013. Die Höhle der Löwen

𝓉𝒽𝒾𝓈 𝓅𝓁𝒶𝒸ℯ 𝒻ℯℯ𝓁𝓈 𝓁𝒾𝓀ℯ 𝒽ℴ𝓂ℯ

»Erstklässler folgt mir!«, rief Henry Bell, der Gryffindorvertrauensschüler laut aus.

Mit geschwollener Brust, an der sein silbernes Abzeichen im Kerzenschein fröhlich funkelte, stolzierte er aus der Halle, die kleine Traube aus Schülern hinter sich wissend.

Alle Vertrauensschüler hatten sich offenbar zum gleichen Zeitpunkt dazu entschieden, ihre Schützlinge in die Gemeinschaftsräume zu führen.

Die große Masse an Schülern löste bei einigen beinahe die verdrängten, klaustrophobischen Gedanken aus, wegen derer sie sich zurückfallen ließen, nur um auf noch mehr Schüler zu treffen und dann panisch umherzutorkeln.

Es war ein großes Durcheinander und ein ziemlich amüsanter Anblick.

Während die Slytherins und Hufflepuffs in die Kerker geführt wurden, machten sich Gryffindor und Ravenclaw zurück durch die Eingangshalle zu den Treppen auf.

Obwohl das noble Anwesen der Familie Black, keineswegs gewöhnlicher Natur war und die auch hier vorhandenen aristokratischen Züge der Architektur widerspiegelte, war es doch wieder einmal nichts im Vergleich zu Hogwarts' Großer Treppe.

Ähnlich wie in der großen Halle schien es keine Decke zu geben, doch nicht weil sich der Plafond direkt in den Himmel zu öffnen meinte, sondern weil sich das Treppenhaus in unendlich viele Marmortreppen teilte, die von Treppenabsatz zu Absatz führten und bis hoch hinauf ragten, wo man ihr Ende nur noch erahnen konnte.

Mit Staunen stellte Sirius fest, wie die Treppen sich bewegten, ihre Richtungen nach Lust und Laune änderten, als könnten sie tatsächlich denken.

Wie viele Ausreden er sich einfallen lassen könnte, um zu spät zum Unterricht kommen zu können.
Er bräuchte die Schuld bloß den beweglichen Stufen zuschieben...

Sein Grinsen fand James, der offenkundig den gleichen Gedankengang verfolgte.

Dieser verpasste ihm einen Stoß in die Seite, um seine Aufmerksamkeit unauffällig vor ihn zu lenken, ein unterdrücktes Lachen hinter vorgehaltener Hand versteckt.

Sirius folgte seinem Zeigefinger und konnte sich kaum halten.

Die anderen Erstklässler waren noch viel zu sehr damit beschäftigt, das Treppenhaus weiter zu bestaunen, während James und Sirius das Schlusslicht bildend dadurch perfekte Sicht auf Henry Bell und seine Künste, die Stufen emporzusteigen, hatten.

Sie hatten ihren Spaß dabei, den Fünftklässler nachzuahmen, obwohl ihre deutlich kürzere Gestalt, es ihnen erschwerte, die Treppen wie ein langbeiniger und noch dazu angetrunkener Flamigo hinaufzustaksen.

Das hielt sie jedoch nicht davon ab, ihr Bestes zu geben.

»Erstklässler folgt mir!«, rief Bell erneut, nicht ahnend, was sich hinter ihm abspielte.

»Erstklässler folgt mir«, brummte Sirius in einer deutlich tieferen Stimmlage als üblich.

»Genial!«, lachte James, »Das klang, als wärst du von einem Dämon besessen!«

»Fetzig!«

Henry Bell warf einen genervten Blick über seine Schulter, ehe er die nächste Treppe in Anspruch nahm. »Passt auf, die dritte Stufe ist eine Trickstufe, die euch gefangen nimmt, wenn ihr sie benutzt.«

Er hätte wissen müssen, dass er das lieber nicht hätte sagen sollen...

»HIIIIILFEEEEE!«, rief Sirius keine zwei Sekunden später. »SIE HAT MICH! SIE HAT MICH!«

James kugelte sich beinahe vor Lachen und auch Peter, der ihnen die ganze Zeit auf Schritt und Tritt gefolgt war, gab ein belustigtes Quieken von sich.

Um sie herum schien sich tatsächlich jeder über das alberne Schauspiel zu amüsieren - mit Ausnahme zweier Personen. Lily Evans und Henry Bell.

Die Jungs hatten mittlerweile festgestellt, dass Lily es ihnen tatsächlich noch immer übel nahm, was im Zug mit Schniefelus passiert war.

Doch statt einer Entschuldigung - denn Schniefelus hatte ja angefangen - fanden es James und Sirius nur umso lustiger den Vorfall während des Essens nachzustellen, so dass sich auch die anderen darüber amüsieren konnten.

Sirius vollführte eine nahezu perfekte Imitation von Snape und zu Lilys Überraschung - und Frustration - ging die Rechnung der Jungen auch noch auf.

Sie heimsten tatsächlich jede Menge Gelächter und Applaus ein, woraufhin sich die Hexe demonstrativ von ihnen abwandte.

Henry Bell hingegen schien einfach ein unfassbarer Langweiler zu sein, dachte Sirius, der gar nicht mehr zählen konnte, wie oft Bell ihm und James schon einen seiner ‚Benimm-dich-Blicke' zugeworfen hatte, jedoch war der Vertrauensschüler nicht so talentiert darin, wie er zu glauben schien.

Er ähnelte mehr einer alten Dogge, die unter Verstopfungen litt, was es James und Sirius unfassbar erschwerte, ihn ernst zu nehmen.

»Was habe ich eben gesagt?«, rief Henry Bell.

»ICH WERDE STEERBEEN!«

»Oh, eine Show!« Die Stimme des heiteren Bilius Weasley schloss zu ihnen auf, ehe er sich auch schon zu Sirius hinabbeugte, der sich dramatisch auf die Stufen hatte fallen lassen, den Kopf Richtung Treppenfuß, einen Arm dramatisch über die Augen gelegt, ein Bein in die Höhe über die Treppe gelegt, das andere gefangen in einem Loch in der Stufe, das zuvor noch nicht da gewesen war.

»Wo bleibt das Popcorn, wenn man es braucht?«, seufzte Max McCoy.

»Du willst schon wieder etwas essen?« Der Dritte im Bunde, Clarence Ebony, hob belustigt beide Augenbrauen.

Henry Bell zwängte sich durch die kichernde Schülerschar, um Sirius einem prüfenden Blick zu unterziehen, ehe er den Zauberstab zog und auf sein Bein richtete.

»Finite.«

Er half dem jungen Black wieder auf die Füße, obwohl dieser sich dabei äußerst ungeschickt anstellte und zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen.

»Die Treppe wollte mich umbringen!«, bellte er durch das überdimensionale Treppenhaus, so dass sich einige der vielen Portraits, die die ganzen Steinwände verkleideten, verärgert zu ihm umwandten.

Eine kleine, kugelrunde Dame fuchtelte mit ihrer Faust vor dem Gesicht und bewarf ihn mit Hülsenfrüchten, die jedoch alle am Bilderrahmen abprallten und zurück gegen ihre Stirn schnellten.

Geschieht ihr Recht, dachte Sirius genüsslich.

»Keine Faxen mehr, Black!«, mahnte Bell, woraufhin sich Bilius erneut in das Gespräch einklinkte.

»Henry, sei kein alter Spielverderber. Das Abzeichen an deiner Brust hat dich echt noch spießiger werden lassen als letztes Jahr und ich dachte echt, das wäre ein Ding der Unmöglichkeit.«

Wieder kicherte die kleine Traube aus Erstklässlern, bis auf einmal Olive Kemp, eins der neuen Gryffindormädchen, einen panischen Schrei losließ und somit alle in Aufruhr versetzte.

Die älteren Schüler hatten schon die Zauberstäbe gezückt und sich auf das schlimmste vorbereitet, so schien es, doch etwas merkwürdig, dass weder sie noch Sirius oder James sehen konnten, was das Mädchen so hatte aufschreien lassen.

»Ich hab es doch gesagt«, murmelte Sirius, »Mädchen sind total verrückt.«

Dann geschah es wieder. Durch die vor ihnen liegende Treppe flog ein...

»Geist!«, quiekte Peter alarmiert.

»Genial!«

»Fetzig!« Sirius' Stimme echote von den Wänden wieder. »Das ist der Fast Kopflose Nick!«

Peter, der zur Belustigung seiner beiden neuen Freunde leicht panisch und nur mit einem Auge über James Schulter lugte, erschauderte bei den Worten fast kopflos, als wäre es das Unnatürlichste auf der Welt, doch Sirius hatte schon in frühester Kindheit mit den seltsamsten Begebenheiten Leben gelernt, so dass ihn der Umstand eines nur zu 99% abgeschlagenen Kopfes nicht im Geringsten bekümmerte.

Der Geist, dessen Aufzug an die Renaissance erinnerte, runzelte leicht verärgert die Stirn.

Er zupfte seine Halskrause zurecht, als befürchtete er, sein Kopf könnte jeden Moment zur Seite klappen, was - wie Sirius es nun recht bedachte - tatsächlich passieren könnte und sagte: »Ich zöge es doch vor, Sie würden mich Sir Nicholas nennen, Sir Nicholas de Mimsy-Porpington.«

Ungeachtet dessen, was Nick gerade gesagt hatte, begannen die Erstklässler wild durcheinander zu quasseln, bis Olive Kemp ziemlich laut ausrief: »Fast kopflos? Das geht doch gar nicht!«

Überaus pikiert betrachtete der Geist die Gryffindor-Erstklässler und packte sich ans Ohr. Er wollte ihnen eine kleine Show präsentieren und besonders die Jungen - Peter Pettigrew ausgeschlossen - schienen überaus interessiert, doch Bilius Weasley schaltete sich dazwischen.

»Nick, sag mal, wo waren die Geister beim Festessen? Wir haben euch vermisst.«

Sir Nicholas ließ die durchscheinende Hand von seinem Ohr sinken und betrachtete den Weasley peinlich berührt.

Wäre er nicht tot, hätten seine Wangen wohl geglüht.

»Oh nun... Mr. Weasley ist immer ein aufgeweckter junger Mann, immer charmant. Ich muss beschämt gestehen, dass Lady Helena, der Blutige Baron, der fette Mönch und meine Wenigkeit bei einer Geistergeheimratssitzung zugegen waren. Peeves hat sich erneut daran zu schaffen gemacht, Mr. Filchs Büro in die Luft zu sprengen, doch der Blutige Baron konnte ihn noch rechtzeitig von seinem Vorhaben abbringen.«

Nick schüttelte den Kopf. »Er wird immer mehr zu einer Belastung...«

Sirius und James warfen sich einen weiteren Blick zu, der Schabernack stand ihnen bereits ins Gesicht geschrieben.

Überhaupt - was war so schlimm daran, das Büro des griesgrämigen Hausmeisters hochzujagen? Ein bisschen Feuer unterm Hintern hatte bislang noch niemandem geschadet.

Ihm sicher nicht und Walburga hatte sich selten zurückgehalten.

»Peeves ist der Poltergeist«, flüsterte James, »Dad hat mir von ihm erzählt. Er soll mehr Unfug anstellen, als alle Schüler zusammen.«

»Aber jetzt sind wir hier«, grinste Sirius zurück, »Die Waagschale kommt gewaltig ins Wanken.«

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Der Gryffindorgemeinschaftsraum strahlte eine Wärme aus, die er dem prasselnden Kaminfeuer verdankte. Ein gemütlicher Halbkreis aus nicht zueinander passenden Sesseln und roten Samtsofas platzierte sich um den Cheminée, während sich weitere Sitzmöglichkeiten durch den ganzen Raum verteilten bis hin zu den Erkerfenstern.

Überallher strahlten die Farben Rot und Gold vermischt mit dem dunklen Braun der Edelholztische und Bücherregale, die die Wände säumten.

Kronleuchter hingen von der Decke, bebilderte Teppiche bedeckten den Boden.

Sirius erkannte Godric Gryffindor, der mit seinem Schwert einem Drachen den Kopf abschlug. Andere Läufer zeigten die Legende um König Arthur und Merlin, wieder andere waren einfach bloß bemustert in verschiedenen schon verblassten Rubintönen.

Der Gryffindorgemeinschaftraum obgleich riesig, strahlte einfach eine Gemütlichkeit aus, die Sirius so noch nicht kannte.

Dagegen war der Grimauld Place immer kalt und düster gewesen, selbst im Sommer schien das Haus eigenwillig jede Wärme abprallen zu lassen.

Sirius versuchte, die Gedanken an sein Elternhaus zu vertreiben, doch sie schlichen sich ein, verfolgten ihn wie dunkle Rauchwolken, die bedrohlich über ihm schwebten, ihn einhüllten in die Erwartungen seiner Familie - Erwartungen, die er heute enttäuscht hatte.

Er biss sich auf die Unterlippe. Der metallische Geschmack benetzte seine Lippen, doch statt aufzuhören, biss er fester zu, härter.

Schmerz half ihm zu vergessen, das hatte er früh lernen dürfen, wo es doch die liebste Bestrafungsmethode seines Vaters war.

Doch jeder Zauber wäre ihm um einiges lieber als der enttäuschte Wutausbruch, den seine Mutter für ihn bereithalten würde, sobald sie Narcissas Brief mit den Einzelheiten der heutigen Zuteilung erreichen würde.

Sicher hatte sich Narcissa direkt auf den Weg in die Eulerei gemacht, nachdem ihre Pflichten als Vertrauensschülerin erledigt waren. Davon hätte sie nichts abhalten können.

Was Regulus wohl denken mochte, wenn er von den Neuigkeiten erfuhr?

Ein leichter Stoß gegen die Rippen riss ihn aus seinen Träumereien. Es war James, der ihn schief angrinste und auf Henry Bell deutete, welcher gerade dabei war, ein blondes Mädchen, vermutlich die Vertrauensschülerin, darum zu bitten, die Mädchen in ihre Schlafsäle zu führen.

Es war das erste Mal, dass er nicht mehr alles unter Kontrolle zu haben schien und das spießige Gehabe für einen Augenblick abzulegen versuchte.

Max McCoy pfiff durch seine Zähne und beugte sich dann zu James und Sirius hinunter. »Er schmachtet Octavia schon seit vier Jahren hinterher.«

James lachte und auch Sirius versuchte sich wieder an einem Grinsen, wobei er noch mehr Blut schmeckte und erschrocken den Mund wieder schloss, um diskret mit seiner Zunge über die verletzte Stelle zu fahren wie ein verwundeter Hund.

»Wer macht denn sowas?«, fragte James mit hochgezogen Augenbrauen. »Sie ist doch bloß ein Mädchen.«

Max lachte rau auf.

»Meine Rede, Kiddo«, sein Blick glitt durch die Schülermenge, ehe er zu den Fenstern blickte und sich ein dümmliches Lächeln auf seinen Lippen bildete, »Bloß irgendein Mädchen...«

Sirius und James reckten die Hälse, um über die Köpfe der anderen hinwegzusehen. Zwei Mädchen tuschelten in einer der Sitzecken über den Propheten gebeugt.

Eine von ihnen, ein korpulentes Mädchen mit dunkelbraunen, auftoupierten Haaren, die mit einen weißen Band zurückgehalten wurden und ihr in hübschen Locken auf die Schultern fielen, schien den Blick des Sechstklässlers gespürt zu haben.

Ihre Wangen färbten sich rosa, als sie ihm zuwinkte.

»Hi, Quinn!«, rief Max etwas zu laut.

Sie kicherte und wandte sich dann wieder ihrer Freundin zu, doch Max ließ Sirius und James stehen und begab sich direkt an ihre Seite.

James schüttelte verständnislos den Kopf.

»Wenn ich je so werde«, sagte er bestimmt, »dann bring mich um.«

»Deal.« Das Lachen fiel Sirius schon wieder leichter.

»Mädchen... sowas passiert mir nie!« James schüttelte den Kopf.

»Oh, Potter, das sagen sie alle«, seufzte Bilius Weasley, der plötzlich zusammen mit Clarence wieder neben ihnen aufgetaucht war. »Und dann enden sie so, wie unser ehemaliger Freund da drüben... Maxwell McCoy, möge er in Frieden ruhen.«

»Er ist nicht gestorben«, sagte Sirius.

»Ach!« Mit einer wegwerfenden Handbewegung scheuchte Clarence seine Worte einfach beiseite. »So gut wie! Sie finden ein Mädchen und vergessen ihre Freunde, so funktioniert das eben!«

Theatralisch griffen sich die beiden Sechstklässler an die Brust, schmerzverzerrte Gesichter aufgesetzt.

»Sie werden so schnell groß und verlassen das Nest!«

»Blicken nie mehr zurück und beißen ins Gras!«

James und Sirius warfen sich einen kurzen Blick zu. Sirius konnte es auf seinen Gesicht lesen wie in einen Buch: »Die haben nicht mehr alle Kessel im Schrank.«

Doch, als die beiden Jungen sich wieder dem Rest ihrer Klasse anschließen wollten, die gerade Henry Bell die Treppe zu den Jungenschlafsälen hinauffolgten, hielt Bilius sie auf.

Seine Augen flackerten interessiert auf, als sie an Sirius hängenblieben und seine Gestalt hinauf und hinabwanderten. Es war, als hätte er erst jetzt so wirklich realisiert, wen er vor sich hatte. Clarence ging es nicht anders, obwohl er etwas schwieriger zu durchschauen war als sein Freund.

Sirius wusste, was sie fragen wollten, noch ehe der Weasley den Mund geöffnet hatte. »Ein Black also...«

»Ja«, antwortete Sirius unnötigerweise.

Während des Festessens waren die anderen Schüler so anständig gewesen, das Thema ruhen zu lassen, obgleich Sirius die unausgesprochenen Fragen und rückendurchbohrenden Blicke auch gespürt hatte.

Er war froh gewesen für die Verschnaufpause, bevor es nun mit jedem weiteren Atemzug über ihm zusammenbrach.

Was sollte er sagen?

»Ich werde nicht lange hier sein, gewöhnt euch nicht an mich

»Meine Mutter wird spätestens morgen früh den Schulleiter davon in Kenntnis gesetzt haben, dass ich doch nach Slytherin gehöre und mir nun das Zimmer mit Schniefelus teilen darf.«

Er war kein Gryffindor. Er fühlte sich in diesem Gemeinschaftsraum so schrecklich fehl am Platz, wie ein Eindringlich, ein gemeiner Parasit.

Die dunkel um ihm herum pulsierende Aura gehörte in die Kerker und nicht an einen so verflucht freundlichen Ort, nicht neben James Potter, der einzige Zauberer auf dieser Erde, dessen positive Energie beinahe schon Licht absonderte und der sich in die Szenerie einblendete, als wäre er zuvor nie woanders gewesen.

Bei Merlin! James Potter war der geborene Gryffindor - Sirius Black hingegen war das schwarze Schaf inmitten einer Löwenschar.

Er gehörte hier nicht hin!

Das Kaminfeuer war zu warm, die Stimmen der anderen zu laut. Die neugierigen Gesichter von Bilius und Clarence verschwammen, wurden wieder scharf, verdoppelten sich plötzlich.

Welcher Gemini-Zauber konnte Menschen verdoppeln?

Das Feuer wurde wärmer. Er begann zu schwitzen. Die Stimmen um ihn herum verschmolzen zu einem einzigen Rauschen.

Er würde sich den Festumhang abstreifen müssen, dachte er. Das konnte man doch nicht aushalten!

»Das ist eine Prämiere. Blacks kommen nicht nach Gryffindor.« Bilius Weasleys Stimme hallte irgendwo durch den Raum.

Sirius' Gesicht flammte auf, ein dröhnendes Pochen begann seine Schläfen zu malträtieren.

»...herzlose Zauberer und Hexen«, hörte er Clarence irgendeinen Satz beenden, dessen Anfang er nicht mitbekommen hatte.

»...von dir mehr erwarten...«

»...Reinblutfanatiker... halten sich für etwas Besseres.«

Plötzlich stoppte das Rauschen. Die Hitze verebbte durch einen einzigen Punkt an seinem Arm, um den sich die kühle Hand von James schloss.

»Sirius ist ein guter Mensch und wenn der sprechende Hut glaubt, dass in ihm ein Gryffindor steckt, sollte euch das ebenfalls genügen! Wen interessiert es, welchen Nachnamen er trägt? Und ihr sprecht von Vorurteilen...«

Er zog Sirius mit sich die Treppen hinauf, Peter und Remus Lupin hinterher, die schon durch die Türen des Jungenschlafsaals der Erstklässler verschwunden waren.

Bilius und Clarence blieben verdattert zurück.

Während James noch weiter wütend Worte vor sich hin murmelte, brachte Sirius bloß ein dümmliches Grinsen zu Stande, mit dem er James' Hinterkopf musterte.

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Die Jungen stolperten in das Zimmer, das in den nächsten sieben Jahren zu ihrem neuen zu Hause werden würde. Für Sirius zumindest bis zum nächsten Morgen.

»Genial!«

James stürmte beinahe schon hinein, den Ärger schon wieder vergessen, dicht gefolgt von Sirius. Die Koffer der vier Jungen standen in der Mitte des Raumes, unangetastet und starr.

Die steinernen Marmorfliesen waren mit dunkelroten Teppichen bedeckt. Gegenüber von der Tür war die abgerundete Wand mit Fenstern ausgekleidet. Helles Mondlicht schien hinein und warf lustige Schatten auf den Boden.

Vier Himmelbetten mit roten Samtvorhängen, die auch die Fensterläden schmückten, standen an der Wand. Zwei rechts, zwei links.

James warf sich auf das erste Bett zu seiner Rechten und streckte Arme und Beine von sich. Sirius nahm das neben seinem.

Remus hatte sich für das längs-gestellte Bett entschieden, das am weitesten von der offenen Fensterfront entfernt war, während Peter seinen Koffer unter das gegenüber Sirius' schob, nicht ohne sich noch eine Packung Bertie Botts Bohnen daraus zu greifen, über die er sich glücklich hermachte.

James setzte sich auf, das rabenschwarze Haar unordentlicher denn je und die Brille schief auf der Nase sitzend.

»Hey, Peter«, rief er, »schmeiß mal eine her!« Der kleine Junge tat wie ihm geheißen, James fing die Bohne mit Leichtigkeit aus der Luft und warf sie sich dann in den Mund, nur um kurz darauf das Gesicht zu verziehen. »Uäh! Pfeffer!« Alle lachten.

»Du heißt Remus oder?«, fragte James.

Er streifte sich die Sportschuhe von den Füßen und verschränkte die Beine auf der frischbezogenen Decke, bevor er seinen Mitschüler einer offensichtlichen Musterung unterzog.

Lupin war der Einzige von ihnen gewesen, den sie nicht schon im Zug getroffen hatten und so war das Interesse bei ihnen allen groß.

Remus nickte. »Und ihr seid James, Peter und... Sirius?« Fragend wanderten seine Augen von einem zum anderen, auf Sirius verweilten sie einen Atemzug zu lang.

Fantastisch. Noch einer, der die Entscheidung des Hutes infrage stellte. Seine Handflächen wurden feucht.

»Ganz genau«, erwiderte James jedoch gelassen und ließ sich zufrieden in die Kissen sinken. Peter warf ihm eine weitere Bohne zu, diesmal dunkelrot.

Statt sie sofort zu inhalieren, musterte der junge Potter das Zuckerbonbon nachdenklich. »Ich kann nicht fassen, dass sie traurig ausgesehen hat.«

»Wer?«, fragte Peter, er selbst versuchte gerade zehn Bohnen auf einmal in den Bäckchen zu behalten, während er um sie herum sprach.

Sirius ahnte es schon. Das dunkelrote Gelee ähnelte einem gewissen Haarschopf, dessen Hexe ihnen das ganze Festessen über finstere Blicke zugeworfen hatte, wenn sie zu albern geworden waren. James hatte zwar angestrengt versucht, sich nichts anmerken zu lassen, ...vergeblich.

»Ich weiß gar nicht, warum dich das so stört«, Sirius zuckte mit den Schultern.

Er packte gerade die Reste des Süßkrams aus, die die Jungen auf der Zugfahrt nicht gänzlich hatten verputzen können und warf jedem der anderen drei einen Schokofrosch und zwei Lackritzzauberstäbe zu, ehe er sich selbst einen der schwarzen Stränge zwischen die Zähne klemmte und fortfuhr:»Das Schlammblut wollte eben zu Schniefelus, Merlin weiß wieso... und ungeachtet der Konsequenzen! Völlig daneben, ein Schlammblut unter Slytherins.«

Er schüttelte den Kopf. »Sie hätten sie mit Haut und Haaren zerfleischt.«

Ein weiterer Bissen Lakritze fand den Weg in seinen Mund. Dann wurde Sirius die Geräuschlosigkeit bewusst.

Keiner bewegte sich, keiner sagte etwas. Weder die Betten knarzten, noch raschelten die Vorhänge im Wind.

Der Ausdruck der schreienden Stille war Sirius immer wie eine lächerliche Redewendung vorgekommen.

Im Grimmauld Place Nr. 12 war nie still.
Wenn Walburga Black nicht ihren Unmut herausschrie, trampelte Orion Black eben die Stufen hinunter, Regulus brachte in seinem Zimmer irgendeins seiner Experimente zum Explodieren oder Kreacher war mit dem Hausputz beschäftigt.

Nicht einmal bei Nacht lag das Black-Anwesen in London ruhig da.
Wenn der Wind nur an ihm vorbeirauschte, knarzte das Gemäuer, ächzte und knackte.

Im Schlafsaal der Jungen hätte man eine zu Boden fallende Stecknadel gehört.

Doch stattdessen lag die Stille auf seinen Ohren und brüllte ihm ins Gesicht.

James' Blick bemerkte er als erstes.
Sein Lächeln war verschwunden.

An dessen Stelle zeichneten sich Schock und Abscheu.

Peters Mund war aufgeklappt, Bohne nach Bohne fiel auf das Laken, während Remus interessiert das Loch in seiner Socke musterte.

Was sollte das?

Hätte er Slytherin nicht erwähnen sollen?
Oder Schniefelus?

James hatte so laut gelacht, als Sirius der Spitzname für die Rübennase wieder eingefallen war, dass er es am liebsten immer und immer wieder wiederholt hätte, um jenes Geräusch niemals zu vergessen.

Im Hause Black hörte man selten ein so freies Lachen, so echt, so unbeschwert.

»Äh- w-wie findet ihr das Zimmer?«, fragte Peter plötzlich.

Ein kläglicher Versuch das Thema zu wechseln, das war selbst Sirius klar.

James hielt nichts davon und unterbrach Remus, der gerade darauf antworten wollte mit einer derart eisigen Stimme, dass die Temperatur im Zimmer zu sinken schien.

»Das sagt man nicht.«

Sirius verkniff sich das ‚Was?', doch sein Gesicht musste Bände sprechen.

»Dieses Wort - das heißt muggelstämmig. Wir beleidigen niemanden aufgrund seiner Abstammung.«

»Das ist doch keine Beleidigung«, rechtfertigte sich Sirius sofort. Als James jedoch scharf die Luft einzog, bereute Sirius seine Worte.

Er wollte James nicht wütend machen.

James war sein Freund, er war vielleicht sein einziger Freund und auch wenn James ab morgen, wenn er doch an den Slytherintisch sortiert werden, niemals mehr mit ihm sprechen würde. Das sollten nicht die letzten Worte sein, die sie miteinander gewechselt hatten.

»Verzeihung«, setzte er schnell nach.

Was ihm leid tun sollte? Er wusste es nicht genau, doch es besänftigte James augenblicklich und das war das, was zählte.

»Du willst mit der Tradition brechen?« Es waren seine Worte aus dem Zug, nun schnürten sie Sirius die Kehle zu. »Hier kannst du anfangen.«

Was erwartete James von ihm? Dass er von heute auf morgen seine Familie verleugnete? All das, wofür der Name Black stand?

Die Familie steht über allem. Toujours Pur.

Ja, er hatte gesagt, er wolle die Slytherinkette brechen, doch er hatte das nicht so gemeint! Nie wäre er davon ausgegangen, dass daraus je Wirklichkeit werden würde. Die dummen Worte eines dummen Jungen.

Aber Sirius nickte und James war zufrieden.

Als wäre nichts gewesen, war er es nun, der den Themenwechsel initiierte und schlug einmal in die Hände. »Was haltet ihr von Peeves?«

Wenn das Klatschen auch unnatürlich durch den Raum gehallt war, überspielte James die Situation mit einem Grinsen. Unbeschwertheit tropfte nach und nach zurück in das Zimmer, während der Wind die Vorhänge erfasste und die Betten knarzten, als Remus und Peter sich nach vorne beugten, die Anspannung aus ihren Gesichtern weichend.

Peter klinkte sich glücklich in die Diskussion mit ein, wie man sich am besten mit dem Poltergeist gutstellen konnte. Denn eins war klar, Peter hatte große Angst vor beinahe allem. Den Poltergeist auf seiner Seite zu wissen, würde ihn um einiges ruhiger schlafen lassen.

Remus auf der anderen Seite behielt seine Gedanken die meiste Zeit für sich, hörte ihren Theorien gebannt zu und warf hier und da ein paar Fakten ein, die er aus einem seiner Bücher aufgeschnappt hatte. Mit jeder Stunde, die voranschritt wurde er gesprächiger, wenngleich er dennoch reservierter wirkte als zu Beginn des Abends.

Sirius sagte nichts mehr.

Die Nacht war schon weit vorangeschritten, als von der anderen Seite der Wand ein lautes Klopfen ertönte und wütende Stimmen sie aufforderten, in die Betten zu verschwinden.

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Sirius fand in dem mit roten Samtvorhängen geschmückten Himmelbett keinen Schlaf, auch nicht als Remus schon so laut zu schnarchen begonnen hatte, dass der Putz beinahe von der Decke rieselte.

Das Gesicht in die noch immer nach Süßkram riechenden Kissen gedrückt, versuchte er den Lärm auszublenden.

Als er schon aufgeben, aufstehen und sich nach unten in den Gemeinschaftsraum setzen wollte, um am prasselnden Feuer eine warme Tasse Tee zu trinken, ertönte das Geflüster und er verharrte urplötzlich in seiner Bewegung.

»James?«

»Was ist, Peter?«

»Bist du noch wach?«

»Nein.«

Doch Sirius hörte, wie sich James neben ihm aufrichtete und die Vorhänge beiseite zog. Peter hatte scheinbar nur darauf gewartet, denn unmittelbar tat er es ihm gleich.

»Er hat das S-Wort benutzt«, sagte Peter, ohne Umschweife. Schock belegte seine Stimme.

James seufzte schwer.

»Seine Familie wird ihm wohl kaum erklärt haben, wie abartig es ist, jemanden so zu nennen... er weiß es nicht besser.«

Das ließ Peter kurz verstummen.

Ich verstehe genug, dachte Sirius trotzig.
Er war ein Reinblut und Lily Evans war ein Schlammblut, daran gab es nun einmal nichts zu rütteln.

Er, ein vollwertiger Zauberer, und sie, eine Anomalie.

Ein Scherz der Natur, wie Onkel Alphard gerne sagte.

Aber Sirius war klug genug, sich nicht in die Unterhaltung einzumischen. Zu wissen, was andere von einem sagten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, konnte einem ungeahnte Vorteile liefern.

Peter zögerte kurz, bevor er fragte: »W-würdest du diese Entschuldigung auch für einen anderen finden?«

Einen Augenblick war es ruhig und Sirius kroch die Anspannung in die Knochen, in Erwartung, James würde darauf nichts mehr erwidern, doch ein weiteres Seufzen durchschnitt die Nacht.

»Sirius ist ein guter Mensch.« Eine Pause. »Ich werde ihn nicht aufgeben.« Eine weitere Pause. »Freunde gibt man nicht auf, niemals.«

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013. Die Höhle der Löwen

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