✩ Kapitel 12 ✩

„Schmeckt dir das Fleisch? Nein, nein, brauchst nichts zu antworten — ich weiß ja, wie du es liebst. Fleisch von Jack ist das beste Fleisch!", schnurrte der Ork, während ich die Köstlichkeiten von meinem Teller eine nach dem anderen verschlang. Tatsächlich war Jacks Essen sehr bewundernswert, weswegen ich es viel mehr genoss, als die traditionelle Suppe der Academy-Küche.

„Wo ist eigentlich Nyaan oder deine anderen Freunde? Wollte keiner dich heute begleiten?" Jack neigte sich leicht über die Tischkante und starrte mich interessiert an.

Seine dicken Reißzähne ragten aus dem breiten Mund und gaben dem gruseligen Gesicht noch ein Hauch mehr an Hässlichkeit. Zum Glück war mir bewusst, dass der Ork gar nicht so furchterregend war, wie er aussah und hatte daher auch keine Angst.

„Niemand weiß, dass ich hier bin. Ich wollte allein kommen."

„So so. Wusstest du denn, dass es nicht ungefährlich für eine junge Wave ist, allein in so einem Städtchen wie diesem unterwegs zu sein? Nicht nur Waves leben hier, nein, auch Flames finden hier ihr Zuhause. Und manchmal können diese hm ... sehr unangenehm sein. Nicht alle natürlich, aber so manche von ihnen dulden keine fremden Waves. Aus dem Grund würde ich dir dringend raten, dich langsam auf den Rückweg zu machen."

Mir war bewusst, dass Jack sich Sorgen machte, obgleich ich nicht unbedingt der Meinung war, dass es in der Academy sicherer war. Jetzt, wo ein Flames-Portal dort gefunden wurde.

„Schon klar", entgegnete ich ruhig, „ich hatte auch nie vor, lange zu bleiben. Es ist schon spät, ich sollte nun wirklich los. Das Mahl war entzückend, danke dafür."

„Nichts zu danken. War schön, dich zu sehen, Ayla. Kannst gerne hier öfter mal vorbeischauen. Die Kunden kommen immer seltener, bald werde ich gar pleitegehen."

Nachdem ich für das Essen bezahlt hatte und wir uns verabschiedet hatten, verließ ich schließlich das Cafe.

Draußen dämmerte es. Die Sonnenscheibe war nicht mehr hinter dem verschwommenen Horizont zu erkennen. Ihre letzten Strahlen fielen auf den alten Asphalt, wärmten die eiserne Luft, färbten den Himmel in karminrot, narzissengelb, in ein grellen Pink ...

Ich musste an Zamis denken. An Zamis, wie er vor dem Angriff gewesen war. Dort gab es die gleichen Sonnenuntergänge, den gleichen blutroten Himmel vor den finsteren Nächten. Ich erinnerte mich noch an jeden Baum, der diesen Himmel zu stützen schien, an jede zärtliche Blüte, die aber tapfer genug gewesen war, jeden Luftzug zu überstehen.

Mit einem raschen Kopfschütteln zwang ich mich in die Realität zurück. Schluss war es mit Zamis und den ganzen Träumereien! Das hier war das wahre Gesicht des Lebens.

Entschlossen schlenderte ich in die Richtung der Hauptstraße, wo sich auch normalerweise die ganzen Wagen befanden. Die Fahrt mit einer normalen Kutsche bis zu der Academy kostete Gott sei Dank ziemlich wenig, ich konnte es mir von dem Geld, das mir Jacob gegeben hatte, leisten.

„Hey, du da! Warte mal!", hörte ich hinter mir. Abrupt blieb ich stehen und sah zurück.

Ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken. Mein Atem stockte.
Fieberhaft versuchten die beiden Ideen nach links oder vorwärts zu sprinten, miteinander klarzukommen. Doch als ich mich endlich entschieden hatte, war es schon zu spät.

Drei Flames — zwei Jungs und ein Mädchen — standen vor mir und schauten belustigt auf mich herab.

„Was wollt ihr von mir? Denkt ihr etwa, dass ihr euch einfach so mit mir anlegen könnt? Ja, ich bin hier allein und bin eine Wave, welche ihr so sehr zu hassen scheint, das alles bedeutet aber gar nichts!"

„Wir ...", versuchte einer der Flames irritiert anzuwenden, jedoch war ich schon zu aufgewühlt, um ihn ausreden zu lassen.

„Wisst ihr überhaupt, wer ich bin. Nein? Ich bin die Beste im Kampfsport in der ganzen Fakultät! Und ... "

„Können wir ..."

„ ... Ich habe eine richtig starke Magier-Gabe! Außerdem ..."

„Sei endlich still!", schrie das Mädchen auf. Kurz danach folgte ein: „Verdammt, das wollte ich nicht!"

Nichts und niemand konnte den Feuerball stoppen, der wie ein Irrer auf mich zuflog. Ich schaffte es nicht einmal, zur Seite zu treten. Für ein Augenblick setzte mein Herz aus.

Kreischend hob ich meine Arme, um das Gesicht zu verdecken, als plötzlich ein dicker Wasserstrahl meine Handfläche verließ und den Feuerball im nächsten Moment zerstörte. Alles war so schnell passiert, dass ich mir nicht sicher sein konnte, ob alles tatsächlich geschehen war oder ich es mir doch nur eingebildet hatte.

War das gerade meine Gabe gewesen? Hatte sie sich soeben gezeigt, so einfach? Ohne einer brennenden Kerze und der inneren Ruhe?

Ein triumphierendes Lächeln huschte über meine Lippen. Ich wollte lachen, vor Freude tanzen, schreien wie verrückt. Ich war glücklich, das erste Mal seit mehreren Wochen!

„Du hast aber eine echt gute Reaktion", meinte das Mädchen und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf sich, „das mit dem Feuerfunken tut mir wirklich leid. Ich kann meine Gabe noch nicht so gut kontrollieren."

„Uns tut es außerdem Leid, wenn wir dich erschreckt haben sollten", sagte einer von den Jungs, „Uns hat Jack geschickt. Du hast nämlich dein Rückgeld vergessen."

Er streckte die Hand aus und drückte mir ein paar Scheine in die Hand. Beschämt biss ich mir auf die Zunge, bis ich Blut zu schmecken bekam. Ich sollte es mir dringend abgewöhnen, alle Feuerherrscher für Feinde zu halten. Andernfalls würde ich mich das nächste Mal womöglich mehr als nur lächerlich machen. Ja, es gab viele Flames, die Waves nicht akzeptierten, allerdings war das nicht immer der Fall. Es gab Städte, wo die beiden Seiten mehr oder weniger friedlich miteinander lebten. Und dieses Dorf zählte anscheinend dazu.

Doch heute konnte nicht einmal das Schamgefühl meine Laune verschlechtern. Schließlich hat genau die Albernheit meine Gabe zum Leben erweckt. Stolz füllte mein Wesen. Meine Gabe. Ab jetzt wird alles endlich so sein, wie es schon längst sein sollte.

𑁍 𑁍 𑁍

„Wow! Das ist der Hammer! Aber sag ja nicht, dass du jetzt zu den Magiern wechselst und uns einfach so hängen lässt"

Danys erwartungsvoller Blick ruhte auf mir, während ich nach einer passenden Antwort suchte. Irgendwie hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, dass ich jetzt, wo mein Element endlich da war, wechseln durfte oder vielleicht sogar musste.

Es hatte sich in meinem Kopf eingeprägt, dass ich für immer bei den Absonderlichen bleiben würde und unser Häuschen nie verlassen werde. Ob es jetzt endgültig vorbei war? Überraschenderweise wollte ich nicht daran denken.

„Wir werden sehen.", entgegnete ich weich, „übrigens habe ich heute Mary getroffen."

Ich hätte schwören können, die intensive Stille im Wohnzimmer mit jeder Zelle des Körpers zu spüren. Ruby hielt angespannt seinen Kopf gehoben. Dany und Kyan schien den Atem angehalten zu haben. Sogar das Zwitschern der Vögel draußen hielt kurz inne.

„Sie hat Kyans Vermutung bestätigt. Im verschlossenen Raum befindet sich ein Flame-Spiegel. Mary hatte es gesehen, sie war dort, sie war im Zimmer."

„Und was jetzt?", fragte Ruby etwas durch den Wind.

„Ich werde morgen Nai Fortis Bescheid geben und dann vergessen wir die Sache einfach."

Mit einem leichten Kopfnicken erklärte sich Kyan als einverstanden. Auch Ruby und Dany hatten keine Einwände, weshalb ich beruhigt den Fall als unwichtig abstempeln konnte. Doch kurz darauf bekam ich ein ganz anderes Problem.

Vor dem Schlafengehen versuchte ich nämlich nochmal, die verfluchte Kerze mit meinem Element zu löschen, was aber gar nichts brachte. Meine nach vorne ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger wurden nicht ansatzweise nass, nur vor Schweiß vielleicht.

Klar, die Wasser-Magier Gabe hatte sich erst heute gezeigt und ich konnte sie daher auch nicht gut kontrollieren, doch ab jetzt sollte sie sich eigentlich auf irgendeine Art und Weise zeigen. Außerdem war nur ein Tropfen nötig, um die Kerze zu löschen.

Aber nein, jetzt benahm sich meine Wasser-Kraft so, als wäre sie nie da gewesen. Ich fühlte sie nicht einmal, obwohl ich es eigentlich laut Yaak nach ihrer Offenbarung tun sollte.

Die Nervosität wuchs in mir wie ein mieser Virus. Meine Gedanken wirbelten wirr in meinem Kopf herum, prallten gegen unsichtbare Wände, während ich sie verzweifelt zu fassen versuchte.
Vielleicht hatte ich etwas falsch verstanden und alles sollte so sein, wie es war? Vielleicht machte ich mir nur unnötig Sorgen? Oder ... oder war das vielleicht heute doch nicht meine Gabe gewesen? Was, wenn alles, was passiert war, nur die Frucht meiner Fantasie gewesen war?

Fix und fertig warf ich mich auf das Bett. Mein Kopf explodierte fast vor Schmerz, mein Körper, hingegen, lebte sein eigenes Leben. Es bebte und war gleichzeitig gar nicht mehr zu spüren. Wie von selbst fielen meine Augen zu, ehe mein Nacken das Kissen berührte.

Ich widersetzte mich nicht. Ein bisschen Schlaf würde meinen Muskeln nach diesem verrückten Tag nicht schaden.

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