011. Entscheidungen, die wir treffen
𝓉𝒽𝒾𝓈 𝒽ℴ𝓁𝓎 𝑔𝓇ℴ𝓊𝓃𝒹 𝒷𝓊𝓇𝓃𝓈 𝓂𝓎 𝒻ℯℯ𝓉
Sirius war sich schon, seit er denken konnte, sicher, er würde eines Tages nach Slytherin kommen wie jeder in seiner Familie vor ihm und zusammen mit ihnen die Magie und Zauberei studieren.
Er war sich immer gewiss gewesen, Slytherin wäre das beste Haus, das Hogwarts zu bieten hatte, denn seine Eltern, seine Tante, seine Onkel und Cousinen hatten es als nichts Geringeres dargestellt.
Es war die einzig richtige Wahl gewesen.
Die Blacks waren Schlangen. Durch und durch.
Das Lied des sprechenden Hutes war verstummt und der erste Schüler, Drystan Avery, ein ziemlich berechnend und finster dreinblickender Junge, trat nach vorne auf den dreibeinigen Stuhl zu.
Sirius kannte Avery.
Er kannte sie alle, die Kinder dieser stolzen reinblütigen Zauberereltern wie den seinen.
Er war mit ihnen aufgewachsen.
Sie waren das, was er bis vor dem heutigen Tage wohl auch noch als Freunde bezeichnet hätte.
Und auf irgendeine Art und Weise waren sie das auch. Doch Sirius konnte nicht leugnen, dass die wenigen Stunden mit Peter und vor allem James Zweifel in ihm gesät hatten.
Er war ein Black, er wusste, was von ihm erwartet wurde.
Dennoch hatte er vor James großkotzig damit geprahlt, mit der Tradition seiner Familie zu brechen, obwohl er genau wusste, dass das völlig unmöglich war.
Die Einteilung nach Slytherin war nicht die einzig richtige Wahl. Das hier war gar keine Wahl. Der sprechende Hut würde Sirius' Kopf kaum zu streifen brauchen und wüsste, dass ein Black Grün trug.
Das hier war auch keine Entscheidung.
Die Einteilung nach Slytherin war für ihn vorbestimmt.
Noch an diesem Morgen hätte der Gedanke ihn mit Stolz erfüllt. Sirius würde in die Fußstapfen seiner Eltern treten, ihnen der Sohn sein, den sie sich so sehr wünschten.
»SLYTHERIN!«, verkündete der sprechende Hut und Sirius erhaschte gerade noch, wie Avery ihn sich vom Kopf riss und stoisch den Blick nach vorn gerichtet hielt, ohne sich auch nur einen Funken Nervosität oder Angst anmerken zu lassen.
Sirius hingegen zitterte vor Angst.
Es war ihm nicht neu, wie er überrascht feststellte. Im Hause Black aufzuwachsen, war für derlei Gefühle in gewisser Weise die beste Voraussetzung gewesen. All die düsteren Ecken oder schwarzmagischen Gegenstände, die nicht selten in die Luft flogen, wenn ein Unbefugter sie berührte, der gruselige Hauself, der es verstand, sich in den Schatten zu verstecken... all das konnte einem kleinen Jungen den Schlaf rauben.
Es war ihm erst so wirklich aufgefallen, wie verängstigt er immer durchs Leben gelaufen war, als er jene Anspannung von sich hatte abfallen spüren, wenn James ihn angegrinst oder sie mit Peter gescherzt hatten.
»Black, Sirius!«, rief Professor McGonagall.
Im Vergleich zu den Sekunden, in denen er James' Seite verlassen musste, um in ein Haus eingeteilt zu werden, das ihn von seinem neuen Freund unwiderruflich trennen würde, wirkten die Jahre im Grimauld Place beinahe rosig und heiter.
Er ließ die Augen über die Tische wandern und erblickte bekannte Gesichter.
Andromeda und Narcissa lächelten ihm zu, wenn letztere auch noch immer etwas verkniffen dreinblickte, um ihren Unmut wegen der Begegnung im Zug auszudrücken.
Neben ihnen saß Lucius Malfoy. Grimmig musterte dieser ihn und es kostete Sirius einiges an Willensstärke, ihm nicht die Zunge rauszustrecken. Belustigt stellte er zudem fest, dass der Fleck Kürbissaft noch immer auf Lucius' Umhang zu sehen war.
Andromedas Feixen, als hätte sie seine Gedanken gelesen, gab Sirius den letzten Stoß und er setzte sich auf den Dreibeiner. Augenblicklich wurde ihm der sprechende Hut über den Kopf gestülpt, der ihm sogleich über die Augen rutschte und alles um ihn herum in Dunkelheit hüllte.
So so, ein weiterer Black, erklang die Stimme des Hutes weit hinten in Sirius' Kopf. Doch was mache ich nur mit dir?
Was sollte das für eine Frage sein? Es war klar, wohin er gehörte. Es lag ihm im Blut.
Du magst ein Black sein, aber...
Ich will nicht nach Slytherin, dachte Sirius plötzlich und erschrak über sich selbst. Es war mehr eine Kurzschlussreaktion als ein gut durchdachter Plan gewesen und sogleich bereute er seine vorlauten Noemata.
Nicht Slytherin, ja? Nun gut, dann...
Der Hut seufzte und wenn Sirius nicht so damit beschäftigt gewesen wäre, seine eigenen Gedanken zu rügen, hätte er den stolzen Unterton vernommen, mit dem der Hut laut ausrief:
»GRYFFINDOR!«
Sirius stand auf und wollte sich gerade auf den Weg zum rechten Tisch aufmachen, als ihn Professor McGonagall am Arm packte.
Verwundert blickte er auf. Sie nickte in die andere Richtung, wo der Tisch der Löwen gerade in zögerlichen Beifall ausbrach. Ihre Fassade bröckelte einen Moment, ehe sie sich wieder ihrer Liste zuwandte und die Nase hinter dem Pergament versteckte, doch Sirius sah zwischen den Gryffindors, Slytherins und der Lehrerin nur fassungslos hin und her.
Wie in Trance vernahm er James' Gejubel, die Daumen hoch und das freudige "Genial!" nur als störendes Rauschen.
Er war kein Slytherin?
Er war kein Slytherin.
Sirius suchte Andromeda und Narcissa, die mit einer ebenso großen Bestürzung zu ihm aufschauten, wie sie ihm gerade den Rücken hinaufkroch.
Wie in aller Welt war das passiert?
Was war hier gerade passiert?
Er war kein Slytherin, schlimmer noch, er war ein Gryffindor.
Auf wackligen Beinen stolperte er auf den linken Tisch zu und setzte sich auf einen der äußersten Plätze, direkt gegenüber eines ziemlich großen Jungen, so dass er von den Blicken der anderen Haustische verschont blieb.
»Du bist also ein Black?«, fragte der große Junge, doch Sirius achtete nicht auf ihn, seine Augen fixierten das dunkle Holz und seine Fingerknöchel, die, je stärker er den Tisch umklammerte, umso weißer hervorstachen.
Und dann konnte er nicht anders.
Sirius brach in bellendes Gelächter aus.
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Die Buchanan Cousinen wurden die ersten Hufflepuffs und Carter Bulstrode der erste Ravenclaw, doch die Wenigsten kümmerten sich noch um die neu eingeteilten Schüler oder Professor McGonagall, die sich weiter durch das Alphabet arbeitete.
Zu tief ging der Schock, dass ein Black nach Gryffindor einsortiert worden war.
Die Blacks waren eine derer reinblütigen Familien, die ausnahmslos nach Slytherin gegangen waren. Es war nahezu ein Skandal, dass der Erbe der Blacks nicht nur in ein anderes Haus gehen sollte, nein, sondern sogar nach Gryffindor.
Gemurmel huschte an den Tischen entlang, Schüler reckten die Hälse, um einen besseren Blick auf den Traditionsbrecher zu werfen und selbst der Lehrertisch war unruhig geworden.
Professor Slughorn, der Hauslehrer von Slytherin, hatte scharf die Luft eingezogen, als der Hut sein Urteil verkündet hatte.
Der Einzige, der von alldem unbeeindruckt blieb, war James.
Er war fest davon überzeugt gewesen, dass Sirius - ein Black oder nicht - auf keinen Fall nach Slytherin gehörte.
James konnte nicht genau den Finger darauf legen, weshalb - er wusste es einfach: Es passte nicht.
Und wenn James eins wusste, dann, dass er eine hervorragende Menschenkenntnis besaß.
Sirius hatte er sofort gemocht, und er könnte doch niemanden mögen, der nach Slytherin ging.
Was rief der Löwe im Schlaf?
Nieder mit den Schlangen...
»Evans, Lily!«, rief Professor McGonagall und riss James damit zurück in das Hier und Jetzt.
James beobachtete, wie ihr das dunkelrote Haar in Wellen den Rücken hinunterfloss, wie ihre Mundwinkel vor Anspannung zuckten und ihre grünen Augen stoisch aufblitzten, ehe ihr das Leder ins Gesicht rutschte.
Ob Schniefelus Lily tatsächlich eingeredet hatte, sich Slytherin zu wünschen?
Ein muggelstämmiges Mädchen in Slytherin.
Es wäre reinster Selbstmord.
Sie würden sie nie akzeptieren, sie wäre immer eine Aussätzige in ihrem eigenen Haus. Sie wäre eine...
»GRYFFINDOR!«
James hob überrascht den Kopf, aber Lily würdigte ihn keines Blickes.
Wieso auch?, dachte er.
Mit einem traurigen Lächeln bedachte sie Schniefelus und eilte daraufhin auf zittrigen Beinen an den linken Tisch, wo Sirius und Valorelle Dodderidge für sie Platz machten.
Ein warmes Gefühl breitete sich in James' Magen aus und es dauerte einen Augenblick, ehe er erkannte, dass es Erleichterung war.
Die Hutzeremonie dauerte an.
Weitere Schülerinnen traten den Gryffindors bei und auch die anderen Haustische füllten sich mit jeder verstrichenen Minute.
Beim Buchstaben L geriet die Einteilung jedoch ins Stocken.
In der Halle war es still, furchtbar still.
Und das schon seit einer ganzen Weile.
Alle Augenpaare hefteten auf Remus Lupins schmächtigen Körper, der seit geschlagenen vier Minuten auf dem Stuhl saß und mit dem sprechenden Hut zu diskutieren schien.
Immer wieder verzog sich der Riss in der ausgebeulten Krempe zu einem belustigten Grinsen, doch kein Ton brach über das Leder hinweg.
Der Junge wehrte sich eindeutig gegen die Entscheidung den Hutes, doch dieser schien nicht im Mindesten bereit zu sein, seine Position aufzugeben.
Unsicher sah James zwischen den übrigen Schülern umher. Die Stille machte ihn wahnsinnig, sie gab ihm viel zu viel Zeit, seinen eigenen Gedanken zu lauschen und diese in unangenehme Territorien wandern zu lassen.
Sein Leben lang war James felsenfest davon überzeugt gewesen, er würde eines Tages nach Gryffindor gehen.
Er wollte sein wie sein Dad, furchtlos und ritterlich.
Aber hatte Sirius nicht auch bis heute geglaubt, er würde nach Slytherin gehen?
Hatte Lily Evans sich nicht genau das gewünscht?
Und Remus? Er war so unzufrieden mit der Wahl des Hutes, dass er seit einer Ewigkeit versuchte, ihn noch umstimmen zu können.
Hätte James überhaupt die Möglichkeit? Was wäre, wenn der Hut bei der kleinsten Berührung seine Entscheidung fällen würde?
James Potter, kein Gryffindor.
Allein der Gedanke, ließ ihn fast schon den Verstand verlieren. Das durfte nicht passieren!
James Potter, kein Gryffindor...
Auf einmal brach Beifall aus.
Remus Lupin war soeben zu einem Löwen geworden.
Der schmächtige Junge erhob sich mit schlotternden Knien und einem Ausdruck wie drei Tage Regenwetter von dem alten Dreibeiner und ging leicht hinkend auf die jubelnden Schüler zu, wo er sich gegenüber von Lily Evans niederließ, die ihn lächelnd empfing.
James schüttelte über Lupins Miene nur den Kopf.
Professor McGonagalls Stimme echote wieder und wieder durch die große Halle.
»McKinnon, Marlene!«
»RAVENCLAW!«
Enttäuscht fing James den Blick seiner besten Freundin auf. Er ließ es sich trotz des flauen Gefühls in seinem Magen nicht nehmen, zusammen mit den Ravenclaws kräftig zu klatschen und stieß sogar einen kleinen Pfiff aus, als Marlene vom Stuhl sprang und ihm bedauernd zulächelte.
McGonagall arbeitete weiter ihre Liste ab.
Dorcas Meadowes wurde zu einer Hufflepuff, Fallon Mulciber ein Slytherin.
Immer kleiner wurde die Gruppe aus Erstklässlern, die noch kein zu Hause gefunden hatten und James zappelte unruhig hin und her.
Als Peter aufgerufen und wie seine Vorgänger nach vorne getreten war, dauerte es ebenfalls eine halbe Ewigkeit, bis der Hut seine Entscheidung gefällt hatte.
Dem jungen Potter fielen beinahe die Augen aus den Höhlen, als der sprechende Hut »GRYFFINDOR!« verkündete und der kleine Peter Pettigrew, der sich noch vor wenigen Stunden hinter seinem Rücken versteckt hatte, glücklich zu den anderen rannte, dabei völlig vergessend, den Hut vom Schopf zu nehmen, so dass Professor McGonagall ihm die Dunstkiepe vom Kopf riss, als er an ihr vorbeirauschte.
Mit glühenden Wangen setzte er sich neben Sirius.
»Pommeroy, Aldwyn!«
»RAVENCLAW!«
Professor McGonagall zog abermals ihr Pergament zurecht. Die Pupillen hinter ihren quadratischen Brillengläsern huschten über den nächsten Namen und sie sah auf.
»Potter, James!«
Die Aufregung, die sich in James angestaut hatte, war mit einem Mal wie weggezaubert.
Er fühlte sich... bereit.
»GRYFFINDOR!«
Noch ehe der Hut seinen Haarschopf gänzlich berührt hatte, war die Entscheidung gefallen wie die Last von seinen Schultern.
Ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als die Gryffindors laut applaudierten.
So wie es sein sollte, dachte er fröhlich.
»Macht mal Platz für James«, sagte Sirius über-enthusiastisch und scheuchte Alice Fortescue und Olive Kemp je einen Platz weiter, so dass sich James in die entstandene Lücke quetschen und Sirius gegenübersitzen konnte.
»Dann hast du also mit der Tradition gebrochen«, grinste James.
Sirius nickte eifrig, wenn ihm die Sorge vor den Konsequenzen, jedoch ins Gesicht geschrieben stand.
»Ich habe es dir gesagt«, feixte er.
James sah den Tisch entlang und fing Peters bedrückten Ausdruck auf.
»Glückwunsch, Pete«, sagte er und schenkte dem tollpatschigen Jungen ein Lächeln.
Peter strahlte.
»Pscht!«, fuhr Lily zu ihnen herum und deutete stumm auf die Front, wo McGonagall begonnen hatte, den Buchstaben S abzuarbeiten.
Shafiq... Shagall... Shingleton...
Eindeutig zu viele SH's, wenn man James fragte, doch dann...
»Snape, Severus!«
James wusste, was passieren würde, noch in dem Augenblick, als McGonagall dem Jungen den Hut aufsetzte.
Er erkannte eine Schlange, wenn er sie vor sich sah.
»SLYTHERIN!«
James war nicht überrascht.
Lily genauso wenig.
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Corban Yaxley wurde ein Slytherin und mit ihm war die Zeremonie vorüber.
Professor McGonagall ließ den Hut und den Dreibeiner verschwinden, wartete bis der letzte Applaus verklungen war und nahm dann an der großen Lehrertafel neben Professor Dumbledore Platz.
Dieser erhob sich stattdessen und trat vor an sein Rednerpult, das aus purem Gold die Form einer Eule mit ausgebreiteten Schwingen darstellte, die sich aus einem ebenholzfarbenen Sockel erstreckte. Peter setzte sich automatisch aufrechter, als der überaus großgewachsene Schulleiter die beiden Flügel der Eule packte, um sich einen festeren Stand zu sichern, den er jedoch überhaupt nicht nötig gehabt hätte.
»Meine lieben Schüler!«, begrüßte er sie alle und strahlte.
Die halbmondförmigen Brillengläser reflektierten das schimmernde Kerzenlicht und der rußige Geruch kroch angenehm zwischen ihren Bänken umher.
»Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Willkommen ihr Grünschnäbel und Willkommen zurück ihr Alten Hasen!«
»Willkommen zurück, Professor!«, rief auf einmal ein Junge, der bei Peter und den anderen am Gryffindortisch saß. Seine roten Haare und das spitzbübische Grinsen waren unverkennbar und Peter erkannte ihn als den Quatschkopf aus dem Zug wieder, der ihn beinahe mit seinem Zauber geköpft hatte.
Einige Schüler lachten über den Einwand, andere schmunzelten bloß, wieder andere rollten mit den Augen. James und Sirius warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe auch sie sich wieder grinsend der Lehrertafel zuwandten.
»Ah ja, Willkommen zurück, Mr. Weasley, vielen Dank!«, rief Dumbledore und zwinkerte. »Ich belästige euch ungern mit meinen Worten, wenn ihr euch doch alle bloß danach sehnt, etwas zwischen die Kiemen zu schieben. Die Zeit für Reden wird noch kommen, genießt das Festmahl!«
Er klatschte zweimal in die Hände.
Peter wandte sich voller Vorfreude dem Geschirr auf den Tischen zu und stellte mit Genugtuung fest, wie, von mehreren kleinen Aufschreien der Unwissenden begleitet, ein herrliches Festmahl entlang der Tafeln erschien.
Das Essen türmte sich geradezu und er hätte schwören können, noch nie so viel gutes Essen auf einem Fleck gesehen zu haben, nicht einmal, als seine Mutter die Hochzeit von Peters Onkel Albert ausgerichtet hatte und sie die ganze Familie und alle Freunde hatten versorgen müssen.
Die vier Tische entlang brachen viele Gespräche aus, die sich wie kleine Lauffeuer durch die ganze große Halle verbreiteten. Das rege Gemurmel wurde nur hin und wieder durch klirrendes Besteck oder vereinzelte Ausrufe eingedämmt, die das herrliche Festmahl in höchsten Tönen lobten.
»Fetzig!«, rief Sirius enthusiastisch.
Seine Hand griff unachtsam quer über den Tisch nach den Bratkartoffeln, vorbei an mehreren Tellern Yorkshire-Pudding, Würsten, Schinken und Steaks, einem ziemlich großen Spanferkel, Pommes, Erbsen, Karotten, einem Haufen Roastbeef, Ketchup und - aus irgendeinem merkwürdigen Grund - vielen kleinen Schalen mit Zitronenbonbons.
»War dir eben nicht noch furchtbar schlecht? Das kommt davon, wenn man so viel Süßes ist.« Ein gespielt besorgtes Grinsen umspielte James Lippen. »Mach langsam und iss nicht zu viel.«
»Ach Gehörnte Wellhornschnecke«, Sirius schüttelte den Kopf und fuchtelte mit seiner Gabel in der Luft herum, wobei er Lily Evans beinahe ein Auge ausstach, die deswegen fast von der Bank hinten überfiel.
»Pass doch auf!«, echauffierte sie sich und rückte einige Zentimeter von ihm ab, doch Sirius beachtete sie gar nicht, sondern deutete mit den Zinken der Gabel auf James' Nase und schnalzte mit der Zunge. »Ich bin wieder topfit. Wie ein achtärmiger Hippogreif.«
Die beiden lachten laut los.
»Hippogreife haben keine Arme«, warf Remus Lupin dazwischen, der sich gerade Bohnen auf den Teller schöpfte und das Gelächter erstarb.
»Sie sind halb Pferd und halb Greif, deswegen... haben sie nur Flügel, Krallen und... äh... Hinterbeine...«
Er verstummte augenblicklich, als er den starren Blick seitens Sirius bemerkte, seine Wangen nahmen einen dunklen Ton an, während er bewusst von den anderen wegsah und die Tischplatte einer eindringlichen Untersuchung unterzog.
Er hatte sich seinen ersten Eindruck wohl ganz anders vorgestellt... Peter beäugte ihn mitleidig, sagte aber nichts.
Er wollte seine Freundschaft zu Sirius nichts aufs Spiel setzen und so wie dieser im Augenblick aussah, hätte er glatt einen Mord begehen können. Er war es wohl nicht gewöhnt, zurechtgewiesen zu werden, dachte Peter.
James hingegen konnte sich nicht mehr halten und prustete unkontrolliert los, zusätzlich zu seinem Lachen ereilte ihn ein Schluckauf, der immer schlimmer zu werden drohte und ihn unerbittlich nach Luft schnappen ließ. Allein das war ein Anblick, der Peter beinahe einen ähnlichen Zustand bescherte.
»Ein richtiger Neunmalklug«, murmelte Sirius eingeschnappt, schüttelte den Kopf und griff erneut zu den Bratkartoffeln.
Remus sagte kein Wort mehr. Es schien, als würde er sich innerlich rügen, überhaupt den Mund geöffnet zu haben, doch James schlug ihm spielerisch auf die Schulter und rief: »Nicht schlecht, Lupin.«
Der junge Potter schenkte ihm ein breites Grinsen, bevor er sich ebenfalls eine halbe Wagenladung des köstlichen Essens auflud.
Remus machte nicht wirklich den Eindruck, als hätte ihn der freundschaftliche Schlag aufgemuntert, vielmehr schien er dabei regelrecht zusammengezuckt zu sein, doch James bemerkte davon nichts.
Wohl aber Peter. Er warf Remus einen besorgten Blick zu, doch Remus wich ihm gekonnt aus, stocherte mit seiner Gabel in den Bohnen umher, ohne auch bloß einen Bissen zu nehmen.
Peters Magen grummelte und erinnerte ihn daran, dass es etwas Wichtigeres gab, als die anderen zu beobachten. Essen.
Endlich griff er zu, dachte auch gar nicht daran, sich zurückzunehmen und häufte sich von allem gleich zweimal so viel auf, wie die anderen zusammen.
Der Geruch von knusprigem Brathähnchen stieg ihm in die Nase, benebelte seine Sinne, trug ihn fort in ein Schlaraffenland. Ein Wunderland, in dem man Essen konnte, was man wollte, in dem es keinerlei Verpflichtungen gab, nichts außer absoluter Zufriedenheit.
Sirius, James und Peter genossen die feinen Speisen und als diese sich schließlich in allerlei Spritzkuchen, Torten und Muffins, Waffeln, Fudge und Plätzchen verwandelten waren ihre Mägen schon zum Bersten gefüllt, doch nicht im Traum hätten sie es sich nehmen lassen, auch hier einmal ordentlich zuzulangen.
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Die magische Decke der großen Halle war übersäht mit funkelnden Sternen, die im Kerzenschein zu tanzen schienen, während der baldige Vollmond, die einzige Konstante, den Dirigenten spielte und felsenfest an seinem Platz verweilte.
Das Mondlicht im Nacken spürend, fühlte Remus sich hundeelend.
Am liebsten wäre er auf der Stelle in sein Bett gefallen, sein Bett zu Hause in Aldbury... dort wo er sicher war, wo die anderen sicher waren... vor ihm.
Dumbledores Plan war ein guter Plan gewesen und er erinnerte sich noch gut an den Abend, als der großgewachsene Mann vor ihrer Haustür erschienen war, mit der Bitte, Lyall Lupin würde seinem Sohn die Ausbildung gewähren, die er verdiente.
Remus hatte seinen Vater angefleht, er hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, doch nun, da der Moment gekommen war, fürchtete er sich vor den Konsequenzen...
Pass auf, was du dir wünschst!
Die Lieblingsworte seiner Mutter, wann immer er oder sein Vater unachtsam gewesen waren, nicht daran gedacht hatten, was geschehen könnte, wenn sie unbedacht Wünsche äußerten.
Es könnte in Erfüllung gehen.
Wünsche in den Händen von Zauberern konnten gefährlich werden... das hatte er schon früh genug gelernt.
Mit vor Anspannung zitternden Fingern, brachte er die beladene Gabel mit Schokotorte gerade einmal auf halben Weg zu seinem Mund, ehe sich das Kuchenstück verabschiedete und erneut auf dem Teller aufschlug.
Frustriert verschränkte Remus die Arme vor dem Körper, ehe er sie sofort wieder fallen ließ, als er realisierte, dass er nicht zu Hause eingepfercht in seinem Kinderzimmer saß, sondern in der großen Halle, umringt von Hexen und Zauberern, die nicht wussten, wer - nein - was er war... und das sollte auch so bleiben.
Schwäche konnte er sich nicht leisten, egal wie sehr seine Knochen und Glieder nach Ruhe und Frieden schrien, egal wie sehr er sich nach den schützenden Armen seiner Mutter sehnte.
Dumbledore erhob sich ein zweites Mal an diesem Abend, den Kelch in der ausgestreckten Faust prostete er einmal in die Runde, nahm einen großen Schluck und richtete sich zu ganzer Größe auf. Die Teller und die Reste des Nachtischs verschwanden im Nichts.
Remus trauerte dem kleinen Stück Schokotorte nach, dass er nach dem Schwächeanfall zuvor nicht wieder angerührt hatte, aus Angst, jemand könnte eins und eins zusammenzählen, während der falsche Mond von der Decke auf sie alle herab schien.
»Nun, da wir alle wohl genährt, den Bauch zum Bersten gefüllt, gefüttert und gewässert sind, ist es doch an der Zeit, euch mit den weisen Worten eines alten Mannes zu belästigen.«
Ein paar wenige lachten, doch Dumbledore fuhr unbeirrt fort.
Absolut nichts, dachte Remus, könnte diesen Mann aus der Ruhe bringen, diesen großen Zauberer.
»Die Erstklässler seien gewarnt - und einige ältere Schüler daran erinnert -«, er warf erneut einen Blick zu Bilius Weasley und seinen Freunden, »dass unser Wald, der an die Ländereien grenzt, für all diejenigen tabu ist, die nicht eines qualvollen Todes sterben möchten.«
Ein raues Murmeln zog sich durch die Halle, als viele der Erstklässler hin und hergerissen waren zwischen dem Drang vor Angst wegzulaufen und dem, ein Lachen zu unterdrücken, weil sie glaubten, Dumbledore würde scherzen.
»Humbug!«, lachte Bilius und musterte die verängstigt dreinblickenden Gryffindorerstklässler, ehe seine Augen James Potter und Sirius Black streiften, die sich über den Tisch hin angrinsten. »Es gibt bloß eine sehr geringe Anzahl an Tieren im Wald, mit denen man nicht unbedingt Bekanntschaft machen möchte, oder Max?« Bilius wandte sich an seinen Freund.
»Oh ja«, erwiderte dieser verschwörerisch, senkte die Stimme und funkelte ihnen schmunzelnd zu.
»Die Zentauren verfehlen mit ihren Pfeilen nie ein Ziel, aber von einem der Thestrale würde ich auch nicht gerne niedergetrampelt werden, zumal man diese nicht einmal sehen kann.«
»Und sie bringen Unglück«, warf Sirius ein.
»Das ist bloß ein Aberglaube«, entgegnete Remus, dieses Mal den vernichtenden Blick des Blacks ignorierend.
»Ach und natürlich die Werwölfe«, ergänzte Bilius.
Die Äußerung allein reichte, um Remus all seiner Kraft zu berauben. Galle stieg ihm den Rachen hinauf - und das nicht, weil er zu viel gegessen hatte.
Sein Gesicht musste kreidebleich geworden sein, denn Max schüttelte bloß den Kopf. »Ach keine Angst, sofern ihr euch nicht bei Vollmond in den Wald schleicht, habt ihr nichts zu befürchten.«
»Ich habe sicher keine Angst vor einem Werwolf!«, ließ James verlauten und hob die Brust, er grinste. »Der Werwolf hätte Angst vor mir!«
»Der Wolf würde bei deinen verwuschelten Haaren glauben, du wärst selbst einer«, lachte Sirius und James stimmte mit ein.
An der Front war der Schulleiter noch immer dabei, seine Rede zu halten, ließ sich dabei nicht von dem Getuschel am Gryffindortisch beirren.
»Ebenso rate ich Ihnen, sich von der peitschenden Weide fernzuhalten, einer um sich schlagenden Trauerweide, die letztes Frühjahr am Rande des Waldes gepflanzt wurde und nun, Dank unseres Kräuterkundespezialisten, Professor Beery, schon zu einer stattlichen Größe herangewachsen ist. Das macht sie jedoch auch für diejenigen, die ihr zu Nahe kommen, umso gefährlicher.«
Remus schluckte schwer.
»Unser Hausmeister Mr. Filch bat mich, euch daran zu erinnern, dass auf den Gängen nicht gezaubert werden darf und dass die Liste verbotener Gegenstände von 27 auf 34 erhöht wurde. Die vollständige Liste ist in seinem Büro einzusehen.«
»Das war unser Verdienst«, flüsterte Bilius ihnen zwinkernd zu. "Zonko hat sein Sortiment dieses Jahr sicher wieder erweitert."
»Zonko?«, fragte Remus.
»Ach, das weißt du nicht?«, entgegnete Sirius überheblich, doch das Fragezeichen, das ihm selbst ebenfalls ins Gesicht geschrieben stand, entkräftete seine Aussage wieder.
»Ein Scherzartikelladen in Hogsmead, ein Muss für jeden Streichemeister. Max hier, ist ein wahres Genie, was das angeht.« Bilius klopfte seinem Kumpel brüderlich auf die Schulter, dessen Ohren sich bei seinen Worten rot verfärbten.
Dumbledore sprach weiter und James Augen leuchteten auf: »Die Quidditch-Auswahlspiele finden in der zweiten Schulwoche statt. Jeder der Interesse daran hat, in seiner Hausmannschaft zu spielen, meldet sich bei Madam Hooch.«
Selbst ein Blinder konnte ahnen, dass der Potter sich nichts sehnlicher wünschte, als in das Team von Gryffindor zu kommen, aber Remus wusste, dass Erstklässler meist nie eine Chance bekamen, ungeachtet ihres Könnens.
»Nun zu guter Letzt, möchte ich einen neuen Lehrer in unseren Reihen Willkommen heißen; Professor Oswin Thorburn, der die Stelle in Verteidigung gegen die Dunklen Künste antreten wird. Ich wünsche dem Professor viel Erfolg!«
Professor Thorburn erhob sich einen Augenblick, winkte mit einem breiten Lächeln auf den Lippen durch die Halle, ehe er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ und das Gespräch mit dem kleinsten Mann, den Remus je gesehen hatte, weiterführte.
»Nun, bevor ich Sie in den Abend entlasse und Sie zu Bett schicke, kommen wir zu unserem letzten Programmpunkt! Ich bitte Sie alle, sich zu erheben, wir singen die Schulhymne!«
Mehr oder weniger glückliche Mienen zierten sowohl die Gesichter der Schüler als auch die der Lehrer, während sich alle von ihren Sitzen hievten und erwartungsvoll zu Dumbledore emporblickten, der seinen Zauberstab kreisen ließ, woraufhin sich aus der Spitze ein goldener Faden löste, der durch die Luft tanzte, sich verformte und schließlich die Gestalt von Worten annahm.
»Jeder nach seiner Lieblingsmelodie!«
Und ihre ungleichen Stimmen vermischten sich zu einem Wirrwarr aus Worten, die keinen Anfang und kein Ende kannten.
Doch statt schrill und unleidlich zu klingen, verursachte die Verblendung ein stetiges Brummen, das ihre Melodien im Einklang widerhallen ließ.
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