Chapter 54
(Bild: Lily)
Lily Evans P.o.V.:
"Alles klar. Dann ist die Planungsphase hiermit beendet!", das ist eindeutig James Potters Stimme, die beunruhigend euphorisch die stille Arbeitsatmösphäre im knapp besetzten Gemeinschaftsraum durchbricht. Unauffällig luge ich hinter meinem Buch, mit dem ich es mir in einen der Sessel vor dem Kamin gemütlich gemacht habe, hervor und mustere die fünf Unruhestifter. Sie stehen in einem Kreis nahe den Fenstern, die Köpfe zusammengesteckt und größtenteils flüsternd. Und als ob das nicht schon verdächtig genug wäre, schauen sich alle Fünf kontinuierlich um, damit auch ja niemand auf die Idee kommt, ihr streng geheimes Gespräch zu belauschen.
Ich will gerade meinen Kopf wieder senken und mich darum bemühen, wieder in dieses Buch einzutauchen, als James Potter plötzlich auf- und mich direkt ansieht. In seinen dunklen Augen, die im Licht des Kaminfeuers wie Lava wirken, tritt sofort ein amüsiertes Funkeln. Verdammt! Seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen.
Ich hebe trotzig den Kopf und erwidere seinen Blick. Ich werde jetzt sicher nicht beschämt und mit roten Wangen den Kopf einziehen und mich unsichtbar machen. Soll er doch wissen, dass ich ihn und seine Freunde gerade angesehen habe. Was ist schon dabei? Ich kann hinsehen, wo ich will!
Allerdings wird das mit dem nicht rot werden schwer, denn ich merke langsam aber sicher, wie meine Wangen heiß werden. Wieso genau, kann ich nicht sagen, aber bestimmt nicht aus Beschämtheit. Möglicherweise aus Wut.
Potter zieht fragend die Brauen in die Höhe, was ich aber nur mit einem Verdrehen der Augen beantworte. Ich sollte wegsehen, den Blick abwenden und mich auf andere Sachen als James Potter konzentrieren. Aber ich kann nicht. Ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, den Blick wieder auf das Buch vor mir zu richten und James Potters Grinsen zu ignorieren und vergessen.
Ein Glück, dass nach ein paar Sekunden Gestarre und provozierendem Gelächle Potter einen Ellbogen in die Rippen bekommt und Black laut ruft:"Ey, es schneit! Das ist ein Zeichen!" Augenblicklich drehen sich sämtliche Anwesenden in Richtung der Fenster. Tatsächlich, es schneit zum ersten Mal in diesem Winter.
Obwohl es bereits Ende Oktober ist und das Schuljahr schon einige Wochen alt ist, kommt es mir ein wenig früh für den ersten Schnee vor. Doch in meinem Bauch breitet sich sofort Vorfreude aus. Ich liebe es, auf dem Großen See Schlittschuh zu fahren und lange Spaziergänge durch den knirschenden Schnee zu unternehmen. Fasziniert folge ich den dicken Schneeflocken, die im Wind tanzen und sich von nichts und niemand aus ihrer Bahn zu reißen lassen scheinen.
"Ähm, ein Zeichen wofür?", fragt Peter mit seiner leisen und piepsigen Stimme nach. "Dafür, dass der Zeitpunkt gekommen ist für...naja, Du-weißt-schon-was." Die Rumtreiber tauschen bedeutungsschwere Blicke aus und fangen dann erneut an zu flüstern, weswegen ich dem Gespräch nicht weiter folgen kann.
Ich will mich gerade meinem Buch widmen, als ich Potters Blick bemerke, der entweder schon wieder oder immer noch auf mir liegt. Ich blinzle ein laar Mal, doch sein Blick bleibt auf mir. Sein Grinsen wird noch ein Stück breiter. Er fährt sich durchs Haar und führt dann seine Hand langsam zu seinem Mund.
Ich würde gerne wegsehen, aber dafür bin ich eindeutig zu neugierig. Potter drückt einen Kuss auf seine Handfläche und pustet diesen dann in meine Richtung. Okay, jetzt werde ich aus Verlegenheit rot.
Einen Moment lang sitze ich mit vollkommen leerem Gehirn nur da, dann hebe ich ebenfalls ganz langsam die Hand. Im Gegensatz zu ihm drücke ich allerdings keinen Kuss drauf. Ich führe den Zeigefinger an die Schläfe und tippe ein paar Mal dagegen. Potters Grinsen wird breiter. Er scheint mir meine Geste nicht übel zu nehmen, im Gegenteil, sie amüsiert ihn.
Seine Augen funkeln spitzbübischer denn je, aber auf einmal finde ich das überhaupt nicht lästig oder kindisch. Eher entwaffnend, fast schon verführerisch. Ich weiß zwar nicht, ob das ernsthafte Flirtversuche von Potter sind oder ob ich nur wieder ein Teil seiner Streiche bin, aber für einen Augenblick lang legt mein Herz wirklich einen kleinen Marathon hin und mein Atem scheint nicht ohne mein Zutun zu funktionierten. Wenn er mich jetzt nach einem Date fragen würde, dann wäre meine Antwort nicht zu 100 Prozent ein nein. Nur zu 80 vielleicht. Oder 75.
Ich reiße mich zusammen und richte meine Augen wieder auf das Buch vor mir. Ich lese die erste Zeile der Seite, bei der ich mir sicher bin, dass ich sie schon gelesen habe, doch kein Wort kommt bei mir an. Die einzelnen Buchstaben wirbeln in meinem Kopf umher, ohne Reihenfolge, ohne Sinn.
Ich zucke erschrocken zusammen, als plötzlich jemand mit gedämpfter, rauer Stimme in mein Ohr raunt:"Ich wünsche dir morgen einen schönen Tag, Lily. Genieß es. Bitte." Ich komme nicht zu einer Antwort - die wohl eine der vielen Fragen in meinem Kopf enthalten hätte - denn der Jemand, der still und leise hinter mich getreten ist, trabt bereits die Stufen in seinen Schlafsaal empor. Während Potter gesprochen hat, habe ich mich keinen Millimeter gerührt, und auch jetzt bin ich noch in einer Art Schockstarre.
Sel lässt sich in den Sessel neben mir fallen und grinst mich an. Das hat die Wirkung einer innerlichen Ohrfeige auf mich. Ich weiß sofort, dass sie Potter gesehen hat und mich gleich mit Fragen durchlöchern wird. Und tatsächlich:"Was war das denn?", das erste Wort zieht sie mit Absicht in die Länge.
Ich zucke bemüht lässig mit den Schultern. "Keine Ahnung. Ich habe es schon lange aufgegeben, James Potter verstehen zu wollen." "Und was hat er dir ins Ohr geflüstert?" Ich zucke mit den Schultern. "Irgendwas von wegen, den morgigen Tag genießen, sonst nichts."
Sel wirkt nicht überrascht, eher so, als hätte sie schon mit so etwas gerechnet. Fragend lege ich den Kopf schief, die Augen zu Schlitze verengt. "Was habt ihr vor?" Sel grinst mich breit an. "Wirst schon sehen."
Am nächsten Morgen habe ich erst gar nicht auf dem Schirm, dass mich heute vermutlich eine gewaltige Überraschung erwarten wird. Weil ich vor dem Frühstück noch in die Eulerei will, um einen Brief an Mum und Dad abzuschicken, stehe ich eine halbe Stunde früher auf als sonst.
Diese kleine Abweichung von meiner Routine lenkt mich so ab, dass ich, während die Gedanken sich in meinem Kopf überschlagen, meinen Rock beim ersten Versuch verkehrtherum anziehe und einen zweiten Anlauf brauche. Ich sehe mich rasch um, um zu sehen, ob mein verpeiltes Verhalten jemand mitbekommen hat. Alle schlafen noch.
Meine Augen verweilen einen Moment lang auf Selena. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so komische Schlafgewohnheiten hat wie meine beste Freundin. Den Kopf unter ihrem Kissen versteckt, sodass lediglich einzelne schwarze Haarsträhnen zu sehen sind, und die Decke nur über ihrem unteren Rücken und ihrem Hintern. Aber das ist nicht das außergewöhnliche. Sie hat die Arme und Beine in alle Richtungen weit von sich gestreckt, womit ihre Hände und Füße über den Rand ihres Bettes reichen und in der Luft hängen. Lächelnd wende ich mich ab. Selena ist eben eine Sache für sich.
Selena hat mir noch am Abend zuvor deutlich klargemacht, dass ich es ja nicht wagen soll, sie vor ihrer üblichen Zeit zu wecken. Sie ist einfach eine überzeugte Langschläferin. Mia dagegen, die aufwacht, als ich gerade den letzten Knopf meiner Bluse schließe, beschließt spontan mich zu begleiten und den Brief endlich abzuschicken, der schon seit einer geschlagenen Woche auf ihrem Nachtschränkchen rumliegt.
Wir machen uns mit unseren Schultaschen über den Schultern ohne Eile auf den Weg, wobei wir immer wenn wir an einem der Schlafsäle vorbeikommen versuchen, nicht allzu laut zu sprechen. Nun ja, Mia versucht es. Ich komme kaum zu Wort. Es scheint so, als hätte sie heute ein ganz besonders großes Redebedürfnis. Geduldig höre ich zu und stoße einige Male einen zustimmenden Laut aus.
Im Gemeinschaftsraum ist es noch vollkommen still, weswegen ich erst denke, dass wir die Einzigen sind. Doch dann ertönt ein dumpfes Murmeln aus Richtung des Kamins. Mia verstummt sofort und wir wechseln einen Blick. Auf leisen Sohlen schleichen wir uns zu dem gryffindorfarbenen Sofa und den Sesseln, die mit dem gleichen Stoff bezogen sind.
Mir reicht ein flüchtiger Blick über die Lehne des Sofas, um Sirius Black und Remus Lupin zu erkennen, die sich, die Füße des jeweils anderen vor dem Gesicht, mit friedlichen Minen im Land der Träume befinden. Sie teilen sich eine Decke, die allerdings im Laufe der Zeit mehr den Boden zudeckt, als die beiden Jungs. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und blicke mich weiter um.
James Potter schläft zusammengekauert im nächsten Sessel. Mit verwuschelten Haaren und einem furchtbar zerknautschten Gesichtsausdruck. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so... zerknittert gesehen. Aber es ist ein niedliches Zerknittert sein, dass muss man ihm lassen. Mia schlägt sich die Hand vor den Mund, um ihr Kichern abzudämpfen.
Doch ich werfe nur einen kurzen Blick zu ihr, denn etwas anderes hat meine Aufmerksamkeit erregt. Es ist Sirius, der vor sich hin murmelt. So leise und unverständlich, dass ich nichts verstehe, weswegen ich gespannt die Ohren spitze, um vielleicht einen Wortfetzen zu verstehen.
"...ähnchen...", er grinst im Schlaf, dann bewegen sich wieder seine Lippen, "...mit Parmesankruste und..." In dem Moment stößt Mia einen heiseren Schrei in hoher Tonlage aus und hüpft ein paar Mal auf der Stelle. Mit dem Finger deutet sie auf den schmalen Durchgang zwischen Sofa und dem tiefen Tisch davor.
Eine große, fette Ratte mit gruselig wässrigen blauen Augen. Ich mache einen Satz nach hinten und schnappe nach Luft. Das Tier starrt uns mit starrem Blick an, so lange, dass ich allmählich nervös werde. Doch dann gibt sie einen kurzen piepsigen Laut von sich und fegt mit wedelndem Schwanz davon.
Ich verliere die Ratte aus den Augen, als sie etwa zwei Meter von mir entfernt ist. Neben den herumstehenden Sesseln und Möbeln macht auch der dunkle, mit Teppichen bedeckte Boden das Verfolgen des dunklen Tieres schwer. Ich atme erleichtert die angehaltene Luft aus und sehe mich nach Mia um. Sie scheint sich auch recht schnell wieder zu fangen.
Wäre ich vor meiner Zeit in Hogwarts einer Ratte begegnet, hätte ich mit garantierter Sicherheit kreischend das Weite gesucht, aber heute, hunderte von Verwandlungs- und Zaubertrankstunden später, bin ich um einiges abgehärteter. Ich versetzte Mia einen sanften Stoß in die Seite. Sie grinst mit beherrschter Mine zurück.
Erst kurz vor dem Porträtloch kommt mir die Frage in den Sinn, die ich mir schon viel früher hätte stellen sollen. Was machen die Rumtreiber - oder immerhin ein Teil von ihnen - so früh - oder eher so spät, da sie noch die Kleidung von gestern tragen - im Gemeinschaftsraum? Wieso haben sie die Nacht auf so unbequemen Möbeln verbracht? Ihre weichen Himmelbetten sind nur ein paar Höhenmeter entfernt.
Doch diese eine Frage, die wird mir nur Sekunden später beantwortet. Oder zumindest lässt der Anblick, der sich mir bietet, einen Zusammenhang vermuten. Ich sehe Schnee. Und Eis. Aber hauptsächlich Schnee, der gemächlich von der staubtrockenen Decke segelt. Mein Mund steht ein Stückchen offen, während meine Augen einer Schneeflocke zu Boden folgen. Ich blinzle und bestätige mir selbst, dass es das Porträtloch ist, durch das ich blicke, kein Fenster.
Sobald der erste Schreck überstanden ist, sehe ich mich genauer um. Die Eis-Schneeschicht ist nur ein paar Zentimeter hoch und an den Wänden reicht sie mir bis zum Bauchnabel. Der Gryffindorgemeinschaftsraum befindet sich ganz am Ende eines langen Korridors, der von Gemälden und Wandteppichen geschmückt ist, und so ist das Bild vor mir einfach nur überwältigend. Eis und Schnee und das alles in Schloss Hogwarts.
Ich tausche einen Blick mit Mia, deren Augen entzückt funkeln. "Wie abgefahren!", quietscht sie, ehe sie durch das Porträtloch steigt und einen Fuß auf das Eis stellt. Ich strecke helfend eine Hand aus, an der sie sich breitwillig festhält. Mutig rutscht sie ein paar Mal auf der Stelle hin und her. Dann sieht sie mich mit einem fragenden Ausdruck in den Augen an. "Wie sollen wir da bloß zum Unterricht kommen?", die Begeisterung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Dann runzelt sie weniger hingerissen die Stirn. "Oder zum Frühstück?"
Ich sehe mich nach einer Antwort suchend um, als würde gleich eine Plakat vor meinen Augen auftauchen, dass mir sagt, was jetzt zu tun ist. Zufälligerweise findet mein Blick tatsächlich ein Pergament am Schwarzen Brett. Ich glaube, neben der Überschrift ein paar skizzierte Schlittschuhe erkennen zu können. Ich bedeute Mia, dass sie wieder zurück in den Gemeinschaftsraum steigen soll und zusammen gehen wir die paar Schritte zu dem neu angebrachten Pergament am Schwarzen Brett.
Guten Morgen Gryffindors!
Wie ihr hoffentlich schon gesehen habe, wartet heute ein ganz besonderer Tag auf euch: Der erste Tag in der gesamten Geschichte Hogwarts überhaupt, an dem sogar im Schloss Schnee fällt und die einmalige Möglichkeit besteht, mit Kufen an den Schuhen durch die Korridore zu fahren.
Wir nennen ihn liebevoll und mit geschwollener Brust den eisiges Hogwarts-Tag und wünschen euch hiermit einen spitzenmäßigen, oberaffengeilen Freitag.
Kleine Randnotiz: Wer gerade keine Kufen zur Hand hat, sollte unbedingt in die Kiste vor sich schauen!
Noch kleinere Randnotiz: Zum Befestigen an den Schuhen einfach affigere benutzen!
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(Bildquelle: https://66.media.tumblr.com/84506c772f61c7fcbae748e5fa5a1048/tumblr_inline_mzjw3bV70B1ry1adw.gif)
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