Chapter 137

(Bild: Hogwarts bei Nacht)

James Potter P.o.V.:

"Folgen Sie mir."
Während die Erstklässler den Vertrauensschüler nachdackeln und alle anderen schwatzend und mit vollen Bäuchen ebenfalls aus der Großen Halle verschwinden, war Professor McGonagall auf Lily und mich zugeeilt. Jetzt führt sie uns die Marmortreppe hinauf und durch die Gänge, bis sie im sechsten Stock vor einem lampengroßen Wasserspeier auf einem in die Jahre gekommenen Steinsockel zum Stehen kommt.
Sie dreht sich zu uns um und sagt mit ihrer üblichen strengen Miene:"Das Passwort vom letzten Jahr war Dachsbau. Aber vielleicht wollen Sie es demnächst ändern." Sie sieht dabei Lily an und ich habe das Gefühl, dass sich nicht nur Sirius fragt, wer noch ganz bei Sinnen einen Rumtreiber zum Schulsprecher ernennt.

Der Wasserspeier, der bei der Nennung des Passworts erfreut mit dem Kopf genickt hat, hebt einen Flügel, um auf das menschenhohe Ölgemälde hinter sich zu deuten. Es zeigt ein verträumtes junges Mädchen mit einem Blumenkranz in den Haaren und einem weitschwingenden Sommerkleid, das man vielleicht vor 200 Jahren getragen hat.
Sie lächelt und schwingt zur Seite.

Lily tritt in den Durchgang, hält aber noch einmal inne, als McGonagall mit erhobener Stimme das Wort ergreift:"Schon lange gab es keine zwei Schulsprecher aus dem selben Haus mehr.", sie wirft besonders mir einen ihrer strengen Blicke zu, "Ich hoffe, Sie blamieren Gryffindor nicht durch Albernheiten oder vermeidbare Unzulänglichkeiten und arbeiten und wachsen gemeinsam an Ihren Aufgaben. Professor Dumbledore hält große Stücke auf Sie beide." Damit und einem gutmütigen Nicken wünscht sie uns eine erholsame Nacht und einen guten Start ins neue - und letzte - Schuljahr.

Als sie um die nächste Ecke gebogen war, wirft Lily mir mit leuchtenden Augen einen unschlüssigen Blick zu, zuckt dann aber mit den Schultern und rennt mit einem "Erster!" in unsere neuen Räume.
Amüsiert rufe ich ihr nach:"Zu spät. Und ach, keine Eile, die Zimmer sind genau gleich groß. Der einzige Unterschied ist, dass sie gespiegelt sind."
Ich trete in den zwei Meter langen Durchgang, den ich bereits vor vier Jahren einmal durchquert habe, und dann in das fensterreiche Turmzimmer, das schöner ist als ich es in Erinnerung habe.

In der Mitte des Raumes ist eine Wendeltreppe, die zu einer Galerie führt, die den Zugang zu drei Räumen bildet. Zwei Schlafzimmer, vor deren Türen unsere Koffer stehen, und in der Mitte ein Bad.
Der Aufenthaltsraum ist im Grunde eine kleine Wohnung. Links vom Eingang ist eine Küchenzeile in weiß mit einer Obstschale und einer schwarzen Schiefertafel, die Essenswünsche direkt in die Küche sendet. Davor befindet sich eine dazupassende Theke mit Teetassen und einer Porzellankanne. Rechts vom Eingang sind zwei Schreibtische mit jeweils einer Zimmerpflanze und Schreibequipment.
Überall liegen Teppiche, die wenn man genau hinsieht, nicht zusammenpassen, aber da es so viele in den unterschiedlichsten Formen und Farben sind, passt es irgendwie doch wieder.
Es riecht noch ein bisschen nach Zitronen-Putzmittel und nach dem typischen Schloss-Hogwarts-Duft. Ein bisschen altes Holz, Staub und alter Stoff kombiniert mit dem Geruch Hunderter Menschen und frischer Bergluft.

In dem Teil des Turmzimmers, der nur ein Stockwerk hoch ist, verdecken Bücherregale die Wände. Mit dem Kamin in der Mitte als einzige Ausnahme. Ein Sofa, vier Sessel und ein Couchtisch stehen davor, und ich kann mir jetzt schon einen gemütlichen Abend mit meinen Freunden vorstellen. Oder nur mit Lily.
Ich denke zurück an das, was im Zug passiert war, und lege den Kopf grinsend in den Nacken.

"Woher wusstest du das?", kommt es aus dem Zimmer rechts. Schritte nähern sich und ich richte mich eilig wieder auf.
"Kontakte", sage ich nur.
Lily erscheint am Geländer und blickt überrascht auf mich herunter. Ihr Haar ist länger als ich in Erinnerung habe und mir fällt mal wieder auf, wie hübsch sie ist.
"Du warst schon mal hier, oder?", fragt sie, den Kopf ein wenig schiefgelegt.
Ich zucke die Achseln, nicht bereit, mehr Rumtreibergeheimnisse preiszugeben. Hauptsächlich, weil sie das herrlich kirre macht.
Tatsächlich zieht sie einen witzigen Schmollmund und wendet sich mit fliegenden Haaren ab, um das Badezimmer in Augenschein zu nehmen.

Ich kann noch immer nicht glauben, dass ich tatsächlich ein Jahr lang hier mit Lily Evans zusammen leben werde. Es kommt mir vor wie ein Traum.
Die Dusche wird angestellt und ich schließe gequält die Augen.
Bitte, Merlin, bitte lass mich nicht aufwachen!

Das Sofa gibt angenehm nach als ich mich darauf fallen lasse. Die Flammen im Kamin sind wohl schon vor unserer Ankunft entzündet worden, denn es wird nicht mehr lange dauern bis nur noch glühende Kohlen im Rost den Raum erleuchten werden. Es ist bereits zehn Uhr und da der Tag nicht gerade unspektakulär war, lege ich die Füße auf den Couchtisch und lehne mich in die weichen Polster zurück. Lily wird sicher gleich das Bad freigeben...

Blätter rascheln, Geflüster, und dort - hinter dem hohen, schwarzen Metallzaun - bewegt sich etwas. Oder eher jemand. Ein Umhang streift über das sommerliche Gras, so leicht, dass man es fast nicht hören kann.
Gänsehaut stellt sich auf meinen Armen auf. Wenn er es ist?
Doch es ist nicht Voldemort. Es ist auch kein Todesser. Es sind meine Eltern. Mum und Dad. Sie schleichen am Zaun entlang, die Zauberstäbe kampfbereit und sich ständig umsehend.
Ich drehe den Kopf. Malfoy Manor erhebt sich hinter den majestätischen Hecken. Die meisten Fenster sind dunkel, nur hinter einem bewegt sich etwas. Jemand geht raschen Schrittes vorbei. Dann noch jemand, diesmal allerdings eine kleinere Person mit wallendem Haar. Beide Personen haben die Hände erhoben, als wären sie im Streit und als wäre Gestikulation ihre Waffe.
Ich höre die Stimme meiner Mutter auf meiner einen Seite, müsste unter normalen Umständen verstehen, was sie sagt, doch kein Wort kommt bei meinem Gehirn an.
Ein Flüstern aus der anderen Richtung lässt mich herumschrecken. Ein Lichtstrahl und dann berührt etwas weiches und flauschiges meine verkrampften Finger.

Als ich die Augen das nächste Mal öffne, ist sogar schon das Glühen des letzten Brennholzes erloschen. Ich liege schwer atmend und mit Übelkeit im Magen ausgestreckt auf dem Sofa, welches schmal genug ist, dass eine meiner Hände auf dem Boden ruht. Eben diese Hand hat gerade etwas seltsam flauschiges berührt. Wenn ich mich nicht sehr täusche, dann war das sowas wie eine Katze. Oder eine sehr voluminöse Maus. Hoffentlich keine Ratte - die roten Augen versetzen mich jedes Mal wieder in blanke Panik. Eigenartigerweise allerdings nur, wenn ich in Menschengestalt bin.

Auf das Beste hoffend und den seltsamen Traum in die hinterste Ecke meines Gehirns verbannend stemme ich mich in die Polster und greife nach meinem Zauberstab. Mit einem gedachten "Lumus" gebe ich den Blick auf eine mich mit schräg gelegten Kopf anstierende Katze frei.
Ich schrecke zurück und krame in meinem Kopf schon kräftig nach vorgefertigten Ausreden, als mir auffällt, dass ich erstens nichts verbotenes mache und dass das zweitens gar nicht Professor McGonagall ist, die fragend zu mir aufschaut. Missy, wie wir sie heute im Hogwarts Express getauft haben, miaut leise und schmiegt dann den Kopf an mein Knie. Offensichtlich hat sie sich aus Remus' Obhut geschlichen und erkundet im Schutz der Dunkelheit das Schloss.
Mit einem erleichterten Seufzer strecke ich die Hand aus, um Missy unterm Kinn zu kraulen. Sie schnurrt sofort zustimmend.
Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es ziemlich klar, wieso sie ungerne im Rumtreiberschlafsaal übernachtet. Ein Hund, ein Werwolf - der ja über die ein oder andere Ecke mit Hunden verwandt ist - und ein Junge, der nach Ratte riecht, aber viel zu groß für eine ist. Das reine Chaos.

"Na da würde ich auch das Weite suchen.", murmle ich der Katze zu, die ohne Vorwarnung aufs Sofa springt und sich neben mir ausstreckt. Die Beine vom Körper gestreckt, damit ich schön weiter kraulen kann.
"Netter Versuch, aber ich brauch mal frische Luft."
Ein protestierendes Miauen und ein finsterer Blick folgen mir, als ich aufstehe und auf den Ausgang zugehe. Kurz überlege ich, den Tarnumhang mitzunehmen, doch dann fällt mir wieder ein, dass der nicht mehr nötig ist. Ich bin jetzt - von einem Moment auf den anderen - auf die höchste Stufe aufgestiegen, die ein Schüler in Hogwarts erreichen kann. Nur will mir noch immer nicht in den Kopf, wieso. Wieso ich? Heute im Zug war sofort klar, dass ich in diesem Abteil nichts verloren hatte. Ich bin Quidditchspieler, Rumtreiber, ein Schüler mit hervorragenden Schulnoten. Doch ich bin ganz bestimmt kein Schulsprecher.

Noch ein Grund, aus diesen Räumen zu verschwinden. Vielleicht ist mein Bett im Gryffindorturm noch dort. Besser wäre es, denn ich werde mich ganz sicher nicht vor Lily und der ganzen Schule zum Affen machen.
Meine Beine tragen mich selbstständig ein Stockwerk höher. Die frische Luft, die durch die Gänge zieht, tut mir gut. Ich wache vollständig auf und neue Energie übernimmt meinen vom Festessen schweren Körper. Leider werden damit auch meine Gedanken immer lauter und deutlicher.

"Schlafsäle sind eine eigenartige Sache, nicht wahr? Erst wünscht man sich nichts sehnlicher als ein eigenes Zimmer und dann vermisst man doch das stetige Schnarchen des Nebenmannes.", ertönt eine mir nur allzu bekannte Stimme zu meiner rechten. "Es ist spät, Mister Potter."
Aus einem nicht im Geringsten beleuchteten Gang tritt mit einem gutmütigen Lächeln der Schulleiter heraus. Er trägt einen auffällig roten Morgenmantel und einen dazu passenden Hut. Seine Füße stecken einzig in dicken Wollsocken.
"Professor Dumbledore, Sir.", bringe ich mit trockenem Mund heraus. Obwohl ich noch nie von einem Vertrauensschüler und Schulsprecher gehört habe, dem Punkte für das Stören der Nachtruhe abgezogen wurden, ist es ein durchdringend eigenartiges Gefühl, um dieses Uhrzeit plötzlich dem Schulleiter gegenüber zu stehen. Dann fange ich mich wieder und setze ein Grinsen auf:"Möglicherweise habe ich es aus Versehen mit Absicht getan."

Dumbledore hebt die dichten Augenbrauen und sieht den Gang entlang, der eine Abbiegung weiter mit der Fetten Dame endet.
"Ich denke doch, Sie wachen mit vollem Bewusstsein über diese Flure.", sagt Dumbledore mit einem Lächeln, dass ich nicht zuordnen kann. "Doch seien Sie sich einem gleich bewusst, Mister Potter: Als Schulsprecher steht Ihnen das Recht zu, zu jeder Stunde unter allen Umständen auf den Korridoren zugange zu sein. Ohne sich rechtfertigen zu müssen, natürlich."
"Sind Sie verrückt?", rutscht es mir unwillkürlich heraus. "Wie können Sie mir so etwas erlauben? Überhaupt, wie können Sie ausgerechnet mich zum Schulsprecher machen?"
"Sie sind ein vorbildlicher Schüler.", entgegnet Dumbledore mit aufleuchtenden Augen. Als hätte er gehofft, dass sich das Gespräch in diese Richtung bewegt.
"Ich muss öfter Nachsitzen als jeder andere hier."
"Das ist nicht, was ich meinte, James, es geht nicht um Ihre Schulakte, es geht um Ihre Einstellung."
"Ich habe auch die schlechteste Einstellung hier, Professor. Bei allem Respekt, Sir, ich bin nicht der Richtige für den Job."
Dumbledores Blick wandert von einem Gemälde zum nächsten, bis er mir schließlich direkt in die Augen schaut. "Denken Sie das wirklich, James? Ich habe Sie noch vor Ihrer Zeit in Hogwarts kennengelernt. Ich kenne Ihre Eltern. Und ich glaube aus tiefster Überzeugung, keinen Moment lang, dass Sie dem Amt des Schülersprechers nicht würdig sind."
"Haben Sie mich deswegen ernannt? Wegen meinen Eltern? Weil Sie sie auf eine Mission nach der anderen schicken und sich wegen mir schuldig fühlen?" Ich erwidere den Blick des Schulleiters ohne Scham oder Gnade. Füge allerdings noch ein "Sir" hinzu.
"Keinesfalls.", sagt Dumbledore nur. Er lächelt und wendet den Blick ab. Allerdings habe ich nicht das Gefühl, damit ein Blickduell gewonnen zu habe.

Für einen Moment kehrt Stille ein.
"Geht es ihnen gut?", frage ich schließlich, den Blick starr auf den Boden vor mir gerichtet. Das Licht meines Zauberstabes spielt mit den Mustern des Teppichs, und nur so zum Spaß drehe ich meine Hand leicht hin und her.
"Sie leben, James, mich hat heute ein Brief von ihnen erreicht. Ich bin zuversichtlich, dass sie spätestens an Thanksgiving wieder in Großbritannien sein werden."
Die Erleichterung, die mich bei seinen ersten Worten durchströmt hat, wird von der Verwirrung über die letzten abgelöst. "Sie sind im Ausland?"
"In der Tat."
"Ist vermutlich das Beste gerade, oder? Bei all dem, was hier passiert."
"Wenn sie zurückkehren, wird eine sichere Unterkunft für sie bereitstehen. Der Orden wird sie mit aller Macht beschützen."
"Ich weiß. Und nur fürs Protokoll, Professor", ich hebe den Blick, "Sie müssen sich keine Sekunde lang schuldig fühlen, weil meine Eltern mit Ihnen in den Krieg ziehen. Das war allein ihre Entscheidung."

Dumbledores blaue Röntgenaugen mustern mich. "Und Sie fragen sich, wieso Sie neben Miss Evans dieses Abzeichen tragen." Er lächelt. Ich dagegen kann das überhaupt nicht nachvollziehen.
"Lily hat es hundert Mal mehr verdient."
"Nicht nur immer anständiges Benehmen und Fleiß sollten in einer Gesellschaft belohnt und vor allem geachtet werden. Ein gutes Herz ist erheblich mehr wert."
"Und wieso machen Sie dann Leute wie Malfoy zu Vertrauensschüler?"
Dumbledores Lächeln wird breiter und seine Augen leuchten auf als wäre das eine Frage nach seinem Geschmack. "Jeder verdient eine Chance. Und nicht zu selten zahlt sich meine Gutgläubigkeit aus, wenn ich das so sagen darf.", etwas Abschließendes liegt in seinen Worten. Er richtet sich auf, noch immer dieses zufriedene Lächeln hinter dem Bart versteckt.
"Aber er ist... Er wird gerade zum Todesser!"
Dumbledores Gesicht verfinstert sich. "Ich befürchte, diesem Problem werden wir uns bald annehmen müssen. Nicht mehr lange und Todesser werden auf der ganzen Welt um jede Ecke krabbeln."
"Was kann man dagegen tun?"
Dumbledore sieht mich an, als wüsste er, dass ich fast gefragt hätte, was ich dagegen tun kann. "Ihre Eltern sind erwachsen, James, Sie sind ein Schüler an dieser Schule und kein Krieger in einem Krieg. Sie können Miss Evans zeigen, dass Sie sehr wohl das Zeug zum Schülersprecher haben. Das würde mir schon reichen."
"Aber-"
"Es ist spät. Sie wollen doch am Morgen nicht ermüdet zum Unterricht erscheinen, oder? Ich wünsche eine erholsame Nacht." Damit dreht er sich um und entfernt sich um genau zwei Schritte. "Ach, und wenn ich eine Empfehlung aussprechen darf: Zum Schulsprecher werden Sie am schnellsten in den richtigen Schlafgemächern. Gute Nacht."

Zurück in den Räumen der Schulsprecher steige ich die Wendeltreppe hinauf und kurzerhand unter die Dusche. Der Albtraum hat mich auch körperlich mitgenommen und wach bin ich sowieso.
Beim Verlassen des Badezimmers höre ich im Gemeinschaftsraum eine Bewegung und beim Spähen über das Geländer sehe ich Lily in einem der Sessel sitzen, ein Buch in der einen Hand, den erleuchteten Zauberstab in der anderen. Sie hat die Beine angezogen und den Kopf gegen die Seitenlehne des Ohrensessels gelegt, als wäre sie müde. 
Ich dachte, sie wäre schon lange im Bett, doch als ich auf die Uhr schaue, merke ich, dass es erst kurz nach elf Uhr ist.

Mit einem Grinsen fahre ich mir durch die nassen Haare und rücke meinen Pullover zurecht, ehe ich die Wendeltreppe hinabsteige.

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(Bildquelle: https://malasepanelas.com/wp-content/uploads/2017/12/atra%C3%A7%C3%B5es-universal-orlando-12.jpg)

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