✩ Kapitel 15 ✩
Ohne nur so zu tun, als würde ich Nai Shekal zuhören, zeichnete ich amüsante Muster in mein Heft. Meine Augen fielen nach der schlaflosen Nacht zu, der Körper fühlte sich schwer an und doch zwang ich mich dazu, neue Linien auf dem Papier zu ziehen. Nur nicht einschlafen, alles andere war nicht von Bedeutung. Lange werde ich sowieso nicht mehr in der Academy bleiben dürfen.
„Okay, liebe Schüler. Bevor ihr jetzt endlich in die ersehnte Pause gehen dürft, würde ich euch noch eine wichtige Info mitteilen. Heute ist nämlich der letzte Tag, an dem Anmeldungen für das Turnier in zwei Tagen angenommen werden. Morgen wird dann jede Fakultät entscheiden, wer von ihren Angemeldeten am besten für die Teilnahme dort geeignet ist. Es müssen pro Fakultät genau vier Personen sein, nicht mehr und auch nicht weniger. Alles klar?"
„Welche Preise gibt es für die Gewinner?", wollte ein blonder Magier aus der zweiten Reihe wissen. Ehe ich mich versah, hörte ich dem Gespräch interessiert zu.
„Etwas Geld, soweit ich weiß. Und Ehre natürlich. Ehre für die ganze Fakultät."
Ich wusste nicht, ob es nur eine Einbildung war oder ob der Lehrer mich wirklich ausdrucksvoll ansah, als er das sagte, aber es war so, als würde er mir nur mit seinem Blick sagen, was ich tun sollte.
Ich lächelte. Wenn es wirklich Nai Shekals Absicht gewesen sein sollte, dann hat er sein Ziel erreicht. Nun wusste ich ganz genau, was zu tun war.
𑁍 𑁍 𑁍
„Bitte sag mir, dass du es nicht ernst meinst."
„Könnte ich machen, das wäre dann bloß gelogen", antwortete ich unschuldig.
„Also willst du mir sagen", schimpfte Kyan mit mir, „dass du uns ohne unser Einverständnis dort angemeldet hast?"
Zugegeben hatte ich so einen Widerstand von Kyans Seite wirklich nicht erwartet. Zwar hatte ich mir auch nicht gedacht, dass mir alle direkt freudig um den Hals fallen werden, aber dennoch daran geglaubt, dass es mir leicht fallen wird, alle von meiner Idee zu überzeugen. Wie es jetzt aussah, scheiterte mein Versuch. Kläglich.
„Weshalb regst du dich denn direkt so auf? Ich will uns allen nur helfen! Oder fällt dir da noch was anderes ein, was unsere Fakultät retten könnte?"
„Wir dürfen dort nicht teilnehmen, was genau verstehst du nicht? Ach nein, sag lieber nichts, schweige! Dich kümmert eh nur dein eigenes Schicksal. Die Perspektive auf der Straße zu landen lockt dich wohl nicht an, was? Ich frage mich nur, ob du daran gedacht hast, dass du bei diesem Turnier viel eher sterben wirst. Und zwar mit uns gemeinsam."
Ich erkannte Kyan nicht wieder. Anstatt dem besonnen, ruhigen Kyan, stand nun ein ganz anderer wütender und aggressiver Typ vor mir. Seine Nasenflügel weiteten sich mit jedem Atemzug, der mächtige Kiefer spielte hin und her. Er sah viel mehr einem ausgerasteten Stier ähnlich, als einer Person.
„Blödsinn", gab ich nicht nach, „Es ist verboten tödliche Zauber und Flüche auf der Arena zu benutzen, das weißt du genau."
Während ich sprach, warf ich einen kurzen Seitenblick den anderen zu. Dany, Mary und Ruby saßen auf ihren Sitzplätzen und genossen die Show, ohne ihre Meinung zum Thema zu äußern.
Verräter, dachte ich verzweifelt, ich suche nach einer Lösung und die ... die geben ihr nicht einmal eine Chance.
„Denkst du jetzt im Ernst, die anderen Fakultäten werden sich an die Regeln halten? Wir bekommen ein dutzend lebensgefährlicher Zauber ab und am Ende stempeln alle unseren Tod als einen Unfall ab! Wir kümmern niemanden. Oder hast du vergessen, wer wir sind?", er fuhr fort, ohne mich das beantworten zu lassen, „Wir sind absonderlich, komisch, merkwürdig, du mit eingeschlossen."
Ich presste meine Lippen zusammen. Das, was Kyan sagte — es stimmte. Wir hatten keinerlei Rechte hier und das Turnier könnte tatsächlich so unangenehm werden, dass ihn jemand von uns nicht überleben würde. Doch was blieb uns sonst noch? Was blieb mir?
„Es ist zu spät, Kyan", hörte ich Ruby sagen. Na endlich! „Du hast Ayla gehört: Wir haben keine andere Wahl und genau deswegen müssen wir uns das nehmen, was uns angeboten wird. Vielleicht würden wir uns dabei blamieren oder uns den Tod holen, das ist ganz gleich. Glaubt mir, es ist schlimmer mit dem Gedanken, dass man aufgegeben hat, weiterzuleben, als ein Risiko einzugehen, wenn auch so ein großes."
„Du hast eh kein Mitspracherecht", entgegnete Kyan etwas gelassener, „ auf die Arena darfst du ja nicht. Aber hören wir auf, uns sinnlos zu streiten. Stattdessen schlage ich vor, wir stimmen ab. Wer ist dafür, dass wir bei diesem blöden Turnier weiterhin angemeldet bleiben und dann völlig umsonst unsere Leben riskieren?"
Noch bevor ich meine Hand hochheben konnte, war Marys schon oben. Auch Rubys Hinterpfote schoss kurz danach in die Luft. Dany, als der jüngste und ängstlichste, gab als letzter seine Stimme ab.
Triumphiert wanderte mein Blick zu Kyan hinüber. Dieser hatte so einen verzerrten Gesichtsausdruck auf, als hätte er auf einmal eine ganze Zitrone verschluckt.
„Womit habe ich das eigentlich verdient?", nörgelte er vor sich hin, während ich schon aufgeregt den Ablauf des Turniers erklärte.
„Es findet immer auf einer großen Arena statt, die jedes Mal eine andere Form annimmt. Dieses Jahr soll es eine dunkle Höhle sein, weshalb wir uns gut vorbereiten sollten. Auf der Arena werden sich überall versteckte Fallen befinden und gefährliche Tiere lauern. Außerdem werden dort an manchen Stellen Kameras befestigt sein, welche alles aufnehmen und am großen Monitor in einem der Schulsäle zeigen, damit die ganze Academy das Turnier miterleben kann.
Neben den Schülern und den Lehrern wird da noch die Jury sitzen, welche das Verhalten und Handeln jedes Teilnehmers bewertet. Das Turnier läuft auf Zeit. Am Ende ist es entscheidend, welche der Fakultäten insgesamt im Gewinn geblieben ist. Jede Gruppe wird übrigens per Zufall an einen Ort der Arena teleportiert, aber es wird höchstwahrscheinlich so sein, dass wir mindestens eine weitere Truppe treffen werden und dann gegeneinander kämpfen müssen."
„Und du bist wirklich der Meinung, dass wir eine Chance haben? Da nehmen vier besten Leute jeder Fakultät teil, Ayla, vier Besten! Wie stellst du dir das vor?" Misstrauisch hob Kyan seine Braue. Ich verstummte. Wirklich ... wie stellte ich mir das eigentlich vor?
„Keine Angst, mir wird schon was einfallen", ließ ich meine Zweifel nicht anmerken, „Alles was wir brauchen ist eine Taktik. Denn wisst ihr, was wir haben, wovon die anderen nicht einmal träumen?"
„Zu viele Hoffnungen?"
„Nein! Einen Teamgeist, ein Hirn im Kopf, na und mich natürlich!"
„Dich?"
„Ich bin ein Halbblut, schon vergessen? Die anderen sollen mich nur Angst haben lassen, dann werde ich sie alle platt machen!", wandte ich optimistisch ein, obwohl ich mir da selber nicht so ganz sicher war.
„Okay. Was ist jetzt mit der Taktik. Hat jemand einen Plan?", wollte Dany ungeduldig wissen. Seine bewundernswerte Stimme klang dabei bedrückt und rau. Der Vampir machte sich von allen die meisten Sorgen.
„Warte erst mit der Taktik. Wir müssen uns schließlich noch mit den Regeln auseinandersetzen!" Übermotiviert fischte ich ein Stück Pergament aus meiner Jackentasche und entfaltete es. „Kommt her. Lesen könnt ihr wohl selbst."
Alle standen tatsächlich auf und stellten sich ringsum in einen dichten Halbkreis. Kyan verzichtete diesmal sogar auf überflüssigen Kommentare und begann zu lesen, was ich ihm sofort nachmachte.
Regeln für das alljährliche Fakultäten-Turnier
1. Jeder Teilnehmer darf sich eine Sache aussuchen, die er mitnehmen möchte. Es darf keine Person sein.
2. Es ist verboten, mit Absicht tödliche Zauber und Flüche zu benutzen.
3. Alle Teilnehmer der Gruppe (Fakultät) sollen während des Spiels die gleiche Kleidung tragen.
4. Es müssen vier Personen in jedem Team sein.
Langsam löste ich meinen Blick vom Blatt und richtete ihn auf meine Freunde, die ebenso fertig mit Lesen geworden waren und mich fragend ansahen.
„Um zu gewinnen, müssen wir schlauer als jede Regel sein. Hat jemand Vorschläge zum ersten Punkt?" Keiner rührte sich, „na gut, dann kommt eben meiner. Da wir zu viert sind, dürfen wir dementsprechend nur vier Gegenstände auf die Arena mitnehmen. Diese müssen aber so gut gewählt sein, dass uns der Sieg quasi vorprogrammiert ist.
Und da dachte ich mir — was ist mit Ruby? In der Regel stand ja nur, dass die Sache keine Person sein darf, aber unser Wächter zählt ja eher zu den ... hm ... Toten? Höllenhunden? Toten Höllenhunden? Wie auch immer — was hält ihr von der Idee, Ruby auszuwählen?"
„Du bist ein Genie!", entwischte es Danys Lippen und ich stellte an Rubys wedelndem Schweif zufrieden fest, dass auch ihm der Vorschlag gefiel.
„Das ist super toll", hörte ich in meinem Kopf Rubys Bestätigung auf meine Vermutung — das Skelett hatte wirklich nichts dagegen, mitzukommen.
„Perfekt, dann bleiben uns nur noch drei. Kyan, was würdest du denn gerne dabei haben?"
„Weiß gar nicht. Mein Schwert vielleicht." Er hat ein Schwert?, wunderte ich mich, doch sagte es nicht laut. Auch meine Proteste, dass es nicht der hilfreichste Gegenstand war, schluckte ich sofort runter. Im Moment sollte ich mich einfach damit zufriedengeben, dass Kyan überhaupt mitmachte. Würde er sich weigern, mitzumachen, würden wir gegen eine der Regeln verstoßen, die besagt, dass es genau vier Leute sein müssen.
„Gut. Dann bleiben uns noch zwei. Aber! Bevor ihr eure Vorschläge erläutern könnt, muss ich euch daran erinnern, dass wir uns in einer dunklen Höhle aufhalten werden, was vermutlich heißt, dass wir Licht mitbringen sollten. Wie wäre es mit einer Fackel?"
Niemand hatte was gegen, also entschieden wir uns, uns eine Lichtquelle so bald wie möglich zu besorgen.
Und schon nach einer kurzen Diskussion überzeugte uns Dany davon, als letzten Gegenstand eine gute Salbe mitzunehmen, falls jemand sich verletzen würde. Auf seine eigenen Heilkräfte vertraute der 14-Jährige nicht.
„Okay, das hätten wir schon mal abgehackt. Ich hätte noch einen Vorschlag zu Regel Nummer drei", sagte ich sicher und machte eine bedeutungsvolle Pause.
„Das mit der Kleidung?", vergewisserte sich Mary.
„Ganz genau. Wahrscheinlich soll die Kleidung einer Fakultät gleich aussehen, damit die Jury uns von den Kämpfern der anderen Fakultäten unterscheiden kann. Und da hätte ich noch eine Idee — lass uns einfach eine Schutzkleidung nähen!"
„Schutzkleidung?", Kyan runzelte die Stirn, „verdammt, Ayla, weißt du wie schwer es ist sowas herzustellen?"
„Nein, weil ich noch nie, im Gegenteil zu dir, auf der Artefaktoren-Fakultät war. Du weißt doch bestimmt, wie man Sachen magische Fähigkeiten verleiht, oder? Gut, dann setz dich so schnell wie möglich dran. Wir glauben an dich!"
Darauf nickte Kyan knapp und verließ das Wohnzimmer. Auch Mary, Ruby und Dany verschwanden einer nach dem anderen, um sich auf das bevorstehende Turnier vorzubereiten.
Ermüdet ließ ich mich auf das Sofa fallen. Schon vieles hatte ich in meinem Leben durchgemacht, aber sowas ... sowas war mir völlig fremd. Ich hatte es normalerweise nicht so mit Menschen und war generell keine sonderlich soziale Person. Doch wie es sich heute herausgestellt hatte, war ich zu vielem fähig, wenn ich etwas ganz dringend wollte.
Ob das alles hier gut enden wird? Keine Ahnung. Doch ich werde alles tun, damit wir die Arena als Sieger verlassen.
Ich schwöre es.
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