✧ Epilog ✧

Die Uhr zeigte zehn Uhr abends. Das allerletzte Mal warf ich einen traurigen Blick auf mein Zimmer. Marys Bücher lagen überall, nur mein Bett stand kahl. Alles war genau so, wie vor meiner Ankunft. So, als wäre ich gar nicht erst hier gewesen.
Der zarte Duft der Eloa-Blume lag in der Luft, die Fenster standen offen. Von der Straße aus konnte ich das unerträgliche Vogelgezwitscher hören und meine verrückten Freunde, die sich leise miteinander unterhielten.

Ich verstand nicht, worüber sie redeten, aber ich wusste, dass sie traurig waren. Sie klangen so, als ob sie sich von einem Verstorbenen verabschiedeten.

Ich fühlte mich unwohl. Ja, mit meinem starken Angriff hatte ich uns einen Sieg beschert und die Fakultät gerettet. Ja, ich hatte endlich meine echte Gabe erhalten. Aber wenn man darüber nachdachte – wollte ich die Academy wechseln und dann alles nochmal von vorne anfangen? Nein. Definitiv nicht.
Mit einem Seufzer zwang ich mich, meinen Koffer in die Hand zu nehmen und nach draußen zu gehen. Dort war es kalt. Ich wickelte mich mehr in meinen warmen Mantel ein und setzte mich wieder in Bewegung.

Ruby, Kyan, Dany, Mary und Flink warteten neben einem dicken Baum in der Nähe der großen Wiese. Als sie mich in der Abenddämmerung sahen, verstummten sie.
„Bist du bereit?", vergewisserte sich Kyan. Von ihm ging ein zarter Geruch aus. Eloa.

Wie blind konnte ich nur sein? Am Anfang sein Wasser-Schutzzauber, den er mir verliehen hat und welchen ich bei dem Treffen mit den Flames dummerweise für meine Gabe gehalten hatte, jetzt noch das.
Schade, dass ich seine Zuneigung nicht vorher bemerkt hatte. Wie auch immer. Jetzt war es zu spät.

„Ja", flüsterte ich und bestätigte meine Antwort mit einem leichten Nicken. Ich wollte nicht mehr hier bleiben. Je schneller ich fort sein würde, desto schmerzfreier würde mein Herz schlagen.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, machten wir uns auf den Weg zur Academy. Die Sonne war untergegangen. Über uns stand der Mond.

Alles erinnerte mich an damals, als wir genauso zum Direktor gingen, um die schreckliche Nachricht zu erfahren. Jetzt war es genauso. Nur, dass wir alles schon wussten. Und das machte es nur noch schlimmer.
Warum meckerte ich eigentlich? Hatte ich im Ernst gedacht, dass ich bleiben dürfte? In der Wasser-Academy, als eine Flame? Dass ich nicht lache! Niemand würde das zulassen.

Man erzählte, die Zeit sei böse. Bei schönen Momenten würde sie absichtlich zu schnell vergehen und bei schmerzhaften sich in die Länge ziehen. Und ich verspürte das an meiner eigenen Haut. Der Weg zu Yaaks Büro dauerte Ewigkeiten. Wenn nicht mehr.

Als wir endlich dort ankamen, kamen wir zu dem schlimmsten Teil. Es war an der Zeit, uns zu verabschieden.

„Mary, du warst die einzige und eine wirklich echte Freundin, die ich je hatte. Vernachlässige die Flöte nicht und vergesse nie — du kannst alles erreichen, was du auch willst.Dany, hast du eigentlich über die Karriere eines Sängers nachgedacht? Du hast eine wundervolle Stimme! Kyan. Du bist eine echt hilfsbereite und fürsorgliche Person. Allein, dass du mir damals diesen Schutzzauber gegeben hast und dir Sorgen über mich gemacht hast, sagt vieles. Danke dir dafür. Ruby.", ich richtete mein Blick auf das Skelett, das mich mit seinem traurigen Hundeblick betrachtete, „Einen besseren Wächter, als dich kann man sich gar nicht vorstellen. Pass weiterhin auf unsere Fakultät auf. Ihr werdet es all den anderen noch zeigen!"

„Wir werden uns an dich erinnern. Jeden Tag.", sagte Dany, „Und du — versprich uns, dass du es den Flames zeigst!"
„Das verspreche ich"
Die nächsten Minuten redeten wir nicht mehr miteinander. Das Ticken der Uhr jenseits des Warteraumes, die fernen Schritte irgendwo im Flur — mehr war es nicht zu hören.

Manchmal kann man mit dem Schweigen viel mehr sagen, als mit einem ganzen Fließtext.

Arialtisharo, Freunde. Naia Mare, du bist bereit?", fragte mich Yaak, als er die Tür geöffnet hatte, um mich reinzubitten. Ich nickte, „Perfectio. Dann komme rein."

Ich ließ meinen Blick das letzte Mal zu meinen Freunden gleiten. Jede einzelne Zelle, jede Gesichtsfalte versuchte ich in meinem Gedächtnis einzuprägen, um mich immer wieder an sie erinnern zu können.
Ihren ernsten Mienen nach taten sie dasselbe.

Wortlos wandte ich mich schon bald von ihnen ab. Ich wollte nicht, dass sie die Tränen in meinen Augen bemerkten, die ich nicht stark genug war, zurückzuhalten.

Ist dies das Leben? Sachen zu verlieren, die man erst vor Kurzem erhalten hat? Ist das fair?

„Ajla?" Ich fuhr hoch, als Yaak meinen neuen Namen erwähnte. Es war nur ein Buchstabe, der ihn komplett anders klingen ließ. Und es war das Zeichen dafür, dass ich nun vollständig zu den Flames gehörte.
„Ja. Ich komme schon." Ich trat in Yaaks Büro ein und schloss vor ihren Nasen die Tür ab. Ich konnte und durfte sie nicht mehr sehen.

Wenn man eine Niederlage erlebt, dann sollte man es einfach so akzeptieren — das war doch das gewesen, was ich immer gedacht hatte, oder?

Ja. Und doch war es zu schmerzhaft, um es akzeptieren zu können.

Mein Glück fand ein Ende, ohne überhaupt einen Anfang zu haben.

Das Gespräch verging wie im Trance. Der Direktor erzählte mir Dinge, die ich auch so schon wusste, schenkte mir immer wieder aufs Neue sein Beileid und versuchte mich davon zu überzeugen, dass es irgendwann mal so kommen musste.

Dann führte er mich in den verbotenen Gang zu der verschlossenen Tür, genau der, wo sich das geheimnisvolle Flames-Artefakt verbergen sollte.
„Hier ist wirklich eine Feuer-Artefakt, liebe Ajla. Doch er ist harmlos, nicht gefährlich, shieq. Ein Flame Spiegel ist das, ihr hattet Recht. Das führt zu der Dark-Fire Academy, du verstehst mich. Ich wollte nicht, dass das jemand von unseren Waves-Schülern erfährt. Mist bauen, das können sie gut", erklärte der Direktor gut gelaunt, während er mit einem schweren Schlüssel die Tür öffnete. Sein freundliches Gesicht weckte in mir eine eigenartige Sehnsucht, als ob ich schon längst fort wäre und Yaak vermissen würde.

Als würde ich mich vor jemandem unsichtbaren fürchten, sah ich mich ständig um, ehe ich dann schlussendlich den halbdunklen Raum betrat. Er war echt winzig, etwa zwei Schritte im Umfang. An der Wand vor uns hing der Flames-Spiegel. Er war aus Gold, aber mit denselben Mustern und Juwelen verziert wie das Waves-Portal damals gewesen war.

„Du musst nur da durch. Das ist nicht schwer."

Das bezweifelte ich nicht und doch ärgerte ich mich darüber, dass das Artefakt mich genauso anzog, wie es der Waves-Spiegel gemacht hatte.

„Yaak, du weiß ja noch, als ich in die Academy teleportiert wurde, hast du gesagt, dass nur echte Waves durch das Waves-Portal gehen können. Aber ich bin doch gar keine Wasserherrscherin, wieso hat es das dann zugelassen?"

Die letzte Hoffnung schwebte irgendwo in meiner Brust, während ich ängstlich auf seine Antwort wartete. Ich wollte glauben, dass das alles ein großer Fehler war. Ich wollte nicht, dass die Waves mich für einen Feind hielten. Ich wollte nicht anders sein, wegen eines dummen Missverständnisses.

„Damals hattest du noch keine Gabe, Ajla. Shieq. Du warst also keine vollständige Flame und somit war es dir erlaubt, da durchzugehen.Jetzt bist du eine Flame, egal ob du willst oder nicht. Verstehst du, nu?"

„Aber ich will keine Flame sein! Ich hasse das Feuer. Ich hasse es, bei Gott!", schluchzte ich verzweifelt. Diesmal versuchte ich kein Mitleid auszuüben, es war die gnadenlose Ehrlichkeit, „ich will nicht böse sein, Yaak!"

Der Direktor nahm meine Hysterie gelassen hin. Er schüttelte nur nachdenklich den Kopf und sprach mit einem leichten Lächeln auf den Lippen:
„Gabe macht die Menschen nicht böse. Wenn, dann sind sie es von selbst. Gäbe es keine Menschen, dann gäbe es auch nichts Böses."

Er hat nichts weiter gesagt, aber ich habe ihn verstanden.
Ja, in einem Tag ergab nicht nur mein Weltbild, sogar mein Name gar kein Sinn mehr, aber hat es mich verändert? War ich eine andere Ayla, nur, weil ich jetzt anders ausgesprochen wurde?

Nein. Er hatte recht. Die Tatsache, dass ich die Gabe hatte, machte mich nicht anders. Ich blieb dieselbe.

„Ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Die Flames werden schon sehen, was Ajla Mare alles zu bieten hat. Ich schwöre es bei meinem Namen!"

„Gut so", Yaak zwang sich zu einem Lächeln, „es war mir eine Ehre, dich gekannt zu haben, Ajla Mare. Lebe wohl."

Entschlossen kam ich dem Spiegel näher. Der goldene Rahmen glänzte im schwachen Licht, die Oberfläche kopierte mein ernstes Gesicht und fing an, leicht zu schimmern, sobald uns nur noch wenige Zentimeter trennten.

Ach, wie unfassbar komisch, dass auch dieser Moment schon in einer Sekunde zu einer Erinnerung wird, dass das Wesentliche, wofür ich die ganze Zeit gekämpft hatte nicht mehr von Bedeutung war.

Und doch – war es nicht der Sinn des Lebens, nie aufzugeben und trotz allen Schwierigkeiten weiterzumachen?

Getrieben von der neu entdeckten Wahrheit und den Abenteuern, die die Zukunft zu bieten hatte, berührte ich die Oberfläche mit meinen Fingerspitzen. Diese begann sich, wie Flammen, zu drehen und zu tanzen.

Déjà-vu. Ich verkniff ein Lächeln.

Daraufhin trat ich hinein. Ich fühlte das Feuer über meine Haut streichen. Dann verschlang es mich ganz.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top