ℯ𝓍𝒾𝓉𝓊𝓈 𝒶𝒸𝓉𝒶 𝓅𝓇ℴ𝒷𝒶𝓉:
𝓉𝒽ℯ ℴ𝓊𝓉𝒸ℴ𝓂ℯ 𝒿𝓊𝓈𝓉𝒾𝒻𝒾ℯ𝓈 𝓉𝒽ℯ 𝒹ℯℯ𝒹
Das Schloss lag geschmückt in der Ödnis aus kahlen Bäumen und verstorbenem Gras. Große Kürbisse, so groß, dass man sie aushölen und Kutschen daraus hätte zaubern können, schmückten den Schlosseingang und auch in den Korridoren hatten sich Lehrer und Hauselfen große Mühe gemacht, alles in einen gruseligen Schein zu tauchen.
In den Ecken jedes Klassenzimmers hingen riesige Spinnennetze. Die Fackeln waren durch zu gruseligen Fratzen geschnitzte Kerzen ersetzt worden und die Geister Hogwarts' machten sich einen Spaß daraus, öfter als sonst, durch Wände, Decken und Böden zu schweben, um Schüler - und Mrs. Norris - zu erschrecken.
Mr. Filch war der Tage besonders griesgrämig, da er vier ganze Nachmittage damit verbracht hatte, Staub, Spinnennetze und einen seltsam grünlichen Schleim von den Wänden zu entfernen, bis ihm aufgefallen war, dass es zur Dekoration gehörte und all seine Mühen umsonst waren. Die Schüler versuchten ihm daher in einem noch größeren Bogen aus dem Weg zu gehen als sonst (- außer man hieß Max McCoy, Bilius Weasley oder Clarence Ebony). Schließlich wollte niemand in sein Büro zitiert werden, geschweige denn wegen nichts und wieder nichts Strafarbeiten verrichten oder an Ketten von der Decke baumeln müssen.
Das Kalenderblatt zeigte den 29. Oktober. Es war der Freitag vor Halloween und Severus war am Durchdrehen.
»Vortrefflich, Mr. Potter. Augenscheinlich haben Sie das Talent ihres Vaters geerbt, keine Frage, nein.«
Severus schnaubte in seinen Zaubertrank und rollte mit den Augen. Es war geradezu lächerlich, wie sich ihr Lehrer dem Erstklässler anbiederte, bloß weil dessen Vater ein Händchen für Haarmixturen zu haben glaubte, was man anhand des Vogelnests auf Potters Kopf nun wirklich bezweifeln musste.
Er sah aus, als wäre er gerade vom Besen gestiegen. Oder aus dem Bett gefallen...
Potter grinste höhnisch und winkte ab, tat so, als wäre er ganz bescheiden. »Ich fürchte, ich habe nicht die nötige Geduld, die mein Vater aufbringt.«
Slughorn gluckste: »Was nicht ist, kann ja noch werden« und watschelte zurück an sein Pult.
Alter Schleimer, dachte Severus und wandte sich wieder seinem eigenen Zaubertrank zu, der munter vor sich hin köchelte und orangene Blasen warf.
Sie sollten eigentlich gelb sein...
Lily, die neben ihm saß, spähte zu ihm herüber und runzelte die Stirn. »Hast du drei Tropfen Rizinusöl genommen und viermal gegen den Uhrzeigersinn gerührt?«
Severus blinzelte. Drei... vier... drei... er wusste es nicht mehr, hatte die letzten fünf Minuten damit zugebracht, Slughorn dabei zuzusehen, wie dieser Potters (nicht vorhandene) Zaubertrankkünste gerühmt hatte und damit gar nicht mehr aufhören wollte, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was wirklich zählte: sein Zaubertrank.
Severus konnte nicht versagen, nicht in diesem Fach.
Und wenn auch nur, um Potter und Black nicht die Genugtuung zu geben, besser zu sein als er.
Zu Ehren seiner Mutter...
Waren es drei Tropfen Öl gewesen? Oder doch vier?
Hatte er die Mengenangaben vertauscht in seiner blinden Wut, wieso ihr Lehrer solch einem Blender Aufmerksamkeit schenkte und nicht ihm?
Eileen Prince war eine begnadete Zaubertrankspezialistin gewesen. Sie hätte sich nie mit so etwas Lächerlichem wie Schönheitstinkturen befasst, geschweige denn Haarpflegeprodukten.
»Sev?«
Unter Lilys fragendem Blick zuckte er nur mit den Schultern. Angestrengt zog sie die Augenbrauen zusammen und lehnte sich tiefer über ihr Schulbuch, als könnte sie dort auf den vergilbten Seiten die Lösung für sein Problem finden, während ihr eigener Trank blassblau schimmerte und sonnengelbes Geblubber von ihm aufstieg. Er war perfekt.
Doch Severus' Blick hing nicht an ihrem Kessel sondern viel mehr an der roten Strähne, die ihr ins Gesicht gefallen war und im Schein der Fackel wie Flammen glimmte - an der Kurve, die den Übergang zwischen Nacken und Rücken beschrieb, während sie sich tief über die Seiten beugte - bis hin zu ihren Fingerspitzen, die das Papier zärtlich streiften, auf der Suche nach den helfenden Worten,
Die orangenen Blasen seines eigenen Tranks färbten sich dunkler und dunkler, mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich.
»Hier!«
Severus schreckte wie aus einer Trance.
Lilys Finger landete mittig auf der aufgeschlagenen Seite und fuhr die gedruckten Textzeilen entlang. »Versuch es mit zwei Tropfen Murtlap-Essenz und rühre dreimal im Uhrzeigersinn.«
Severus staunte nicht schlecht und tat gleich, was sie ihm anordnete. Wie so oft war er fasziniert von Lilys Hingabe, ihrer schieren Intelligenz.
Die Blasen waren schon beinahe gänzlich braun geworden, als er die Essenz hinzuträufelte, doch mit jeder Umrundung seines Kochlöffels hellte sich die Farbe wieder auf.
Lily strahlte. »Es ist nicht ganz so gelb wie gehofft, aber zu viel Murtlap kann schwere Nebenwirkungen nach sich ziehen, heißt es hier. Ich wollte es nicht übertreiben.«
»Du bist wunderbar, Lily«, sagte Severus ehrlich und ihre Wangen glühten rosa.
Sein Magen machte einen Purzelbaum. Er liebte es, Lily in Verlegenheit zu bringen, zu sehen, wie ihre smaragdgrünen Augen aufleuchteten und sich ein breites Lächeln auf ihre roten Lippen schlich, wenn er der Grund dafür war...
Das Klingeln ertönte und der Professor beendete die Stunde. Nacheinander traten die Schüler vor, um Phiolen der abgefüllten Zaubertränke vorne bei ihm abzugeben. Severus griff auch nach Lilys, bevor sie sich erheben konnte.
»Ich mach schon«, sagte er und reihte sich hinter Asphodelia Greengrass und Drystan Avery, die die Köpfe zusammengesteckt hatten.
Während Asphodelia ihm bislang keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hatte, war Avery ein alltägliches Übel auf seinem Überlebensweg in Slytherin geworden.
Zusammen mit Mulciber und Dolohow hatten sie Severus vom ersten Tag an auf dem Kieker gehabt, doch während Mulciber und auch Dolohow noch immer zurückhaltend blieben, weil sie Lucius' Zorn fürchteten, ließ Avery sich nicht einschüchtern.
Malfoy oder nicht... - Snape oder Prince... ihm war alles egal.
»...ein Schlammblut...«, kicherte Asphodelia und warf einen Blick über ihre Schulter zu Lily.
Severus ballte die Hände zu Fäusten, spürte wie sich sein Griff um die Glasphiolen verstärkte, aber er sagte nichts. Lucius hatte ihn davor gewarnt, dass seine Mitschüler sich über Lily oder auch ihn lustig machen würden, wenn er weiter ihre Nähe suchte.
Du wirst es aushalten müssen. Da gibt es nichts zu erwidern, sie haben recht. Es ist erbärmlich.
Severus wusste, dass Lucius nur sein Bestes wollte, doch jene Worte aus seinem Mund zu hören, machten es ihm nicht leichter.
Die anderen verstanden ihn einfach nicht.
Wie auch?
Sie konnten nicht wissen, dass Lily nicht wie die anderen Schlammblüter war, dass sie etwas Besonderes war. Ein Licht in einem Meer aus Dunkelheit. Sie würden ihn nie verstehen. Nie, denn Lily war sein kleines Geheimnis. Sie gehörte ihm allein.
Und gerade das gefiel ihm irgendwie so sehr daran.
Vor ihm überreichten Potter und Black Slughorn ihre abgefüllten Zaubertrankproben und machten sich mit Lupin und ihrem Anhängsel Pettigrew auf den Weg nach draußen. Sie lachten laut und feixten.
Lily, die bis eben noch die beiden Kessel an ihrem Platz gereinigt hatte, folgte dem Gelächter mit ihrem Blick, schulterte ihre Tasche und eilte ihnen hinterher.
Es war Severus, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. Wieso ging sie ihnen nach? Was könnte Lily von jemandem wie Potter oder Black wollen?
Severus wollte zu ihr, sie am Arm packen und von dem schlechten Einfluss fortreißen, doch das kühle Glas der Phiolen in seinen Händen, ließ ihn bloß einen Schritt nach dem anderen auf seinem Weg zum Pult setzen.
Avery und Greengrass waren die nächsten und schon war auch Severus als Letzter an der Reihe. Alle anderen waren schon aus dem stickigen Keller geflohen, nur Slughorn und er waren noch hier.
Des Professors Gesicht hellte sich auf, als er erkannte, wen er vor sich hatte. »Ah, Mr. Snape. Sehr schön, sehr schön. Mit Ihnen wollte ich noch sprechen.«
Überrascht hob Severus den Kopf.
Was könnte Slughorn von ihm wollen?
Ob er gesehen hatte, wie Severus seinen Trank ruiniert hatte, weil Potter ihn mit seinem egozentrischen Auftreten ablenken musste? Wie Lily ihm zur Hilfe geeilt war?
»Professor?« Severus legte die Phiolen vor dich auf dem Pult ab.
»Ach, nun ja, der gute Mr. Lucius Malfoy, selbstredend ist er Ihnen ein guter Freund, Sie wissen, von wem ich spreche. Er hat mich doch letztens über Ihre... Abstammung in Kenntnis gesetzt.«
»Meine Abstammung, Sir?«
»Oh, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich hätte mir ja nie träumen lassen... sicher, sicher, ich wusste von Eileen Princes abruptem Austritt aus der Welt der Zaubertränke... aber Snape... Prince... es war mir ja so peinlich, Sie müssen mir vergeben, dass mir das nicht gleich bewusst war... der gute Lucius hat meinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen, nicht dass ich es nötig gehabt hätte...nun-«, Slughorn gluckste, »Aber ein Prince in meinem Haus! Oh, denken Sie bitte nicht, Ihr Blutstatus würde mich stören, Mr. Snape. Ganz zweifelsohne sind Sie ein guter Schüler, Halbblut oder nicht - verstehen Sie mich nicht falsch, mein Lieber, aber dennoch... Eileen Princes Sohn, dass ich das noch erlebe!«
Slughorn strahlte, als hätte er Severus gerade die Tore zum Paradies geöffnet.
»Ich verstehe...«, sagte Severus. Er verstand überhaupt nichts, doch eben jenen Moment suchte sich der Professor, um endlich nach den Zaubertrankphiolen zu greifen. Er warf einen kurzen Blick auf den Inhalt und hob dann die mit der blassblauen Flüssigkeit in die Luft, entkorkte sie und nahm einen tiefen Atemzug.
»Ah, perfekt! Voll und ganz - Ihr Werk nehme ich an?«
»Oh, eigentli-«
»Natürlich kein Wunder«, unterbrach ihn Slughorn, »es hätte mich auch verwundert, wenn dem nicht so wäre. Ein Zaubertrankprotegé wie unser Mr. Potter.«
Er bemerkte Severus' Grimasse bei der Erwähnung des Namens nicht einmal. Vielleicht war es ihm auch egal.
»Nun, weswegen ich Sie sprechen wollte, Severus. Ich darf Sie doch Severus nennen, nicht? Vorzüglich. Nun, während Halloween in Hogwarts gerne groß gefeiert wird, halte ich es dennoch für sinnvoll, selbst eine kleine Party zu geben, um mein kleines Netzwerk an Kontakten aufrecht zu erhalten und meine begabten Schüler in die richtigen Kreise einzuführen. Slug-Club, sicherlich haben Sie davon schon gehört?« Er wartete nicht auf eine Antwort und sprach direkt weiter. »Der liebe Lucius ist ebenfalls zu meinem Halloween-Treffen am Sonntag eingeladen, begleiten Sie ihn.«
Severus' Mund war wie ausgetrocknet. Lucius hatte ihm durchaus vom Slug-Club erzählt, er hatte ihm die Wichtigkeit der Sozialisierung in der gehobenen Gesellschaftsklasse erklärt, ihm weiß gemacht, wie wichtig es besonders für ihn war, sich früh einen Namen zu machen.
Severus mochte Slughorn nicht, er konnte seine Vorurteile riechen, so sehr umwaberten sie den Professor, während dieser mit einem Lächeln zu verbergen versuchte, was ihm ins Gesicht geschrieben stand.
Unabhängig von Sympathie... das war eine Chance, seine Chance, dem Namen Prince wieder zu Ehre zu verhelfen.
Der Professor hob die Reagenzgläser und beschriftete sie mit seinem Zauberstab.
Blassblau und gelbe Blasen - Severus Snape.
Fliederfarben und dunkelgelber Schaum - Lily Evans.
Slughorn seufzte. »Eine Schande. Wirklich. Miss Evans' Arbeiten waren so hervorragend gewesen... vermutlich Ihr Einfluss nehme ich an? Ich hatte mich schon gefragt... ein muggelstämmiges Mädchen mit solchem Talent... gewundert hat es mich, nun habe ich meine Erklärung. Eine Schande, das hätte interessant werden können.«
Severus biss sich auf die Lippe, er sagte nichts.
»Dann sehen wir und Sonntag, mein Lieber«, sagte Slughorn, »Sie werden vorerst der einzige Erstklässler sein, das ist eine wahrhafte Ehre. Nicht vielen jungen Schülern wird dieses Privileg zuteil. Vielleicht leistet Ihnen Mr. Potter zu Weihnachten aber schon Gesellschaft, ich fürchte, ich muss noch einen Anreiz für ihn finden. Ein sturer Junge, James Potter, ja wohl.«
Er lachte laut. Und Severus flüchtete beinahe aus dem Klassenzimmer.
Als die Tür hinter ihm zufiel, erlaubte sich Severus ordentlich Luft zu holen, doch der Anblick, der sich ihm vor der Tür bot, hätte ihn fast schon wieder zum Rückzug gezwungen. Selbst Slughorns Lobeshymnen auf James Potter wären ihm lieber gewesen, als mitansehen zu müssen, wie eben jener mit seiner Lily angelehnt an eine der steinernen Kellerwände gelehnt dastand und lachte.
Black, Lupin und Pettigrew standen dabei, lachten mit, als wären sie die besten Freunde.
Die Schuldgefühle, Lilys Zaubertrank als seinen eigenen ausgegeben zu haben, verschwanden augenblicklich.
Wie wenn sie seinen Blick gespürt hätte, hob Lily den Kopf und lächelte. Sie verabschiedete sich von Lupin und nickte den anderen zu, ehe sie an seine Seite hüpfte, ihr Zaubertrankbuch vor die Brust gepresst, und mit ihm im Gleichschritt aus dem Keller spazierte, die anderen Jungen hinter sich lassend.
Lily wusste, dass Severus' Gedanken rasten. Sie kannte ihn schon so lange, dass es keine Worte brauchte, um ihren Freund und seine Launen zu verstehen, so griff sie nach seinem Arm und hakte sich ein, stupste ihn mit der Schulter an, bis auch seine Lippen zu einem schmallippigen Lächeln brachen. So gequält es auch aussehen mochte.
»Rück raus mit der Sprache, Sev, ich höre dich denken«, sagte sie nach einer Weile, als sie gerade die Stufen hinauf in die große Halle stiegen.
Angewidert zog er eine Grimasse. »Was wolltest du mit denen?«
Er konnte die Erkenntnis in ihren smaragdgrünen Augen aufblitzen sehen. Sie hatte in ihm schon immer lesen können wie in einem Buch.
Lily zuckte abwehrend mit den Schultern. »Ich wollte Remus fragen, wie es ihm geht. Er hat sich gestern nicht so gut gefühlt, die anderen waren eben auch da...«
»Das sind schlechte Menschen, Lily, mit denen sollst du dich nicht abgeben.«
Wieder zuckte sie mit den Schultern.
»Dasselbe hat Tuni über dich auch gesagt und jetzt sind wir Freunde.«
»Beste Freunde«, setzte Severus nach.
»Beste Freunde.« Lily lächelte. »Siehst du - aber ich habe nicht vor mich mit ihnen anzufreunden.«
Severus sah wenig überzeugt aus. Verbissen kaute er auf seiner Unterlippe, um sich davon abzuhalten auszusprechen, was er eigentlich sagen wollte.
Lily zu sagen, was sie zu tun hatte, war nie eine gute Idee, denn meist tat sie dann genau das Gegenteil. Sie war zu stur und unfassbar stolz, um einzusehen, dass sie falsch lag und Severus nur ihr Bestes im Sinn hatte.
Severus war ihr bester Freund, er würde schon dafür sorgen, dass sie sich nicht mit ihnen anfreundete.
Sie waren schlecht und würden ihr einreden, er wäre es, den sie zu meiden hätte. Das durfte er nicht zulassen. »Lily, du-«
»POTTER SCHIEßT DEN QUAFFEL ZU BLACK!«
Wildes Fußgetrappel folgte den lauten Rufen der Jungen.
»BLACK GIBT AB AN PETTIGREW, DER ZURÜCK AN POTTER UND... TOOOOR!«
»ZEHN PUNKTE FÜR GRYFFINDOR!«, jubelte James Potter und riss die Fäuste in die Luft.
»AUS DEM WEG FUßVOLK!«, brüllte Black und zusammen mit Potter zwängten sie sich zwischen Severus und Lily hindurch, wobei einer von ihnen Lilys Büchertasche von ihrem Arm riss, die daraufhin polternd zu Boden fiel und alle Bücher auf den Marmorfliesen verteilte.
Eifrig stürmten die beiden und Pettigrew weiter, während Remus Lupin ihnen hinterherstolperte und das Schauspiel mit seinen Rufen kommentierte.
»Entschuldige, Evans!«, rief Potter und drehte sich noch einmal zu ihnen um, ein idiotisches Grinsen auf den Lippen.
Severus verzog verärgert das Gesicht und suchte Lilys Blick, in der Erwartung die gleiche Frustration in ihren Augen schimmern zu sehen, nur um mit Genugtuung festzustellen, dass sie Potter mit einem wütenden Blick taxierte und sich daraufhin bückte, um all ihr Habgut wieder einzusammeln. Severus tat es ihr nach und griff nach einem Federkiel und zwei Schulbüchern.
»PASS ZURÜCK AN BLACK!«, rief Lupin, warf Lily ein entschuldigendes Grinsen zu, als er ihr eins ihrer Bücher reichte und seiner wilden Bande von Brüllaffen in mäßigem Tempo hinterher eilte.
Seine Sohlen knirschten über den steinernen Marmorboden, die Schritte hallten zusammen mit dem Gelächter der anderen an den Wänden wider.
Was mit ihm wohl nicht stimmte? Schon den ganzen Morgen benahm er sich so seltsam, steif und müde - als würden ihm die Viren im Nacken sitzen und wenn es ihm gestern schon so schlecht ging...
Severus hatte Lupin und seine kleinen Freunde beim Frühstück beobachtet, wie sie sich benommen hatten, als würde ihnen die Welt zu Füßen liegen - hatten sogar eine Ravenclaw bei sich am Tisch sitzen lassen... soviel zu der Hausehre, von der die beiden im Zug doch gesprochen hatten.
Sie waren nichts als Heuchler, die Lily um den Finger zu wickeln versuchten. Und Lily war zu gutgläubig, erwartete in jedem Menschen auf den goldenen Kern zu stoßen, doch manche Zauberer waren es eben nicht wert - manche hatten nichts zu bieten als die brodelnde schwarze Masse ihres Herzens.
Nicht jeder hatte eine gute Seite zu bieten.
Black - so dunkel wie sein Name.
Wie könnte sonst einer seine Familie auf diese Weise hintergehen?
Und Potter - ein Idiot, der an niemanden dachte, außer an sich selbst.
Lupin - ein wandelndes Mysterium...
Und Pettigrew - hing ihnen am Rockzipfel, wie ein erbärmlicher Mistkäfer, der er war, wenn er glaubte, Potter und Black wären seine Idole.
Erneut setzte Severus zum Sprechen an, doch diesmal war es Lily selbst, die ihn unterbrach.
»Hast du schon eine Idee wegen Professor Thorburns Aufsatz?«
Natürlich wollte sie das Thema wechseln...
Der junge Snape schluckte schwer. Missmutig war sein Gesicht gen Boden gerichtet, während er seine zerscheuerten Schuhe aus zweiter Hand betrachtete.
»Ich dachte an die heulende Hütte«, sagte er. »Viele werden darüber schreiben wollen, ich weiß, aber ich habe sonst keine Idee.«
»Ich auch nicht«, seufzte Lily, noch immer ein nachdenkliches Gesicht aufgesetzt. »Ich zermartere mit seit gestern das Hirn, aber nichts wirkt gut genug. Zwanzig Prozent der Endnote sind...«
»Beträchtlich«, schlug Severus vor.
»Angsteinflößend«, sagte Lily und schmunzelte.
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Vor den turmhohen Fenstern war schon der Abend angebrochen. Ein letzter Schimmer von Rot und Gold zierte die feine Linie des Horizonts, während der kalte Wind durch die hohen Tannen des verbotenen Waldes brauste und weitere Vogelschwärme sich aufmachten, um gen Süden zu ziehen.
Es war Sonntag, Halloween, und schon seit Stunden saß Severus in der Bibliothek über etliche Bücher gebeugt und versuchte eine Lösung für sein Zaubertrankproblem zu finden, das ihm heute Abend um die Ohren fliegen würde, wenn er keine Antworten parat hätte.
Nach der formlosen Einladung am Freitag, hatte Severus nicht damit gerechnet, dass er am Sonntag bei Speis und Trank über sich, seine Mutter und sein Talent in der Zaubertrankbrauerei würde sprechen müssen, doch der Brief, den Slughorn ihm per Eule hatte überbringen lassen, hatte diese Blase der Augenwischerei platzen lassen und den Selbstzweifeln Raum gegeben.
Ein guter Freund von mir, Hector Dagworth-Granger, Sie kennen ihn bestimmt, hat großes Interesse bekundet, an Ihrer klugen Herangehensweise, um Miss Evans' Zaubertrank zu retten.
Er könnte ganz einfach Lily fragen, hatte er anfangs noch gedacht, doch dann war ihm eingefallen, wieso Slughorn ihn überhaupt eingeladen hatte und Lily war keine Option mehr gewesen.
Nicht einmal von dem Essen erzählen, konnte er ihr. Er wusste nicht wie, ohne sich schlecht zu fühlen.
Also saß Severus hier, nachdem er aus dem Gemeinschaftsraum geflohen war. Die älteren Schüler hatten natürlich jenen Tag dafür auserkoren, für eine kleine After-Halloween-Halloween-Party zu schmücken. Besonders Narcissa Black hatte ihren Spaß dabei, kleine Kürbisse zum Schweben zu bringen und sie statt der Lampen zu nutzen.
Doch in keinem der Bücher konnte er eine Erklärung dafür finden, wieso Murtlap-Essenz einen positiven Einfluss auf seinen Aufpäppel-Trank gehabt haben sollte. Geschweige denn, dass Rühren in verschiedene Richtungen.
Severus verfluchte seine Mutter, dass sie ihm nicht von klein auf beigebracht hatte, was es über Zaubertränke zu wissen gab. Stattdessen hatte sie ihre eigene Magie in Spinners End nur immer versteckt, um seinen Vater nicht unnötig zornig zu machen.
Als hätte das, etwas genutzt...
Es gab selten einen Tag, an dem Tobias Snape nicht zornig gewesen war.
Heute hielt sich der Zorn in Grenzen, betrunken wir er oft war, verschlief er die meisten Tage einfach und sah ansonsten bloß seine Sendungen im Fernsehen, während Eileen Putzen ging.
Von der Zauberin, der Zaubertrankmeisterin, war nicht mehr viel übrig geblieben.
Severus seufzte und klappte auch dieses Buch zu. Es hatte keinen Zweck, er würde es nie verstehen.
Wie hatte sich Lily so schnell steigern können? Wie konnte er, so weit hinter ihr herhinken?
Er kam aus einer Zaubererfamilie, er war der Halbblut-Prince.
War es pures Glück gewesen? Hatte sie irgendwelche älteren Schüler um Hilfe gebeten? Oder schlimmer, hatte sie Potter um Hilfe gebeten?
Vielleicht hatte Lily gelogen, vielleicht hatte sie nach der Stunde nicht mit Remus Lupin sondern mit Potter sprechen wollen? Hatte es nicht sogar so ausgesehen, als würde sie sich nur mit ihm unterhalten? Als wären die anderen nur zufällig an ihrer Seite?
Ein Kostüm? Wirklich, Lily, wir sind hier nicht unter Muggeln!, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme in seinem Kopf, er erkannte sie nicht, konnte sie nicht zuordnen. Albern sieht das aus...
Das ist nicht albern, das ist Tradition, erwiderte Lilys Stimme hitzköpfig.
Odessa, lass sie doch, wenn sie sich blamieren will, sagte jemand anderes. Ein weiteres Mädchen.
Odessa schnaubte: Lächerlich!
Severus keuchte, rang nach Luft, als die Stimmen in seinem Kopf verblassten.
Was. War. Das?
Hatte er die Mädchen gehört? Saßen sie hier in der Bibliothek? Doch er erblickte weder Lily, noch Odessa Fawley noch ihre Freundin Valorelle Dodderidge.
Er schüttelte sich, versuchte den Schock loszuwerden, als Lily plötzlich an seinem Tisch vorbeieilte, den Umhang über ein eindeutiges Katzenkostüm gezogen, Schnurrhaare ins Gesicht gemalt, Katzenohren im Haar.
Sie hatte geweint, das konnte er sehen.
Lächerlich!, ertönte Odessas Stimme erneut.
Waren das Lilys Gedanken? Sie fühlten sich anders an, als sonst. Stärker verborgen, als hätte sie sie hinter Rauch versteckt.
Gedanken zu spüren und manchmal auch zu hören war etwas, dass Severus schon seit seiner Kindheit begleitete, wenn er die Kunst auch nie ganz zu perfektionieren oder überhaupt zu beherrschen gelernt hatte.
Lily hatte es anfangs noch für faszinierend gehalten, bis zu dem Tag, an dem er so lange in ihrem Kopf umhergesucht hatte, weil sie ihm nicht erzählen wollte, in welchen Muggeljungen aus ihrer Schule sie verliebt gewesen war. Es hatte ihn wahnsinnig werden lassen und am Ende hatten sie beide geweint...
Benjamin Cooper hat so wunderschöne braune Augen! Seine dunklen Haare fallen ihm ganz natürlich in die Stirn und mit der Brille sieht er so schlau aus...
Benjamin Cooper war auf seinem nach Hause-Weg am nächsten Tag ganz zufällig von einem herabstürzenden Ast überrascht worden, der ihn vor Schreck zurückfallen lassen und ihm das Bein gebrochen hatte.
Lily hatte zwei Wochen lang nicht mit Severus geredet.
Seither... tat er es nicht mehr, oder erzählte ihr zumindest nichts mehr davon.
Er sprang von seinem Stuhl auf und folgte ihr zwischen die Regale, griff nach ihrer Hand. Sie schnellte herum, bereit jeden anzubrüllen, der es wagte, sie zu belästigen, doch entspannte sich sogleich, als sie Severus erkannte.
»Lily?«
»Oh, Sev!«, sie warf sich in seine Arme, vergrub das Gesicht an seiner Schulter.
»Ich... fühle... mich... so... dumm!«, schluchzte sie.
Unbeholfen tätschelte er ihren Rücken. »Was ist passiert?«, fragte er - er ahnte es schon - er hatte es gehört.
Und er sollte Recht behalten. Sie erzählte ihm von Odessa Fawley und Valorelle Dodderidge, die sich über ihr Kostüm lustig gemacht hatten, nachdem sie ihr noch letzte Woche erzählt hätten, dass das Verkleiden auch in der Zaubererwelt ein großer Bestandteil des Festes war.
»Sie wollten sich nur über mich lustig machen«, sagte Lily, sie hatte sich schon wieder etwas beruhigt, wenn ihr auch noch immer stumme Tränen, die Wangen hinabliefen.
»Du hast nicht zufällig ein Taschentuch?«, fragte sie, ein scherzhafter Ton hatte sich wieder unter ihre Worte gemischt.
Severus schüttelte den Kopf. »Nein, wer hat heute noch Taschentücher dabei?«
Sie winkte ab und griff in ihre Umhangtasche, ihr Gesicht hellte sich auf. »Scheinbar ich.«
Es war ein hübsches Taschentuch, eins aus Stoff, wie es früher üblich war, eins mit sich in seiner Brusttasche umherzutragen, die wenigsten Zauberer geschweige denn Muggel kamen dieser Tradition nach.
Lily schnäuze sich die Nase und tupfte sich die Tränen ab, bevor sie das Tuch wieder in ihren Umhang stopfte, ein verlegenes Lächeln auf den Lippen.
Für einen kurzen Augenblick konnte Severus die Initialen erhaschen, die auf das Tuch gestickt worden waren... 𝔍𝔓.
Konnte das...
»Kommst du mit zum Fest? Ich möchte nicht alleine in die große Halle gehen, aber ich will Valorelle und Odessa auch nicht die Freude bereiten, mich im Schlafsaal zu verstecken.«
Severus hob überrascht den Kopf. »So willst du gehen?«
Er hatte offensichtlich etwas Falsches gesagt, denn Lily zog sich von ihm los und funkelte herausfordernd. »Ja, wieso? Hast du ein Problem mit einer Katze an Halloween?«
Rasch schüttelte er den Kopf, wenn auch unsicher, wieso. »Nein, nein - sicher nicht.«
Lily nickte zufrieden.
»Also, kommst du mit?«
Er würde ihr keinen Wunsch abschlagen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er eine halbe Stunde Zeit hätte, bevor Slughorns Party beginnen würde.
Er nickte. »Ich bin nachher noch mit Lucius verabredet, aber ich begleite dich gerne hin.«
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Die große Halle war in den Schulfarben geschmückt, während dutzende Kürbisse über ihren Köpfen als Laternen schwebten. Die Wände zierten Spinnenweben von einer Ecke in die nächste, in denen sich übergroße, lebensechte Acht-Beiner entlanghangelten, während ihre vielen Augen wachsam durch die Halle schielten und jeden genau zu fixieren schienen. Lily wandte den Blick schnell ab. Spinnen hatte sie noch nie leiden können. Die Tische waren mit dem best polierten Goldgedeck bestückt, umringt von dutzenden Schüsseln voller Lakritz-Zauberstäben, Sauredrops, die einen das Gesicht verziehen ließen, Lutscher mit Blutgeschmack, Kürbispasteten und viele weitere Leckereien.
In einer Ecke stand eine große, hölzerne Bühne, auf der die Skeletons spielten. Eine Band bestehend aus verzauberten Skeletten, die, laut Bilius Weasley, von Geistern besessen waren, wie Lily Severus erzählte - er rollte darüber nur die Augen.
Ein besonders kleines Skelett musizierte auf einem Hocker stehend am Kontrabass, während drei weitere mit Saxophon, Trompete und Gitarre bewaffnet über die Bühne tanzten - sofern man das 'tanzen' nennen konnte -, und das letzte von ihnen saß hinter einem großen Schlagzeug und schlug begeistert darauf ein.
Severus zog den Kopf ein, als sich bei ihrem Eintreten viel zu viele Köpfe zu ihnen umwandten, weil Lily noch vor der Halle ihren Umhang hatte ausziehen müssen, nur um den anderen Mädchen aus Gryffindor etwas zu beweisen.
Es war eine furchtbare Idee, doch Severus hatte nicht so recht gewusst, was er hätte sagen sollen, um es Lily zu erklären, ohne dass sie nie wieder ein Wort mit ihm gewechselt hätte.
Besonders wenn sie sich in ihrem Stolz gekränkt fühlte, war es schwer, ihr Verstand einzubläuen.
In ihrer Katzenpracht stolzierte sie an den Gryffindortisch, Severus mit sich ziehend - als wäre ihr Aufzug nicht schon schlimm genug.
Immerhin zog auch der Lehrertisch einige Blicke auf sich. Professor McGonagall, die sonst stets auf ein gepflogenes und striktes Auftreten wert legte, hatte sich eine Spinne an den Spitzhut gehext, während Professor Dumbledore in lilafarbene Seide gehüllt einen Narrenhut auf dem ergrauten Haar und eine mit Bonbons bezogene Kette um den Hals trug.
Was sich der alte Kauz dabei gedacht hatte...
Die Schüler trugen alle ihre schlichten Uniformen und Spitzhüte, bloß einige wenige Muggelstämmige, zu denen leider auch Lily gehörte, hatten sich verkleidet. Sie ernteten viel Aufmerksamkeit, und keine, um die sie zu beneiden gewesen wären.
Außer Lily waren nur zwei weitere Schüler verkleidet. Ein Junge aus Hufflepuff, der statt in seiner Uniform, in einem gelben Anzug mit dunklen Punkten steckte, und ein Mädchen, ebenfalls aus Hufflepuff, das schon etwas älter war. Es trug ein goldenes Krönchen und unter dem Umhang ein hübsches Prinzessinnenkleid.
Severus sah schon, wie einige seiner Mitschüler feixten, Mulcibers Grinsen war bösartig und zu seinem Erschrecken nicht auf Lily sondern auf ihn selbst gerichtet, als Lily ihn neben sich auf die Bank am Gryffindortisch zog.
Er wäre am liebsten jetzt und hier gestorben.
Professor Dumbledore erhob sich von seinem Platz und strahlte in die Runde. Die Musik verstummte und erwartungsvoll blickten alle zu ihm hoch, während über ihren Köpfen tausende Fledermäuse ihre Kreise zogen und hin und wieder ein schrilles Quieken von sich gaben.
Mulciber lehnte sich zu Dolohow, nun grinsten sie beide...
Glücklicherweise suchte sich Professor Dumbledore genau jenen Moment, um sich zu räuspern und mit seiner Rede zu beginnen:
»Meine lieben Schüler ...«
Aber Severus hörte ihm nicht zu, er spürte die Blicke seiner Hausgenossen im Nacken. Wieso war er Lily hierher gefolgt?
Weil er alles für Lily tun würde.
Frustriert zog er die Stirn kraus und beugte sich an Lilys Ohr. Er war für sie hier, dann könnte sie ihm auch bei seinem Problem helfen. Das wäre nur fair. »Woher wusstest du, dass Murtlap-Essenz meinen Zaubertrank rettet?«
Überrascht sah sie ihn an. Dann begann sie zu erklären...
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Als Severus sich endlich aus der großen Halle davonstehlen konnte, war er schon fünf Minuten zu spät für sein Treffen mit Lucius.
Er rannte die steinerne Eingangshalle entlang und kam schlitternd vor dem Treppenabsatz zum Stehen, von wo aus sie zusammen zu Slughorns Dinner Party gehen wollten.
Lucius war nicht da.
»Verflucht«, schimpfte Severus. Der Malfoy hatte Unpünktlichkeit noch nie gutheißen können, er war mit Sicherheit einfach ohne ihn gegangen. Also überlegte Severus nicht lange und stolperte die Stufen so schnell er konnte hinab, auf der Suche nach Slughorns Büro.
Er kam nicht weit.
»Hör auf an ihn zu denken, Lav. Du brauchst ihn nicht. Die Graves Familie hat einen guten Ruf und Wyatt ist ein anständiger Mann und kein Halbblut. Radley kann dir keine gesicherte Zukunft sichern! Und sein Kopf ist viel zu groß.«
Narcissa Blacks Stimme hallte von den Wänden wider, gefolgt von einem Lachen, das eindeutig Lavinia Zabini gehörte.
Severus wagte einen kurzen Blick um die Biegung der Mauer, um sein Gehör zu prüfen. Er hatte recht gehabt.
Zusammen saßen die beiden Hexen auf den unteren Stufen einer Treppe, Narcissa einen Arm um ihre Freundin gelegt.
Lavinias Haare waren heute hellblau gefärbt, jede Woche trug sie eine neue Farbe zu Schau, Severus konnte dem nichts abgewinnen. Er mochte rotes Haar.
Ihre Augen waren verquollen, doch Narcissas Schimpftirade ließ sie kichern. »Wie bitte?«
»Lavinia, du bist kaum größer als ein alter Hauself und Radley ist riesig, sein Kürbiskopf... seine Kinder würde ich nicht bekommen wollen.«
»Du bist schrecklich«, lachte Lavinia und hob den Blick, um die Nische mit den Ritterrüstungen ihr gegenüber zu inspizieren. Ein nachdenklicher Ausdruck schlich sich in ihre dunklen Augen.
Sie erhob sich, schälte sich aus Narcissas Umarmung und hob zögerlich die Hand. Ging einen Schritt nach dem anderen auf die Rüstung zu, nur um ihr mit einem Fingerschnipsen einen hässlichen Schnurrbart zu zaubern.
Narcissa ließ ein Schnauben hören.
»Wyatts Gesichtsbehaarung ist Thema für einen anderen Abend voll Schokolade und Taschentücher, Lav. Vielleicht hast du Glück und er rasiert ihn sich nach einem Jahr Ehe ab... oder du zauberst ihn einfach unwiederbringlich fort - es gibt da ein paar Bücher in der verbotenen Abteilung. Lucius hat neulich...«
Nun war es an Lavinia zu schnauben. »Ich werde Wyatt nicht verfluchen oder mit einem Zauberspruch enthaaren. Wie kommt Lucius überhaupt in die verbotene Abteilung? Braucht er dafür nicht eine Unterschrift eines Lehrers.« Ihre Stimme zitterte kaum merklich.
Narcissa zuckte mit den Schultern. »Professor Beery unterschreibt alles, wenn man ihn nur darum bittet. Er ist so alt und blind, er weiß bestimmt gar nicht genau, was man ihm da vorsetzt. Ein Wunder, dass seine Pflanzen ihm noch nicht den Hals umgedreht haben.«
»Cissy! Nun hör aber auf.«
Wieder nur ein Schulterzucken. »Professor Thorburn hat sich geweigert, also musste Luce stattdessen den alten Greis aufsuchen.«
Endlich zog Lavinia die Hand zurück. Unschlüssig starrte sie weiterhin die neue Gesichtsbehaarung der Ritterrüstung an und seufzte schließlich. Sie wandte sich ab, nahm die Hand ihrer Freundin und zog sie mit sich den Korridor entlang - genau in die Richtung, in der Severus versteckt hinter der Biegung lauschte.
»Los, lass uns zum Fest gehen. Ich sterbe vor Hunger - und ich möchte sehen, wie sich Wyatt vor den Fledermäusen versteckt.«
Die Mädchen kamen näher und Severus presste sich gegen die Mauer. Vielleicht würden sie ihn nicht sehen, wenn er die Augen nur fest genug zukniff? Es war ihm fast, als hätte ihm etwas auf den Kopf geschlagen, als die Mädchen mit jedem Schritt auf ihn zukamen.
Kalte Tropfen wie Schweiß perlten über seine Schultern bis hin in seine Zehenspitzen, er presste sich enger an den Stein.
»Was für ein Buch hat Lucius aus der verbotenen Abteilung ausgeliehen?«, fragte Lavinia plötzlich.
Severus atmete erleichtert auf, als sie stehen blieben.
»Siehst du«, Narcissa seufzte, »deswegen solltest du nicht mit Radley sprechen. Er macht dir bloß Angst. Keine Sorge, es ist nicht das Buch, welches er für die Zeremonie braucht.«
»Everett ist nur besorgt... nach letztem Jahr.«
»Er hat Dinge gesehen, die er nicht verstanden hat«, sagte Narcissa, ihr Tonfall von jeglicher Emotion befreit. »Was mit Desdemona passiert ist, war ein Unfall. Sie ist außerdem schon wieder aus dem Mungos draußen.«
»Kann aber nicht mehr sprechen«, fügte Lavinia hinzu.
»Ihre eigene Schuld«, stellte Narcissa fest. »Lucius hatte ihr gesagt, sie sollte sich nicht mehr bewegen, sobald er mit dem Zauber begonnen hatte. Außerdem...«
»Ist es für uns von Vorteil, weil sie uns so nicht verraten kann.«
»Ganz genau. Die Lähmung ist von ebenso großem Nutzen, naja... da musste Luce etwas nachhelfen.«
»Cissy! Wirklich?«
Die Blondine zuckte nur mit den Schultern und ging weiter. »Bei dir wird er vorsichtig sein. Er weiß, dass du meine beste Freundin bist. Außerdem... du bist nicht so dumm, den Kopf seitwärts zu schlagen, wenn jemand mit einem Zauberstab dabei ist, dir die Kehle zu zerschneiden.«
Severus schlug sich vor Schreck die Hände auf den Mund, um ja keinen Laut von sich zu geben, sank in die Hocke und er wusste nicht, ob es Glück oder ein Merlin'scher Segen war, dass ihn weder Narcissa noch Lavinia bemerkten, als sie an ihm vorbei hinauf zum Fest eilten.
Narcissa hätte sicherlich ihm allzu gerne die Kehle zerschnitten, wenn sie gewusst hätte, dass er ihrem Gespräch gelauscht hatte.
Schritte ertönten und verstummten sogleich wieder, kamen direkt neben ihm zum Halten und eine Hand legte sich auf seine Schulter, ein erneutes Klopfen auf seinem Kopf und plötzlich ergoss sich ein warmer fast schon heißer Schauer über seinen ganzen Körper.
»Was?«, er blickte sich um und sah plötzlich Lucius, der sich neben ihm gegen die Mauer lehnte, die hellen Augenbrauen finster zusammengezogen.
»Es ist nicht wirklich ehrenvoll, zu lauschen«, sagte er.
Severus Wangen färbten sich rot.
»Ich wollte nicht-«
Lucius winkte ab. »Ich weiß, dass du uns nicht verraten wirst, nicht wahr, Severus? Du bist mein Freund.«
»Natürlich.«
Der Malfoy nickte zufrieden. »Wusste ich es doch. Ich habe dir gesagt, wenn du älter bist, wirst du erfahren, was es mit unserer Sache auf sich hat und ich halte mich daran. Eins solltest du aber wissen... die Zukunft, die vor uns liegt, braucht Hexen und Zauberer wie dich und mich, Zauberer, die wissen, was wirklich wichtig ist. Das größere Wohl.«
Severus nickte. Seine Gedanken drehten sich um 180°, doch er wäre nie so dumm, seine Freundschaft mit Lucius aufgrund seiner Ängste über Bord zu werfen.
»Das größere Wohl«, sagte er.
»Sehr gut«, Lucius lächelte. »Irgendwann wird aus dir ein grandioser Ritter der Walpurgis. Jetzt komm, der alte Sluggy wartet sicherlich auf uns.«
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Slughorns Dinner Party war schon in vollem Gange, als die beiden Slytherins eintrafen.
Sein Büro war dem Anlass entsprechend geschmückt, doch ohne die lächerlichen Halloween-Dekorationen, die sich die große Halle zu eigen gemacht hatte.
Es war eine große runde Tafel gedeckt worden, aristokratisch und edel - das gefiel Severus schon besser, erinnerte ihn an die vielen Feste in Malfoy Manor, an seine Mutter... Sirius Black...
Er wischte jenen letzten Gedanken beiseite und setzte sich auf einen der zwei freien Plätze neben ein Mädchen mit rostroten Haaren, sie konnte nicht älter sein als er. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, er konnte nur nicht so recht zuordnen, woher.
Der Tisch quoll beinahe über mit Köstlichkeiten, deren Dämpfe die Luft benebelten. Musik spielte aus einem verzauberten Grammophon, während sich die Gäste alle grandios zu amüsieren schienen und ihre Gespräche nur unterbrachen, um ihnen beim Eintreten zusehen zu können.
»Ah, Lucius, Severus. Es freut mich, dass Sie es noch geschafft haben. Ich hatte schon Sorge, mein guter Freund, Hector, wäre umsonst den weiten Weg angereist.« Slughorn lächelte zwar, doch der Unmut war ihm anzumerken. Er war wohl auch kein Freund des Zuspätkommens...
»Verzeihung, Professor«, sagte Lucius, er hatte sich neben Severus niedergelassen und überhäufte seinen Teller mit Kartoffeln und Braten, »meine Freundin, Narcissa Black, brauchte noch meine Hilfe bei einem ihrer Aufsätze. Ich konnte ihr das ja nicht einfach abschlagen, Sie kennen doch die Damen. Severus bat ich, auf mich zu warten.«
Slughorns Augen leuchteten auf. »Oh, aber natürlich! Die Damen, wir kennen das, nicht wahr, Hector?« Er gluckste. »Ärger mit dem Frauenzimmer, das kann man keinem stattlichen Mann wünschen, nicht wahr?«
Er sah in die Runde. Einige der männlichen Gäste lachten, auch ein paar Mädchen.
Die Rothaarige neben Severus rollte kräftig mit den Augen und flüsterte etwas, das stark nach »widerlicher Sexist« klang, während Severus sich nun an Gemüse und Fleisch auf den Teller lud.
Er rückte von ihr ab, auch wenn Slughorn den Seitenhieb nicht gehört zu haben schien.
»Nun, aber Severus, jetzt müssen Sie Hector von ihrem Zaubertranktalent berichten. Meine Erzählungen können nur einen kleinen Teil seiner Neugier beruhigen.«
»Oh«, Severus' Wangen färbten sich rosa und seine Hände fielen ihm in den Schoß.
»Wie geht es Ihrer Mutter?«, fragte Mr. Dagworth-Granger.
»Eileen Prince, eine fabelhafte Zaubertrankmeisterin«, erklärte Slughorn den anderen. Einige wenige sahen überrascht zu Severus auf, was es ihm nicht leichter machte, den Mund aufzukriegen.
»Gut, Sir«, antwortete er dennoch vage. Er konnte schlichtweg nicht die Wahrheit erzählen...
Sie hat einen Versager-Muggel geheiratet und lebt nun ein tristes Leben als Schatten ihrer selbst, danke der Frage, Sir...
Der alte Mann fuhr sich durch sein struppig-braunes Haar und legte einen Finger an die Lippen, Severus' musste sich beherrschen nicht ständig auf seine Zähne zu achten, während er weitersprach. Seine Schneidezähne waren doppelt so lang wie üblich.
»Horace, hier, hat mir schon einiges von Ihren bemerkenswerten Leistungen in seinem Unterricht berichtet. Erst vor ein paar Tagen sollen Sie ein Rezept aus einem der Schulbücher angepasst haben, nachdem ein Muggelmädchen, Verzeihung - eine Muggelstämmige ihren Trank ruiniert hat. Sie haben ihr geholfen? Äußerst nobel, ja, ja.«
Severus nickte. »Ja, Sir. Das habe ich.«
Das rothaarige Mädchen neben ihm sah überrascht auf und runzelte die Stirn, ihre fast schön cyanfarbenen Augen bohrten sich ihm in die Seite, er versuchte sie zu ignorieren. Woher kannte er sie?
Mr. Dagworth-Grangers Augen leuchteten auf. »Erzählen Sie, erzählen Sie! Für einen Erstklässler ist das beeindruckend!«
Severus hatte noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt, etwas essen zu können...
Doch er wusste, was er zu tun hatte, er hatte geübt und Lily hatte ihm alles erzählt, was er wissen musste.
»Oh, das war ganz einfach, Sir. Murtlap-Essenz, wie sie wissen, ist eine gern genutzte Zutat für allerlei Heilzauber und so kann es in geringen Dosen auch für andere Zaubertränke wie Spezifika verwendet werden. Natürlich mit den nötigen Anpassungen.«
»Wahrlich beeindruckend«, sagte der alte Mann und lächelte Slughorn zu.
Der Professor gluckste. »Da soll noch einer sagen, Talent würde nicht vererbt werden.«
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020. Süßes oder Saures
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