✩ Kapitel 2 ✩
Zerstreut und fast schon emotionslos betrachtete ich mein Zuhause, das immer noch in Flammen stand. Das tanzende Feuer feierte seine Freiheit mit seinen Herrschern, den Flames. Diese riefen und schrien irgendwas durch die Nacht, doch ich hörte es nicht. Ich wollte es nicht hören.
Jetzt war alles verloren. Zamis wurde wieder von den Flames übernommen. Was sollte ich tun, eine mickrige Wave, die von allen vergessen wurde? Nicht einmal meine Eltern haben sich die Mühe gegeben mich mitzunehmen, wo auch immer sie hin fliehen wollten. Ich vermutete, das hatte was damit zu tun, dass wir nur zwei Callidussen hatten, aber auch wenn es anders wäre, hätte es vermutlich trotzdem nichts für mich geändert.
Und ich konnte es ja auch verstehen — im Krieg hatten Familie und Freunde keinen Wert. Jeder kämpfte für sich allein und Menschen, um die man sich kümmern würde, wären nichts weiter als eine Last. So habe ich es ja auch getan — meine Eltern einfach auf den Tod zu reiten lassen.
Der Drang, zu den Flames zu gehen und sich ihnen zu stellen, wurde mit jeder quälend langsamen Sekunde größer. Ich wollte ihnen sagen, was ich dachte, ich wollte zeigen, dass sie Unrecht hatten. Doch das Einzige, was ich machen konnte, war es, versteckt auf diesem Baum zu hocken und versuchen, mich zusammenzureißen. Teilweise gelang es mir, doch sollten meine Gedanken wieder zu meinem hoffnungslosen Zustand zurückkehren, brach ich wieder in Tränen aus. Sie flossen mir aus den Augen, die Wangen hinunter und ließen nur nasse, salzige Spuren auf der Haut zurück. Doch mit jeder Träne vergingen auch meine Hoffnungslosigkeit, meine Angst, meine Furcht. Alles was übrigblieb war eine Leere, die im Inneren gnadenlos meine Seele zerriss.
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Man könnte wirklich denken, es war erstaunlich schön. Die hungrigen Flammen waren fast wie große Krieger, sie zischten und brüllten im Chor, sie waren alle eins. Das große Feuer. Und ich wäre bestimmt verzaubert davon gewesen, wäre da nicht die Tatsache, dass das Gebäude, das sie fraßen, mein eigenes Heim war. Und dass die Herren des Feuers, die Flames, meine seligsten Feinde waren.
Unfähig, sich länger diesen Horror anzusehen, kletterte ich von der dicken Eiche runter. Bei jeder kleinsten Bewegung verzerrte ich mein Gesicht vor Schmerz, da die kleinen Kratzer, die ich noch beim Fliehen abbekommen hatte, wie tausende Wespenstiche brannten. Vielleicht übertrieb ich auch. Aber für mich, die noch nie zuvor irgendwelche Verletzungen gehabt hatte, war dieser Schmerz unerträglich.
Wie im Trance kämpfte ich mich durch den Rauch der stickigen kleinen Straßen, verloren in meinen eigenen Gefühlen, Gedanken und Empfindungen. Noch nie hatte ich so viel Angst, mich auf dem Boden von Zamis zu befinden. Bei jedem leisen Geräusch fuhr ich erschrocken zusammen und sah mich um, doch immer war es nur das unbekümmerte Pfeifen des Windes, der durch die Straßen zog und mit den ersten Herbstblättern spielte.
Schließlich bog ich auf eine der ärmsten und dreckigsten Gassen des Städtchens ab, wo alle Häuser total schief und durcheinander standen. Vor einem dieser Häuser blieb ich stehen.
Eine Weile betrachtete ich abwesend die graue Türklinke und die abgeblätterte Farbe der schiefen Holztür. Danach klopfte ich vorsichtig an. Als mir niemand aufmachte, wiederholte ich genervt den Klopfer. Immer deutlicher hörte ich Schritte, bis sich die Tür mit einem traurigen Quietschen öffnete. Sofort stieg mir ein unerträglicher Gestank der Nässe in die Nase.
Ein Flame, mein Onkel Jacob, mit dem ich noch nie viel zu tun hatte, stand in einem weißen abgetragenem Oberteil und einer zu kurzen blauen Hose, barfüßig vor mir. Eine eiserne Kälte ging von ihm aus und der feste Blick der spärlichen grauen Augen traf mich, wie zwei winzige, spitze und tödliche Feuer-Pfeile ein Opfer trafen. Ich hatte meinen Onkel vorher nur ein paar Male gesehen, als er betend vor unserer Tür gestanden hatte und meine Eltern angefleht hatte, ihm etwas Geld zu geben. Kein einziges Mal hatte er was bekommen. Und nun stand er fest und selbstbewusst da, mit dem gehobenen Kinn, so edel wie ein König, obwohl er wusste, wie armselig seine Existenz in Wirklichkeit war.
„Ayla?", der Onkel runzelte unzufrieden die Stirn, während er meinen kleinen unscheinbaren Körper musterte, „Was willst du hier?"
„Helfen Sie mir." Die Bitte sollte eigentlich selbstbewusst klingen, doch stattdessen hörte sie sich eher wie ein anspruchsloses Keuchen an. Auf dem schmalem, klapperdürrem Gesicht Onkel Jacobs zeichnete sich so was Ähnliches wie ein Lächeln ein.
„Warum sollte ich? Ich erinnere mich noch, wie mein Vater mich und meine Mutter aus der Familie verbannt hat, nur, weil wir beide Flames waren. Er hat mich damals gezwungen meinen eigenen Namen aufzugeben, da so einer wie ich ja keinen Y-Namen verdiente. Warum sollte ich dir helfen, nachdem deine Familie mir das angetan hatte?", knurrte der Onkel und verschränkte seine behaarten Arme auf der Brust.
Ich öffnete mein Mund, doch presste sofort meine Lippen wieder zusammen, als mir einfiel, dass ich nichts Schlaues erwidern konnte. Onkel Jacob hatte recht — es war hartherzig von meinem Opa so etwas zu tun, doch so war es eben im Krieg. Flames durften keine Y-Namen tragen und Waves keine J-Namen. Und Freundschaft zwischen den unterschiedlichen Element war etwas ganz Absurdes, geschweige von einer Familienbeziehung.
Früher war Zamis viel mehr eine Wave-Stadt gewesen, bis plötzlich Flames in Wasser-Familien geboren wurden. Der Schock war ziemlich groß gewesen, viele Menschen hatten ihre Familien verlassen und sich in der Stadt einen Job gesucht. Nur wenige verließen Zamis — schließlich war es eine kleine Stadt, viel mehr sogar ein Dorf, umgeben nur von Wäldern und einer Wüste. Der Weg bis zu der nächsten Flame-Stadt dauerte selten weniger, als mehrere Tage und so eine lange Fahrt mit der Kutsche konnte sich kein Ausgestoßener leisten.
Ja, das Leben in Zamis war hart. Dies konnte aber niemand ändern, weshalb man es einfach so akzeptieren sollte.
„Waren meine Eltern heute hier?", fragte ich kalt. Der Onkel legte sein Kopf etwas schief, wodurch ich freien Blick auf seine dicken Narben am Hals bekam, welche mich erschaudern ließen.
Als hätte der Flame gar nicht meine Frage gehört, knallte er die Tür vor mir zu.
Von wegen, Onkel Jacob würde mich unterstützen! Ich konnte mich doch heute Nacht unmöglich verhört haben — „Außerdem wird ihr Jacob helfen" hatte mein Vater gesagt! Was hat er eigentlich erhofft, als er gedacht hat, dass Onkel Jacob mein Schicksal auf irgendeine Art und Weise interessierte?
Verärgert stampfte ich wie ein kleines Kind mit dem Fuß und wollte mich schon umdrehen, um zu verschwinden, als das Quietschen der Tür sich plötzlich wiederholte.
„Ich gebe zu, ich wollte dir eigentlich nicht behilflich sein. Doch nun denke ich, dass ich so nicht bin. Ich habe Ehre." Eine ganze Weile stand der Onkel schweigend da, irgendwo ganz in seinen Gadanken, bis er endlich fortfuhr: „Sie haben dir Geld hinterlassen. Für die Kutsche und die Bright-Water Academy" Ich blinzelte nur desorientiert, als mir ein Geldschein in die Hand gedrückt wurde.
„W ... wie die Academy? Aber meine Gabe ... meine Gabe, sie hat sich doch noch gar nicht ...", stotterte ich, während ich das Stück Papier in meiner Hand musterte. Die zu Schlitzen zusammengekniffene Augen des Flames schien sich über mich lustig zu machen. Wie auf Kommando spannten sich all meine Muskeln an. Nicht ohne Grund.
„Dies, liebe Ayla, ist nicht mein Problem", kam auch meinem Onkel endlich raus, „Ich habe dir das Geld für die Kutsche gegeben und die Academy werde ich dir wohl auch bezahlen müssen. Das wird mir aber sicher ausreichen, um kein schlechtes Gewissen zu haben."
„Kann ich zumindest bei Ihnen übernachten? Die Kutscher arbeiten nicht nachts, wo soll ich schlafen?"
„Es dauert nicht mehr lange bis zum Sonnenaufgang, bis dahin wirst du wohl kaum umkommen. Verschwinde jetzt!"
Er ist so ein ... Callidus! Ganz genau, Callidus! Nur diese verdammten Tiere waren so hartherzig und rachsüchtig, dass sie einem beim Sterben gern zusahen. Ich schluckte all meine Proteste runter.
„Wie Sie wünschen, mein lieber Onkel."
Onkels Miene verformte sich, wie Knete, zu einer gequälten Grimasse. Fast unhörbar sog er die Luft ein, nickte eilig und schloss vor mir die Tür.
Ich stand wieder allein in der engen Gasse und das Einzige, was von dem unangenehmen Gespräch zurückblieb, war der scheußliche Gestank der Armut.
Unzufrieden stopfte ich mir den Geldschein in einen der Hausschuhe, damit er nicht verloren ging und machte mich auf den Rückweg zu meiner geliebten Eiche, da es keinen anderen Ort gab, wo ich sonst übernachten könnte.
Wiedermal musste ich mich durch die dunklen Straßen und meine Ängste quälen. Überall hörte ich die feierlichen Rufe der Flames, die betrunken mit ihrer gewonnenen Freiheit, den Waves den Tod wünschten und sich selber feierten. Diese Nacht musste ich vorsichtig sein, mir konnte alles passieren. Jeder, aus Versehen vorbeigehender Flame, konnte mich vergewaltigen und dann ermorden, ohne, dass ich irgendwas dagegen tun könnte. Flames kannten nun mal keine Gnade und ich hatte keinen Elementen um mich einigermaßen zu beschützen. Ich hatte keine Familie, die sich um mich kümmern würde. Ich hatte nicht einmal ein Dach über dem Kopf.
Nur der dunkle Ritter, der Nachtwind, blieb noch mein treuer Begleiter. Er spielte mit meinen Haaren und streichelte mir aufmunternd über die Haut. Er war wie ein mächtiger guter Zauberer und schien mir sagen zu wollen, dass meine Probleme nicht von Bedeutung waren.
Er war höher als alles. Höher als die Bäume, die Flames, höher, als alle Könige der Welt. Und über alles, was uns Menschen kümmerte, lachte er. Er lachte über unsere Ängste, über die ganzen Konflikte, ja, sogar über diesen Krieg lachte er.
Verroht sah ich zum letzten Mal auf und erblickte in der Ferne den Rauch, der über die Dächer hinweg aufstieg, ehe ich ihm dann den Rücken zukehrte und in der Finsternis verschwand. Nur noch der bittere Geruch in meiner Nase erinnerte mich an das gnadenlose Feuer, welches hinter mir brannte. Das Feuer, das mein Leben verändert hatte.
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