Chapter 64
James Potter P.o.V.:
Grinsend werfe ich den Apfel in meiner Hand in die Luft. Irgendwo hinter mir, etwa auf Höhe des Zauberkunstkorridors, fällt eine Tür ungehalten ins Schloss und Sekunden später hallt Filchs gehässige Stimme durch die Gänge:"Ich krig dich! Hörst du? Ich krieg dich!" Es folgt eine Tirade aus Beschimpfungen und Androhungen auf Daumenschrauben, doch ich gehe unbeeindruckt raschen Schrittes weiter.
Wieder werfe ich den Apfel und fange ihn geübt. Gut, dass ich ihn mir vorher noch schnell aus der Obstschale im Gemeinschaftsraum genommen habe. So wie ich Filch kenne, wird er in den nächsten Stunden vor dem Gryffindor-Gemeinschaftsraum campieren oder ihn wenigstens genau im Auge behalten. Die Chancen stehen immerhin nicht schlecht, dass ein Rumtreiber der Übeltäter ist, den er sucht.
Mit der festen Absicht, Hagrid auf eine Tasse Tee mit Steinkeksen zu besuchen, biege ich um die nächste Ecke und damit in einen Korridor, von dem ein Geheimgang direkt in die Eingangshalle führt. Doch mein Plan wird durchbrochen. Von einer dicken, gelbäugigen Katze, die auf Hälfte des Ganges Stellung bezogen hat, mit gesträubtem Fell und mich aggressiv anfauchend.
Wie sehr ich dieses Biest hasse! Obwohl mein Hass auf Mrs Norris dem von Sirius noch nicht einmal nahe kommt. Er dreht immer völlig am Rad, wenn diese Katze in der Nähe ist. Nur Peter macht ihm da Konkurrenz, allerdings eher aus Angst.
Achtsam gehe ich den ersten Schritt rückwärts. Die gelben Augen folgen mir. Mrs Norris scheint mir allerdings nur diesen einen kleinen Vorsprung zu gewähren, denn beim zweiten Schritt stößt sie ein Fauchen aus, das so viel Feindseligkeit wie das Brüllen eines Löwens signalisiert. Ich warte nicht, bis das Biest mich in einem Happen auffrisst, sondern mache kehrt und renne den gerade erst zurückgelegten Gang entlang.
Acht Korridore, fünf Geheimgänge, 16 Ecken und vier Treppen später bin ich die staubfarbene Katze des Hausmeisters losgeworden. Ich habe sie zwar schon mit Hilfe des zweiten Geheimganges abgehängt, doch plötzlich stand sie im dritten Stock wieder vor mir und hat mich angriffslustig angefaucht. Sie muss den schweren Wandteppich umgangen sein und dafür den kleinen Umweg an Professor Dumbledores Wasserspeier vorbei genommen haben. Doch es hat mich nicht viel Aufwand gekostet, sie noch einmal abzuschütteln.
Im Moment gehe ich auf jedes Geräusch um mich herum achtend die breite Wendeltreppe hinauf, die ich zum letzten Mal vor mehr als vier Jahren betreten habe. Sie führt zu einem einzigen Raum, hat aber zwei Zugänge, die auf den gegenüberliegenden Seiten des Zimmers sind. Darin befindet sich nicht viel. Ein massiver Konferenztisch mit zehn Stühlen und ein schmales Regal, in dem sich ein paar Schul- und Karriereratgeber stapeln. Ansonsten sind nur noch die hohen Fenster nennenswert, die so viel Licht hereinlassen, dass das Turmzimmer eher ein märchenhafter Wintergarten ist als ein Besprechungszimmer für Vertrauensschüler und Schulsprecher.
Etwas schnaufend schließe ich die schwere Tür hinter mir und lehne mich, um zu Atem zu kommen, dagegen.
"Was willst du, Potter?" Mein Herz scheint vor Überraschung zu stolpern und ich öffne erschrocken die Augen. Lily Evans sitzt völlig vertieft in ein Prachtexemplar von einem Buch am einen Ende des Konferenztisches, die Füße entspannt auf den nächsten Stuhl gelegt. Ihr Haar ist unordentlich zu einem Zopf gebunden. Einige Strähnen haben sich schon auf der Frisur gelöst und umranden jetzt ihr schönes Gesicht. Vor ihr auf dem Tisch steht eine Schachtel Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung, die schon ziemlich leer zu sein scheint. Wenn ihre Augen nicht auf einer Zeile geruht hätten, hätte ich ihr vielleicht geglaubt, dass sie noch immer liest.
"Mit dir abhängen, natürlich.", antworte ich so locker, wie es mir möglich ist. "Wer sagt, dass ich auch mit dir abhängen will?", erwidert Lily. Fragend sieht sie mich an. Ihr Blick ist verschleiert, so als wäre sie noch immer in dem Buch gefangen, das aufgeschlagen in ihren Händen liegt, und um ihre Lippen spielt das Lächeln, das sie nur trägt, wenn sie liest. Während ich auf sie zugehe, werfe ich den Apfel erneut in die Luft. Nur um ihn gekonnt wieder aufzufangen.
Doch Lily kann ich damit nicht beeindrucken. Sie achtet nicht auf meine Angeberei und sieht mir stattdessen in die Augen. Ich mag es, dass sie nicht oberflächlich ist, dass nicht jeder abgedroschene Spruch und jeder unkomische Scherz sie zum Lachen bringt, dass es ihr egal ist, was andere von ihr denken, wenn sie im Unterricht mitarbeitet und sich als Vertrauensschülerin engagiert. Aber vor allem mag ich, dass sie mich ansieht, und sich nicht von der Rumtreiber-Maske täuschen lässt.
Lily kneift die Augen zusammen, als ich ihre Füße einfach vom Stuhl schiebe und mich selbst draufsetze. "Wir wissen beide, dass du im Grunde deines Herzens eine Schwäche für mich hast. Und...", ich lehne mich verschwörerisch vor und senke meine Stimme, "...und dass du weiche Knie kriegst, wenn ich in der Nähe bin." Lily schnaubt und verdreht die Augen, doch ich glaube, einen Funken Zwiespalt in ihrem Blick zu sehen. Ha! Ich wusste es!
"Also", ich lehne mich zurück und wechsle das Thema, indem ich mir Lilys Buch schnappe und es mit mir nehme. Wenn ich weiter auf dem hauchdünnen Eis trample, unter dem Lilys Innerstes, aber auch ihr monstermäsiger Selbstschutz ruht, werde ich sicher einbrechen.
Lily versucht nach ihrem Buch zu greifen, doch ich habe zu lange Arme. Selbst als sie aufsteht hat sie keine Chance, denn ich wechsle immer wieder die Hand. Mit einem tödlichen Blick lässt sie sich, sobald sie sich ihre Niederlage eingesteht, auf ihren Stuhl fallen.
Sie öffnet den Mund und will mir gerade zweifellos etwas patziges an das Kopf werfen, als ein bedrohliches Fauchen vor der Tür ertönt. "Oh, verdammt!" Ich drücke Lily ihr Buch in die Hände und sehe mich hektisch im Raum um.
Der zweite Zugang erscheint mir auf den ersten Blick die simpelste Flucht zu ermöglichen, aber kaum bin ich bei der Tür angekommen, höre ich Filchs siegessicheren Monolog durch das Holz hindurch. "Jetzt hab ich den kleinen Bengel! Dieses Mal kann er niergendwo hin, er ist umstellt. Wenn der Schulleiter mir nur das Auspeitschen nicht verboten hätte! Eine Stunde, und keiner dieser Rumtreiber würde je wieder eine Stinkbombe in die Hand nehmen!"
Vor der anderen Tür, hinter der, durch die ich gekommen bin, steht Mrs Norris Wache, was mich wirklich in eine ausweglose Lage bringt. Die Fenster sind hoch oben und um meinen Besen zu rufen ist es zu spät. "Hier", erklingt plötzlich Lilys leise Stimme. Ich wirble herum. Sie steht vor dem im Moment leeren Porträt eines berühmten Professors aus dem 18. Jahrhundert und tastet am Rahmen entlang, als würde sie einen geheimen Hebel suchen. "Ein Geheimgang? Oh man, und ich dachte schon, ich müsste den Abend damit verbringen, die Kerker zu wischen!"
Rasch trete ich hinter Lily. Augenblicklich steigt mir der blumenartige Duft ihres Haares in die Nase und mein Gehirn scheint sich zu verabschieden. Ich bin so abgelenkt, dass ich gar nicht mitbekomme, wie Lily den Öffnungsmechanismus betätigt, ich höre nur aus weiter Ferne ein knarziges Klicken. Erst als Lily sich umdreht, wobei ihr Zopf meine Brust streift, erwache ich aus meiner kurzzeitigen Starre. "Na los, rein mit dir.", sie nickt in Richtung des schwarzen Lochs in der Wand, das kaum höher als eine Badewanne ist und noch nicht einmal halb so breit.
"Kein Geheimgang?", vermute ich murmelnd, während ich mich zusammenkauere. "Ein Versteck für Alkohol, schätze ich. Die Wände wirken wie eine Art Kühlschrank." Sie schaut beunruhigt zu der Tür, hinter der Filchs Schritte immer lauter werden, und schiebt dann das Porträt wieder an seinen Platz. Was, bei Merlin, ist ein Kühlschrank?
Es klickt und ich habe das sichere Gefühl, dass ich hier ohne Lilys Hilfe nicht wieder rauskomme. Und tatsächlich. Der Rahmen bewegt sich kein Stückchen, als ich mit dem Zeigefinger dagegen drücke und einen Hebel kann ich auf dieser Seite nicht ertasten. Wieso glaube ich, dass Lily es genießen wird, dass ich auf sie angewiesen bin?
Ich sitze im Dunkeln und kann mir nur zusammenreimen, was auf der anderen Seite der Leinwand passiert. Lilys Schritte entfernen sich von meinem Versteck und als Filch die Tür aufreißt und in den Raum gerannt kommt, sitzt sie bereits wieder auf ihrem Platz. Ich kann sie mir bildlich vorstellen, wie sie in ihrem Buch liest, die Füße hochgelegt. Eine Hand zupft an ihrem Zopf herum, wie sie es immer tut, wenn sie liest oder völlig in etwas vertieft ist, und bei Filchs Erscheinen scheinbar ganz erschrocken aufblickt.
"Sie hier?", Filch schauft schwer und öffnet dann die Tür, hinter der Mrs Norris wartet. "Einer der Rumtreiber ist hier vorbeigekommen, nicht wahr? Ist hier durchgerannt, als würde er vom Teufel gejagt, was? Was riechst du, Mrs Norris, meine Süße? War er hier?" Ein Miauen folgt, von dem ich als normaler Mensch leider nicht ableiten kann, ob es ja oder nein bedeutet. "Soso, er war also hier, der Schuft! Folge seiner Spur, meine Süße, er kann nicht weit sein."
"Ähm, Mr Filch?", beginnt Lily mit vorsichtiger Stimme. "Es ist hier keiner vorbeigekommen. In den letzten zwei Stunden war nur ich hier." "Wie? Aber Mrs Norris irrt sich nie." Als Lily das nächste Mal spricht kann ich ein leises Lächeln heraushören. "Nun ja, das hat sie auch vermutlich nicht."
Es raschelt, dann miaut das Biest und Sekunden später ist ein tierisches Schmatzen zu hören. Ein genießerisches Schnurren untermauert Lilys Worte als sie weiterredet:"Sie hat wohl nach Essen gesucht und nicht nach einem der Rumtreiber. Essen ist ja auch viel besser als die, was?" Ähm, danke, schätze ich. Redet sie etwa mit dem Biest? Das Schnurren ändert seine Tonlage, es wird tiefer und ich habe den Verdacht, dass Lily es tatsächlich schafft, Mrs Norris zu streicheln. Mich würde dieses Biest verstümmeln und kastrieren, ehe ich auch nur ihr Fell berühre.
"Gut, dass nicht jeder beim Anblick der Rumtreiber zu sabbern beginnt, Miss Evans. Dieser Bengel hat mein Büro mit einer Stinkbombe verpestet!" Seit wann nennt Filch einen Schüler beim Namen? Normalerweise benutzt er Beschimpfungen oder hält sich nicht länger mit solchen Höflichkeiten auf.
Ohne ein weiteres Wort entfernen sich Filchs schlurfende Schritte und auch Mrs Norris hört auf zu schnurren und tapst aus dem Zimmer. Die Tür fällt ins Schloss und ich kann Lilys erleichtertes Ausatmen hören.
"Und, Potter, ist es gemütlich dort unten?", fragt sie, wobei ihre Stimme immer näher kommt. Doch anstatt mich rauszulassen, setzt sie sich neben dem Porträt an die Wand gelehnt auf den Boden. Ich versuche es mir ein bisschen bequemer zu machen, denn ich habe das Gefühl, Lily genießt es, die Oberhand zu haben. Meinen Kopf lehne ich gegen die kalte Mauer hinter mir und meine Beine stemme ich gegen die gegenüber. "Kann ich nicht behaupten, nein."
"Tja, du wirst aber wohl oder übel dort unten warten müssen, bis ich die Seite gefunden habe, bei der du mich vorhin unterbrochen hast." Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Und wie sie es genießt! "Och, lass dir Zeit, ich hab heute nichts mehr vor.", behaupte ich cool. Ihr zu sagen, dass ich mir die Seitenzahl gemerkt habe, kommt im Moment nicht infrage, immerhin ist dies das zweite einigermaßen normale Gespräch, das Lily und ich führen.
"Willst du mir nicht erzählen, wieso du mir geholfen hast?", frage ich nach ein paar Sekunden Schweigen. "Nein, will ich nicht. Aber du könntest mir erzählen, wieso du Stinkbomben in Filchs Büro wirfst. Was hat er dir getan?"
Ich starre in die Dunkelheit. "Nichts.", sage ich, dabei ziehe ich die Mundwinkel zu einem unechten Grinsen nach oben, weil ich weiß, dass Lily die Veränderung hören wird. Lieber mime ich den coolen Arsch als ihr die Wahrheit zu sagen. "Mir war danach."
Was würde es ihr bringen, zu wissen, dass wir uns für Filch an Vollmonden immer eine Ablenkung ausdenken müssen, damit er nicht auf dem Schlossgelände spazieren geht, wo nicht selten ein beinahe ausgewachsener Werwolf umherstreift? Mit vier äußerst seltsamen tierischen Begleitern, die die Aufgabe haben, den Werwolf und jeden Schlossbewohner vor den verfluchten Krallen zu schützen. Lieber putzt er sein Büro als zu sterben.
Lily schnaubt und ich kann ihr ihre Verabscheuung mir gegenüber nicht übel nehmen. Ich bin ein Idiot. Ein bescheuerter Idiot. "Filch ist nicht so schlimm wie du glaubst, er macht auch nur seinen Job. Und Mrs Norris ist eigentlich ganz süß."
Diesmal bin ich mit Schnauben an der Reihe. "Du bist noch nie vor ihr weggelaufen, oder? Ich schwöre, diese Katze hat Superkräfte, und die in Kombination mit ihrer fiesen Art und den grusigen gelben Augen...", ich stoße einen angeekelten Laut aus. "Als kleiner, niedlicher und unschuldiger Erstklässler hatte ich nicht nur einmal einen Albtraum, in dem dieses Biest mich mit einem Bissen aufgefressen hat."
Lily besitzt tatsächlich die Dreistigkeit auf meine Worte hin zu kichern. Automatisch heben sich meine Mundwinkel. "Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass du jemals keine Streiche gespielt hast! Wann warst du kein Unruhestifter, sondern unschuldig? Wann war das? Im Kindergarten?" Was bei Merlins Bart ist ein Kindergarten?
"Bevor ich nach Hogwarts gekommen bin, war ich ein ziemlich braves Kind." Lily sagt nichts, aber ich kann mir ihren ungläubigen Blick nur zu gut vorstellen. "Okay, in Ordnung, ich war auch davor schon ein kleiner Rumtreiber, aber das war gar nichts zu meinem Vater in seiner Schulzeit. Oh man, du würdest die Geschichten hassen, die er zu erzählen hat."
"Hass ist ein starkes Wort, James. Und ich an deiner Stelle wäre mir nicht so sicher, was meinen Humor angeht. Möglicherweise fand ich zum Beispiel das Schlittschuhfahren im Schloss gar nicht so übel." "War das ein Kompliment? Oh nein, nehmt euch in Acht, Lily Evans hat mir ein Kompliment gemacht! Geht die Welt etwa unter?", sage ich laut. Dabei gestikuliere ich mit den Händen, bevor mir einfällt, dass das nicht nötig, ist, weil mich eh niemand sieht.
"Idiot!", bekomme ich als Antwort. Doch ich höre das Lächeln raus. Eine Zeit lang ist es still. "Es ist Seite 235, falls du sie noch nicht gefunden hast.", verrate ich schließlich. "Weiß ich schon längst. Ich habe in dem Moment auf die Seitenzahl gekuckt, als du zur Tür reinkamst." Sie steht auf und geht zum Tisch. Dann kommt sie wieder zurück und einen Augenblick später höre ich, wie sie beherzt in den Apfel beißt, den ich mir mitgenommen habe. "Ernsthaft?" "Was ernsthaft?", kommt sofort als genuschelte Antwort. "Naja, erstens: Isst du da gerade wirklich meinen Apfel? Und zweitens: Kannst du mich wirklich so gut einschätzen?"
"Nein, ich esse nicht deinen Apfel. Seit dem ersten Bissen ist er meiner. Und ja, ich kann dich ziemlich gut einschätzen. Ich habe mit nichts anderem als Ärger gerechnet, in dem Moment, in dem du zur Tür reinkamst."
Sie kann vielleicht einschätzen, dass ich darauf aus bin, Unruhe zu stiften, aber wie sehr sie mich aus dem Konzept bringt, meinen Bauch mit Schmetterlingen füllt und mein Herz ins Stolpern bringt wird sie nie wissen können.
Das knarzige Klicken ertönt noch einmal und ein dünner Streifen Licht fällt in mein Versteck. Ich schiebe das Porträt ganz auf, stehe aber nicht auf. Lily verdreht Lächelnd die Augen, als ich mich auf dem Rücken um meine eigene Achse drehe, nur den Kopf aus dem Geheimversteck strecke und sie angrinse.
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(Bildquelle: https://data.whicdn.com/images/256121506/superthumb.jpg)
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