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Schweratmend klopfst du an der Tür zu Taehyungs Suite. Ungeduldig blickst du dich daraufhin um und wartest mit pochendem Herzen, dass jemand die Tür öffnet. Du hast den Bus bis hier hin nehmen müssen und bist den ganzen Weg bis auf die Erhöhung gerannt. Kleine Schweißperlen haben sich auf deiner Stirn gebildet und von Sekunde zu Sekunde wird das Gefühl stärker, dass er nicht hier ist.
Als immer noch niemand öffnet, fluchst du wütend und schlägst verzweifelt mit der Faust gegen die Tür, woraufhin du dies gleichwohl wieder vor Schmerz bereust. Betrübt senkst du den Kopf, als plötzlich die Tür aufgezogen wird.
„Ryujin", stellst du überrascht fest und blickst in ihr Gesicht, das - nicht wie du es erwartet hast - einen wütenden oder genervten Ausdruck sondern einen ganz neutral wirkenden aufweist.
„Die Treppe hinunter, dann rechts und anschließend geradeaus", teilt sie dir mit, du ich mit einem ungläubigen „Was?" quittierst.
Du kannst nicht wissen, dass ihr Bruder etwa eine Stunde zuvor ein leeres Bett aufgefunden und sich Sorgen aufgrund deiner Abwesenheit gemacht hat. Ryujin hat ihn aufgelesen, ihn nach seiner kleinen Hure gefragt. Nach einer kleinen Auseinandersetzung hat sich der Mann schließlich das erste Mal nach einer langen Zeit mit seiner Schwester unterhalten. Über dich. Seinen Sohn. Die Vergangenheit. Seine Empfindungen. Seine Befürchtungen.
Beide hatten den Moment der Zweisamkeit genossen. Diese Nähe zu seiner jüngeren Schwester kannte dein Geliebter kaum noch. Er hat ihn an damals erinnert, als er sie stets in seinen Armen hielt, wenn ihr gemeinsamer Vater und ihre Mutter Streit hatten und Ryujin sich vor einer Trennung fürchtete.
Dann hat er sich verabschiedet, ist gegangen.
„Taehyung. Er auf der Piste, genauer gesagt in seiner Skihütte. Wenn du rennst, könntest ihn vielleicht noch abpassen, bevor er wieder woanders hingeht."
Sie zuckt bei diesen Worten nicht ein einziges Mal mit der Wimper. Nach wie vor kannst du kaum glauben, was sie dir gerade erzählt.
„Ähm okay... i-ich...", erwiderst du anschließend verwirrt und dein Blick fällt auf eine kleine Marmortreppe, die hinunter auf einen kleinen, verschneiten Holzweg führt.
„Jetzt geh' schon", meint sie ungeduldig, als du aufgrund deiner durcheinander gebrachten Gedanken immer noch auf der Matte stehst. „Die Treppe runter, rechts und dann geradeaus, bis zu der kleinen, gemütlichen Hütte, die ganz rechts liegt. Du erkennst sie an der bayrischen Einrichtung."
„D-Danke."
Sie ist doch vor gerade einmal drei Stunden noch unglaublich sauer auf mich gewesen... und jetzt hilft sie mir dabei, mich mit Taehyung zu treffen?
Doch da du nur wenig Zeit hast, darüber nachzudenken, was ihre Meinung so stark verändert haben könnte oder ob sie überhaupt die Wahrheit sagt, nickst du schließlich nur dankend und nimmst die Treppe hinunter ins Freie.
(...)
Schon von weitem erkennst du einige Hütten, die alle an den vielen Wegen angelegt worden sind, und lässt deinen Blick über die Menge streifen.
Hier und da sind einige dickliche, ziemlich arrogant dreinblickende Schnösel, die sich in den Restaurants einnistet haben. Anderswo erblickst du ein paar Jugendliche, die lachend mit ihren Skiern zu den Liften steuern.
Wie Ryujin es dir gesagt hast, siehst du schon bald eine etwas abseits liegende, kleine Skihütte, die einen bayrischen Stil aufweist.
So schnell dich deine Beine tragen, läufst du fröstelnd über den glatten Weg und hältst schließlich vor dem Übergang an, über den man zum Eingang der Hütte gelangen kann.
Vorsichtig setzt du einen Fuß vor dem anderen und joggst, nachdem du das schmale, recht altmodische Brett überquert hast, über die kleine Terrasse hinein ins Innere der der Skihütte, die sogar offen steht.
Im Inneren staunst du nicht schlecht: Die Hütte ist trotz der recht rustikalen, mitteleuropäischen Einrichtung äußerst luxuriös ausgestattet; das Parkett scheint ziemlich hochwertig zu sein, genauso wie die farblich zusammenpassende Möblierung und Dekoration, zu der einige Bilder, die an den Wänden hingen, gehören.
Doch ist von Taehyung keine Spur.
Du hältst kurz inne, als du einen Bilderrahmen auf einem Stehtischen passierst. Es ist ein Foto von einem kleinen Jungen, was dich lächeln lässt. Sofort weißt du, dass es sich um Taehyung handeln musste. Einige von Jins Kinderfotos, die hier hängen, kennst du bereits. Er sieht Taehyung als Kind wirklich ähnlich, doch später sieht er wahrscheinlich eher nach seiner Mutter aus.
Neben vielen Kinderfotos erblickst du schließlich auch ein Foto von Taehyung und Ryujin als Kinder, daneben ein etwas neueres Foto von den beiden. Dann stockst du schließlich, als du ein Foto entdeckst, auf welchem ein gerade einmal 16 Jahre alter Taehyung ein kleines Baby im Arm hält.
04. Dezember, 20xx
steht in der Ecke des Fotos, und du hältst den Atem an. Dieses Datum fällt auf Jins Geburtstag. Alles passt zeitlich. Taehyung ist fast sechzehn Jahre alt gewesen, als Jin auf die Welt kam... dieser erblickte fast vier Jahre nach dir das Licht der Welt und ist nun 18 Jahre alt.
Du streichst mit deinen Fingern zaghaft über die Fotografie und bemerkst Taehyungs leicht hoffnungslose, wenn auch glückliche Miene. Er trägt die Haare sehr kurz und mit Haargel glatt frisiert und trägt Kleidung ganz nach der damaligen Mode.
Ein junger Teenager mit einem kleinen Kind, ganz allein auf sich gestellt. Und genau zwischen diese zerrüttete Beziehung hast du dich gedrängt und das letzte kaputt gemacht, was noch heile ist.
(...)
„Wie ich sehe, hast du den Weg hierhin gefunden?"
Du fährst zusammen und drehst dich zu dem schmunzelnden Taehyung um, der in eine schwarzen Hose und ein weißes Hemd gehüllt, das er mit einem Gürtel fixiert hat, auf der Treppe zur oberen Etage steht.
„R-Ryujin hat ihn mir gezeigt", entgegnest du stotternd, während du dich kurzzeitig dazu zwingen musste, ihn nicht anzustarren. Diese Art von Kleidung hat er zu deiner Schulzeit stets getragen.
„Hat sie?", fragt er in Gedanken versunken nach. Du nickst nur, da du nicht wirklich weißt, was du noch sagen sollst. Zu überwältigt bist du von den Fotos und dessen Geschichte, auch wenn du sie noch nicht einmal vollständig kennst.
„Ach, und die Familienfotos hast du auch schon entdeckt", bemerkt er, als du dich wieder zum Regal wendest, und geht die letzten Stufen der Treppe hinunter. Von hinten legt er seine Hände auf deine Schultern und haucht dir einen federleichten Kuss auf den Haarschopf.
Seufzend legst du den Kopf auf seiner Schulter ab. Dein Herz pochte erneut wild gegen deinen Brustkorb und du wirfst einen Blick zurück auf das Foto, auf welchem er Jin in den Armen hält.
„Wer war sie?"
„Wer war wer?", will er wissen, klingt aber so, als würde er die Antwort schon längst kennen.
Es herrscht kurze Stille, ehe er schließlich doch nachgibt: „Xuan Lu. Ein chinesisches Mädchen aus meinem Jahrgang. Wir haben zusammen die Highschool in Daegu besucht." Seine Finger fährt sanft über die Haut deines rechten Oberarms, was er immer tut, wenn er nachdenkt.
„Eines Tages, es war eine Geburtstagsfeier im Frühling. Wir waren gerade einmal 15 Jahre alt, gehörten zu den jüngeren auf der Party. Ich mochte Lu schon immer gerne. Wir verstanden uns gut... vielleicht waren wir verliebt, ich weiß es nicht."
Er atmet einmal tief durch und du drehst seinen Kopf, um zu sehen, wie seine Augen einen traurigen Schimmer aufweisen, während er sich an das Ereignis zurückerinnert.
„Wir waren betrunken. Wir mussten uns unbedingt von den Älteren mitreißen lassen und dann passierte es... irgendwo in irgendeinem Schlafzimmer. Einige Wochen später erreichte mich die Nachricht, dass Lu schwanger war."
Er bricht ab und lächelt traurig. „Wir waren so scheiße jung und unerfahren. Die Sache war hoffnungslos, Abtreiben kam gar nicht erst in Frage. Meine Familie unterstützte uns von Anfang an, doch die ihre wollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.
Xuan Lu gab sich die Schuld dafür und aß sehr wenig. Seokjin überlebte nur knapp, doch sie starb. D-Die Geburt hatte ihr zu viel zu schaffen gemacht. Ihre Eltern, die sowieso gegen das Überleben des Kindes gewesen waren, gaben Jin die Schuld, dass ihre Tochter tot war und brachen den Kontakt vollkommen ab."
Einzelne Tränen glitzern bereits in deinen Augen und er streicht gedankenverloren über deine Wange. Du merkst, dass er sich zusammenreißt, keine Gefühle zu zeigen.
„Ich war gerade 16 Jahre jung und Vater. Ich hatte eigentlich vorgehabt, an eine Uni zu gehen, doch wollte mich vorerst um ihn kümmern... Ich wusste sofort, dass er es später schwer haben würde. Er war so wie ich anfangs. Schüchtern, leicht verletzlich. Und dann waren seine Eltern auch noch zwei blutjunge Teenager. Seine Mutter war tot und sein Vater hatte eine Frau geschwängert, die er nicht liebte."
„Taehyung...", hauchst du sanft, doch er unterbricht dich: „Schon nach einer Woche wurde es mir zu viel. Die Schule hätte ich als Mitglied einer Familie aus Akademikern kaum abbrechen können. Somit kümmerte sich meine Mutter die meiste Zeit um ihn. Sie war erst um die 40 und lebte seit der Scheidung von meinem Vater allein... Ich konzentrierte mich immer mehr auf mein Studium und vernachlässigte Jin. Irgendwann hatte ich ihn so lange nicht mehr gesehen, dass ich vergessen hatte, wie sein Lieblingsteddybär hieß."
Du willst eigentlich nicht so fasziniert dreinblicken. Doch mit offenem Mund siehst du plötzlich, wie seine Augen beginnen, in Tränen zu schwimmen. Er zeigt Trauer, Leid, Schmerzen.
„Ich hätte mich mehr um ihn kümmern müssen...", sagt er leise, die Stimme erfüllt von Verzweiflung und Reue. „Er hatte es nie leicht in seiner Kindheit... die Schule hätte ich in den Hintergrund rücken sollen.
Ich weiß, was für Gefühle ihn all die Zeit begleiteten. Ich weiß, dass ich somit keine Schuld empfinden sollte, wenn ich eine Affäre mit seiner Freundin führe. Doch ich empfinde sie. Nicht zuletzt können wir uns noch nicht einmal unterhalten, ohne dass es in einen Streit ausartet. Ich bin ein schrecklicher Vater."
„Das bist du nicht", sagst du und ärgerst dich, dass du keine mitfühlendere Antwort auf diese emotionale Geschichte weißt
„Das bin ich, (y/n). Ich weiß, dass du es gut meinst, aber es stimmt. Ich wünschte, ich hätte eine bessere Beziehung zu ihm, als jetzt. Ich würde mein ganzes Geld hinschmeißen, nur damit er versteht, dass ich ihn trotzdem liebe, auch wenn ich nie für ihn da war", flüstert er und schnieft, sodass du ihn am liebsten in eine Umarmung ziehen würdest.
„Ist das auch der Grund, weshalb du mir nie von ihm erzählt hast?", fragst du sanft nach und hebst sein Kinn an.
„Ich habe nie einer Frau etwas von ihm erzählt. Es war so, als wolle ich es aus meinem Gedächtnis streichen, dass ich dafür verantwortlich war, dass eine Frau wegen mir starb. Nicht zuletzt war ich besessen davon, etwas mit dir anzufangen.
Obwohl ich wusste, dass ich nichts dümmeres tun könnte. Gerade weil ich die Stelle erst erhalten hatte und du so jung warst... und Gerüchte sich bekanntlich schnell verbreiten. Doch du schienst mir schweigsam zu sein, was so etwas angeht. Eine kleine, heiße Affäre. Etwas länger als meine anderen, aber doch sonst nichts besonderes, oder?
Jedoch hast du angefangen, etwas zu fühlen, und ich habe erst später realisiert, was ich getan habe. Ich sprach stets davon, erwachsen zu sein. Und dabei war ich nicht besser, als diese ganzen Kinder, die nicht sehen konnten, wie hinreißend, kostbar und makellos du bist. Ich schwor mir, dich glücklich zu machen, dir das zu geben, was du wollen würdest und was das beste für dich war. Und das war nunmal mein Abschied. Sodass du jemanden finden könntest, der dich vervollständigt. Sodass niemand vermuten könnte, dass ich dich in diese Affäre gezogen habe.
Doch wie es das Schicksal so wollte, trafen wir uns wieder. Und du warst unglücklich... und die Freundin meines Sohnes, der mich hasst... es ist—"
Er bricht ab und es macht Klick. Du verstehst. Du verstehst plötzlich alles.
➴ ➴ ➴
Da ich immer frage: Toxic tae again? >.<
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