Chapter 116
(Bild: James)
Lily Evans P.o.V.:
Als ich eine Stunde nachdem James auf mein Bitten hin das Badezimmer verlassen hat, aus der Badewanne steige, fühle ich mich eindeutig besser. Diese Zeit zum Nachdenken, zum Gedanken schweifen lassen habe ich gebraucht. Ich konnte die letzten Geschehnisse Revue passieren lassen und mich sammeln.
Die letzten Stunden zählen nicht gerade zu meinen Sternstunden. All die Tränen, die Hilfe, die ich ausgerechnet von James Potter brauchte.
Ich schlinge mir eines der flauschigen weichen Handtücher um den Körper und stecke es fest. Dann beuge ich mich kopfüber und wickle die Haare in einen Turban.
Nachdenklich betrachte ich mich im Spiegel über dem Waschbecken, der, als ich das Badewasser einlaufen lies, zur Gänze beschlug, jetzt aber wieder fast vollständig klar ist.
Ich sehe mitgenommen aus, trotz der letzten entspannenden Stunde. Meine Augen wirken klein, müde, meine Schultern noch immer verspannt und steif. Außerdem ist meine Haut schrumplig vom langen Baden.
Wie immer sind es einzig meine Lippen, die mir an mir selbst gefallen. Meine Haare sind zu wellig und zu rot, meine Wangen zu rund. Selenas Wangenknochen sind im Gegensatz zu meinen einfach nur elegant. Meine sind kaum sichtbar.
Ich fahre mir über die Wangen und straffe dabei meine Haut. Dann seufze ich und betrachte meine Nase. Noch so ein wunder Punkt. Und dann wäre da noch mein restlicher Körper. Ich ziehe eine Schnute, als ich meine kleinen Brüste betrachte.
Jemand klopft an die Badtür.
"Lily?" Es ist Sirius. "Selena kommt bald und wir würden Mittagessen kochen. Hast du irgendwelche Vorschläge oder Wünsche?", bevor ich antworten kann, fügt er noch hinzu:"Oder Allergien?"
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Wie konnte ich diese Jungs jemals für arrogant halten? Oder für chauvinistisch?
"Solange keine Erdnüsse drin sind, ist alles gut. Danke, dass du fragst.", antworte ich, obwohl ich keinen Hunger habe.
"Okay. Ach und", Sirius verstummt für einen Sekundenbruchteil und irgendwie weiß ich, dass er es tut, weil er grinst, "James und ich sind unten, du kannst also unbesorgt in Selenas Zimmer huschen, um dir was zum anziehen zu holen.", damit verschwindet der grobe, schwarze Umriss vor dem milchigen Glas der Badtür.
Ich atme erleichtert aus, muss aber lächeln, weil er seit der Nacht, die wir im Gryffindor-Gemeinschaftsraum mit Schachspielen verbracht haben, viel netter geworden ist. Irgendwie wurde er zu einem Freund.
Das ich mich mit Sirius Black anfreunden würde, hätte ich für mehr als fünf Jahre für vollkommen unmöglich gehalten.
Eilig nehme ich den Turban ab und kämme ich mir die Haare. Ehe ich nur mit dem Nötigsten bekleidet, meiner mit einem Zauber wieder frischen Unterwäsche und dem Handtuch, den Kopf aus der Tür stecke.
Ob Freunde oder nicht, die Rumtreiber bleiben die Rumtreiber.
Doch der Flur ist leer, genau wie Sirius gesagt hat.
Ich war noch nie zuvor bei Selena zu Besuch, weswegen ich keine Ahnung habe, wo ihr Zimmer ist. Doch da ich James' Zimmer schon kenne und fast alle Türen ein Stückweit offenstehen, kann ich schnell das von Sirius ausmachen. Es bleiben nur drei weitere Türen zur Wahl. Vermutlich das Zimmer von Mr und Mrs Potter und ein Arbeits- oder Gästezimmer.
Die nächste Tür, die ich vorsichtig öffne, führt zu einem Raum, der zwar ein schmales Bett beinhaltet, aber sonst auch nicht viel mehr. Zwar eine Kommode, doch keine persönlichen Sachen. Also ein Gästezimmer.
Beim nächsten Raum habe ich Glück. Ich erkenne bereits auf den ersten Blick die Fotografie von Sel, Grace und mir, die am großen See in Hogwarts aufgenommen wurde, und die auf dem Nachttisch des Zimmers steht.
Schnell husche ich in den Raum und schließe ich die Tür hinter mir.
Eine Bewegung aus dem Augenwinkel lässt mich herumwirbeln und plötzlich steht mir James gegenüber. Er steht vor einem Wandschrank und trägt ein paar gefaltete Klamotten in den Händen. Seine geweiteten Augen wandern einmal über mich und verweilen eindeutig zu lange auf dem Handtuchsaum, unter dem sich meine Brüste befinden.
Ich ziehe das Handtuch enger, was im Nachhinein vielleicht nicht die beste Idee war, aber James dazu bringt, aufzusehen.
"Hat Sirius nicht...", stottert er mit rauer Stimme. Er räuspert sich. "Er sollte dir sagen, dass ich was vor die Badtür lege."
"Nun", meine ich beinahe amüsiert. Aber nur beinahe. Der andere Teil ist gewillt, Sirius einen Flederwichtfluch auf den Hals zu jagen. "Er sagte, dass ihr beide unten seid."
"Idiot!", flüstert James noch immer mit diesem rauen Unterton. Einen Moment lang sehen wir uns einfach nur an. Dann grinst er kurz, drückt mir die Kleidung, die er bereits rausgesucht hat, in die Hand und ist schneller aus dem Raum als ich schauen kann.
Die Anspannung fällt von mir und ich starre mindestens eine Minute lang auf die nun wieder geschlossene Zimmertür. Wo war der Anmachspruch, von dem James sonst immer einen auf den Lippen hat? Dass er gestern und heute morgen nichts gesagt hat, obwohl wir uns mehr als nur nah gekommen waren, ist ja verständlich, aber in einer solchen Situation?
Was ist mit James Potter passiert? Dem Jungen, der mich seit Jahren um Dates bittet und mich so häufig ohne Hemmungen anmacht, dass er schon mehrmals über die Grenze zur Aufdringlichkeit geschlittert ist?
Vielleicht ist er außerhalb Hogwarts anders? Immerhin sind wir im Haus seiner Eltern. Seiner total anständigen und prinzipientreuen Eltern.
Wo sind die eigentlich? Jeder andere hätte als erstes seine Eltern gerufen, wenn eine traumatisierte und blutende Mitschülerin plötzlich auf der Terrasse steht. Meine Gedanken schweifen ab zu einem Gespräch, das Sel und ich mal geführt haben. Sie hat es damals ziemlich belastet, dass Fleamont und Euphemia ständig weggerufen werden können und dass man nie weiß, ob sie lebend oder überhaupt wieder zurückkommen.
Mich selbst verfluchend kneife ich die Augen zusammen. Was bin ich nur für eine absolut dumme Kuh!
Ich musste mich ausgerechnet in James Potters Arme werfen, dem Jungen, der jeden Tag mit dem gefährlichen Aurorenleben seiner Eltern konfrontiert wird.
Ich drehe mich zögerlich wieder in den Raum, doch die Gedanken wirbeln trotzdem weiter in meinem Kopf umher wie Schneeflocken in einem Sturm.
Wo die Potters wohl gerade sind? Auf einer Mission?
Wann werden sie zurückkommen? Kann James Kontakt zu ihnen aufnehmen, um zu erfahren, ob es ihnen gut geht?
Wie muss es sich anfühlen, jeden Tag Todesangst um seine Eltern zu haben? Wie kann James das aushalten?
Mit Scherzen, meint eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf. Mit Streichen und einer großen Klappe.
Ich habe das Gefühl, James Potter gerade ein ganzes Stück besser kennengelernt zu haben. Und dabei ist er gar nicht mehr im Raum. Doch allein schon in seinem Zuhause zu sein, deckt Abgründe auf, von denen ich niemals vermutet hätte, dass er sie besitzt.
Ich entdecke ein sich bewegendes Bild auf der Kommode neben dem ungemachten Bett. Ein Christbaum ist im Hintergrund zu sehen, an dem Fleamont gerade rote und silberne Kugeln hängt. Sel, James und Sirius sitzen auf dem Sofa, so eng, dass es wie ein großes Knäul aus Arme und Beinen aussieht. Die drei sehen Sirius dabei zu, wie er ein Sofakissen in Fleamonts Richtung wirft, ihn aber um einen ganzen Meter verfehlt. Dabei lachen sie alle und selbst vom anderen Ende des Raumes aus, kann ich die leuchtenden Augen sämtlicher Beteiligten sehen.
Als ich zehn Minuten später in die Küche komme, hat sich etwas verändert. Schon beim Vorbeigehen am Wohnzimmer ist mir eine Veränderung aufgefallen, aber erst als ich den abgeräumten und neu gedeckten Esstisch sehe, macht es bei mir Klick. Es ist sauberer. Richtig aufgeräumt.
James und Sirius, die am Herd stehen und über die Würzung der Tomatensauce streiten, drehen sich sofort um, als ich frage, ob sie aufgeräumt haben.
Sirius schnaubt. "Wir? Aufgeräumt? Klar!", er verdreht die Augen und wendet sich wieder dem Herd zu. James begegnet meinem Blick und für den Moment sieht keiner von uns weg.
Die Haustür geht mit einem Klicken auf und Sirius hüpft aufgeregt auf und ab.
"James. Wirf die Nudeln in den Kessel, sie ist zu früh!"
Verwirrt über diesen Satz suche ich die Küchentheke ab. Da steht tatsächlich ein Kessel. Und anscheinend ist es im Haushalt Potter auch durchaus üblich, darin Nudeln zu machen.
Manchmal sind Zauberer schon echt seltsam.
"Oh, ich kann die Sissy-Spezial-Tomatensauce riechen! Yes, der Tag ist gerettet!", erklingt Sels Stimme aus dem Eingangsbereich. Sie wird immer lauter und im nächsten Augenblick steht sie im Türrahmen. Sie trägt einen dunklen ordentlichen Umhang, der sie erwachsen wirken lässt und ihre Haare sind sorgsam zusammengebunden.
Als sie mich sieht, weiten sich ihre hellen Augen. Im nächsten Moment wirft sie sich in meine Arme, um mich fest zu drücken. "Lils!", ruft sie mir ins Ohr und ich verziehe lächelnd den Mund. "Was machst du denn hier? Und trägst du meine Sachen?", sie löst sich von mir, um das schlichte weiße Shirt zu betrachten, das aus ihrem Kleiderschrank stammt.
"Ja", sage ich langgezogen. "Das ist deins." Bevor ich weitersprechen kann, wird Sel von Sirius zum Esstisch geschoben und von ihm auf den nächsten Stuhl gedrückt.
"Es ist viel passiert gestern Abend.", meint er. Denkt er etwa, dass ich zu labil bin, um mit meiner besten Freundin zu reden? Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu und er hält in seiner Bewegung inne. "Aber Lily wird dir das alles anscheinend gleich erzählen.", fährt er fort.
Sel sieht mich vollkommen verwirrt an. "Gestern Abend? Seit wann bist du denn hier?"
Ich zucke irgendwie schuldbewusst die Schultern. "Mitternacht?", antworte ich fragend. James, der in Sels Rücken an der Wand lehnt, nickt.
"Mitternacht?", ruft Sel entsetzt. "Wieso wusste ich davon nichts?" Sie wendet sich ihren Brüdern zu.
Beide ziehen die Köpfe ein, und während James plötzlich ganz angestrengt im Kessel rührt, zuckt Sirius die Schultern.
"Dir gings nicht gut. James hat gesagt, dass er dich nicht wecken wollte.", meint Sirius.
"Ich hab ihm gesagt, dass er das nicht braucht.", weil Sel so verwirrt zwischen uns drei hin und her schaut, füge ich noch ein "Kleine Saufnase" hinzu.
Sie legt den Kopf schief und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. "Haha.", meint sie trocken. Sie sieht unglücklich aus.
"Wo ist eigentlich Peter?" Sie richtet ihren Blick auf mich. "Wo hast du denn geschlafen, wenn Peter im Gästezimmer war?"
Ich werfe einen hilfesuchenden Blick zu James, der im selben Moment zu mir blickt.
Sirius bellendes Lachen hallt durch die Küche und ich wende hastig den Blick von James schokoladenfarbigen Augen ab.
"Oh", Sel klingt noch verwirrter als vorher.
Im nächsten Moment ist sie aufgesprungen, hat mich bei der Hand gepackt und auf die Terrasse gezogen. Die Tür so schnell hinter uns zugezogen, dass ich nur Sirius "Oh man, jetzt wurde es gerade-" hören kann.
"So", Sel drückt mich auf einen der Gartenstühle, die noch immer um die nun kalte und leere Feuerstelle stehen. Ich glaube, es ist der, auf dem James gestern Abend gesessen hatte. "Jetzt erzählst du mir alles. Von Anfang an ohne Lücken." Ihr Augen zucken zur Terrassentür, durch deren Glas gerade noch zwei Gestalten gespäht haben, wie rasche Bewegungen vermuten lassen. Ein neugieriges Grinsen liegt auf Selenas Lippen.
Meines ist schon längst wieder verschwunden. Jetzt kommt der traurige Teil.
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(Bildquelle: http://www.mens-hairstyle.com/wp-content/uploads/2016/02/Aaron-Johnson-Hair.jpg; Schauspieler: Aaron Johnson)
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