𝐒𝐢𝐞𝐛𝐞𝐧

-Kevin-

Seit ich aufgewacht war -falls ich denn überhaupt wirklich geschlafen hatte- lag ich einfach nur auf meinem Bett herum, nicht in der Lage, oder eher gesagt ohne jegliche Motivation, irgendetwas zu tun. Basti hatte sich seit dem Telefonat gestern nicht mehr gemeldet und er wirkte in seinem Stream gestern komplett anders. Irgendwie so emotionslos. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich bei ihm mit meiner Aktion zwei Tage zuvor komplett verbockt hatte.

Ehrlich gesagt konnte ich es sogar sehr gut verstehen, dass Basti sicherlich ziemlich angepisst auf mich war. Schließlich spielte man nicht einfach so mit Gefühlen. Ich war in dem Moment, als ich für Nachricht geschrieben hatte zwar sturzbetrunken, aber das änderte trotzdem nichts an der Tatsache, dass es absolut unfair war, Basti so eine heftige Nachricht zu schreiben und ihn dann am nächsten Tag auch noch anzulügen. Also dass es eine Lüge war, dass ich nur betrunken war wusste er ja nicht, hoffte ich jedenfalls.

Plötzlich hörte ich mein Handy neben mir vibrieren. Um ehrlich zu sein hatte ich gerade herzlich wenig Lust auf soziale Interaktion jeglicher Art, andererseits war ich mir in Klaren darüber, dass ich mich auch nicht ewig von allen anderen abschotten konnte.
Also griff ich schließlich widerwillig nach meinem Handy und sah nach, wer mir seit gestern alles geschrieben hatte.

87 neue Nachrichten. Die meisten stammten von Tessa, welche sich noch zig mal für ihre dumme Pflicht entschuldigt hatte. Dann waren da einige Nachrichten von Freunden, wieso ich nicht streamte, ob alles in Ordnung sei und so weiter. Und dann waren da die zwei aktuellsten Nachrichten, welche zu meinem Erstaunen von Basti waren.

Hey Kevin
(10:43 Uhr)

Ich weiß, dass ist etwas kurzfristig und eigentlich eine ziemlich dumme Idee, wenn ich jetzt Mal so darüber nachdenke, aber ich komm zu dir.
(10:44 Uhr)

Okay, das war in der Tat verdammt kurzfristig. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich meine Wohnung irgendwie aufräumen sollte, oder mich selber mal wieder etwas herrichten sollte, entschied mich dann jedoch dagegen. Basti kannte mich und meine Unordentlichkeit und noch dazu wusste er, dass Masha und ich Schluss gemacht hatten und ich deswegen ziemlich mitgenommen war. Also zumindest war es das, was ich ihn erzählt hatte. Ich hätte schließlich schlecht sagen können „Hey Basti, eigentlich ist es vordergründig gar nicht die Trennung von meiner Freundin, die mich komplett fertig macht, sondern der Fakt, dass ich schon Ewigkeiten Gefühle für dich habe, aber weiß, dass du sie nicht erwidern wirst, weil du Hetero und in einer glücklichen Beziehung bist."

Also gammelte ich einfach weiter demotiviert auf meinem Bett herum und ließ die Stunden verstreichen. Zwischendurch schaute ich immer mal wieder ein paar TikToks, doch nicht einmal darauf konnte ich mich wirklich konzentrieren. Immer wieder drängten sich die Gedanken an Basti in den Vordergrund.

⁓⁓⁓

Basti nahm meine Hand und ich sah ihm tief in seine grün-blauen Augen. In diesem Moment gab es nur uns zwei und den Wald, in welchem wir uns befanden. Ich wusste nicht, wer die letzten Millimeter als erstes überbrückt hatte, aber in diesem Moment war es mir so egal, denn ich spürte endlich Bastis weiche Lippen auf meinen eigenen. Mein Bauch kribbelte, als würden tausende von Schmetterlingen darin herumflattern und mein Herz pochte so laut, dass Basti es mit Sicherheit hören konnte. Eng umschlungen standen wir da, auf dieser wie verzauberten Waldloch und vergaßen alles um uns herum.
Und dann war da plötzlich ein Geräusch. Ein ziemlich nerviges Geräusch um genauer zu sein.

Ruckartig schreckte ich hoch, als ich das dritte Mal die Klingel meiner Wohnung schrillen hörte. Scheiße, wann war ich bitteschön eingeschlafen? Schnell rannte ich zur Tür und nuschelte ein kurzes „Ich mach dir gleich auf" in die Gegensprechanlage, dann hastete ich ins Bad, um wenigstens nicht mehr wie eine Leiche auszusehen. Ich spritze mir dreimal kaltes Wasser ins Gesicht und kämmte anschließend durch meine komplett verstrubbelten Haare, was jedoch nicht wirklich viel brachte. Ich sah immer noch aus, als wäre ich gerade aus dem Bett gefallen. War ich ja eigentlich auch.

Wenige Augenblicke später drückte ich nun also den Knopf, welche die Haustür öffnete und ich hörte das laute Surfen und wie die Haustür geöffnet wurde. Ich öffnete ebenfalls die Wohnungstür und atmete noch einmal tief durch. „Hey Basti", rief ich, als Basti die letzten Treppenstufen hochkam. Neben ihm konnte ich Oni, seinen jüngeren Bruder erkennen. „Hey Kevin!", begrüßte Basti mich, dann rannte er einfach so auf mich zu, stellte seine Reisetasche auf dem Boden ab und zog mich einfach in eine feste Umarmung. Augenblicklich begannen meine Wangen zu brennen und mein Herz raste. Etwas unschlüssig erwiderte ich die Umarmung und legte meine Arme vorsichtig um Basti. Es tat so gut, Basti endlich wieder persönlich zu treffen, endlich wieder von seinen starken Armen gehalten zu werden, endlich wieder seinen Geruch einzuatmen und endlich wieder sein Gesicht zu sehen.

Ich meinte, von Oni ein kleines „Aaw" zu hören, weshalb ich mich auch schließlich wieder aus der Umarmung löste. „Komm erstmal rein. Ich meine kommt erstmal rein", murmelte ich und trat einen Schritt zur Seite. Basti betrat meine Wohnung und stellte seine Tasche vorerst im Flur ab, sein Bruder tat es ihm gleich.

Ein wenig später saßen wir gemeinsam im Wohnzimmer, auf der Couch. „Wieso bist du eigentlich hierhergekommen?", fragte ich an Basti gewandt. „Weil ich mir Sorgen gemacht habe. Du klangst bei unserem Telefonat gestern so fertig. Kann ich ja auch völlig verstehen, ich meine ich wäre wahrscheinlich auch nicht anders drauf, wenn ich so benutzt geworden wäre. Trotzdem, ich wollte dich einfach nicht alleine lassen, wenn's dir so dreckig geht. Ich weiß, wie du tickst, wenn es dir scheiße geht und ich will nicht, dass du irgendwas dummes machst."
Oh Basti, wenn du nur wüsstest, dass du der andere große Faktor für meine Aktuelle mentale Verfassung bist...

„Danke", sagte ich leise und schlang meine Arme einfach um Basti. Ich vergrub mein Gesicht einfach in seinem T-Shirt und drückte mich eng an ihn. Ich genoss die Wärme und das Gefühl von Geborgenheit, das Basti mir gab, auch wenn ich im selben Moment Angst hatte, dass er über meine Gefühle zu ihm Bescheid wusste.

„Erdrück meinen Bruder nicht", holte mich die Stimme von Bastian kleinem Bruder zurück in die Realität. Hatte ich mich echt so stark an ihn geklammert?
Ich entfernte mich ein Stück von Basti und sah ihn unschlüssig an. „Was machen wir jetzt?", wollte ich wissen. Mein Gegenüber zuckte nur mir den Schultern. „Ich muss mir noch überlegen, wie ich das mit dem Streamen heute Abend machen soll. Lang wird der Stream auf jeden Fall nicht werden und Minecraft wird es ziemlich sicher auch nicht geben" überlegte Basti. „Ich hab ja noch nicht einmal eine Erklärung, warum die nächsten Tage alles so provisorisch ablaufen wird", bemerkte Basti.
Ich klatscht in die Hande. Fragend sah mich Basti an. „Wir denken uns jetzt einfach gemeinsam ne Story für heute Abend aus", beschloss ich.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top