✩ Kapitel 10 ✩
Die Unterrichtsstunden vergingen noch langsamer, als sonst. Sie zogen sich wie Honig in die Länge, tropften auf meine Nerven, fütterten meine Ungeduld, bis sie haushoch gewachsen war. Die monotonen Vorlesungen der Lehrer ließen meine Mitschüler wie immer einschlafen. Ich hingegen war zu aufgeregt, um etwas anderes zu tun, als an das heutige Date zu denken. Klar, vorher hatte ich auch ein Haufen Verehrer gehabt, doch keiner von ihnen war so anziehend und vermögend wie Nyaan gewesen. Vielleicht war das doch ganz gut gekommen, dass ich ihn heute wiedergetroffen hatte? Vielleicht war das wirklich Schicksal? Ich lächelte in mich hinein. Heute musste einfach alles perfekt laufen.
Als der Unterricht endlich vorbei war, machte ich mich auf dem Weg nach draußen, wo der Elf schon auf mich wartete. Ich wusste gar nicht, wann er die Zeit sich umzuziehen gefunden hatte, doch nun trug er ein schickes Hemd und eine schwarze Hose. Im Gegenteil zu mir, die immer noch die hässliche Schuluniform anhatte.
„Du siehst gut aus!", erlaubte ich mir ein Kompliment. Nyaans volle Lippen verformten sich zu einem breiten Grinsen.
„Nicht wahr? Und soll ich dir ein ganz großes Geheimnis verraten? Ich sehe immer hervorragend aus!" Darauf musste ich lächeln. Gerade bescheiden war der Elf scheinbar nicht. „Komm jetzt. Die Kutsche ist schon da, hier gleich um die Ecke steht sie", drängte er mich und setzte sich in Bewegung.
Die Kutsche war wirklich da. Gewaltig und prachtvoll stand sie vor uns, gezogen von ganzen vier bläulichen Callidussen. Kaum vorstellbar, wie viel Geld Nyaan für dieses Transportmittel ausgegeben haben musste! Irgendwo sollte es doch einen Haken geben, ich konnte mir keinen Grund überlegen, weshalb der Schönling solch eine schicke Kutsche für das Date mit einem Mädchen, das er keinen vollen Tag kannte, finanzieren sollte.
Auf dem Weg redeten wir ziemlich viel. Nyaan gefiel mir mit seiner lockeren Art und Weise. Er war sowohl ein ziemlich angenehmer Gesprächspartner, als auch ein guter Zuhörer. Ich genoss es, mich mit ihm zu unterhalten, all die Dinge zu besprechen, welche für Adelige besonders wichtig waren. Nyaan und ich — wir waren auf einer Wellenlänge und dem Elfen schien das genauso klar zu sein wie mir.
Das kleine Dorf, wo er mich hingebracht hat, war überraschenderweise sehr finanzschwach und elend. Was anderes konnte mir aber niemand anbieten. Letztlich war es die einzige Siedlung kilometerweit! Verwüstet und sehr armselig allerdings ... was man aber über das Café zum Glück nicht sagen konnte.
Riesige Fackeln verliehen dem engen Raum vieles an Wärme. Sie warfen dunkle Schatten an die steinerne Mauer und verdrängten die Dunkelheit zugleich. Kleine Tische standen dicht nebeneinander, wobei es nicht viele von ihnen gab. Maximal acht vielleicht. Wir nahmen uns gerade an dem hintersten Platz, als kurz danach ein riesiger Ork auftauchte.
„Schön, dich wiederzusehen, Nyaan! Oh, du bist ja heute nicht allein. Willkommen in „Jacks Höhle", junge Dame. Ich bin der Besitzer des einzigen und somit besten Cafés weit und breit. Und nun — was wollt ihr heute bestellen, liebe Gäste?"
„Für mich wie immer, Jack. Ayla, was willst du gerne essen?"
Ich bestellte mir einen Salat, worauf der Ork etwas in seinem Notizbuch aufschrieb und mit einem lauten „kommt sofort!" verschwand.
„Jack notiert sich die Vorlieben jedes Gastes. Er ist ein guter Kerl und gleichzeitig ein einzigartiger Koch. Genau seinetwegen schätze ich die „Höhle" so sehr." Ich fand es ziemlich bemerkenswert, wie der Schönling den Ork lobte. Gerade von einem Adeligen hätte ich das nicht erwartet. „Jetzt lass uns eben zu dem Wesentlichen zurückkommen. Wie hast du dich in der Academy eingelebt? Soweit ich weiß, bist du eine Absonderliche, ist es dir schwergefallen das zu akzeptieren?"
„Nicht wirklich. Also doch, zum Teil. Aber mittlerweile habe ich mich schon an die schrägen Blicke gewöhnt. Ist ja nicht so, dass ich sehr verletzlich bin", log ich ihm direkt ins Gesicht.
„Hätte ich auch nie gedacht", parierte Nyaan gekonnt, „Und was ist mit den anderen Absonderlichen. Versteht ihr euch gut?"
Langsam bekam ich das Gefühl, als sei ich bei einer Befragung. Zwar sah es so aus, als würde sich der Elf für mein Leben interessieren, in Wirklichkeit verstand ich aber, dass er auf etwas genaues hinauswollte.
„Wir reden fast gar nicht miteinander", entgegnete ich irritiert und nippte an dem frischen Getränk, welchen Jack mir gerade mit all den anderen Köstlichkeiten serviert hatte. Das Thema wurde währenddessen mit jeder Sekunde unangenehmer.
„Auch nicht mit Kyan?" Mit dieser Frage brachte mich Nyaans Verhalten ganz aus dem Konzept.
„Was ist mit ihm?" Der Schönling ließ sich mit der Antwort Zeit. Gemächlich pickte er eine Kartoffel von seinem Teller und schickte sie sich in den Mund. Seine Gesten waren so sanft und elegant, dass ich den Elfen beim Essen unwillkürlich anstarrte.
„Ist es dir denn nicht aufgefallen, Süße? Die ganze Schule redet seit Kurzem davon, dass Kyan verrückt geworden ist. Klar, er war schon immer ein wenig durchgeknallt, doch letzte Zeit benimmt er sich wirklich ... eigenartig." Ich hätte schwören können, dass ich die Spannung in der Luft fühlen konnte. Nyaan bohrte mit seinen königsblauen Augen zahlreiche Löcher in meine Haut, während ich mit dem Wunsch kämpfte, das Café gefolgt von einem lauten Knall der Tür zu verlassen.
Töricht war ich noch nie gewesen und in seinem erwartungsvollen Blick erkannte ich die Bestätigung für meine Hypothese — der Elf hatte mich hierhin geschleppt, bloß um mehr Informationen bezüglich Kyan zu erhalten. Die Mühe machte er sich aber umsonst. Ich hatte zwar tatsächlich eine Vermutung, was das Thema anging, doch mit dem Elfen würde ich sie nur ungern teilen wollen.
„Nein", meinte ich und versuchte meine Stimme ruhig klingen zu lassen, „mir ist nichts Seltsames an Kyans Verhalten aufgefallen."
„Okay ...", seufzte der Schönling ohne zu versuchen, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen ...
Der Rest des Dates verging etwas angenehmer. Nyaan stellte mir keine verdächtigen Fragen mehr, interessierte sich bloß ab und zu für mein Leben in Zamis und meine Pläne für die Zukunft. Ich antwortete ständig unangemessen, was Nyaan allerdings nicht allzu sehr störte — mein Schicksal kümmerte den Schönling nicht im Geringsten. Und das Date, das eigentlich perfekt laufen sollte, war somit vollkommen ruiniert.
𑁍 𑁍 𑁍
Zu Hause angekommen, erwartete mich noch eine böse Überraschung. Ruby, Kyan und Dany saßen alle schlechtgelaunt im Wohnzimmer, ohne sich miteinander zu unterhalten. Sofort begriff ich, dass etwas nicht stimmte.
„Hallo, Freunde. Wie war der Tag?", versuchte ich die Stimmung im Raum etwas zu verbessern.
„Das würde ich gerne dich fragen.", brummte Kyan, „Wo warst du heute nach der Schule? Wir haben doch was abgemacht!"
„Was?", fragte ich stirnrunzelnd und ließ mich auf das Sofa neben Dany fallen.
„Heute war Marys Prüfung, Ayla. Schon vergessen?", schockiert starrte ich ihn an und wollte etwas erwidern, doch wurde direkt von Kyan unterbrochen, „anscheinend schon, wenn man deine Aura ansieht. Sie stinkt beinahe nach fremder Energie und sag ja nicht, dass ich es mir nur einbilde!"
Kyan war außer sich. Er redete und redete, sodass ich nach einer Weile das Zuhören aufgeben musste. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, um ihn zu beruhigen.
„Mary wollte es nicht offensichtlich machen", mischte sich Dany plötzlich ein, worauf er sogar Kyan zum Schweigen brachte, „doch wir sahen, dass sie enttäuscht war. Deinetwegen, Ayla. Weißt du, sie wollte Freundinnen haben, wie jedes andere Mädel. Genau das war doch schon immer der Grund gewesen, weshalb sie wechseln wollte."
„Hat sie es geschafft?"
„Ja", der Schmerz in Rubys Stimme jagte mir Tränen in die Augen, „jetzt sind wir nur noch zu viert."
𑁍 𑁍 𑁍
Ruhig betrachtete ich die finstere Wand vor mir. Die Jungs schliefen schon seit langem, nur ich konnte meine Ruhe nicht finden.
Wer hätte denn gedacht, dass ich ohne Marys verdammter Flöte nicht einschlafen würde?, dachte ich hysterisch lachend. Meine rechte Flanke schmerzte mittlerweile, aber ich hatte Angst mich auf die linke Seite zu drehen und Marys leere Bett zu sehen. Nein, lieber würde ich mir weiterhin einbilden, dass sie irgendwo dort lag und schlief.
Das erste Mal seit langem war es in dem Zimmer komplett ruhig. Das einzige, was ich in der Stille zu hören meinte, war das Seufzen dieses Hauses. Es fürchtete sich vor der Zukunft. Genauso wie ich.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top