012. Konsequenzen, die wir tragen

𝓌ℯ 𝓌ℴ𝓃'𝓉 𝒻ℴ𝓇𝑔ℯ𝓉 ℯ𝒶𝒸𝒽 ℴ𝓉𝒽ℯ𝓇,𝓇𝒾𝑔𝒽𝓉?

Für Severus brach eine Welt zusammen.

Er hatte es geahnt, hatte befürchtet, dass so sehr sie es sich beide auch wünschten, Lily nie eine Slytherin sein würde, nie wirklich. Doch der kleine Funken Hoffnung hatte in ihm gelodert, hatte ihn genährt und nun... war er erloschen.

Er war wütend, wütend auf sich selbst, dass er so lange einem Hirngespinst hinterhergelaufen war.
Dass er wirklich erwartet hatte, er und Lily würden in Slytherin noch enger zusammenwachsen, dass sie erkennen würde, wie gern er sie wirklich mochte.

Doch jetzt?

Sie würde ihre Zeit in Hogwarts mit schmierigen Idioten wie Sirius Black vergeuden. Idioten, die ihrer nicht würdig waren, die nicht zu schätzen wussten, wer sie wirklich war und was sie an ihr hätten.

Severus konnte den Gedanken nicht ertragen, Lily würde eines Tages, wie die Jungen im Zug, über ihn lachen.

Sein Magen drehte sich um sich selbst, die bloße Vorstellung bereitete ihm Kopfschmerzen.

Nein, nicht Lily, nicht seine Lily.
Sie war zu gut, zu rein.

Aber sie war eine Gryffindor.

In dem Moment, in dem der Hut sein Urteil verkündet hatte, war eine Mauer zwischen ihnen hochgewachsen. Severus wollte Stein für Stein niederreißen, doch er wusste nicht wie...

»Snape, Severus!«, verkündete Professor McGonagall.

Severus hatte nicht mitbekommen, wie der Großteil der Erstklässler einsortiert worden war. Viel zu beschäftigt war er mit seinen eigenen Gedankenkonstrukten und seinem Selbstmitleid gewesen, so dass ihn sein Name auf der Zunge der Lehrerin mehr als nur ins Straucheln brachte.

Mit pochendem Herzen stolperte er vor, doch jeder Schritt zog sich sogleich, als würde die Zeit zum Stillstand kommen, als wäre er gefangen zwischen zwei Sekunden und die Zeiger hätten aufgehört sich zu drehen.

Das altbekannte Tick, das blieb zurück, verfolgte ihn, brannte sich ihm hinter die Augen. Es heftete sich an seine Fersen und bremste ihn aus.

War das das Gefühl der Unendlichkeit?

Das Gefühl, in einer einzigen Zeitspirale festzustecken, in der es kein Entkommen gab?

Immer wieder den selben stechenden Schmerz zu ertragen, immer wieder mit dem konfrontiert zu werden, wovor man sich fürchtete?

Ganz allein?
Völlig auf sich gestellt?
Ohne Hoffnung auf Hilfe?

Severus griff nach dem Holz, zog sich beinahe am Ende seiner Kräfte auf den alten Dreibeiner, blickte durch die Halle und fand ihre strahlend grünen Augen, die wie zwei Smaragde im Schein der Kerzen zu ihm aufleuchteten, bevor das dunkle Leder über seinen Kopf rutschte und ihm die Sicht nahm.

Die plötzliche Dunkelheit riss Severus aus seiner Starre, teleportierte ihn zurück in die Realität und versetzte ihm den Anstoß, seine Bitte vorzubringen.

Er brauchte keine Hilfe.
Er hatte das hier im Griff.

Er wollte nicht von Lily getrennt sein, selbst dann nicht, wenn es bedeutete, nach Gryffindor zu gehen.

Er war bereit, seine Jahre mit Black und dem anderen zu verbringen, sollte das bedeuten, er würde bei seiner Lily bleiben.

Da ertönte die Stimme des Hutes in seinem Kopf:
Listig... ja...du willst gewinnen um jeden erdenklichen Preis...strebst nach Größe...gierst nach Anerkennung...oh zweifellos... ja, ja... da gibt es nur eine Option...

Und noch bevor Severus etwas hatte einwenden können, verkündete der sprechende Hut bereits sein Urteil:

»SLYTHERIN!«

Er rutschte von dem Stuhl, zog sich den Hut vom Schädel und drückte ihn der Professorin in die Hände.

Der rechte Tisch brach in Beifall aus und Severus ließ seinen Blick über die Gesichter der Schüler schweifen.

Er vermied es bewusst zu den Gryffindors zu sehen.

Das traurige Lächeln, das Lily ihm schenkte, wollte er nicht sehen, er spürte seine Wucht schon längst und so eilte er noch immer schweren Schrittes zu den Schlangen.

Missmutig ließ er sich auf einen Platz neben Lucius Malfoy nieder, der ihn mit einem verhaltenen Kopfnicken empfing, das blonde Haar zu einem kleinen Zopf zurückgebunden.

»Severus«, säuselte er. »Willkommen daheim.«

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Selbst als das Festessen in vollem Gange war, kreisten Severus' Gedanken noch immer um die Zeremonie des sprechenden Hutes und was es nun für Lily und ihn bedeuten würde, verschiedenen Häusern anzugehören.

Es war ihm, als tobten in seinem Inneren zwei Stürme, die stetig aufeinanderprallten und gegeneinander anzukämpfen versuchten, während er selbst ungeachtet zwischen ihnen in den Fluten versank, während sein Kahn kenterte.

Er kämpfte gegen das aufkeimende Schwindelgefühl, versuchte die Finger im Holz des Tisches zu vergraben, um nicht über Bord zu gehen und in den Tiefen des Orkans zu verschwinden.

Die Sturmfronten schlugen aufeinander, implodierten über ihm und begruben Severus unter einer Schicht aus verlorenen Träumen, Hoffnungen und Leid. Er wusste sich nicht zu helfen, wusste nicht, ob ein Slytherin zu sein, ihm nun Segen oder Fluch war.

Alles in allem fühlte er sich ziemlich erbärmlich.
Da halfen auch keine jämmerlichen Metaphern über die stürmische Seefahrt.

Severus wusste, er hatte seine Mutter heute mit Stolz erfüllt. Er hatte geradegebogen, was sie vor so vielen Jahren zerstört hatte.

Das war ein Schritt in die richtige Richtung.
Nicht mehr lange und er könnte den Namen Snape ablegen und Severus Prince sein, wie es schon immer hatte sein sollen.

Und dennoch konnte Severus sich beinahe unaufhörlich dabei ertappen, wie er den Blick über die Schülermenge gleiten ließ, in der Hoffnung ein grünes Paar Augen zu finden, die ihm versicherten, dass alles so war wie vorher.

Dass er der selbe war und sie auch.
Die besten Freunde - für immer.

»Du bist Snape, oder?«

Fallon Mulciber beugte sich zu ihm herüber und runzelte die Stirn.

Severus verzog kritisch die Lippen, nickte jedoch.

»Snape - kein Name, den ich in unseren Kreisen schon einmal gehört habe, du verstehst? Kommst du aus dem Ausland?«

Seine Brust zog sich schmerzlich zusammen, als er das kalte Auflachen unterdrückte, das ihm wie ein Stück Knochen im Hals hing.

Ihm war bewusst gewesen, dass sein Blutstatus früher oder später zur Diskussion kommen würde. Immerhin trug er den Namen seines Abschaums von einem Muggelvater.- so wie Muggel eben waren.

Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Halbblut in den Reihen der Schlangen saß, doch Severus war nicht so naiv gewesen, zu glauben, dass er dadurch nicht trotzdem in der Rangliste nach unten rutschte.

Er überlegte einen Augenblick einfach zu lügen. Was machte es schon, wenn er behauptete, seine Familie käme aus Übersee oder er hätte die frühen Jahre seiner Kindheit damit zugebracht, seine Diplomaten-Eltern auf Reisen zu begleiten.

Bevor Severus, jedoch überhaupt den Mund hatte aufmachen können, räusperte sich Lucius neben ihm und bedachte Mulciber mit einem abschätzigen Blick.

»Severus ist ein Freund der Familie«, sagte er und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf sich.

Mulciber zog erschrocken die Brauen hoch, als er erkannte, dass er einen Malfoy vor sich hatte, der ihn mit seinen stechend grauen Augen fixierte bis der Erstklässler sich unwohl zu winden schien.

»Und du bist?«, setzte Lucius noch hochnäsig nach.

Es fehlte bloß noch, dass Mulciber ein leises ‚Niemand' über die Lippen hauchen würde, doch stattdessen zog er sich bloß mit einem entschuldigenden Lächeln zurück. Die Abneigung war dennoch zu spüren.

Severus warf dem blonden Jungen neben sich scheue Blicke zu. Er sollte dankbar sein, einen Freund wie Lucius neben sich zu wissen. Ein Freund, der ihn anleiten und beschützen konnte.

Severus aber wollte und brauchte keinen Schutz. Er kannte genug Flüche, um sich gegen seine Mitschüler und die dunklen Mächte außerhalb der Mauern dieses Schlosses zu verteidigen, er war nicht schwach.

Obwohl er über nur ein magisches Elternteil verfügte, brannte ein solches Feuer in seiner Brust, dass er Fallon Mulciber oder den anderen Slytherin-Erstklässlern mehr als nur ebenbürtig war.

Severus war nicht irgendein Halbblut - er war ein Halbblut-Prinz.

Mit seiner Gabel schob er Fleisch von einer Seite seines Tellers auf die andere. Das Geklirre des Bestecks auf Porzellan hallte an der Seite der vielen Gespräche durch die Halle, wenn der Slytherintisch doch verhältnismäßig ruhig war.

Es war kein Geheimnis, weshalb.

Die einzigen, die sich offenkundig über das Problem der Stunde äußerten waren Blacks Cousinen.

Andromeda, die ältere Schwester der beiden, deren Gesicht in nachdenklichen Falten lag.
Und Narcissa, Lucius' zukünftige Frau, die den Eindruck erweckte, jede Sekunde gleich loszuschreien.

Unter normalen Umständen hätte Severus ihr Gespräch nicht belauscht, es hätte ihn weder interessiert noch von seiner Appetitlosigkeit abgelenkt, doch der Vorfall im Zug hatte ihn mehr geschnitten, als er vor Lily hatte zugeben wollen.

Es hatte Erinnerungen hochgeholt, die er längst verdrängt hatte. Erinnerungen an Weihnachtslichter, Eisskulpturen, köstliches Essen - die Malfoys wussten schon immer wie man eine Party feierte - Erinnerungen an die älteste Black-Schwester, die sich einen Spaß daraus machte, ihn zu verhexen, zu beschimpfen.

Bellatrix Blacks wahnhaftes Lachen hallte noch immer in seinen Ohren wider. Und dunkel, ganz dunkel erahnte Severus eine kleine Gestalt, so alt wie er selbst, die an ihrer Seite gestanden hatte.

Sirius Black, wie er nun wusste.

Schniefelus - er hatte den Namen eine Ewigkeit nicht mehr gehört, er hatte geglaubt ihn für immer los geworden zu sein.

Black hatte das alles zurück an die Oberfläche gezerrt, all das, was Severus so ordentlich verpackt und in den Tiefen seines Unterbewusstseins versteckt hatte.

»Ich werde Tante Walburga noch heute eine Eule schicken«, echauffierte sich Narcissa gerade, »und Mutter gleich auch. Das kann doch bloß ein Fehler sein!«

»Ein schlechter Scherz«, ergänzte ihre Schwester.

Noch immer diskutierten die Beiden, wie man in einer solch noch nie dagewesenen Situation zu handeln hatte.

»Man muss doch etwas dagegen unternehmen können, Andy - Luce, hast du eine Idee?«

Andromeda seufzte: »Da hilft nur Schadensbegrenzung. Cissy, er ist jetzt ein Gryffindor. Damit müssen wir uns abfinden.«

»Nein!«, widersprach Narcissa. »Tante Walburga wird eine Neueinteilung fordern.«

»Als würde Dumbledore sich auf so etwas einlassen«, schnaubte Andromeda.

»Lucius?«, erneut wandte sich seine Freundin an ihn. Die blauen Augen so rund und groß wie Untertassen. Flehend griff sie seinen Unterarm.

Doch der Malfoy wählte genau diesen Augenblick, um seinen Unmut auszudrücken. »Sirius ist ein Nichtsnutz, das wusste ich schon immer. Das hier bestätigt es nur wieder einmal.«

Die Mädchen zogen scharf die Luft ein und selbst Severus, der Lucius da durchaus zustimmte, wusste, dass das kein kluger Schachzug gewesen war.

»Wie kannst du es wagen?!«, fauchte Andromeda.

»Luce!«, keuchte Narcissa.

»Er ist und bleibt ein Black und damit wird er zumindest immer siebenmal so viel wert sein wie du, Malfoy! Sei vorsichtig, mit welcher Familie du es dir hier verscherzt!«

»Lucius, wie kannst du so etwas nur sagen?«

Der Malfoy hob beschwichtigend die Hände, doch mit einem letzten vernichtenden Blick seitens Andromeda, wandten sich die Mädchen von ihm ab.

»Ich werde auch Bella schreiben«, sagte die ältere Schwester wieder zurück im Krisenbewältigungsmodus.

Narcissa legte die Stirn in Falten. »Onkel Alphard könnte eine großzügige Spende tätigen. Dumbledore würde das Geld nicht ablehnen können, nicht wenn Hogwarts zur Zeit so finanziell ungesichert dasteht, seit das Ministerium die Gelder neu verteilt hat.«

»Es wäre närrisch, die größten Goldgeber zu verärgern, besonders seit gleich drei Blacks im Schulbeirat einen Sitz innehaben«, stimmte Andromeda ihrer Schwester zu.

»Cissy«, startete Lucius einen zweiten Versuch, »du hast ihn im Zug gesehen. Er hatte den Zauberstab gegen mich erhoben - mich!«

»Er war verwirrt. Heute ist sein erster Tag.«

»Er stand an der Seite des Potter-Jungen!«

»Die Potters sind immerhin Reinblüter«, patzte sie und sah demonstrativ von Lucius zu Severus, der sich sofort ganz klein machte.

Wenn Narcissa so wütend das Gesicht verzog, war ihre eigentliche Schönheit bloß noch zu erahnen. Viel eher erweckte sie den Eindruck, einen üblen Geruch in der Nase zu haben, als würde man ihr Müll präsentieren.

Vermutlich betrachtete sie Severus auch als nichts Geringeres.

»Blutsverräter meinst du wohl«, sagte Lucius.

Aber Severus wusste, dass es keinen Unterschied machte, ob Potter als Blutsverräter galt oder nicht. Am Ende des Tages würde er für die Reinblut-Sippe doch mehr wert sein als er.

Dumm waren sie alle, dachte er. Ich bin so viel besser als dieser Abschaum!

»Und dein Sozialfall hier?«, blaffte Narcissa und deutete auf Severus. »Das Halbblut mit seiner Schlammblutfreundin, von der du mir erzählt hast?«

Snapes Kopf zuckte nach oben. Ehrlich betroffen wegen des Verrats, musterte er seinen Freund, der ihn jedoch keines Blickes würdigte, viel zu eingenommen von der Diskussion mit der Black-Schwester.

Lucius schüttelte abschätzig den Kopf und sah am Tisch der Slytherins auf und ab. Als er sich vergewissert hatte, dass ihnen niemand zuhörte, sprach er leise weiter: »Severus ist nicht so naiv, das dreckige Schlammblut weiterhin mit seiner Präsenz zu unterhalten, wo er jetzt den Kontakt zu echten Zauberern und Hexen genießen kann.«

Severus widerstand dem Drang, ihm zu widersprechen.

Lily war kein Schlammblut, sie nicht.

Doch er nickte. »Offensichtlich.«

Narcissa glaubte ihm nicht, sie hatte die Wut in seinen Augen aufflackern gesehen. Als aber in jenem Moment die Speisen von den Tischen verschwanden und Professor Dumbledore zu seiner zweiten Rede des Abends ansetzte, ließ sie das Thema fallen und wandte sich zurück an ihre Schwester um das dringlichere Problem zu lösen.

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Der Weg hinab in die Kerker war ein trauriges und unangenehmes Unterfangen gewesen, da die beiden Vertrauensschüler - natürlich waren es Narcissa und Lucius - sich weigerten, ein Wort miteinander zu wechseln.

So trotteten die zehn Erstklässler ihnen in einer Traube hinterher, sich nicht wagend, die Stimme über ein Flüstern zu erheben.

Der Slytherin-Gemeinschaftsraum befand sich in den unterirdischen Gewölben nahe der Kerkerräume des Schlosses und wurde durch eine Steinmauer, die bei richtigem Passwort eine Öffnung freigab, vor den anderen Schülern fremder Häuser verborgen.

Aus Sicherheitsgründeten änderte sich das Passwort alle zwei Wochen, was mehr als einen neuen Schüler ärgerte.

»Kaum hat man sich eins gemerkt, wird es gewechselt. Wie soll man da einen Überblick behalten?«, hatte Antonin Dolohow genervt aufgestöhnt.

Hinter der Öffnung lag ein schmaler Gang, der in einen langgezogenen Raum mit niedriger Zimmerdecke und alten, unverputzten Steinmauern mündete.

Von dort führten zwei Treppen in die Schlafsaal-Trakte, wohin der Großteil der Slytherinschülerschaft längst verschwunden war, als die Uhr auf dem Kaminsims Mitternacht schlug.

Severus jedoch war in dem von Wandteppichen, die von Salazar Slytherins Erlebnissen handelten, behangenen und, durch die überall von der Decke hängenden Kugellampen, grün erleuchteten Raum in einem der hohen Lehnstühle zurückgeblieben.

Das schwarze Leder schmiegte sich warm an seine klamme Haut.

Während er dem Feuer beim Sterben zusah oder durch die eine Ecke, in welche eine Glasscheibe eingelassen worden war, die Bewohner des über ihm liegenden schwarzen Sees beobachtete, versuchte er das nagende Gefühl in seiner Brust zu unterdrücken.

Heute war ein guter Tag gewesen, sagte er sich.

Er war nach Slytherin sortiert worden.
Er würde den Namen seiner Mutter reinwaschen.
Ein Prince zu sein, kein Snape, wäre seine Belohnung für jede Anstrengung, die ihm auf diesem weiteren Weg noch entgegentreten sollte.

Aber er war allein.
Lily war nicht hier und er war allein.

Einsam...

»Du bist noch auf?«

Der plötzliche Durchbruch der Stille ließ Severus kalt. Mit dem Rücken zum Treppenaufgang hätte er ihn nicht kommen sehen, aber das war auch nicht nötig.

Severus hatte ihn... nicht einmal gehört, viel eher gespürt.

Das tat er manchmal. Er konnte die Präsenz von anderen wahrnehmen, noch bevor irgendeiner seiner Sinne sie registriert hatte. Besonders dann, wenn er seine eigenen Gedanken zu unterdrücken versuchte, war er ausgesprochen aufnahmefähig.

»Konnte nicht schlafen«, antwortete er Lucius. Er rutschte auf dem Sessel, der definitiv groß genug für zwei - vielleicht sogar drei - war, nach links, um dem Malfoy Platz zu machen, doch der, noch immer in seine Festroben gekleidet, hielt es nicht für nötig, sich zu setzen.

Lucius schritt anmutig durch den Raum und blieb vor dem schwarzen Brett hängen, auf dem sämtliche Schulinformationen oder Zettel von Schülern magisch angepinnt worden waren. Mit langen Fingern glitt er über das Bild einer brennenden Hexe auf dem Scheiterhaufen.

»Es ist gut, dass ich dich hier treffe, Severus.«

»Ach ja?«

Lucius schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Dein Auftritt heute beim Festessen war nicht ansatzweise überzeugend. Es ist mir egal, wie du zu dem Schlammblut stehst - zumindest jetzt noch kannst du sie als deine Spielgefährtin betrachten, ehe du dich von ihr lossagen musst, doch die anderen hier werden es dir nicht so leicht machen.«

»Weil ich ein Halbblut bin?«

»Weil du ein Halbblut bist«, bestätigte er. »Meinem Vater und mir mag das egal sein. Aus Freundschaft zu deiner Mutter hat er mich gebeten, ein Auge auf dich zu haben, aber ich kann dir nicht helfen, wenn du dir selbst deinen eigenen Scheiterhaufen legst.«

Severus starrte auf seine verknoteten Finger. Freundschaft war ein seltsames Wort, so wie Lucius es in diesem Moment gebrauchte.

»Deine Mutter hat die Ehre ihrer Familie besudelt, als sie diesen Muggel heiratete und dich bekam. Gerade weil du ein Halblut bist, solltest du ganz vorsichtig sein, in welchen Kreisen du verkehrst. Wer sind deine wahren Freunde, Severus? Die, die dich in den Abgrund reißen oder die, die dich an die Macht führen? Überlege weise... hast du einmal deine Wahl getroffen, gibt es vielleicht kein Zurück mehr.«

Severus sah auf. Der Kloß, der sich bei den Worten seines Freundes in seiner Kehle gebildet hatte, drückte ihm die Luftröhre zu.

Lucius schnippte einem der zu Dekorationszwecken im Raum hängenden Schrumpfköpfe gegen die Stirn, ehe er Severus endlich richtig ansah.

»Es wäre einfacher, sie einfach loszuwerden, doch es liegt bei dir. So oder so musst du die Zuneigung, die du für das Schlammblut empfindest, gefälligst zügeln. Niemand darf dir so eine Schwäche anmerken, Severus. Das wäre dein Untergang.«

»Lily ist anders als die anderen Schlammblüter«, murmelte er mehr zu sich selbst, doch sein Gegenüber verstand jedes Wort.

»Nun gut«, erwiderte er. »Tu aber nicht so, als hätte ich dich nicht gewarnt.«

Severus nickte gerade, als vom Treppenabsatz plötzlich ein weiteres paar Schuhe zu hören war... und noch eins... und noch eins...

»Malfoy?«, rief ein Fremder leise in den Raum.

»Ich bin hier unten, Wyatt.«

Insgesamt sechs Jungen polterten die Stufen hinunter in den Gemeinschaftsraum. Einer nach dem anderen strauchelte erschrocken zurück, als sie bemerkten, dass Lucius nicht alleine gewesen war, als er auf sie gewartet hatte.

Wyatt Graves, Severus erkannte ihn von den Weihnachtsfeiern wieder.
Rabastan Lestrange und Geoffrey Carrow ebenso.

Die anderen kannte er nicht.

Sie alle trugen noch ihre Umhänge zu dieser späten Stunde. An Schlaf schien keiner von ihnen zu denken.

»Lucius?« Graves runzelte die Stirn, als er Severus aus zusammengekniffenen Augen betrachtete.

»Severus und ich haben uns bloß über seine Zukunft in Slytherin unterhalten. Er ist ein Freund der Familie.«

Seine Worten beruhigten die anderen nicht wirklich. Severus sah es an ihren verkniffenen Mienen, den unsicher umherzuckenden Augen.

In irgendetwas war er hier hineingeraten...

»Er kommt aber nicht mit, Malfoy, oder was sollte dieser ganze Unsinn mit genau Sieben an der Zahl?«, krächzte der größte von ihnen.

Ein Junge, vielleicht ein Jahr jünger als Lucius, mit dunklen Haaren, noch dunkleren Augen und einem gemeinen Grinsen.

»Mach dich nicht lächerlich, Rookwood«, schnarrte Lucius. »Severus hat morgen seinen ersten Schultag, da möchte er ausgeruht sein. Er wird gleich in seinen Schlaftrakt steigen, nicht wahr?«

Die letzten Worte waren an ihn gerichtet. »Sicher«, krächzte Severus und erhob sich aus dem Sessel.

»Und du wirst vergessen, was du heute Nacht hier gesehen und gehört hast!«, fauchte Lestrange.

»Ich habe nichts gesehen oder gehört«, antwortete Severus dumpf und hielt den Blick, den der Junge ihm zuwarf, solange aufrecht, bis er sich blinzelnd abwandte - ein Zischen erklang, das wohl so etwas wie Einverständnis sein sollte.

»Dann ist wohl alles in bester Ordnung.« Streng betrachtete Lucius seine Freunde. »Dann lasst uns gehen, auch wir haben morgen wieder Unterricht.«

Er schickte die sechs anderen vor, einer nach dem nächsten stiegen sie durch den Gang hinaus in die Kerker, Lucius und Severus blieben allein zurück.

»Was habt ihr vor?«, fragte Severus.

Er wusste, es sollte ihn nicht kümmern. Er täte besser daran, in sein Bett zu eilen und zu schlafen, doch nie hätte er Ruhe gefunden, wenn er die Neugierde nicht entlud.

Ein Schmunzeln huschte über die Lippen des Malfoys. »Noch bist du zu jung, aber schon in ein paar Jahren könntest du bei den ganz Großen mitspielen, Severus. Am Ende entscheidet nur, wen du zu deinen Freunden und wen du zu deinen Feinden zählst.«

Unzufrieden mit dieser Nicht-Antwort, rümpfte Severus die Nase.

»Gute Nacht, Severus.«

Und auch er verschwand im Korridor, die Steinmauer schloss sich hinter ihm.

»Gute Nacht«, murmelte Severus in die stille Nacht hinein.

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012. Konsequenzen, die wir tragen

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