✩ Kapitel 13 ✩

Zu meiner Verteidigung musste ich sagen, dass ich es versucht hatte. Ungünstigerweise wollte sich Yaak aber nicht von mir überzeugen lassen. Stur wehrte er all meine Argumente ab, als wären sie das Letzte, was er je gehört hatte.

„Eine Flame-Spiegel, sagst du?", lachte er, „Shieq. Warum sollte das auch hier sein, nu? Einbilden, tust du, nichts weiter. Unsere Academy ist gut geschützt, vertraust du nicht?"
„Doch aber ..."
„Perfectio! Dann lass uns jetzt anfangen! Hast du viel geübt gestern?"

Nai Fortis' Verhalten verunsicherte mich etwas. Warum glaubte er mir nicht? Oder wusste er mehr, als er zugeben wollte?
Während der Stunde vergaß ich aber diese Sorgen, da andere ihre Stelle einnahmen. Alles lief nämlich genauso ab, wie jedes Mal. Die schmale orange-gelbe  Flamme der gehassten Kerze neckte mich, tanzte vor meiner Nase, lachte über meine Dummheit, doch wollte beim besten Willen nicht ausgehen. Genau wie die Kraft in mir, welche alles andere tat, als mir zu gehorchen.

Zum Schluss war ich also stinksauer auf die ganze Welt, insbesondere auf mich selbst und meine Unfähigkeit. Ich fand auch nicht die geringste Lust, mich mit dem Direktor über den gestrigen Vorfall und meine seltsame Gabe zu unterhalten.

Also machte ich mich auf den Weg zum nächsten Unterrichtsraum. Heute hatte ich nur noch Kampfsport, obwohl ich nicht wusste, ob es gut oder schlecht war. Lieber hätte ich noch vier Stunden Schasanisch gehabt und dazu noch zwei Geschichte, als diese eine Stunde Kampfsport.

Nai Mons, der dieses Fach führte, war ein muskulöser, gutaussehender und sympathischer  Typ. Das letzte allerdings nur vom äußeren her. Denn wie es sich herausgestellt hatte, war er ein übertrieben strenger, immer schlecht gelaunter Lehrer, der seine Schüler gnadenlos Runden um den Sportplatz treiben und Push-ups machen ließ.

Kurz gesagt kam ich an dem Tag bissig, genervt und voll mit blauen Flecken nach Hause. Kyan war nicht da, da er länger Unterricht hatte. Dany und Ruby waren ebenso nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich waren sie spazieren gegangen in den Wald oder auf die Felder.

Ermüdet schlenderte ich in mein Zimmer und blieb dann wie angewurzelt am Eingang stehen. Auf meinem Schreibtisch lag eine Eloa-Blume.

Ihre acht roten Blütenblätter bewegten sich fast unbemerkbar durch den leichten Luftzug, welcher aus dem halb geöffneten Fenster gekommen war. Ich zählte drei Blätter an ihrem giftgrünen Stiel, sowie einen kleinen Zettel, der dort befestigt war. Mein Verstand wollte meinen Augen nicht glauben. Alles in mir strebte dagegen, nichts sprach dafür, dass das hier real sein könnte.

Die Eloa-Blumen gelten als selten. Sie wuchsen nur in den Bergen oder an Sümpfen, weshalb es beinahe unmöglich war, sie zu pflücken. In Zareya sagte man, dass man seine Liebe genau durch diese Pflanze beweisen könnte. Die Eloa waren das Zeichen für ewige Treue zu seiner Geliebten.

Misstrauisch, als wäre die Blume giftig, näherte ich mich dem unerwarteten Geschenk. Ein süßlicher Geruch, der sich dem des Honigs ähnelte, stieg mir in die Nase. Es war wie ein Wunder, wie ein fernes Licht in der Finsternis. Ich fühlte mich wie in einem Märchen, ich fühlte mich ... frei.
Behutsam glitten meine Finger über die sanften Blätter, streichelten den Stiel und nahmen sich schließlich den Zettel.

Mit zitternden Händen entfaltete ich das Blatt in der Erwartung gleich den Namen der Person zu erfahren, welche mir gerade quasi ihre Liebe gestanden hatte.
Es stellte sich jedoch heraus, dass alles viel schwieriger war, als ich es erhofft hatte. Egal wie viel Mal ich den Zettel drehte oder wendete, nur drei Wörter standen dort – „Tut mir Leid".

Ich runzelte die Stirn. Was wohl für ein Idiot sich so entschuldigen wollte? Wie aus dem Nichts kam mir die Antwort –  die Blume musste Nyaan geschickt haben! Bereute er etwa sein Verhalten mir gegenüber? Schwer zu glauben, aber danach sah es aus.

Plötzlich hörte ich jemanden anklopfen. Seufzend wandte ich mich von meinem Geschenk ab, trottete durch den Flur zurück zur Haustür und öffnete.
„Mary? Was machst du denn hier?" Überrascht hob ich meine Augenbrauen, als ich die Wandlerin am Eingang zu sehen bekam. Sie trug einen warmen dunkelblauen Mantel und hielt komischerweise einen großen Koffer in der Hand.

„Ich lebe ab jetzt wieder hier, liebe Ayla! Überraschung! Freust du dich?"

„Bin begeistert", antwortete ich etwas geschockt, während Mary stolz an mir vorbeimarschierte. Schweigend folgte ich ihr in mein ... hm, ich meinte natürlich in unser Zimmer.
„Staubig bei euch geworden. Wann habt ihr das letzte Mal hier geputzt?"

„Vorgestern", wisperte ich, doch Mary sprach sofort weiter und überhörte meine Antwort.
„Wo sind die Jungs? Sag nicht, sie müssen wieder nachsitzen. Und habt ihr was zu essen im Kühlschrank? Ich sterbe vor Hunger! Oh und was ist das? Eine Eloa-Blume, wie romantisch! Wer ist denn der Verehrer? Nein, sag lieber nichts, du nennst uns seinen Namen einfach später. Und warum ist es so kalt hier? Ach, das Fenster ist offen, schrecklich! Wusstest du denn nicht, dass es eine Chance von 43 Prozent besteht, sich bei einem zu lange geöffneten Fenster eine Erkältung zu holen? "

Mit offenem Mund stand ich schweigend da und musterte Mary. Vom Aussehen her hatte sie sich nicht verändert. Die gleichen dicken Brillengläser, die glatten blonden Haare, die so vertraute weiße Bluse ... nur die Augen in der Farbe des Morgenhimmels schauten beim genauen Betrachten etwas müde. Doch Marys Verhalten ...

Ich fragte mich, wie genau die Zeit in der fremden Fakultät sie so sehr verändern konnte. Wie war es überhaupt möglich, sich in so einer kurzen Zeit zu verändern?

„Warum hast du wieder gewechselt? War das nicht immer dein Traum, auf der Fakultät der Wandler zu sein?", fragte ich Mary, als der Schock, unter dem ich die ganze Zeit litt, ein wenig zurücktrat.

„Traum?", ein Grinsen umspielte ihre Lippen, „Nein, das war es nicht. Ich wusste damals nicht, was ich wollte, das ist alles. Ich träumte davon, die beste zu sein, dabei dachte ich nur, dass ich das träumte. Denn ich hatte schon immer das, was ich brauchte. Ich hatte euch."
Sie lächelte mir entgegen. Offen und unglaublich ansteckend, sodass auch meine Mundwinkel kurz in die Höhe zuckten.

„Hat Nai Fortis dir das einfach so erlaubt?", fragte ich vorsichtig.
„Erlaubt?", sie lachte, „ich glaube, er war glücklich mich wieder zurückzuschicken. Weißt du, Ayla, nicht jeder war so geduldig mit meiner Musik wie du. Meine Zimmernachbarinnen waren außerordentlich zickig und fanden die kostenlosen Konzerte in der Nacht nicht allzu unterhaltsam."

Ich musste schmunzeln. Die armen Gestaltwandler hatten also letzte Zeit so einiges durchmachen müssen. Ich konnte nur raten, wie viel Mal in der letzten Woche auf Mary gepezt wurde.

„Aber hören wir auf über mich zu reden. Erzähl mir was von dir. Wie war es in den letzten Tagen? Ist was Spannendes passiert?" Mary setzte sich auf die Bettkante, was ich ihr sofort nachmachte.

„Nicht wirklich. Nur hat sich meine Gabe gestern offenbart."

„Gabe?", wiederholte Mary überrascht, „Nicht im Ernst, oder? Und warum sagst du mir das erst jetzt? Na, erzähl schon, welche Richtung hat sie? Heiler, Artefaktor, Wandler oder vielleicht sogar Magier? Und wie fühlt es sich an? Spürst du die Kraft des Wassers in deinem Blut?"

„Nein. Das ist ja auch das Problem. Ich spüre meine Magier-Gabe gar nicht. Das ist so, als hätte ich mir gestern alles nur eingebildet. Sie ... sie ist einfach nicht da. Weg."

„Weg?" Mit einem Mal verfinsterte sich Marys Gesicht „Komisch ... hast du mit Nai Fortis darüber geredet?"

„Nein", schüttelte ich den Kopf, „nachdem er mir das mit dem Spiegel nicht geglaubt hat und ich danach eine Stunde lang vor der brennenden Kerze gesessen habe, hatte ich zu wenig Lust dafür gefunden."

„Schade. Vielleicht hätte er dir helfen können", sagte Mary und setzte dann eine sehr ernste Grimasse auf. Wahrscheinlich dachte sie nach, was es mit dem untypischen Verhalten meiner Gabe auf sich hatte.

Generell machte Mary so ein Eindruck auf mich, als ob sie immer nachdachte. Und zwar nicht nur über Schasanisch und ihre Gestaltwandler-Sachen, sondern auch über ganz normale alltägliche Dinge, wie Schmetterlinge oder Essen. In ihrem Kopf flattern bestimmt immer irgendwelche Zahlen und wichtige Gedanken herum, auf welche keiner von uns je gekommen wäre. Mary war das Gehirn unserer Fakultät.

„Ich habs!", schrie sie auf, worauf ich erschrocken zusammen zuckte, „du bist ein Halbblut!"

„Was?"

„Na, Halbblut. Ein Magier mit Gabe, aber irgendwie auch ohne", erklärte Mary zufrieden, „das ist selten, dennoch gibt es das. Dabei muss ein Elternteil ein Wave sein und der andere ein Flame. Da die Kräfte dann gegensätzlich sind, erbt das Kind nur eines der Elemente, welches dann aber geschwächt ist. Das heißt quasi, dass die Gabe „schläft" und erst dann geweckt wird, wenn der Wave oder Flame emotional erregt ist. In einem ruhigen Zustand kann das Halbblut sie nicht spüren und auch nicht  kontrollieren. "

Alles schien Sinn zu ergeben. Die Gabe war tatsächlich erst dann gekommen, als ich besonders viel Angst gehabt hatte. Auch konnte ich sie jetzt, in meinem normalen Zustand, nicht spüren. Doch wie man es kannte, zerstörte die ganze Logik ein ganz kleiner Punkt.

„Aber meine Eltern sind beide Waves und dulden kein Feuer. Ich bin mir sicher." Die Gestaltwandlerin wollte etwas erwidern, als laute Schritte im Flur sie davon abhielten. Ins Zimmer stürmten Kyan, Dany und Ruby.

Was dann passierte, war etwas Unglaubliches und ganz besonderes. Vor lauter Umarmungen und Tränen vergaß ich meine Gabe, den geheimnisvollen Flame-Spiegel und all die anderen Probleme. Und nicht nur mir ging es so. Wir alle waren für einen kurzen Moment glücklich, wir waren vereint, wir waren eins.

Eine ganze Stunde lachten wir, erzählten uns irgendwelche unwichtigen Sachen, vertrauten einander unsere größten Geheimnisse und Ängste an, als hätten wir uns hundert Jahre gekannt.

Unsere Idylle zerstörte jedoch ein lautes Klopfen, das in einem Echo durch den Flur hallte. Ich guckte auf die Uhr — es war schon 20:37. Wer uns wohl so spät besuchen wollte?

Wir sammelten uns alle im Korridor und öffneten unserem unerwarteten Gast die Tür. Der Gast, der, wie es sich herausgestellt hat, Flink war, war jedoch scheinbar nicht dafür gekommen, um eine Tasse Tee mit uns zu trinken und Marys Rückkehr zu feiern.

Sie hielt ihre Arme an die Oberschenkel gelehnt und atmete lange durch, bevor sie uns schließlich ihren plötzlichen Besuch erklärte.
„Hallo, Freunde. Arialtisharo. Yaak ruft euch. Dringend, sagt er. Kommt mit, es ist ernst."

Wortlos wechselten wir verzweifelte Blicke, ehe wir Flink in die kommende Nacht folgten.

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