𝐃𝐫𝐞𝐢𝐳𝐞𝐡𝐧

-Kevin-

Ich fror am ganzen Körper, obwohl es eine laue Sommernacht war. Ich hatte Angst, obwohl alles gut war und nichts an der Situation bedrohlich wirkte. Ich saß mit Basti gemeinsam auf dem Ast eines Baumes, etwa fünf Meter über dem Boden, und wir betrachteten gemeinsam den völlig wolkenlosen Sternenhimmel. Ich hatte meinen Kopf an die Schulter des größeren gelehnt und versuchte, diese Angstgefühle auszublenden, und einfach den Moment zu genießen. „Kevin, da ist eine Sternschnuppe!", rief Basti aufgeregt. „Sagst du mir jetzt, was du dir wünschst?", fragte ich ihn grinsend. „Dann geht's doch nicht in Erfüllung", stritt er schmunzelnd ab. „Aber jetzt gerade...würde ich mir wünschen, dass du mich jetzt endlich küsst", murmelte er und drehte sich zu mir. Ich wollte mich vorlehnen und meine Lippen mit seinen verbinden, da nahm ich plötzlich einen lauten Schrei wahr. Ich realisierte nicht, dass es mein eigener war. Basti verlor das Gleichgewicht und fiel unaufhaltsam in die Tiefe. Dann folgte ein dumpfer Knall. Einige Sekunden saß ich komplett erstarrt da. Völlig unter Schock wagte ich es nach einigen Sekunden, nach unten zu sehen.

Tränen stiegen mir in die Augen. Nur wenige Meter unter mir lag der leblose, in unnatürlichen Winkeln verdrehte Körper meines Freundes. Um seinen Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet, das erkannte ich sogar von hier oben. „Basti", flüsterte ich. „Fuck, Basti!" Meine Stimme kippte und meine Kehle verließ ein verzweifelter Schrei.

Ich kniete neben Basti und schluchzte ungehalten. Seine Augen waren immer noch weit aufgerissen und sein Gesicht wurde von einem überraschten Blick geziert. „Bitte...lass mich nicht allein", flüsterte ich verzweifelt und hielt seine kalte Hand, auch wenn ich insgeheim doch wusste, dass es zu spät war.

Plötzlich spürte ich etwas Warmes am meinem Rücken. „Kevin? Wach auf", nahm ich eine entfernte Stimme wahr. Die Person rüttelte sanft an meinem Arm. „Alles ist gut. Ich bin bei dir." So langsam konnte ich die Stimme, die zu mir sprach, zuordnen. Das war eindeutig Basti.

Panisch riss ich die Augen auf. Ich zitterte am ganzen Körper und mir liefen Tränen über die Wangen. „Alles ist gut", flüsterte Basti und strich mir beruhigend über den Rücken. Ich krallte mich an seinem T-Shirt fest und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Einige Sekunden verharrten wir in dieser Position. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder und ich hörte auf zu zittern. Trotzdem blieb ich eng an Basti gekuschelt liegen. „Was war los?", fragte mich Basti leise, während er mir durch die Haare strich. „I-ich hatte nur einen Albtraum", murmelte ich. Auf einmal war es mir irgendwie unangenehm, dass ich wegen einem Traum angefangen hatte, zu heulen und Basti Sorgen bereitet hatte. „Hast du öfters Albträume?", wollte er von mir wissen, worauf ich den Kopf schüttelte. „Nein. Eigentlich eben nur ganz selten." Basti hauchte mir einen Kuss auf den Schopf. „Jetzt bin ja da", lächelte er. „Danke."

Es war anscheinend noch früh, denn selbst durch die wenigen Schlitze der Jalousien konnte man erkennen, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war. Basti kraulte meinen Hinterkopf, während seine andere Hand zwischen meinen Schulterblättern lag, und ich schmiegte mich noch enger an ihn. Langsam merkte ich, wie mich die Müdigkeit überkam und mit schließlich wieder die Augen zu fielen.

~~~

Das nächste Mal, als ich die Augen öffnete, war Basti anscheinend bereits aufgestanden. Zumindest vermutete ich das, denn wer sollte sonst in meiner Wohnung duschen? Gut, Oni stand auch noch zur Auswahl, aber nach dem, was mir Basti erzählt hatte, und was ich selbst mitbekommen hatte, bezweifelte ich, dass er schon wach war.

Ich begann, über die letzten Tage nachzudenken. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen, wie in der Zeit, in der ich Basti bei mir hatte. Jeder einzelne Kuss, jede einzelne Berührung von ihm ließen tausende Schmetterlinge in meinem Bauch flattern und jedes Mal, wenn ich in mich seinen blaugrünen Augen sah, verlor ich mich in diesen. Ich wollte jeden Tag neben diesem Mann aufwachen und jeden Tag mit ihm einschlafen.

„Guten Morgen, Kevin", riss mich seine tiefe Stimme plötzlich aus meinen Gedanken. Hatte ich wirklich so lange über den jüngeren geträumt. „Morgen", erwiderte ich und erhob mich, um ihn küssen zu können.
Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen ihn. Die Arme hatte ich um seinen Nacken geschlungen, während seine Hände an meinen Hüften lagen. „Du siehst gut aus", lächelte ich, als wir uns wieder von einander lösten. Bastis brünette Haare waren noch leicht nass vom Duschen und hingen ihm verstrubbelt in die Stirn. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einer dunkelblauen, locker sitzenden Jeans. Über dem T-Shirt trug er noch eine graue Sweatjacke. „Danke", grinste er.

Kurze Zeit später, nachdem ich mich ebenfalls angezogen hatte und mein Aussehen halbwegs akzeptabel war, saßen wir zusammen am Küchentisch und frühstückten. Bastis Bruder war tatsächlich scheinbar auch schon länger wach und aß nun einen Joghurt, während Basti und ich jeweils eine Schüssel Cornflakes hatten. Ich führte gerade den Löffel zu meinem Mund, da schnellte Bastis Kopf plötzlich vor und er schlürfte die Cornflakes von meinem Löffel. „Ey!", rief ich und deutete an, ihn mit dem Löffel zu schlagen. Der größere begann zu kichern. Zuerst war ich bemüht, zu schmollen, dann brach ich jedoch ebenfalls in schallendes Gelächter aus.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns wieder eingekriegt hatten. Erneut lud ich mir eine Portion meines Frühstücks auf meinen Löffel. „Bastian Schneider, ich warne dich", brummte ich, während ich den Löffel zu meinem Mund führte. „Och Kevin", neckte mich der angesprochene. Fast rechnete ich damit, dass mir Basti erneut mein Essen wegschnappte, doch tatsächlich konnte ich ohne weitere Zwischenfälle meine Cornflakes essen.

Eine Weile saßen wir einfach schweigend da und frühstückten. Es war kein unangenehmes Schweigen. Ich fühlte mich einfach wohl in der Situation. Während ich meine Cornflakes kaute, schielte ich heimlich zu Basti hinüber. Ich nahm jedes Detail seines Gesichts in mir auf: Die ausdrucksstarken, von langen Wimpern umrandeten Augen, den markanten Kiefer, die vielen blassen Sommersprossen auf seiner geraden Nase, die man nur aus einer nahen Entfernung erkennen konnte, die perfekt geschwungenen Lippen und die einzelnen brünetten Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen.

Ich wollte gerade weiter essen, als ich plötzlich hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Das konnte nur eine Person sein: „Masha...", murmelte ich. Ich war immer noch verletzt über ihr Verhalten und sauer, doch mittlerweile versuchte ich, darüber zu stehen. Kaum war die Tür geöffnet, hörte ich schon ihre Stimme: „Kevin? Können wir bitte reden?"
Ich seufzte hörbar auf. Meine Hand verkrampfte sich. Basti legte seine Hand auf meine und sah mir in die Augen. Sein Blick verriet mir, dass er auf mich vertraute. Etwas unsicher stand ich auf und trat in den Flur.
„Was willst du hier?", fragte ich Masha ohne jegliche Emotion in der Stimme. „Ich weiß, du willst vermutlich nichts mehr von mir hören. Verständlich. Aber ich wollte mich entschuldigen. Ich wollte nie, dass es so kommt, wie es gekommen ist", sagte die kleinere und in ihrer Stimme konnte ich ehrliche Reue erkennen. Sofern diese nicht auch wieder nur gespielt war.
„Na dann. Erzähl mir mal, warum du so scheiße zu mir warst", forderte ich sie auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Masha nickte. Dann begann sie zu reden.

„Vor etwa drei Monaten hatten wir Streit, wie du vielleicht noch weißt. Ich war an dem Abend so fertig, dass ich alles hinterfragt habe und irgendwie habe ich gemerkt, dass du in letzter Zeit dauernd so abweisend bist. So als würdest du gar nicht mehr wirklich eine Beziehung wollen. Nicht mal zwei Wochen später hat es dann angefangen, dass du immer mehr von Basti geredet hast. Also noch mehr als eh schon. Du hast so von ihm geschwärmt und dann ist der Verdacht in mir aufgekommen, dass du mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn empfinden könntest", begann die blonde zu erzählen.
„Das habe ich tatsächlich", meinte ich trocken. Innerlich machte ich mich schon auf einen homophoben Kommentar von ihr bereit. „Ich wusste es! Naja...mittlerweile komme ich damit klar. Aber damals war ich so scheiße eifersüchtig. Es hat mich so verletzt, dass diese Gefühle nicht mehr mir galten. Irgendwann bin ich mit einer Freundin abends in den Club gegangen. Und dort habe ich einen Typen kennengelernt. -Jonas. Ich mochte ihn auf Anhieb, allerdings nie auf romantischer oder sexueller Ebene. Trotzdem ist mir die Idee gekommen, dich mit ihm eifersüchtig zu machen."

Ich zog die Augenbrauen hoch. War das ihr Ernst? „Ich weiß, das klingt lächerlich. Das war so kindisch von mir und es tut mir so leid. Eigentlich wollte ich dich nie so behandeln. Nur ein bisschen eifersüchtig machen. Aber dann begann die ganze Scheiße zu eskalieren. Am Abend bevor ich dich verlassen hatte, kam er plötzlich zu mir und hatte etwas gesagt, von wegen dass ich für immer bei ihm bleiben würde und an jetzt seins sei. Ich hab gelacht und ihm erklärt, dass das zwischen ihm und mir immer noch nur freundschaftlich sei. Und dann hatte ich plötzlich ein Messer an der Kehle. Ich hatte so eine Heidenangst und hab ihm in der Panik einfach versprochen, das zu tun, was er von mir verlangt hat", erzählte Masha. Sie begann zu zittern und ballte die Fäuste. Ich war völlig schockiert über das, was ich soeben erfahren hatte.

„Jedes Mal, wenn ich dir auch nur schreiben wollte hatte er mir gedroht. Nicht nur damit, mir etwas anzutun, sondern auch meinen Mitmenschen. Verdammt, er hatte gesagt, er würde versuchen, dich umzubringen. Und es war ihm durchaus zuzutrauen. Vorgestern hab ich es endlich geschafft abzuhauen und die Polizei zu verständigen. Eigentlich wollte ich noch am selben Tag zu dir gehen und dir alles erklären, aber Eva, die Freundin bei der ich untergekommen bin, hat gemeint, ich solle erst einmal alles verarbeiten."

Ich starrte Masha einfach nur an. Um irgendetwas zu sagen war ich viel zu schockiert. „Kannst du bitte wenigstens versuchen, mir eine zweite Chance zu geben? Können wir bitte einfach Freunde sein?", flüsterte Masha. „Ja...", murmelte ich.
Ohne ein weiteres Wort fiel sie mir um den Hals. Unsicher umarmte ich sie ebenfalls. Ich hatte immer noch nicht wirklich verarbeiten können, was sie mir gerade erzählt hatte. Deswegen registrierte ich auch zuerst nicht, wie sie ihre Lippen auf meine legte.
Ich riss die Augen auf. Ruckartig löste sich Masha von mir. „Scheiße...sorry", flüsterte sie.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top