✩ Kapitel 17 ✩

Dunkle steinerne Wände, eine massiver als die andere, wechselten sich ab. Ein fernes Knurren setzte sich gegen unsere hallenden Schritte durch, doch ich zeigte keine Reaktion – schon seit einer Stunde waren wir in der Finsternis umhergeirrt und so war ich schon längst an die seltsamen Geräusche gewöhnt.

Der Gestank von Fäulnis gemischt mit Schweiß und Urin drang an meine Nase. Der Schein der Fackel, die Kyan in der Hand hielt, erhellte unseren Weg im Umfang von lediglich zwei Schritten. Das Licht reichte gerade aus, um die anderen nicht aus den Augen zu verlieren.

„Denkt ihr, wir werden überhaupt irgendwelchen Gefahren begegnen? Noch zwei Stunden, dann ist es vorbei", teilte uns Dany mit dem Blick auf seine Armbanduhr mit. Diese war praktisch an seinen Anzug angenäht worden, sodass sie quasi zu der Jacke dazu gehörte.

„Gut wär's, würde alles glattlaufen. Ihr wisst schon – die Veranstalter werden es uns nicht leicht machen. Genauso wenig wie unsere Gegner", meinte Mary kurz darauf, „Habt ihr gesehen, was die Magier alles mitgenommen haben? Die ganzen Schwertarten kenne ich nicht einmal mit Namen!"

„Ich würde mir nicht so viele Sorgen um die Magier, wie um die Heiler machen", bemerkte Kyan knapp. Seine Stimme klang rau und trocken. Er bewegte sich gebückt vorwärts, als wäre da eine unsichtbare Last auf seinen Schultern, die ihn zu Boden zwang.
„Heiler?", wandte ich belustigt ein, „Was können die uns denn tun? Mit Erster Hilfe versorgen, bis wir uns geschlagen geben?"

„Man darf seine Gegner nie unterschätzen. Die Heiler sind nicht so harmlos wie du denkst", erwiderte Dany, „wir sind zwar nicht die besten Kämpfer, verstehen aber was in Chemie. Medizin ist nicht immer Medizin. Ein Tropfen zu viel und das harmloseste Heilmittel wird zum stärksten Gift."

Überrascht hob ich meine Braue in die Höhe. Jetzt war alles doch nicht so einfach, wie ich gedacht hatte. Wenn sogar die Heiler was auf dem Hut hatten, was war dann von den anderen zu erwarten?

„Hört ihr das auch?", erklang Rubys Stimme in meinem Kopf.

Ich lauschte.

Da war tatsächlich etwas. Ein seltsames Geräusch, das immer lauter wurde, war zu hören. Es war kein Fauchen, Kreischen oder Brüllen, sondern die Mischung aus allen drei.
Meine Muskeln spannten sich wie auf Kommando an. Mit meinem Wahrnehmungsvermögen spürte ich, wie alle anderen ebenso die Luft anhielten. Währenddessen kam uns die schlummernde Gefahr immer näher.

Kyan schnappte nach seinem Schwert.
„Bleibt hinter mir", wisperte er kaum hörbar.
„Hinter uns", fügte Ruby hinzu und trat nach vorn. Er fletschte seine Zähne und knurrte so aggressiv, dass sich widerwillig eine Gänsehaut auf meinem Rücken bildete.

Zitternd vor gegensätzlichen Gefühlen, die mich überschwemmten, ging ich einen Schritt zur Seite.
Es ist nur ein Spiel, mir kann nichts passieren, redete ich mir ein, doch es wurde nicht besser.

Mich ermutigte etwas, dass es Dany und Mary genauso ging. Der Vampir war wahrscheinlich noch zu jung und die Wandlerin bestimmt zu unerfahren, was das Kämpfen anging.

Soviel zum Thema Teamgeist.

„Bei Gott, es sind Drachen!", raunte Mary neben mir.

Und zum Thema Glück.

Instinktiv trat ich noch etwas nach hinten.

Drachen. Die gefährlichste aller möglichen Gefahren. Wahre Mörder, herzlose Geschöpfe. Sie waren nicht riesengroß, wie es in den ganzen Sagen hieß, sondern etwa so klein wie ein Höllenhund. Sie zogen sich in Höhlen zurück und lebten in Kleingruppen, fern von Menschen und jeglichen Lärm.

Doch sollte ihre Ruhe gestört werden ...

„Ayla, pass auf, sie kommen aus allen Richtungen!"

„Sehe ich selbst!", wollte ich zurückschreien, doch dafür blieb keine Zeit mehr. Ein kleines Monster in Smaragdgrün spuckte mir Feuer ins Gesicht, doch ich hatte mich noch rechtzeitig auf den Boden schmeißen können. Es hat mir nur über die Wange gestreift.
Aus Angst, entdeckt und abgefeuert zu werden, blieb ich reglos auf dem kalten Boden liegen. Nicht einmal er konnte den tobenden Vulkan in mir löschen.

Es war einfach zu viel für mich. Viel zu viel.
Helle Flammen schlugen in die Wände, die Decke ein, explodierten in tausende helle Funken, welche dann durch den Raum flogen und ihn erhellten. Ich wusste nicht mehr, wann ich das letzte Mal so viel Angst gehabt hatte. Sogar die Nacht meiner Flucht damals war nicht so schlimm gewesen. Da konnte ich laufen und handeln. Hier war ich komplett eingeschränkt.

Aus diesem hoffnungslosen Zustand weckte mich das Klirren von Kyans Schwert, das zu Boden, fast auf meinen Kopf, fiel.
Erschrocken sprang ich auf die Beine. Nur Flügel und Flammen – mehr war es nicht zu erkennen. Kyan deckte mich mit seinem Körper, als er mich sah. Ruby tat es ihm  gleich. Dany saß zusammengekauert irgendwo ganz in der Ecke und versuchte sich offenbar so unscheinbar wie möglich zu machen. Und Mary ...

„Pass auf!", schrie ich, so laut ich konnte, doch es war schon zu spät. Eine dicke Flamme traf die Gestaltwandlerin am Bein, worauf sie vor Schreck und Schmerz aufschrie und zu Boden fiel.

„Dany, deine Salbe! Hilf ihr, wir decken euch!", rief Kyan durch den ganzen Lärm und drückte mir aus irgendeinem Grund das Schwert in die Hand. Es war sehr aufmerksam von ihm gewesen, dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, wie die Waffe gegen Feuer hilfreich sein konnte.

Verzweifelt wirbelte ich damit herum, um irgendwie beschäftigt zu sein, während Kyan die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenkte und gleichzeitig versuchte, den Flammen auszuweichen.
Fieberhaft warf ich einen Blick nach hinten, um zu sehen, wie weit Dany mit seinem Heilprozess war. Der Heiler kniete neben der Verletzten und murmelte etwas vor sich hin. Seine linke Hand lag an Marys Knie, genau dort, wo sich die Brandwunde befand.

Was macht er nur?, fragte ich mich, und wo ist die Salbe?

„Vergiss die Salbe!", hörte ich Dany schreien und begriff, dass ich wohl meine letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte.
„Du benutzt doch nicht im Ernst deine Gabe?" Der Heiler antwortete nichts, doch dies war auch nicht nötig.

Eine starke Luftströmung hatte sich über den ganzen Raum um uns hinweggezogen und enormen Druck auf die Brust ausüben lassen. Ein Schrei blieb mir stumm im Hals stecken und ehe ich mich versehen konnte, war alles schon vorüber.
Dutzende Drachen lagen am steinernen Boden um uns herum, hilflos und elend, wie kleine Küken, die erst vor kurzem geschlüpft worden sind. Doch diese Reptilien waren keine frisch geschlüpften Babys mehr. Sie waren Tote. Echte Tote. Leichen.

Unwillkürlich erschauderte ich. Schon seitdem ich denken konnte, waren sie das einzige gewesen, wovor ich immer Angst gehabt hatte.
„Fürchte dich nicht vor Toten. Fürchte dich vor Lebenden", wisperte mir Ruby zu, der meine Reaktion gesehen haben musste. Schwer schluckte ich und nickte. Ein Anfall von Ekel stieg mir in die Kehle, doch ich riss mich zusammen. Es gab keine Zeit für mich und meine Phobien. Keiner von uns hatte es leicht.

„Wir sind am Leben geblieben. Aber ... warum?", fragte ich das, was mir von Interesse war. Laut Dany sollten doch alle Lebewesen sterben, die sich in der Nähe des Vorfalls befanden.
„Ich habe mehrere starke Schutzzauber in unsere Anzüge eingenäht, für den Fall, dass wir von untypischer Magie getroffen werden. Zwar bin ich ein Absonderlicher, das ändert aber nichts an der Sache, dass ich der stärkste Artefaktor der Schule bin." Die Überheblichkeit in Kyans Stimme war nicht zu überhören. Das nahm ich ihm aber nicht übel – Kyan hatte einen guten Grund, stolz auf sich zu sein.

𑁍 𑁍 𑁍

Nachdem wir ein wenig durchgeatmet hatten und Dany unsere Blessuren versorgt hatte, machten wir uns wieder auf den Weg nach neuen Gefahren und Herausforderungen. Mittlerweile taten meine Beine vor lautem Gehen weh und das Gefühl, dass wir auf einer Stelle tappten, breitete sich immer mehr in mir auf.

Mein Hunger schlug zu, als es nur noch zehn Minuten bis zum Ende des sinnlosen Kampfes  übrig war. Mehr als eine weitere Stunde war es nun seit unserem Sieg über die Drachen vorbei und wir strandeten immer noch ziellos durch die Tunnel und zählten jede Minute, die wir noch durchhalten mussten.

Beinahe war das schon unheimlich, dass wir niemanden trafen. War es so geplant? Und ob es den anderen Fakultäten wohl ähnlich ging?
Die Dunkelheit und die Abwesenheit eines Gefühls in den Beinen raubten mir langsam den Verstand. Der Hunger, Schmerz und Angst wuchsen zum großen Ärger. Eins war gut – es durfte nicht mehr lange dauern.

Aber gerade als wir uns entspannen wollten, passierte ein Überraschungsangriff. Das war nicht fair. Sogar die Drachen hatten sich herabgelassen, uns mit ihrem Knurren über ihre gefährliche Nähe Bescheid zu geben, aber die Heiler ...
Sie waren wütend, ich konnte es in ihren Augen lesen. Vielleicht waren sie einfach zu müde, erschöpft nach drei sinnlosen Stunden in dieser verdammten Arena. Sie waren nur erleichtert, uns zu sehen. Bloß weil sie wussten, dass ihnen dieser Sieg leicht fallen würde.

Ein Tropfen zu viel und das harmloseste Heilmittel wird zum stärksten Gift. Meine Freunde hatten recht.

Bombe. Hustenanfall. Noch eine Bombe. Kaum hörbar betete ich um Gnade. Es durfte nicht sein. Nicht jetzt. Noch fünf Minuten. Wir durften nicht aufgeben.
„Haltet durch!", keuchte ich, doch wusste, dass es niemand hören würde, „haltet durch. Bitte ..."

Die Giftbomben flogen auf uns zu, eine nach der anderen. Verdammte Heiler.
Kaum zu glauben, dass die Jury seelenruhig im großen Saal der Schule, in Sicherheit saß, während wir hier fast erstickten.

Nein, sie durften nicht lebensgefährlich sein, die Dinger. Yaak würde das nicht zulassen. Doch dank ihnen ohnmächtig zu werden, das war gut möglich.
Die Welt um mich wurde währenddessen immer verschwommener. Das schadenfrohe Lachen der Heiler, meine Freunde, die irgendwo ganz nahe und doch so fern stöhnten, der silberne Staub, welcher die Luft schwerer machen ließ – ich sah und hörte alles wie im Nebel.

Nein. Nein. Noch zwei ... zwei Minuten.

„Wir müssen sie schlagen. Sonst bekommen wir ... schlechte Bewertung", flüsterte ich heiser vor mich hin.

Und dann, fast am Rande der Bewusstlosigkeit, verspürte ich Groll. Es schien unvorstellbar ungerecht, dass es so dumm enden würde. Wir hatten uns voll ins Zeug gelegt. Wir hatten nicht aufgegeben. Wir hatten gekämpft. Bis zum Ende ...

Noch eine Minute. Eine einzige.

Und ich spürte, wie die Magie durch meine Adern floss. Sie war heiß, heißer noch als Blut. Ich konnte es fühlen. Es war unglaublich. Ich spürte sie in meinem Körper, in meiner Seele, sie wurde ein Teil von mir. Oder war sie es schon längst, bloß, dass ich sie nicht wahrnahm? Meine Fingerspitzen erhitzten sich und dann ... dann kam sie auf einmal raus. Meine Gabe.

Sie erhellte die Höhle, verjagte die Angst und den silbernen Staub, riss die Heiler nieder. Sie war wunderschön.

Nur war da eine Kleinigkeit.

Entgegen all meinen Schlussfolgerungen und Vermutungen war es kein Wasser.
Das Feuer, grausam und heftig, nahm den gesamten Raum der Höhle ein. Das Feuer, das alles zunichte gemacht hatte, was ich mir erhofft und gewünscht hatte. Ich hatte die Gabe meiner Oma geerbt.

Ich bin eine Flame, kam mir der Gedanke, ehe ich schließlich mein Bewusstsein verlor.

Keine Wave und kein Halbblut. Ich war eine vollständige Flame ...

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