𝐕𝐢𝐞𝐫𝐳𝐞𝐡𝐧
-Basti-
So langsam fand ich es echt etwas beunruhigend, dass Kevin so lange im Flur war. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und versuchte, mich auf den letzten Rest meines Frühstücks zu konzentrieren. Dann stand ich schließlich von meinem Stuhl auf und lief zur Wohnzimmertür. Ich öffnete sie einen Spalt breit und wollte sie prompt wieder zuschlagen. Der Anblick, der sich mir bot tat einfach nur weh: Kevin und Masha standen eng umschlungen im Flur und die kleinere hatte ihre Lippen auf seine gelegt. Und Kevin erwiderte den Kuss. In mir zog sich alles zusammen und mir brannten die Tränen in den Augen. Erst als ich mich räusperte, lösten sich die beiden ruckartig voneinander.
Ich biss mir auf die Lippen. „Tja...ich denke, ich gehe jetzt besser so schnell wie möglich" murmelte ich. Eigentlich wollte ich noch so viel mehr sagen, doch dann wäre meine Stimme vermutlich gebrochen und ich hätte angefangen, haltlos zu heulen. Also ging ich einfach an den beiden vorbei, in Kevins Schlafzimmer, um meine Sachen zusammen zu packen. „Basti, warte!", begann Kevin, doch ich ging gar nicht erst darauf ein. Ich packte meinen Laptop, die paar Klamotten die ich noch draußen liegen hatte und meine Zahnputzsachen ein. Dann lief ich schnurstracks in Kevins Wohnzimmer. Ich ignorierte ihn dabei gekonnt. Gerade wollte ich einfach nicht mit ihm reden. Ich war ihm nicht einmal böse, dass er Mashas Kuss erwidert hatte. Aber ich war unglaublich verletzt. Und deshalb wollte ich erst einmal Abstand zu ihm halten, einfach um nicht noch mehr verletzt zu werden.
„Hast du deine Sachen?", fragte ich Oni. Ich versuchte, stark zu klingen, doch sobald ich redete, zitterte meine Stimme. Der Angesprochene nickte nur und sah mich mitleidig an. Dann nahm er seine Reisetasche und folgte mir in den Flur. „Basti, können wir bitte reden?", bat mich Kevin. Ich schüttelte den Kopf. „Jetzt nicht. Vielleicht in naher Zukunft, aber jetzt gerade kann ich das nicht. Es freut mich, dass ich diese Tage mit dir erleben konnte. Du hast mich echt glücklich gemacht. Aber offensichtlich gehen deine Gefühle wohl doch in eine andere Richtung", erklärte ich meine Gedanken. „Das ist okay. Ich werde irgendwann darüber hinwegsehen können, aber gerade bin ich einfach nur verletzt."
„Bitte, hör mir doch zu!"
Ohne ihn eines Blickes zu würdigen lief ich an ihm vorbei, öffnete die Wohnungstür und zog meine Schuhe an. Nachdem mein kleiner Bruder ebenfalls soweit war atmete ich noch einmal tief durch und schloss dann ohne noch einmal zurück zu sehen die Wohnungstür. Stumm stieg ich die Treppen hinunter.
Bis Oni und ich bei meinem Auto angekommen waren, hatte ich meinen Blick starr auf den Boden gerichtet und versuchte krampfhaft, mich auf diesen zu fokussieren und den Gedankensturm in meinem Kopf zu ignorieren.
Ich legte meine Reisetasche in den Kofferraum, welchen ich anschließend mit nicht gerade wenig Wucht zu schlug, dann öffnete ich die Fahrertür, ließ mich auf meinen Sitz fallen und schlug die Tür wieder zu. Oni setzte sich wie eigentlich immer auf den Beifahrersitz.
Kraftlos ließ ich meinen Kopf gegen das Lenkrad sinken. Wieso hatte ich mir Hoffnungen gemacht, dass das aus mir und Kevin je etwas werden könnte? Ich hätte wissen müssen, dass er mich vermutlich nur als Ablenkung benutzt hatte. Doch jetzt, für ihn alles wieder beim Alten war, konnte er mich fallen lassen.
Ein lautes Schluchzen verließ meine Lippen. Ich hatte Haare nicht bemerkt, dass mir mittlerweile Tränen über die Wangen liefen. Oni strich mir vorsichtig über den Rücken. „Wieso bin ich auf ihn reingefallen? Überhaupt, ich dachte, Masha war so scheiße zu ihm", murmelte ich verzweifelt.
„Ich glaube, er hat tatsächlich ernsthafte Gefühle dich. Vielleicht kann er nicht damit umgehen", überlegte Oni. „Aber...wieso redet er nicht einfach mit mir darüber?"
„Manche Menschen finden es schwer, oder unangenehm, über ihre Gefühle zu reden. Vielleicht hatte er Angst, dich zu verletzen." „Das hat er sowieso", schniefte ich. „Ich weiß. Bitte tu mir nur einen Gefallen und gib dir nicht die Schuld. Du bist auf keinen Fall das Problem", redete Oni beruhigend auf mich ein.
„Danke..."
-Kevin-
„Bitte, hör mir doch zu!", flehte ich, doch Basti hatte andere Pläne. Wieso musste er eigentlich so stur sein? Klar, ich konnte verstehen, dass er verletzt war, aber trotzdem hätte er mir doch wenigstens zwei Minuten Zeit lassen können, um alles zu erklären.
Der jüngere trat einfach an mir vorbei, öffnete die Tür, zog seine Schuhe an und schlug dann hinter sich und seinem kleinen Bruder die Wohnungstür zu.
Ich wusste, dass es rein gar nichts bringen würde, ihm hinterher zu rennen.
„Fuck", flüsterte ich. „Fuck, Fuck, FUCK!" Verzweifelt schlug ich gegen die Tür.
Ich war wütend. Aber nicht mal wirklich auf Masha, sondern auf mich selbst. Wieso konnte ich sie nicht einfach wegstoßen? Klar, ich stand unter Schock, aber ich hätte doch wohl schnell genug reagieren können, um den Kuss zu verhindern.
„Es tut mir leid", flüsterte Masha betreten. „Wieso, Masha? Wieso musstest du mich unbedingt küssen? War das von vornherein dein Ziel? Die nächste Beziehung, die ich zu einem Menschen aufgebaut habe, genauso zu zerstören wie unsere?"
Ich bereute augenblicklich, sie so angeschrien zu haben, denn offensichtlich war sie gerade unglaublich sauer auf sich selbst. „Ich wollte deine Beziehung mit Basti nicht zerstören", sagte sie mit fester Stimme und sah mir in die Augen. „Es war einfach scheiße von mir, so wie vieles anderes, das weiß ich. Ich war einfach so aufgelöst und so froh, dass du mir noch eine zweite Chance gibst, und dann hab ich einfach nicht mehr nachgedacht. Es tut mir leid", entschuldigte sie sich.
„Das ändert trotzdem nichts daran, dass Basti mich jetzt hasst", entgegnete ich. „Er hasst dich nicht. Das könnte er niemals. Wenn du ihn zurückwillst, dann hol ihn jetzt sofort zurück", forderte Masha mich auf.
„Und wie?" „Du rufst ihn jetzt an und bittest ihn, noch einmal umzudrehen. Weit ist Basti ja vermutlich noch nicht gekommen", wies Masha mich an und drückte mir mein Handy in die Hand.
Meine Finger zitterten merkwürdigerweise, als ich durch die Kontakte scrollte und schließlich auf Bastis Nummer tippte. Ich hielt mir das Handy ans Ohr und lauschte dem altbekannten Tuten. Fast rechnete ich damit, dass Basti den Anruf ablehnen oder ignorieren würde, doch tatsächlich hob er nach dem vierten Tuten ab.
„Was willst du?", wollte er wissen. Seine Stimme war kalt und frei von jeglichen Emotionen, aber dennoch konnte ich deutlich heraushören, dass er vorher geweint hatte. „Ich will mit dir reden. Basti, dieser Kuss gerade eben war nicht gewollt...ich hab nicht einmal erwidert. Ich war nur viel zu schockiert, um irgendetwas dagegen zu tun", erklärte ich. „Schockiert? Wieso denn?" „Das sollte dir Mahsa am besten selber erklären, wenn du zurück bist", murmelte ich. „Aha."
„Bitte", flüsterte ich. Wieder traten mir heiße Tränen in die Augen und meine Lippen begannen zu zittern.
„Weißt du was?" Schlussendlich hatte ich Basti wohl doch überredet, wie ich an seiner Stimmlage erkannte. „Ich komme zurück und wir noch mal in Ruhe. Ich kann dir allerdings nicht versprechen, dass ich dir auf Anhieb wieder blind vertrauen kann", seufzte Basti. Mir fiel eine riesige Last vom Herzen. Erleichtert atmete ich auf. „Danke Basti. Ich liebe di-"
Bevor ich zu Ende sprechen konnte, wurde ich von mehreren Geräuschen gleichzeitig unterbrochen.
Ein überraschter Schrei, ein schrilles Reifenquietschen, ein ohrenbetäubender Knall und ein Splittern ertönten. Dann war die Verbindung weg und alles war still.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top