✩ Kapitel 1 ✩
Ich wachte wegen eines Hustenanfalls auf. Der Geruch von Ruß und Asche stieg mir im selben Moment in die Nase. Panik überkam mich, als ich eine dünne Rauchfahne sich aus der halb geschlossenen Tür meines Zimmers ziehen sah.
Der graue Rauch verknotete all meine Gedanken miteinander, schmiss sie in die dunkelste Ecke meines Verstandes, wo sie dann auch, wie ein halbtoter Welpe, in der Finsternis liegen blieben. Der Rauch verdrängte ebenso all meine Gefühle und ließ nur klebriges Entsetzen zurück, welches mit jedem rasenden Herzschlag nur wuchs, als wäre es ein aufblasbarer Kaugummi.
Wie betrunken stieg ich von meinem Bett hinab, zog mir aus Angewohnheit die Hausschuhe an und durchquerte befangen mein großes Zimmer.
Schon bald verschwand mein letzter Hauch an Hoffnung, der sich noch irgendwo im Unterbewusstsein befunden und meine Seele gewärmt hatte. Denn das, was ich vor der Türspalt stehend, im Flur zischen und brüllen sah, ähnelte sich keinem der noch so schiefgegangen Kochversuchen meiner, bei allem Respekt, unbegabten Mutter. Warum sollte sie auch nachts kochen?
Noch zwei Minuten stand ich wie angewurzelt da und versuchte mich vergeblich zusammenzureißen. Das einzig Sinnvolle, was mir in dieser jämmerlichen Situation einfiel, war es, einen Schutzzauber aufzustellen. Diese Idee verwirklichte ich dann auch.
Zwar war ich noch keine vollständige Wave, da sich meine Gabe bisher nicht gezeigt hatte, doch die Grundlagen, die man auch ohne die Gabe beherrschen konnte, kannte ich im Großen und Ganzen.
Meine Huster verschwanden und die Sicht wurde klarer, jedoch bezweifelte ich trotzdem, dass mein Schutzzauber für lange halten würde. Also musste ich mich beeilen.
Denn mein Zuhause brannte.
Am ganzen Körper zitternd, schloss ich ruckartig meine Zimmertür. Ich würde es nie durch das ganze Feuer zur Ausgangstür schaffen. Erstens waren meine Nerven zu schwach dafür, zweitens würde mein fragwürdiger Schutzzauber den Druck des magischen Feuers nicht aushalten. Und es gab keinen Zweifel, dass es ein magisches Feuer war.
Flames. Verdammte Flames. Sie hatten es schlussendlich wirklich gewagt. Und genau Zamis, meine Stadt, musste natürlich angegriffen werden. Und genau jetzt, in der Nacht, wo keiner von uns sowas erwartet hätte.
Was sollte ich nun tun? Durch die Tür konnte ich nicht, also blieb mir nur eine Wahl — das Fenster. Auf wackeligen Beinen näherte ich mich meinem Lebensretter und öffnete es eilig.
Tollpatschig kletterte ich auf die Fensterbank, welche dabei gefährlich wackelte und hoffte ins geheim, dass der ganze Schreck, der mich angespannt hielt, verschwinden würde, sobald ich mich endlich einigermaßen außerhalb des Hauses befinden würde.
Doch alles geschah ganz im Gegenteil. Die Dunkelheit der Nacht spiegelte all meine Ängste wider, die sich in meinem Inneren verbargen und die kalte Luft hinterließ eine Gänsehaut. Die Kronen der Bäume im Dunkeln, die ich jahrelang kannte und deren Schönheit ich immer bewundert hatte, kamen mir komplett fremd vor und ließen mich kalt.
Ja, alles, was hier gerade passierte, war lächerlich. War peinlich. War falsch. Es war einfach abscheulich zu wissen, dass ich aus meinem eigenen Zuhause floh. Es war, als würde ich einen guten Freund im Stich lassen. Doch egal wie abstoßend ich mir selber vorkam, ich konnte nichts tun. Schließlich stand mein Leben auf dem Spiel. Ich durfte nichts riskieren.
Mit diesem Entschluss richtete ich mein Blick nach unten. Zum Glück war es nicht so hoch, nur die zweite Etage. Doch trotzdem traute ich mich nicht. Geklammert an die arme Fensterbank saß ich nun da und versuchte mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck mir vielleicht doch was Besseres einfallen zu lassen.
Plötzlich hörte ich jemanden, begleitet von vielen Gelächtern, von unten rufen:
„Na, wie gefällt es dir dort oben?" Überrascht löste ich mein Blick von dem kleinen dreckigen Teich und sah sofort einen Haufen Männer etwas seitlich von einem Apfelbaum stehen. Rote Umhänge, freches Schmunzeln, das man sogar im Dunkeln vermuten konnte.
Flames ... Schon seit mehreren Tagen gab es in Zamis Gerüchte, dass die Flames uns bestürmen wollten. Ich persönlich hatte das für Unsinn gehalten, da einfach zu wenige Flames in Zamis lebten, welche einen vernünftigen Angriff auf Waves anstellen konnten. Doch jetzt, wo ich die Menge an ihnen sah, wurde mir klar, dass sie sich wohl Hilfe von Feuerherrschern aus anderen Städten geholt haben mussten. Es waren Dutzende!
„Nein, ich lasse mich nicht unterkriegen, niemals!", dachte ich und lehnte mich gelassen an den Fensterrahmen. Schon seit meiner Kindheit wurde mir beigebracht, meine echten Gefühle nicht in der Gesellschaft zu zeigen. Wenn etwas wehtut — lächeln. Wenn man wütend ist — lächeln. Wenn die Sorgen nicht in Ruhe lassen — ebenso lächeln.
„Sehr schön hier. Ich genieße gerade total die Aussicht!", meinte ich fröhlich, während ich voller gefälschter Begeisterung den dunklen Himmel betrachtete.
„Ach wirklich?", fragte derselbe Flame, dessen Figur in der Masse leider noch nicht erkennbar war.
„Ja, klar. Ihr könnt euch gerne zu mir gesellen", schlug ich mit einem lieben Lächeln im Gesicht vor, während ich verzweifelt überlegte, was besser wäre — in den dreckigen Teich oder in die Büsche zu springen.
„Oh, das ist nett von dir, doch ungünstigerweise passen wir nicht alle auf deine Fensterbank. Aber mache dir keine Sorgen, wenn du uns so gerne kennenlernen möchtest, kannst du gerne auch herunterkommen!" Ich wollte etwas erwidern, wie ich es immer tat. Etwas Stechendes, Sarkastisches und doch Schlaues, sodass man keinen richtigen Vorwurf machen könnte. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken, ohne jede Hoffnung auf eine Befreiung. Ich zögerte.
„Sei nicht schüchtern, Kleines. Wenn es für dich zu anstrengend ist, dann helfen wir dir gerne."
Und ehe ich blinzeln konnte, flog ein Feuerball auf mich zu. Mein Gesicht verlor in einer halben Sekunde an Farbe und mein Lächeln verschwand, als wäre es von dem grausamen Brise weggeweht worden ...
Kreischend versuchte ich dem Feuerball auszuweichen, doch verlor im selben Moment das Gleichgewicht und flog kopfüber in ein Gebüsch. Leider war ich noch nie wirklich elegant gewesen. Ich könnte beinahe vor den Augen mein Leben vorbeifliegen sehen, während ich alle Flames der Welt verfluchte.
Doch trotz allem blieb ich am Leben. Ich war zwar stur von Natur aus, jedoch nicht so sehr, dass ich nur mit meinem Willen solche Dinge wie Leben und Tod beeinflussen konnte. Es war eher mein Schutzzauber gewesen, den ich ganz vergessen hatte. So nutzlos war er überraschenderweise doch nicht.
Die Dornen der Büsche stachen mir durch den Pyjama und blieben in der Haut hängen, wie lästige kleine Zecken. Und trotz des Schmerzes wagte ich es nicht, mich zu bewegen. Ich hatte einfach nur Angst, dass der Tod, der mich vermutlich nur kurz aus den Augen verloren hatte, mich bei jeder kleinsten Bewegung sichten würde und ins Reich der Verstorbenen bringen würde, wo ich, zumindest meinem seelischen Zustand nach, auch hingehörte.
„Komm her, wir werden dir nichts tun. Nur ein bisschen kennenlernen", hörte ich ganz in der Nähe. Das freche Gelächter wurden lauter. Verdammtes Feuer. Woher wussten sie überhaupt, dass ich noch lebte?
Getrieben von meiner Furcht sprang ich auf die Beine und sprintete los. Mir war egal, was für Folgen es haben könnte — ich hatte eh nichts mehr zu verlieren. Meine Beine bewegten sich wie von selbst und ich lief, und lief, und lief immer weiter. Irgendwelche Häuser und Bäume flogen an mir vorbei, während ich, verloren in Zeit und Raum, wie ein Beutetier um mein Leben rannte.
Die Flames verfolgten mich, was die Feuerbälle bestätigten, welche gnadenlos in mein Rücken geschickt wurden, um mich noch panischer atmen zu lassen. Die Flames spielten mit mir. Sie liefen extra langsam, genossen meine Angst und ließen mich hoffen, dass ich noch entkommen könnte, um mir diese letzte Hoffnung später wieder zu nehmen.
Meine Sinne, Instinkte und alles, was noch dazu gehörte, hämmerte in derzeit im Herzrhythmus gegen meinen Brustkorb und schrie nach einer Rettung.
Und die Götter erhörten mich. Vier unserer Haus-Höllenhunde stürmten aus der Ecke des nächsten Hauses auf die Flames zu. Verblüfft blieb ich stehen und sah kurz nach hinten. Das schwarze, glatte Fell glänzte im schwachen Mondlicht und die Muskeln darunter spielten hin und her. Die langen Schwänze der Monster schlugen durch die Luft, was sich wie die Geräusche einer Peitsche anhörte.
So ein Glück, dass die Höllenhunde in der Nähe waren! Diese Tiere waren so ziemlich die Einzigen, die ich einigermaßen ausstehen konnte. Zwar sahen sie sehr aggressiv aus, waren jedoch im Inneren kleine unschuldige Welpen. Aber na ja, wenn ein Familienmitglied in Gefahr war, konnten sie auch mal die riesigen Zähne zeigen. Was sie auch jetzt taten.
Die mächtigen Körper warfen sich immer und immer wieder auf die Flames, jedoch bezweifelte ich, dass die Höllis, wie ich sie spöttisch nannte, die Gegner niederkämpfen konnten. Schließlich hatten die Flames das Feuer.
Mit diesem Gedanken machte ich mich aus dem Staub. Ich hatte noch eine Chance, wenn ich mich jetzt leise verstecken würde. Und die dicke Eiche im Park mit der üppigen Krone einigte sich perfekt dafür. Ich kletterte hastig rauf, wobei mein Pyjama ein paar Risse mehr bekam. Endlich erlaubte ich mir, mich zu entspannen und das zu verdauen, was gerade passiert war. Ich hatte in einer einzigen Stunde mein Zuhause verloren und beinahe auch noch mein Leben. Wie schnell das anscheinend ging! Nun war ich völlig allein. Nicht einmal die Ahnung, wo ich hingehen könnte, besaß ich.
Nicht umsonst hatte ich das Feuer schon immer gehasst. Es wäre doch gar nicht erst so weit gekommen, wäre da nicht das verdammte Feuer der Flames! Ja klar, einerseits bewunderte ich dieses Element, aber ... Ich war nicht wie eine Motte, die stets ins Feuer flog. Nein. Ich wusste, dass dieses Element genauso gefährlich, wie faszinierend war. Es verzauberte das Opfer, bevor es ihn fraß, wie es die fleischfressenden Blumen taten, die mein Vater vor zwei Jahren gekauft hatte, als mehrere Insekten bei uns zu Hause gesichtet wurden.
Ein fernes Schnauben unterbrach meinen Gedankenfluss und nach kurzer Zeit erkannte ich zwei Callidussen*-Reiter, die meinem Baum immer näher kamen.
„Denkst du, Ally wird zurechtkommen?", fragte ... meine Mutter?
„Ayla ist groß genug und ihre Gabe wird sich bald zeigen. Außerdem wird ihr Jacob helfen. Sie schafft das schon. Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Komm, lass uns beeilen." Ich erkannte die Stimme meines Vaters gar nicht wieder, so fremd und feindselig schienen mir seine Worte.
Noch lange saß ich da und starrte fassungslos ins Leere. Ich wollte es nicht glauben, doch es gab keine Gründe, weshalb ich noch zweifeln sollte — meine Eltern hatten mich zurückgelassen. Ja, wir hatten nicht die besten Beziehungen zueinander. Ich wurde als ein Mädchen geboren, was meinen Vater sehr enttäuscht hatte und meine Mutter interessierte sich damals eher für Tanzbälle und Schmuck, als für ihr eigenes Kind, weshalb ich nur von Hausmädchen erzogen wurde. Aber trotz allem waren wir Menschen, die Seite an Seite 16 Jahre lang unter einem Dach zusammengelebt haben!
Nicht einmal die Callidussen, die stolzen Tiere mit sechs Krallen an jedem Bein und türkisfarbenen Fell, ließen sich anmerken, dass sie mich spürten. Zwar hatten wir uns schon immer gegenseitig gehasst, aber es war doch kein Grund mich sterben zu lassen!
Sie gingen vorbei, sowohl meine Eltern, als auch die Callidussen. Die Dunkelheit verschluckte sie und der Tod holte mit Vorfreude schon seine alte Axt. Vielleicht hätte ich meine Eltern auch warnen müssen, dass sie in die Richtung der Flames ritten, welche ganz bestimmt stärker waren als sie. Doch meine Wut und das Unverständnis ließen es nicht zu. Sie hatten es schließlich selber so gewollt.
Und so starb das kleine unschuldige Mädchen Ally, das nur das Gute im Leben gesehen hatte und nur zum Guten fähig war. Sie starb in den Flammen ihres eigenen Hauses, verbrannte mit ihrer ganzen Naivität und Vertrautheit. Und in derselben Nacht wurde Ayla Mare wiedergeboren, eine starke Persönlichkeit, der eigentlich vorgeschrieben wurde, ihr ganzes Leben lang einsam zu sein ...
𑁍 𑁍 𑁍
*Callidussen (Singular Callidus) — spielen in Zareya die Rolle der Pferde. Sind blind, können jedoch gut riechen. Besitzen außerdem die Fähigkeit
hervorragend auf Bäumen zu klettern.
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