Chapter 5

(Bild: Grace Parker)


Selena Black P.o.V.:

Ich kann noch immer seinen warmen Körper an meinem spüren, selbst als er schon mehrere Minuten lang verschwunden ist. Mit gemischten Emotionen starre ich auf die Stelle, wo gerade noch sein Kopf war.

Was war das denn? Ein Witz? Ein blöder Streich nach dem Motto Sei nett zu ihr, wenn sie durchdreht und hau dann ab?

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. Verdammt, was habe ich getan? Wenn ich Pech habe - Und das habe ich ganz bestimmt! - weiß morgen ganz Hogwarts von meinem Zusammenbruch. Sirius wird ausrasten wenn er davon erfährt...

Sirius! Oh man, ich habe ganz vergessen, dass Sirius im Gemeinschaftsraum auf mich wartet. Wahrscheinlich tigert er schon seit einer Ewigkeit darin herum und macht damit alle total verrückt.

Ich atme tief durch und bereite mich innerlich auf die kommenden Stunden vor: Das Gespräch mit meinem Bruder, die Nacht in einem Schlafsaal, in dem ich noch nie ohne Grace im Nebenbett geschlafen habe, der morgige Tag.

Jeder kannte Grace und jeder weiß, wer ihre besten Freundinnen waren. Lils und ich werden die gesamten nächsten Wochen im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Die Leute werden hinter vorgehaltener Hand tuscheln und uns neugierige oder mitleidige Blicke zuwerfen, wenn wir vorbeigehen.

Manche von ihnen mögen vielleicht wirklich um Gracie trauern, doch für die meisten ist das nur aufregend und spannend - für uns, Lily, Remus, einige Gryffindors und mich ist es das Schmerzhafteste, was passieren konnte.

Meine Brust scheint vor Schmerz in Flammen zu stehen und der Schock steckt mir tief in den Knochen. Ich hatte zwar die ganze Zugfahrt, um mich auf etwas Schlimmes vorzubereiten, doch auf den Tod der besten Freundin, kann man nicht vorbereitet sein. Niemals.

Und das, was ich vorhin verdrängt habe, mir nicht erlaubt habe zu denken, nämlich dass auch etwas anderes passiert sein könnte, als dass Grace den Zug verpasst hat, trifft mich jetzt, wo ich von ihrem Schicksal weiß, mit voller Wucht.

Seit der Erkenntnis vor einigen Stunden, dass sie nicht im Hogwarts Express ist, habe ich mir eingeredet, dass es für alles eine logische Erklärung gibt, doch auf diese war ich nicht gefasst.

Ich gehe stolpernd die Treppe hinunter und in Richtung des Gryffindor-Gemeinschaftsraumes. Meine Beine scheinen aus Wackelpudding zu sein.

Je näher ich dem Porträt der Fetten Dame komme, desto langsamer gehe ich. Ich will Sirius nicht weiter quälen und vor allem muss ich zu Lils - ich habe sie vorhin einfach mit den Jungs alleine gelassen - doch ich weiß, wie es hinter dem Loch in der Wand aussieht.

Traurige Gesichter, bedrückte Stimmung und diese gänsehauterregenden, mitleidigen Blicke, die mich schon in der Großen Halle getroffen haben.

Die gesamten vergangen zwei Monate hätte ich alles dafür getan, um wieder in Hogwarts zu sein, doch jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass ich die Zeit zurückdrehen könnte. Wie schnell sich unsere Wünsche ändern können...

Heute Morgen habe ich mich auf das Schloss mit den vielen Geheimgängen und sogar auf den Unterricht gefreut. Jetzt kommt es mir hier wie die Hölle auf Erden vor.

Ich bleibe vor der Fetten Dame stehen. Den Impuls umzudrehen und wegzulaufen unterdrückend nenne ich das Passwort ("Portschlüssel") und trete ein.

Zum Glück sind die meisten Schüler schon in ihren Schlafsälen verschwunden. Die, die noch wach sind und sich in den Sesseln vor dem Kamin oder an den Tischen sitzend über die Ferien unterhalten, sehen auf, als ich mit großen Schritten auf die beiden Jungen zugehe, die vor einem großen Fenster, direkt neben der Treppe, die zu den Jungen Schlafsälen hochführt, stehen und sich leise unterhalten.

Sie sind die Einzigen, die mir keine deprimierten Blicke zuwerfen, aber auch nur, weil sie mich noch nicht bemerkt haben. "Wir müssen sie suchen gehen! Ich mache mir Sorgen - und du auch!"

James wirft meinem Bruder einen eindringlichen Blick zu und spricht dann weiter:"Ich würde ja selbst gehen, aber ich habe keine Ahnung, was ich zu ihr sagen soll! Sie ist deine Zwillingsschwester. Nimm meinen Unsichtbarkeitsumhang, dann kannst du auch nach Beginn der Nachtruhe weitersuchen."

Ich bleibe hinter den beiden Rumtreibern stehen, doch sie sind so in ihre - jetzt unsinnige - Diskussion vertieft, dass sie mich nicht bemerken.

Sirius schüttelt nun heftig den Kopf, sodass sein Haar wild durch die Luft fliegt. "Ich habe ihr versprochen, dass ich hier warten werde! Also werde ich hier bleiben und für sie da sein, wenn sie bereit dazu ist.", seine Stimme verliert etwas an Schärfe:"Glaub mir James, ich würde nichts lieber tun, als das ganze Schloss nach ihr abzusuchen, aber Selena braucht jetzt Zeit für sich, ich kenne sie."

Er hat recht, obwohl ich freiwillig in einen Raum voller Menschen gegangen bin, würde ich jetzt nichts lieber tun, als mich in einer ruhigen Ecke des Schlosses zusammenzukauern und meine Freundin zu betrauern.

James bemerkt den entschlossenen Gesichtsausdruck meines Bruders und lässt die Schultern hängen. "Du bist dir sicher?" Ein Nicken von Sirius reicht um James zu überzeugen. "Na gut, dann warten wir eben!"

Ich beschließe, die beiden nicht länger warten zu lassen und sage leise:"Nicht nötig, ich bin schon da."

Beide wirbeln herum, und während James besorgt die Stirn runzelt, breitet sich auf Sirius' Gesicht ein schwaches Grinsen aus: "Sel!"

Auch ich zwinge ein leichtes Lächeln auf meine Lippen, welches wahrscheinlich genauso falsch und gezwungen aussieht wie das von Sirius. James tritt vor und nimmt mich fest in die Arme, fast so als wolle er mich nie wieder loslassen.

Eine Erinnerung an Malfoy's Umarmung steigt in mir auf und ich schiebe sie hastig beiseite. Ich kann jetzt nicht an einen Jungen denken, den ich nicht leiden kann, ich muss mich auf meine Freunde konzentrieren.

Plötzlich kommt es mir selbstsüchtig vor, dass ich vorhin einfach abgehauen bin. Ich habe Lily alleine gelassen und dafür gesorgt, dass Sirius und James sich Sorgen um mich machen, wo sie doch selbst eine Freundin verloren haben.

Über James' Schulter hinweg sehe ich Sirius an, welcher besorgt mein Gesicht mustert. "Nimm es mir nicht übel, aber du siehst schrecklich aus, Schwester.", behauptet Sirius in einem schwachen Versuch mich aufzumuntern.

Aber ich habe das Gefühl, dass ich nie wieder richtig lächeln kann - oder will. Glücklich zu sein scheint unmöglich.

Wieder meiner Erwartung lässt mich der Junge, der für mich fast wie ein Bruder ist, wieder frei und betrachtet mich mit der gleichen Miene wie mein Zwilling. "Ich muss leider anmerken, dass mein bester Freund recht hat, Kleine."

Um die beiden abzulenken frage ich:"Wo ist Lils? Ich muss zu ihr." James sieht zu Boden und murmelt:"Jaa, du solltest mal nach ihr sehen. Remus hat sie vorhin hoch in euren Schlafsaal gebracht...", er stockt. "...doch sie wollte alleine sein."

Sirius fährt für ihn fort:"Remus ist dann auch verschwunden, aber ich denke wir sollten jetzt mal nach ihm schauen?", er sieht zu James, fragend. Dieser nickt.

Die beiden wollen sich schon auf den Weg machen, doch dann dreht Sirius sich noch einmal um:"Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst, Sel? Selbst mitten in der Nacht." Diesmal muss ich tatsächlich ganz leicht lächeln. Sirius ist eben doch nicht so ungeschliffen wie er immer vorgibt zu sein.

Doch sofort kommen in mir Schuldgefühle auf. Wie kann ich lächeln, wenn Gracie nicht mehr am Leben ist?

Schnell, bevor das Lächeln von meinem Gesicht verschwindet, murmle ich ein:"Danke", drehe mich um und sprinte schon fast die Turmtreppe hoch bis ich den Schlafsaal der Fünftklässlerinnen erreicht habe.

Die beiden Jungen lasse ich zurück, noch ehe sie etwas erwidern können. Die Blicke der anderen Gryffindors und die Besorgnis von James und Sirius scheinen alles noch viel schlimmer zu machen.

Megan und Mia schlafen schon, als ich die Türe öffne, weswegen es stockfinster im Zimmer ist. Aus diesem Grund kann ich Lils im ersten Augenblick gar nicht sehen, und ich glaube schon, dass auch sie schon in ihrem Himmelbett oder im Badezimmer verschwunden ist, doch dann ertönt eine Stimme vom Boden her:"Legst du dich zu mir, Sel?"

"Lils", ich keuche erschrocken auf. Aber ich frage sie nicht, was sie da macht. Ich lasse die Türe einen spaltbreit auf, gehe einen Schritt weiter ins den Raum hinein und dann kann ist endlich meine rothaarige beste Freundin sehen.

Lily liegt auf dem Boden zwischen ihrem Bett und dem von Grace, die Arme in beide Richtungen ausgebreitet. Sie hat die Augen geschlossen, ihre Haare liegen durcheinander um ihren Kopf herum auf dem Boden und ein Bilderrahmen liegt auf ihrer Brust, direkt über ihrem Herzen.

Ich weiß genau, welches Bild darin ist - weil wir es alle drei haben. Lils, Gracie und ich haben es geschossen, als wir in unserem dritten Jahr im See schwimmen waren. Es war der letzte Tag vor den Ferien und der wahrscheinlich schönste meines Lebens. Die Stunden voller Freude, Lachen und im Wasser herumtoben sehe ich plötzlich wieder vor mir, als wären sie gestern gewesen.

Ich nicke automatisch, doch da sie mich nicht sehen kann, ergänze ich noch ein leises "Klar Lils" und lege mich neben sie auf den kalten, harten Boden.

Meine Stimme ist kratzig, als ich beginne mich bei Lily zu entschuldigen:"Es tut mir leid das ich abgehauen bin, Lils. Ich hätte nicht einfach verschwinden sollen, son-", weiter spreche ich nicht, denn sie unterbricht mich mit leiser Stimme:"Schon okay, Sel. Ich habe auch Zeit für mich gebraucht um das alles erst einmal zu verstehen."

Für eine ziemlich lange Zeit liegen wir nur da, starren in die Dunkelheit und lauschen unserem und dem tiefen Atem unserer Schlafsaalgenossinnen.

"Ich weiß nicht, wie ich morgen aufstehen soll, wie ich Morgen Frühstücken gehen soll und wie ich jetzt in der Bibliothek Hausaufgaben machen soll. Ohne Grace..."

Ich drehe den Kopf, und sehe trotz dem spärlichen Lichtes wie Tränen über Lils Wangen laufen. Ich würde so gerne etwas sagen, irgendetwas was ihren Schmerz erträglicher machen würde, doch es gibt nichts, was ich beteuern oder beschönigen könnte. Und so nehme ich nur ihre Hand in meine und halte sie ganz fest.


Zwei Wochen später

James Potter P.o.V.:

Die letzten 14 Tage waren für uns alle nicht leicht. Zu unserer Trauer kam die andauernde Anspannung und die Nervosität vor den am Ende des Jahres anstehenden Zaubergrad-Prüfungen.

Selbst Sirius und ich wurden von den Ansprachen der Lehrer in den ersten Unterrichtsstunden des Schuljahres - zu unserer eigenen Überraschung - beunruhigt. Nun ja, ich mehr als Sirius.

Mir wurde mit der Kraft eines heranpreschenden Trolls plötzlich klar, dass wenn ich wirklich ein Auror werden wollte wie meine Eltern es sind, ich einen perfekten Schulabschluss haben muss. Nicht, dass mir das schwerfallen würde, doch diese Erkenntnis war wie ein Schlag in den Magen.

Was uns allerdings beide nicht dazu bringen konnte, Tag und Nacht in der Bibliothek zu sitzen und zu lernen wie Sel und Evans. Der einzige Grund, aus dem Peter, Sirius und ich den Raum voller Bücher betreten, ist, um uns auf unsere Animagi-Verwandlungen vorzubereiten.

Remus weiß davon nichts, denn wenn er es wüsste, würde er versuchen uns aufzuhalten. Zugegeben, auf die Gefängnisstrafe, die darauf liegt, bin ich nicht gerade scharf, doch die muss man nur antreten, wenn man erwischt wird.

Heute Nacht ist wieder Vollmond, was bedeutet, dass Remus sich bereits in ein paar Stunden in einen fast ausgewachsenen Werwolf verwandeln wird. Ich sehe auf meine Armbanduhr. In genau acht Stunden wird der Mond aufgehen - und das setzt Moony schon jetzt zu. Der Junge, der mir gegenüber beim Mittagessen sitzt, ist bleich und hat Augenringe, die dunkler sind als jedes blaue Auge es jemals sein könnte. Wie jeden Monat ist er schwach und kann sich kaum auf den Beinen halten.

Mein Blick gleitet von Remus zu dem leeren Platz zwischen Peter und Sirius. Selenas Platz. Seit Anfang des Schuljahres hat sie wie fast jeden Mittag das Essen ausfallen lassen, sie bleibt lieber im Gemeinschaftsraum oder in der Bibliothek. Sie meidet vor allem den Schlafsaal, den sich die Gryffindor Fünftklässlerinnen so lange mit Grace geteilt haben.

Auf die Frage hin, wieso sie so lange lernt, liest oder Spazieren geht, antwortet sie nur, dass sie doch sowieso nicht schlafen kann. Und dann ist das Gespräch für sie erledigt.

Dass sie nicht isst und schläft sieht man ihr inzwischen an. Sie ist schrecklich dünn geworden und hat fast so große Augenringe wie Remus. Im Moment ist sie wieder einmal in der Bibliothek, und wie immer, wenn Sel nicht beim Essen dabei ist, stochert Sirius nur in seinem Essen herum.

Obwohl der Tod von Grace uns alle getroffen hat, müssen wir jetzt ohne sie weitermachen – das ist uns schmerzlich bewusst. Und dazu gehört auch, ihren Platz in der Gryffindor Quidditchmannschaft neu zu besetzen. Die Auswahlspiele sind für heute Nachmittag angesetzt, noch vor dem Abendessen.

Ich, als Kapitän der Mannschaft, werde alles beaufsichtigen und anleiten. Im Gegensatz zu den letzte Jahren wird heute nur eine Position neu besetzt, die des Jägers.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, weil Evans die große Halle betritt. Sie ist blass und sieht aus, als hätte sie seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen – dennoch, in meinen Augen ist sie wunderschön.

Ich kann weder beschreiben, wieso ich Herzklopfen und schwitzige Hände bekomme, wenn ich sie sehe, noch kann ich sagen, wieso ich mich in ihrer Gegenwart wie ein völliger Idiot benehme.

Und bevor ich mich selbst stoppen kann, habe ich schon den Mund geöffnet, als sie bei uns Rumtreibern vorbeigeht:"Hey Evans. Willst du mit mir nach Hogsmeade gehen?", während ich das sage, fahre ich mir nervös durchs Haar, um sie etwas zu glätten.

Sie bleibt ein paar Meter entfernt stehen, dreht sich um und blickt mich mit funkelnden Augen an:"Nein, Potter, ich habe nicht die geringste Lust auf ein Date mit dir. Wie oft soll ich das noch sagen?" Sie wirbelt herum, sodass ihr feuerrotes Haar wild durch die Luft peitscht und setzt sich neben Mia und Megan.

Dieses Jahr ist sie noch wütender auf mich als sie es sonst immer war. Ich habe keine Ahnung, was in dem Kopf dieser Frau vorgeht!

"Glaubt ihr, es ist ein gutes Zeichen, dass sie mich anschreit?" Sirius und Peter lachen laut auf und sogar Remus lässt kopfschüttelnd ein Lächeln sehen.



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(Bildquelle: https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/originals/91/7b/bd/917bbd4b9b76b38482d216b7e765391f.jpg 

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