Halloween Special: Beerenfuß' Angst
Es war mitten in der Nacht und Beerenfuß musste den Schmutzplatz aufsuchen.
Sie lag wach in ihrem Nest und versuchte vergebens, wieder einzuschlafen. Sie wusste, dass es außerhalb des Kriegerbaus kalt war, denn Blattfall war hereingebrochen und tauchte die Nächte in dunklere Finsternis, gab dem Mond ein knochigeres Licht als in anderen Nächten. Sie fürchtete sich vor den Nächten des Blattfalls, denn sie waren ihr nicht geheuer. Etwas, so schien es ihr, wartete in der schwarzen Dunkelheit nur darauf, dass sie die warme Sicherheit ihres Nests verließ, um der Gefahr geradewegs in die Krallen zu laufen.
Doch das waren nur Gespinste, Ängste, die in ihrem Kopf stattfanden. So sagte es ihr Nadelsonne immer wieder. Nadelsonne, ihr wunderbarer Gefährte mit dem dunkelbraunen Fell, das im Schatten fast schwarz schimmerte und in der Sonne wie warme Baumrinde leuchtete. Er verstand sie und ihre Ängste und versuchte immer, sie zu beruhigen, wenn sie sich wieder zu sehr vor der Nacht fürchtete.
Doch heute fühlte Beerenfuß Nadelsonnes warmen Atem an ihrem Rücken, er schlief friedlich und sie würde ihn nicht aufwecken, nur, weil sie sich nicht traute, alleine zum Schmutzplatz zu gehen. Schließlich war sie nun sogar Mentorin von der kleinen, mutigen Weißpfote. Weißpfote würde sie sicherlich nur verständnislos ansehen, wenn Beerenfuß ihr gegenüber ihre Angst vor der Dunkelheit erwähnte. Die Kleine hatte vor nichts Angst, so schien es Beerenfuß manchmal.
Der Gedanke an ihre Schülerin gab ihr genug Kraft und Mut, um sich aufzurichten und aus dem Bau ins Freie zu schlüpfen. Sofort begann sie zu zittern, die Nachtluft war klirrend kalt und ein unbarmherziger Luftzug fuhr ihr unters Fell. Das blasse Licht des Mondes tauchte die Lichtung in eine stille Atmosphäre. Die Äste und Zweige der Büsche am Rande der Lichtung sahen aus wie dürre Knochen und lange Krallen, die sich nach ihr reckten.
Schnell, mit zum Schutz vor der Kälte eingezogenem Kopf, lief Beerenfuß leise, um die anderen Katzen nicht zu wecken, über die Lichtung zum Ausgang. Die sich nach ihr streckenden Krallen und Knochen versuchte sie, so gut es ging, zu ignorieren. Als sie an ihnen vorbei nach draußen schlüpfte, erschauderte sie.
Außerhalb der Lichtung war es finstere Nacht, das Mondlicht drang nicht durch die noch dichten Baumkronen. Bald würden all die Blätter den Boden bedecken und dort verdorrt einen Teppich aus totem Blattwerk bilden.
Die Nacht nahm Beerenfuß in sich auf, als sie rasch zum Schmutzplatz lief.
Doch plötzlich, von einem Geräusch aufgeschreckt, blieb sie stehen. Spitzte die Ohren und hielt den Atem an, um bloß kein Geräusch zu verursachen. Ihr Rückenfell begann, sich langsam aufzustellen. Sie fühlte fremde Blicke auf sich ruhen.
"Wer ist da?", hauchte sie in die Nacht. Wachsam. Ängstlich. Wartend.
Doch es kam keine Antwort.
Wahrscheinlich war es nur eine Maus gewesen, die sich vor den Fängen einer umherstreichenden Eule in Sicherheit brachte. Beerenfuß' Verstand spielte ihr Streiche.
Sie schluckte und atmete tief durch, sog die Luft ein, die ihr kalt und schneidend durch das Fell fuhr. Ihr gesamtes Fell kribbelte. Leise, als würde sie sich Beute nähern, schlich Beerenfuß vorwärts. Das Herz klopfte ihr wild in der Brust und sie wünschte sich, nicht so ängstlich in der Nacht zu sein. Keine Katze fürchtete sich vor dem Dunkeln, das war lächerlich.
Mit weit aufgerissenen Augen bahnte sie sich ihren Weg zum Schmutzplatz, der zum Glück gut geschützt war und wo sie sich sicherer fühlte, als im Wald.
Sie erledigte, weshalb sie gekommen war und machte sich daran, den Rückweg anzutreten. Dabei murmelte sie sich selbst aufmunternde Worte zu.
"Es sind nur ein paar Schritte, das Lager ist ganz nah. Es wird nichts passieren. Und wenn etwas passiert, dann würde der WaldClan meine Schreie hören und mir zu Hilfe eilen." Sie hielt inne. Sie hatte einen Zweig brechen hören. Keine Maus brachte einen Zweig so zum Brechen, dass er so laut durch die Nacht hallte. Das Fell über ihrem Auge begann zu zucken und ihr Herz wieder schneller zu schlagen.
"Es passiert nichts, es passiert nichts", wisperte sie zitternd und fühlte sich kläglich. "Ich bin sicher." Ihre Stimme brach. Sie spürte wieder diese Blicke auf sich.
Langsam hob Beerenfuß den Kopf und sah sich wachsam um. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und ihr schien, als atmete sie viel zu laut.
"Ist da jemand?"
"Du weißt, wer wir sind", maunzte eine helle Stimme zu ihrer Linken.
Beerenfuß' Kopf fuhr herum, das Herz schien ihr nun aus dem Herzen zu springen.
"Nein, nein." Wie gebannt starrte sie in die Dunkelheit, hoffte und fürchtete gleichzeitig, dass der Sprecher sich zeigte.
"Beerenfuß." Eine zweite Stimme, genau so hell und jung wie die erste, ertönte von rechts. Ihr Kopf drehte sich in die Richtung, in der sie die Stimme vermutete.
"Du fürchtest uns", miaute die erste Stimme bekümmert.
"Du weißt, wer wir sind. Und du weißt, dass wir zu dir wollen."
"Nein, ich-", krächzte sie. "Bitte, nicht." Sie wich zurück, Grauen machte sich in ihr breit. Und wieder diese Hoffnung. Die Sehnsucht.
"Geht weg", murmelte sie und schloss die Augen.
"Wohin sollen wir denn gehen? Wir haben nur dich, Beerenfuß."
"Du hast uns schon einmal alleine gelassen, willst du uns nun wieder wegstoßen?", klagte die zweite Stimme. Sie klang näher als zuvor.
"Bitte, lasst mich allein." Beerenfuß kauerte sich auf den kalten Boden, machte sich ganz klein und hoffte, die beiden würden nicht näher kommen. Denn sie hatten recht. Beerenfuß wusste ganz genau, wer sie waren.
"Beerenfuß", maunzte es ganz nah an ihrem Ohr. Sie zuckte zusammen, stieß keuchend den Atem hervor, der sich aus ihr herauskämpfte, rührte sich aber nicht. "Beerenfuß, hast du uns denn nicht lieb?"
Etwas in ihrem Herzen wurde zusammengequetscht bei diesen Worten, von festen Pfoten mit knochigen Krallen, die ihr die Luft zum Atmen nahmen. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Sie hielt das nicht aus.
Beerenfuß öffnete die Augen.
Vor ihr saßen zwei kleine Kätzchen, sie sahen aus, als gehörten sie noch in die Kinderstube. Nicht hier nach draußen, in die unbarmherzige Kälte und Dunkelheit des Waldes. Durch das blasse Mondlicht, das auf die beiden Kätzchen hinabschien, wirkte es fast, als wären ihre Pelze durchscheinend.
In Beerenfuß' Augen lag Schmerz, als sie die beiden ansah.
"Hast du uns denn nicht lieb, Mama?"
Das kleine Kätzchen, das die Frage wiederholte, sah unglaublich traurig aus.
"Doch, Flaumjunges, ich liebe euch", presste sie hervor. Ihr Herz wurde noch ein wenig mehr zusammengedrückt und sie schnappte nach Luft.
Das andere Junge legte den Kopf schief, es sah noch immer sehr traurig aus.
"Aber", maunzte es, "warum hast du uns dann zum SternenClan geschickt?"
"Ich habe nicht-"
"Du hast uns gehen lassen. Du wolltest uns nicht. Du hast uns nicht lieb." Der Vorwurf schimmerte in den Augen von Flaumjunges.
"Wir wollten zu dir, Mama. Doch du wolltest uns nicht, also hat uns der SternenClan genommen."
"Traumjunges, ich-"
Wieder schnitten ihr die kleinen Katzen das Wort ab.
"Doch wir wollten nicht zum SternenClan. Mama, wir wollen bei dir sein. Nur bei dir."
Jetzt erhoben sich die beiden und auf einmal wirkten ihre Pelze nicht mehr nur durchscheinend; sie waren es.
In ihren Augen lag ein kalter Schein, als sie sich langsam der noch immer am Boden kauernden Beerenfuß näherten. Ihr Fell wirkte stumpf und ungepflegt, Dreck hing ihnen zwischen den Krallen, die sie ausgefahren hatten.
Beerenfuß wimmerte.
"Flaumjunges, Traumjunges, bitte. Ich war doch überfordert. Und noch jung. Wusste nicht, wie sehr sich mein Leben durch die Mutterschaft ändern würde. Ich habe manchmal gedacht, dass ich euch nicht wollte, doch damit meinte ich doch nicht, dass ihr ..." Wieder versagte ihr die Stimme. Die beiden Katzen ragten nun bedrohlich vor ihr auf, sie wich zurück.
"Ich habe euch doch trotzdem geliebt und wollte nie, dass ihr sterbt. Ich mache mir solche Vorwürfe. Bitte, versteht das doch. Es waren nur meine Gedanken, in denen ich mir vorstellte, wie es wäre, keine Junge zu haben. Doch ich liebe euch." Sie schluckte. "Ich liebe euch", wiederholte sie.
"Warum weichst du dann vor uns zurück, Mama?", fragte Flaumjunges misstrauisch.
Beerenfuß zitterte am ganzen Leib.
"Du willst uns immer noch nicht", klagte Traumjunges. "Du hast Angst vor uns."
"Nein, nein ...", stotterte Beerenfuß, doch sie konnte ihren eigenen Angstgeruch riechen. Sie fürchtete sich fast zu Tode vor diesen beiden Kätzchen, die gar nicht hier sein sollten. Und doch waren sie es. Immer. Wenn es dunkel wurde, durchstreiften sie den Wald auf der Suche nach Beerenfuß.
Als Flaumjunges noch einen Schritt näher tat, taumelte Beerenfuß von ihm weg. Dann rannte sie. Erst noch stolpernd, dann immer schneller.
"Mama, warum läufst du weg?"
"Du liebst uns nicht!"
"Warum liebst du uns denn nicht, Mama?"
"Wir lieben dich." Das synchrone Miauen schickte einen eiskalten Schauer über Beerenfuß' Rücken. Sie rannte schneller. Das Lager war gleich in Sicht.
"Wir wollen bei dir sein, Mama."
"Und wir werden auf dich warten. Bis du zu uns kommst und uns lieb hast."
Mit einem Sprung rettete sich Beerenfuß ins WaldClan-Lager, das helle Maunzen hinter ihr verstummte und sie stand einen Moment lang einfach nur auf der mondbeschienenen Lichtung.
Zitternd, das Fell gesträubt, die Augen weit aufgerissen und das Herz gegen ihren Brustkorb schlagend. Hektisch atmend strich ihr Blick über die vertrauten Baue des Lagers. Sie war hier in Sicherheit. Sie war Heim.
Langsam beruhigte sich Beerenfuß. Sie wartete, bis sie so weit war, dass sich ihr Rückenfell wieder glättete und ihr Herz nur noch halb so schnell pochte. Dann lief sie lautlos zum Kriegerbau, schlüpfte hinein. Nadelsonne lag noch in derselben Position, in der sie ihn verlassen hatte. Noch immer ein wenig zitternd legte sie sich vorsichtig neben ihn, achtete darauf, ihn nicht zu wecken. Dann schmiegte sie sich an sein warmes Fell. Lauschte den gleichmäßigen Atemzügen, die Nadelsonnes Körper bewegten.
Neben ihm wurde sie ruhiger. Müde. Fühlte sich wieder sicher. Wärme sickerte wohltuend in ihren Körper und machte ihre Glieder ganz schwer. Sie war erschöpft. Morgen würde sie früh für die Morgenpatrouille aufstehen müssen, also sollte sie schlafen.
Mit einem leisen Seufzer kuschelte sie sich tiefer in ihr warmes Nest. Der Schlaf kam zu ihr und nahm ihr die Last der Wirklichkeit von den Schultern. Doch noch während sie hinfort dämmerte, hörte sie ein leises Wispern, ganz nah an ihrem Ohr.
"Wir warten auf dich."
/////////////////////////////////////////
- 1600 Wörter
Happy Halloween, Sternis!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top