alles verabscheuten. Es gab Reden, dass Vajkan seine Tiere einmal von dem sicheren Tod bewahrt hatte und sie ihn seitdem als ihren Verbündeten sahen. Ja, in diesem Sinne war Vajkan eine laufende Legende — der einzige Flame, der Callidussen-Seelen für sich gewinnen konnte.
„Ayla, steigst du jetzt ein oder willst du da Wurzeln schlagen? Orel, Ares, was ist los? Beruhigt euch, verdammt nochmal!" Die Callidussen regten sich tatsächlich etwas ab, doch der unruhige Atem und ihre bösartigen Blicke, unter denen ich mich klein und schwach fühlte, blieben.
„Ayla!", drang mich Vajkan zur Eile. Das letzte Mal warf ich den Monstern ein Seitenblick zu und stieg dann in die Kutsche.
Drinnen war es übertrieben eng, sodass ich das Gefühl bekam, nicht mehr frei atmen zu können. Mit einem Tornado an Emotionen, das all meine Versuche klar zu denken mit Leichtigkeit zerstörte, ließ ich mich auf die Sitzbank fallen.
Draußen hörte ich Vajkan die Callidussen antreiben, ehe sich dann die Kutsche wie ein großes faules Tier langsam in Bewegung setzte.
Mit Tränen in den weit aufgerissenen Augen schaute ich aus dem Fenster und betrachtete das letzte Mal die kleinen grauen Häuser im trüben Licht der feuerroten Morgendämmerung und versuchte mir jede einzelne Ecke im Gedächtnis einzuprägen, um mich später, weit entfernt von hier, noch an alles erinnern zu können.
Je länger wir durch die düsteren Straßen fuhren, desto seltener und ärmer wurden die Häuser. Die Waldriesen, welche wir immer öfter trafen, winkten uns mit den Ästen zum Abschied und flüsterten mit dem Rauschen der Blätter aufmunternde Worte zu, welche sich immer wieder wie Echo in meinem Kopf wiederholten und mich für wenige Momente alles vergessen ließen.
„Wie lange denn noch?" Auf die Antwort wartend, lehnte ich mich an das kleine Fenster und atmete tief die frische Waldluft durch.
„Wir müssen nur noch in die Unendlichlange Wüste hineinfahren."
Ich kniff meine Augenbrauen zusammen. In die Wüste hineinfahren? Wieso denn nur? Oder meinte Vajkan damit, dass sie sie überqueren mussten? Das würde ja dann Tage dauern!
Plötzlich fiel mir noch ein wichtiger Fakt ein, welcher all meine anderen Gedanken in Lichtgeschwindigkeits-Tempo in den Hintergrund fliegen ließ. Die Unendlichlange Wüste befand sich, solange ich mich noch richtig erinnern konnte, im Osten von Zamis, doch die Academy eher nordwestlich. Wir fuhren also komplett in die falsche Richtung!
„Vajkan! Ist die Bright-Water Acade ..."
Doch ich schaffte es nicht mehr den Satz zu vollenden, da wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt ein Feuerball vorbeihuschte.
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