✩ Kapitel 16 ✩
Die nächsten zwei Tage vergingen wie im Flug. Wir alle — Mary, Kyan, Dany, Ruby und ich — waren von Kopf bis Fuß in die Vorbereitungen fürs Turnier vertieft. Nach und nach brach sogar Kyans harte Schale, sodass auch er ehrgeizig auf unseren Sieg wurde.
Wir trainierten hart. Stundenlang waren wir damit beschäftigt, unsere Körper auf die harten Herausforderungen, die uns erwarteten, vorzubereiten. Und doch war uns klar, dass die Zeit, die wir hatten, zu knapp war. Andere Fakultäten hatten mehr Möglichkeiten gehabt, ihr Vorgehen zu überdenken. Und genau aus diesem Grund mussten wir uns besonders viel Mühe geben.
Wir durften nicht verlieren. Das würde sonst das Ende der ganzen Fakultät bedeuten.
Genau diese Gedanken tanzten in meinem Kopf, während ich im Speisesaal saß und vergeblich versuchte, etwas Essbares zu mir zu nehmen.
„Komm schon, Ayla", ermutigte mich Dany, der im Gegensatz zu mir keine Probleme mit seinem Appetit hatte, „Iss was. Du musst bei Kräften sein, wir wissen ja nicht, was uns bevorsteht."
Doch seine Worte machten mich nicht hungrig,ganz im Gegenteil erinnerten sie mich an das Turnier, das schon so gut wie vor der Tür stand. Ich blickte zu meiner Armbanduhr hinab. Noch eine Stunde. Eine einzige.
Die Zweifel nahmen immer mehr zu. War es tatsächlich richtig, was wir hier taten? Ob es vielleicht doch nicht so schlau gewesen war, uns anzumelden? Denn falls wir verlieren sollten ... dann wäre das theoretisch alles nur meine Schuld.
„Ayla? Kann ich dich kurz sprechen?" Sofort wurde es still im Saal.
Vor unserem Tisch stand Nyaan. Er wirkte erschreckend ernst. Erwachsen, nein, sogar alt kam er mir vor. Ich sah die Müdigkeit in seinen Augen, das Leid, den Schmerz ...
Ich wusste — Nyaan nahm ebenso wie ich an dem Turnier teil. Er war ein guter Stratege und ein unaufhaltsamer Kämpfer, es wäre absurd, wenn er von seinem Team nicht ausgewählt worden wäre.
Und doch — warum schaute er so? In seinem Blick lag weder Enthusiasmus noch irgendeine Form von Ehrgeiz. War ihm das Turnier gleichgültig, machte es ihm etwa keinen Gefallen zu wissen, dass er ein Held war?
„Ayla? Kann ich dich sprechen?", wiederholte er hartnäckig die Frage, ohne auf die schrägen Blicke zu achten, die uns alle Versammelten zuwarfen. Ich wurde nicht schlau aus seinem Verhalten. Warum sagte er das jetzt — vor all den Leuten?
Ohne die ganzen Blicke ertragen zu können, nickte ich schnell und folgte Nyaan aus dem gefüllten Saal. Meine Freunde, sowie alle anderen still gewordenen Schüler blieben hinter unseren Rücken.
„Morgen werden schon die ersten Gerüchte ankommen", teilte ich ihm leise mit, „Dass der legendäre Nyaan Pulcher nur Augen für eine Absonderliche hat. Ist es das, was du brauchst?"
„Morgen wird sich sowieso niemand mehr daran erinnern. Sie werden es spätestens beim Turnier vergessen", entgegnete der Elf schroff.
Nicht schon wieder das Thema. Vollkommen lustlos auf das Gespräch verschränkte ich meine Arme auf der Brust.
Seitdem ich unsere Fakultät beim Turnier angemeldet hatte, wollte mich Nyaan einfach nicht in Ruhe lassen. Er verfolgte mich in den Fluren, draußen, sogar in meinen schlimmsten Alpträumen und forderte mich jedes Mal dazu auf, die Teilnahme bei dem Turnier sein zu lassen.
„Noch ist es nicht zu spät. Meldet euch doch einfach ab. Du weißt gar nicht, was dich dort erwartet! Du könntest sterben. Glaub mir, ich weiß, was ich sage."
Ich hatte keinen Schimmer, warum der Schönling mich warnte und doch war ich ihm dankbar. Egal, wie selbstverliebt und überheblich er war, es verbarg sich in ihm noch etwas Menschliches, Warmes und Vertrautes. Er war nicht ganz so verdorben, wie es auf den ersten Blick aussah.
Um die Seele zu sehen, muss man tiefer schauen.
„Es tut mir leid, Nyaan. Ich kann nicht", war alles, was ich erwidern konnte. Zu allem anderen fehlte mir die Kraft.
„Ich sehe, du willst dich beweisen, Süße. Allen zeigen, dass du und deine kleinen Freunde genauso gut seid, wie alle anderen.", der Glanz in seinen Augen wurde heller, „du wirst es noch bereuen, Ayla. Schon seit mehreren Jahren haben sich die Magier den Sieg geholt und diesmal wird es auch nicht anders laufen. Die Mühe, die ihr euch macht, ist umsonst, du wirst sehen."
Unbeeindruckt zuckte ich mit den Schultern. Mir war egal, was er sagte. Ermüdet wollte der Schönling an mir vorbeispazieren, als ich ihn mit einer Hand am Oberarm packte. Ganz wie er es damals gemacht hatte.
„Ist was?"
„Danke für die Eloa, Nyaan. Sie waren alle wunderschön." Ich lächelte, während ich sprach. Die feuerrote Blume mit der Nachricht war nämlich nicht die einzige gewesen, die ich bekommen hatte. Die letzten Tage hatte ich ständig eine Eloa an meinem Schreibtisch oder meinem Bett finden können.
„Eloa? Was für einen Unsinn redest du da? Du bist durchgeknallt geworden, Süße!" Lahm befreite er seine Hand aus meinem Griff und verschwand in der Tiefe des schattigen Ganges.
Ungläubig starrte ich auf die Stelle, wo er noch vor einer Sekunde gestanden hatte. Das konnte doch gar nicht sein ... Das ergab alles keinen Sinn!
Yaaks Durchsage riss mich aus meinen Gedanken.
„Die Teilnehmer des Turniers versammeln sich jetzt bitte in meinem Büro. Alle anderen lade ich herzlich in den großen Saal ein, wo ihr dann gemeinsam für jede der Gruppen mitfiebern könnt."
Ich fühlte mein Herz gegen die Brust schlagen.
Es ist so weit, hörte ich das Offensichtliche in meinem Kopf und der Gedanke wiederholte sich immer und immer wieder, ganz wie bei einer Kassette, die man jedes Mal von Neuem abspielte.
Ich schlenderte in die gleiche Richtung, wo Nyaan vor einer Minute verschwunden war. Gänge, Flure, unendlich lange Korridore saugten, wie Vampire, meine Kraft aus. Wände schauten mir hinterher.
Ich spürte ihre Augen auf meinem Rücken ruhen. Fremdenfeindlich und grausam ... Sie wussten, dass mir jeder weiterer Schritt schwerer fiel, dass ich womöglich das letzte Mal diesen stickigen Gang entlang lief. Wir wussten es alle.
Hartnäckig zwang ich mich dazu, stur weiterzugehen und keinen Blick nach hinten zu werfen. Warum sollte ich das auch tun? Dort war nichts.
„Was wollte er von dir?", wollte Kyan, kurz nachdem ich den Raum betreten hatte, nervös wissen.
„Ist es jetzt nicht egal?", wich ich gekonnt von einer Antwort aus. Mir war es nicht nach reden. Es ging mir schlecht. Und Kyan verstand. Kurz nickte er mir zu und wandte sich von mir ab.
Mit klopfendem Herz sah ich mich um.
Der Raum war überfüllt, doch trotz der großen Menge war kein Ton zu hören. Alle schwiegen, sogar unsere Fakultät wurde in Ruhe gelassen und nicht wie immer verspottet. Ich fühlte eine gewisse Verbundenheit zu den anderen Schülern. Wir alle hatten was gemeinsam - wir hatten Angst.
Wie Kumpels schauten wir einander in die Augen, suchten nach einer Unterstützung, obgleich uns allen bewusst war, dass wir schon in wenigen Augenblicken Gegner sein werden. Doch derzeit zählte nur der jetzige Moment.
Ungewöhnlich und vertraut zugleich war es, wie wir einander brauchten. Wie ein Atemzug vor dem Eintauchen, so lebenswichtig war es mir zu wissen, dass ich nicht allein war. Dass unsere Fakultät nicht allein war.
Ein unwohles Gefühl breitete sich schlagartig in mir auf. Hastig suchte ich nach dem Grund und fand es auch direkt.
Etwas weiter rechts erkannte ich Nyaan, der angelehnt an die Wand stand und mich konzentriert musterte. Wie auch alle anderen Magier trug er einen langen Umhang in Mitternachtsblau. Er schimmerte leicht, doch es war eher der prächtige Stoff als Magie. Die Magier waren nicht dazu gekommen, ihren Klamotten zu verzaubern. Dafür mussten ihre Teile aber viel Geld gekostet haben, während unsere braunen Jacken von Kyan genäht worden waren und somit weniger beeindruckend aussahen.
Abrupt drehte ich mein Haupt in eine andere Richtung, um Nyaan nicht mehr in die Augen schauen zu müssen. Ich wollte ihn nicht mehr sehen.
„Ayla? Geht es dir gut?" Direkt neben mir stand Ruby. Es war unnatürlich ihn in der Academy zu sehen, denn normalerweise bekam ich ihn nur Zuhause zur Sicht. Umso mehr freute ich mich, die Idee, ihn statt einen Gegenstand mitzunehmen, bekommen zu haben. Zum Glück konnte Nai Fotis auch nichts finden, was gegen diese sprechen könnte. Die Regeln hatten wir ja eingehalten.
„Mir geht es super", flüsterte ich zurück.
„Sicher? Du schaust schrecklich aus!" Ich kämpfte gegen den Drang an, laut loszulachen.
„Wie eine Gespenst?"
„Was?"
„Nicht wichtig, vergiss es einfach", entgegnete ich und sah dem aufgeregten Skelett zu, wie es sich durch die Leute hindurch kämpfte, um zu Mary zu gelangen, die in der hintersten Ecke stand und etwas las. Dany war nirgends zu sehen, was vielleicht auch daran lag, dass er klein und leicht zu übersehen war.
„Arialtisharo, liebe Teilnehmer. Alle da? Perfectio, hört dann bitte her", bat uns Yaak, der wie aus dem Nichts am Eingang seines Büros aufgetaucht war, „Das Turnier beginnt in zwei Minute. Eure Gegenstände alle hier? Okay, ich mache jetzt Portal für jede Fakultät, ihr geht nach Aufforderung durch, ist klar?"
Zuerst waren die Heiler dran. Unerwartet ruhig traten sie durch das Portal und verschwanden in seinen Tiefen. Mit ihnen schloss sich auch das Teleportations-Mittel. Dies war aber klar - selbstgemachte Portale hielten nie für lange. Sie waren nicht die legendären uralten Spiegel, wie der eine, der gerade an der linken Wand des Büros hing und wo ich damals auch herausgekommen war.
Nein, die selbstgemachten waren ganz anders. Sie besaßen keine feste Form und lösten sich bereits in wenigen Sekunden nach der Erschaffung auf.
„Die Absonderlichen, tretet vor", rief uns der Direktor zu sich. Auf wackeligen Beinen folgte ich meinen Freunden zum neuen Portal. Es schimmerte in hellblau und einem leichten lilanen Ton, der der Farbe unserer Fakultät ziemlich ähnlich sah.
„Viel Glück, Freunde. Zhazki shu hakte - ich drücke euch die Daumen!"
Stumm nickte ich, ehe mir der Gedanke kam, dass ich das alles nicht wollte. Ich wollte nicht kämpfen. Beinahe bereute ich schon meine Entscheidung. Und die Zweifel nahmen immer mehr zu. Sie eroberten meine Gedanken und wuchsen, wie Luftballons, mit jedem quälend langsamen Augenblick.
„Ayla? Los! Portal schließt!"
Ich trat einen Schritt nach vorn. Anders ging es nicht — zu weit sind wir gegangen, um alles liegenzulassen und umzukehren. Zu weit.
„Wir kommen gleich nach dir", hörte ich direkt hinter mir und spürte kurz danach eine warme Hand auf meiner Schulter. Mein Mundwinkel zuckte in die Höhe, Mut verdrängte den Zweifel. Ihnen allen — Kyan, Mary, Danny und Ruby — die hinter mir standen, war ich dankbar. Es war wundervoll zu wissen, dass es Menschen gab, die einen nicht im Stich lassen würden. Und manchmal war eine Hand auf der Schulter genug, um einem den Mut zu geben, weiterzumachen.
Mit diesem Gedanken trat ich entschlossen noch einen Schritt nach vorn. Es war der letze gewesen, der mich von der Arena getrennt hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top