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Soobin
Ich sah mich im Flur zwischen all diesen verschiedenen Schülern um, die miteinander redeten, in ihren Schließfächern kramten oder zur nächsten Unterrichtsstunde liefen.
Jedoch entdeckte ich nicht jenen rosafarbenen Haarschopf, den ich so begehrte.
Mit gesenktem Kopf schlängelte ich mich zwischen den Schülern hindurch, darauf bedacht, möglichst unauffällig auszusehen und niemanden anzurempeln. Es sollte schließlich niemand bemerken, dass ich jetzt an einem Schließfach stand, das gar nicht meines war.
Ich öffnete meine Umhängetasche und kramte darin nach dem sorgsam gefalteten Papier, das ich darin verstaut hatte. Als meine Fingerspitzen eine leicht raue, glatte Ecke erfassten, zog ich sorgsam den Brief aus meiner Tasche heraus.
Während ich jenen geschickt wie eh und je – nach all diesen anderen Malen – durch den unteren Schlitz des Schließfaches reinschob, öffnete sich auf einmal die Tür ein wenig.
Yeonjun hatte sein Schließfach nicht richtig zu gemacht.
Ein kleiner Anflug von Panik stieg in mir auf und ich war sofort dabei, das Schließfach wieder zu schließen, als es mir in den Fingern juckte und ich innehielt.
Yeonjuns Schließfach war offen.
Es bietete sich gerade die Gelegenheit, ein wenig mehr über ihn zu erfahren.
Über den Jungen, den ich so liebte.
Über meinen Kirschblütenjungen.
Ehe ich mich jedoch versah, meldete sich mein schlechtes Gewissen in mir und das Engelchen auf meiner Schulter brachte mich dazu, die Schließfachtür eilig zu schließen.
Dabei flog jedoch ein Stück Papier heraus, das von einem Collegeblock stammte.
Ein wenig hektisch hob ich das Blatt auf und wollte es bereits wieder in das Schließfach schieben, als ich bemerkte, dass der Zettel adressiert war.
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
An meinen mich im Stillen bewundernden Verehrer.
Yeonjun hatte einen Brief geschrieben.
Und dieser Brief war an mich adressiert!
Panisch blickte ich mich im gesamten Flur herum, doch ich entdeckte nirgends meinen Kirschblütenjungen, vor dem ich in diesem Moment so viel Angst hatte wie noch nie zuvor.
Fast schon krampfartig umklammerte ich Yeonjuns Brief und flüchtete aus den Schulfluren in die Bibliothek. Die Ruhe, die mich dort mit offenen Armen empfing, beruhigte meinen hektischen Herzschlag enorm.
Leise setzte ich mich zwischen zwei Bücherregalen auf den Boden und lehnte mich an die Heizung an der Wand. Sie spendete meinem Rücken Wärme und verlieh mir neuen Mut.
Tief atmete ich durch, bevor ich mit zitternden Händen Yeonjuns Brief öffnete.
Ähm... Hallo.
Ich weiß gar nicht so richtig, wie und wo ich anfangen soll. Ich habe so etwas noch nie gemacht und ich bin nicht annähernd so geschickt mit Worten wie du.
Mein Herz flatterte auf.
Er hatte mir ein Kompliment gemacht.
Jedenfalls... In erster Linie wollte ich mich bedanken. Für all diese Briefe.
Als mir zum ersten Mal ein Brief entgegenflog, als ich mein Schließfach öffnete, konnte ich es kaum fassen. Ich hielt es für einen fiesen Streich, den mir jemand spielte, doch als dann der zweite Brief kam, und der dritte und der vierte und all die Briefe danach, verstand ich, dass das jemand ernst meinte.
Und auf einmal sah ich diese Briefe mit ganz anderen Augen.
Die Art und Weise, wie du so federleicht mit Wörtern und Metaphern spielst, bewundere ich zutiefst. Und der Fakt, dass sie alle nur für mich gelten, berührt mich auf eine Weise, wie ich es noch nie zuvor gespürt hab.
All diese Briefe bringen mich immer zum Lächeln. Ich lese sie durch, wenn ich mal wieder down bin oder jemand mich und meine Entscheidungen kritisiert, wenn ich mal wieder aus der Norm trete.
Sie machen mir klar, dass es jemanden dort draußen gibt, der mich für den sieht, der ich bin. Der mich nicht kritisiert, der mich nicht verurteilt.
Sondern mich bewundert. Mich liebt für den, den ich nunmal bin.
Aber du willst dich einfach nicht offenbaren. Dich mir nicht zeigen.
Dabei will ich dich so unbedingt kennenlernen! Wissen, wer diese bewundernswerte Person ist, die mir ständig diese wundervollen Briefe schreibt!
Ich habe oft darüber nachgedacht, dir aufzulauern. Darauf zu warten, wer sich meinem Schließfach nähert und all diese Briefe darin hinterlässt.
Doch es kam mir irgendwie falsch vor, es auf diese Weise herauszufinden. Ich wollte, dass du dich mir freiwillig zeigst.
Dann kam mir die Idee.
Wieso dir nicht auch einfach einen Brief schreiben?
Auf die gleiche Weise antworten, wie du mit mir kommunizierst. Du würdest mit Sicherheit diesen Brief hier finden und sehen, dass er an dich adressiert ist.
Denn du verdienst deinen ganz eigenen Brief.
Und vielleicht, ganz vielleicht, traust du dich danach ja, mir gegenüber zu treten.
Am Freitag warte ich nach der Schule unter dem Kirschbaum in der Nähe vom Schultor.
Ich erwarte nicht, dass du dich mir zeigst, aber es würde mich freuen, nicht nur per Tinte und Papier mit dir zu kommunizieren. Sondern direkt, von Person zu Person.
Ich will dich kennenlernen.
[...]
Nervös tigerte ich vor meinem Klassenzimmer herum.
Die Schulflure waren leer und verlassen, die lebhafte Schülermenge, die sie normalerweise füllten, wurde ins Wochenende entlassen. Kein Schüler war mehr noch im Gebäude, außer ich.
Ich hielt fest umklammert in meiner Hand Yeonjuns Brief.
Es ist ein paar Tage her, seitdem ich ihn gelesen hatte und es ist auch ein paar Tage her, dass ich das letzte Mal so richtig ein Auge zugedrückt bekommen hab. Ich war einfach viel zu aufgeregt.
Meine Gefühlswelt ist nach dem Lesen des Briefs in ein völliges Chaos gestürzt.
Nie in meinem Leben hätte ich jemals erwartet, dass Yeonjun mir mit einem Brief antworten würde. Und niemals hätte ich dessen Inhalt erwartet.
Es war inzwischen Freitag und schon weit nach Schulschluss, aber ich traute mich einfach nicht aus dem Schulgebäude.
Ins Freie zu treten, Richtung Schultor, wo meine Blicke jedoch keines Falls den Kirschbaum ignorieren konnten, unter dem Yeonjun möglicherweise wartete.
Ich hielt seine Antwort zur Hälfte ja eh für einen Witz. Es passte einfach nicht in meinen Kopf, dass Yeonjun mich ernsthaft kennenlernen wollte. Das war nichts als eine Traumvorstellung; zu schön, um wahr zu sein.
Doch es nagte Hoffnung an meinem Herzen.
Hoffnung, dass das alles doch kein Witz war und Yeonjun tatsächlich unter diesem Kirschbaum auf mich wartete.
Ich hielt inne.
Dann klatschte ich mir fest mit meinen Händen auf die Wangen. Tief atmete ich durch.
Okay, komm schon, Soobin. Du kannst es eh nicht wissen, wenn du nicht nachschaust, und irgendwann musst du schließlich nach Hause, da kommst du nicht drum herum. Stell dich einfach dem, was vor dir liegt. Danach hast du Gewissheit.
Mit zögerlichen Schritten setzte ich mich in Bewegung, in Richtung Ausgang. Das Sonnenlicht von draußen schien hell durch die Glastüren herein.
Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich ins Licht trat und kurz darauf ins Freie.
Unwillkürlich glitt mein Blick sofort zu dem Kirschbaum, von dem Yeonjun in seinem Brief gesprochen hatte.
Es war Frühlingsanfang, die ersten seiner Knospen waren dabei zu blühen.
Und da stand er tatsächlich.
Unter diesem zarten Baum stand der zarte Junge, dessen Haarfarbe mit der der ersten Blüten des Baumes konkurrierte. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere, schien nervös zu sein.
Doch als sein Blick meinen kreuzte, hellte sich seine Miene auf.
Mehr unterbewusst als bewusst begann ich, in seine Richtung zu laufen. Ich senkte meinen Kopf, bis ich schließlich vor ihm zum Stehen kam.
Es pochte geräuschvoll in meinen Ohren und ich hätte schwören können, mein Herz würde mir gleich aus der Brust springen, so heftig schlug es.
Yeonjun war tatsächlich hier. Sein Brief war kein Witz. Er hatte wirklich alles ernst gemeint.
Mit zitternder Hand hielt ich dem Kleineren seinen Brief hin, welchen er mir daraufhin abnahm. Ich spürte ein Kribbeln in meinem Bauch, als seine Fingerspitzen dabei meine streiften.
„Also stammen diese Briefe von dir?"
Seine Stimme klang so sanft, so zart, dass ich nicht anders konnte, als aufzusehen. Yeonjuns Augen strahlten solch eine Wärme aus, dass meine Knie fast ein wenig schwach wurden.
Ich nickte zaghaft, brachte kein Wort heraus.
Und dann lächelte er.
Dieses wunderschöne Lächeln, das ich immer nur aus der Ferne betrachten durfte, wenn er mit seinen Freunden lachte. Das Lächeln, das zum ersten Mal mein Herz aufflattern ließ.
„Dein Name ist Soobin, richtig? Aus der Parallelklasse?"
Erneut nickte ich, noch immer viel zu nervös, um etwas über meine Lippen zu bekommen.
Doch als Yeonjun auf einmal meine Hand ergriff und ich seine kleinere, aber viel wärmere Hand in meiner kalten fühlte und wie er seine Finger um meine schloss, fühlte ich mich, als würde ich gleich anfangen zu schweben.
„Ich will dich kennenlernen, Soobin."
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