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EINMAL IM JAHR, KURZ BEVOR der Frühling erwachte, versammelten sich die Dorfbewohner zu einem prächtigen Fest zu Ehren der Heiligen. Die Straßen füllten sich mit bunten Fahnen und Musik, während Kinder jubelnd den Umzug bestaunten, der süße Brötchen, goldene Pfannkuchen und Honigkuchen verteilte. Mit jedem Tag, den das Fest näher rückte, stieg die Vorfreude der Kleinen, vor allem auf die Süßigkeiten, die von den geschmückten Festwagen geworfen wurden. Für sie war dies die schönste Zeit des Jahres – eine magische Zeit voller Lachen und Naschereien.

Nur ein einziges Mädchen wollte nicht aus dem Haus kommen. Seit beinahe einem Jahr war ihr Lachen verstummt. Die Grippe hatte ihre Mutter geraubt. Meist saß sie still am Fenster, den Kopf an die kalte Fensterscheibe gelehnt, und starrte hinaus in die weite, lebhafte Welt, die nun so fremd wirkte. Ihre Augen, einst so lebendig, glänzten nur noch vor Tränen, während sie sich verzweifelt wünschte, ihre Mutter wieder in die Arme schließen zu können.

Und selbst wenn sie mal nach draußen ging, dann stand sie an ihrem Grabstein mit Blumen in der Hand oder zündete eine rote Kerze für ihre arme tote Mutter in der Kirche an.

Ab und zu klopften ein Junge und ein Mädchen, Bruder und Schwester, an ihre Tür und leisteten ihr Gesellschaft, munterten sie mit lustigen Spielen auf, damit sie auf andere Gedanken kam. Und auch heute, standen sie vor ihrer Tür, weil sie ihre Freundin schrecklich vermissten, und wussten das auch sie dieses Fest einst geliebt hatte. „Ohne dich macht es nur halb so viel Spaß, Mari!", jammerte die Schwester, während sie sich neben sie aufs Bett setzte und ihre Hand hielt. „Pietro hat eine ganze Tasche voll Süßigkeiten nur für dich gesammelt", fügte sie mit einem Kichern hinzu.

Der Junge trat näher, seine Augen glänzten flehend. „Bitte, komm mit uns. Ich trage dich auch dorthin, wenn es sein muss", bot er an, ein scheues Lächeln auf den Lippen. Seine Schwester verdrehte belustigt die Augen. „Wir könnten auch Verstecken spielen, oder Fangen!", schlug er vor, denn er wusste, dass sie das am allerliebsten hatte.

„Dein Papa würde sich bestimmt freuen, wenn du mal wieder nach draußen gehst", versuchte die Schwester sie zu überreden, als sie sich an ihre Freundin kuschelte. „Vielleicht könntest du ihm auch etwas vom Fest mitbringen?" Die Worte hallten in des kleinen Mädchens Brust nach, und für einen Augenblick dachte sie daran, wie stolz ihr Vater bestimmt wäre, wenn er sie lachen sähe – wenn sie den Frühling wieder in ihr Herz ließe.

Mit einem leisen Seufzer nickte sie schließlich, ihr rotes Haar leuchtete im schwachen Licht des Zimmers, denn kein strahlen war heller, als die Freude in den Augen der Geschwister nach ihrer Zusage.

„Pass ja gut auf die Mädchen auf, Pietro!", hatte der Vater des Mädchens ihnen schnell hinterhergerufen, als die Kinder sich von ihm verabschiedeten.

„Versprochen, Niko", nickte der Junge pflichtbewusst, und legte einen Arm um Maria's Schulter, und ließ sie sanft erröten.

Die drei Kinder rannten aufgeregt in Richtung des festlich geschmückten Marktplatzes, ihre Herzen schlugen im Takt der Vorfreude. Um sie herum wirbelte eine Menschenmenge, und die Luft war erfüllt von einem süßen Duft, der nach braunem Zucker und köstlichen Speisen roch – frisch gebackenen Kartoffeln, kandierten Äpfeln und Gewürzen.

Herrliche Melodien umschmeichelten ihre Ohren, während Musikanten in bunten Gewändern aufspielten. Die Klänge der Instrumente vereinten sich zu einem fröhlichen Lied, das die Menschen dazu einlud, im Takt zu tanzen. Die Kinder schlossen sich dem Reigen an, ihre kleinen Füße wirbelten über den Platz, als die Freude des Augenblicks sie ergriff. Lachen und das fröhliche Geschrei der Marktbesucher erfüllten die Luft und hoben die Stimmung wie eine sanfte Brise, die die Sorgen des Alltags hinwegtrug.

Eine Woche lang waren die Schrecken des Krieges, die Sokovia gewöhnlich plagten, für einen kostbaren Augenblick in den Hintergrund gedrängt worden. Inmitten des Jubels und der Lebensfreude spürten die Kinder, dass es vielleicht doch noch einen Funken Hoffnung gab, der selbst die dunkelsten Tage überstrahlen konnte.

Nach ein paar fröhlichen Stunden auf dem Fest saßen die Kinder am Brunnen, ihre Bäuche prall gefüllt mit köstlichen Leckereien. Die Sonne schickte ihre warmen Strahlen auf die glitzernde Wasseroberfläche, während sie Süßigkeiten aßen und darüber lachten, wie beschmiert Pietro's Mund mit Schokolade war.

„Nimm deinen Ärmel, du Idiot!", rief seine Schwester, als sie mit dem Finger auf sein schokoladenverkrustetes Kinn deutete. Maria konnte sich ein Lachen nicht verkneifen; sie hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu dämpfen.

„Du findest das witzig? Willst du auch ein bisschen?", fragte Pietro mit scherzender Miene, als er sich plötzlich wie ein kleines Monster auf Maria stürzte, um ihre Wange mit seinen schokoladenverschmierten Lippen zu attackieren.

„Ihhh, nein! Hör auf, Pietro!", quietschte sie und versuchte, sich aus seinen Armen zu befreien, während Wanda vor Lachen fast vom Rand des Brunnens rutschte.

„Und dich habe ich natürlich auch ganz lieb, Schwesterherz", grinste Pietro schelmisch, bevor er sich abrupt zu Wanda umdrehte und ihre Stirn ebenfalls mit Schokolade verzierte.

„Ekelhaft! Du bist unmöglich!", lachte sie und schubste ihn spielerisch von sich weg. „Blödmann!"

Das Lächeln auf Marias Gesicht war strahlend, als hätte die Dunkelheit der letzten Monate nie existiert. Es war ein Lächeln, das sich wie ein Sonnenstrahl über ihr Gesicht ausbreitete, und in diesem Moment fühlte sie eine Leichtigkeit, die sie so lange vermisst hatte. Und gemeinsam mit ihren Freunden hatte sie Spaß wie schon lange nicht mehr.

„Fang mich doch!", rief Pietro, während er seiner Schwester die Zunge herausstreckte und Maria an der Hand nahm, um sie von ihrem Platz hochzuziehen. „Komm, die kriegt uns nie!" Denn Pietro war immer der Schnellste, und sein fröhliches Lachen hallte wie Musik durch die Luft.

Die drei rannten um den großen Brunnen, und Wanda wurde irgendwann so genervt von ihrem Bruder, dass sie ihm grinsend kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. „He, du Hexe!", meckerte Pietro, als er eine Hand durch sein nasses Haar fuhr und sich verwundert umdrehte.

„Wenn ich eine Hexe wäre, würde ich meinen Besen nehmen und—", hörten die zwei Wanda fluchen, doch in diesem Moment schnappte sich Pietro schnell Maria und stellte sie plötzlich vor sich.

„Nimm sie! Nimm sie!", rief er und verschwand blitzschnell in die andere Richtung.

„Hey, das ist unfair!", rief Maria ihm beleidigt hinterher, während Wanda sie schließlich mit einem stolzen „Hab dich, Mari!" einholte, völlig außer Puste.

„Aber nur, weil ich von deinem Idioten von Bruder geopfert wurde", schmollte Maria beleidigt und verschränkte die Ärmchen vor ihre Brust.

„Komm, wir fangen ihn zusammen!"

Die beiden Mädchen nickten sich entschlossen zu. Ein verschmitztes Grinsen breitete sich auf ihren Gesichtern aus, und sie rannten ein paar Runden um den Brunnen, ihre Herzen schlugen im Einklang mit dem lebhaften Treiben um sie herum, während sie Pietro hinterherjagten.

Doch plötzlich hörten sie Maria schreien, und die Geschwister rannten sofort zu ihr, ihre Gesichter voller Besorgnis. Als sie sich neben sie knieten und auf die glitschigen, nassen Kopfsteinpflaster schauten, sahen sie, dass Maria ausgerutscht war. Ihre Knie waren aufgeschürft, und die Kratzer waren tief und bluteten stark. Der Schmerz durchfuhr sie wie ein Blitz, als sie versuchte, sich zu bewegen. Der Anblick des tiefen, blutenden Kratzers ließ sie instinktiv weinen, während die Tränen über ihre Wangen rannen.

„Nicht weinen, ist nur ein Kratzer, Mari", versuchte Pietro sie sanft zu trösten, während er mit seinen Daumen kleine, beruhigende Kreise auf ihren schmerzenden Beinen rieb.

Und auch Wanda sprang sofort zur Hilfe, tauchte ein Stück Stoff in das kühle Wasser des Brunnens und wischte vorsichtig das rote Blut von Marias verletzten Knien. „Papa sagt immer, Schmerz macht uns nur stärker", flüsterte sie ermutigend und sah Maria mit ihren großen, mitfühlenden Augen an.

„Und dass Narben cool sind!", fügte Pietro mit einem Grinsen hinzu, in der Hoffnung ihr etwas Trost zu spenden.

„Ich will aber keine Narben! Sonst sagen sie, ich sehe hässlich aus", schmollte das kleine Mädchen, während sie unglücklich auf ihre aufgeschürften Knie starrte. Sie wollte nicht daran erinnert werden, dass sie ein Tollpatsch war, dass es in der Welt immer einen Grund gab, sich zu schämen.

„Ich finde nicht, dass du hässlich bist", flüsterte der Junge nur.

Auch seine Schwester dachte dasselbe, und obwohl sie in diesem Moment nichts dazu sagte, lächelte sie ihre geliebte Freundin warm an.

„Narben erzählen Geschichten", fügte sie schließlich hinzu. „Sie sind wie kleine Erinnerungen daran, dass wir gelebt haben." Ihre Worte schwebten wie ein sanfter Hauch über die beiden Mädchen, und für einen kurzen Augenblick fühlte sich Maria mutiger. Vielleicht waren ihre Wunden keine Schande, sondern Teil der Abenteuer, die sie teilten.

Wanda spürte, wie ihr Lächeln langsam verblasste, als winzige Regentropfen leise auf ihren Kopf fielen und die kühle Luft um sie herum schwer und drückend wurde. Sie schaute hinauf zu der Statue auf dem Brunnen – der Heiligen, die über ihre Stadt wachte. Sogar sie schien um den schweren Weg zu wissen, den die Kinder beschreiten mussten. Der Ausdruck auf ihrem steinernen Gesicht war betrübt und müde, als ob sie die Last der Welt auf ihren Schultern trug. Ein Hauch von Entschuldigung lag in ihrem Blick, während sie den drei Kindern hinunterblickte, als ob sie ihnen Trost spenden wollte.

„Komm, wir bringen dich nach Hause. Es wird bald dunkel", sagte die Schwester, während sie sich schaltete und ihrer Freundin die Hand reichte, um ihr aufzuhelfen.

„Hier, du kannst meine Jacke haben", bot Pietro an, als er bemerkte, dass Maria in der kühlen Abendluft zitterte. Die Kleidung der Kinder war etwas nass, aber zum Glück nicht allzu schmutzig geworden. Maria dankte ihm mit einem kleinen Lächeln, als sie die warme, blaue Jacke über ihre Schultern zog. Hatte er auch bemerkt, wie rot sie wegen ihm geworden war?

„Ich glaube, gleich fängt es an zu stürmen", murmelte Wanda, während sie die Stirn runzelte und zum Himmel hinaufsah. Die dunklen Wolken schoben sich bedrohlich zusammen und hingen tief, als wären sie bereit, jeden Moment herabzustürzen. „Wir sollten uns beeilen. Wir können ja morgen nochmal hierherkommen", riet sie und starrte ein letztes Mal zum Brunnen zurück.

In diesem Augenblick hatte Wanda das Gefühl, die Statue hätte sich bewegt. Ein kurzer Schimmer, eine flüchtige Bewegung des Steins – war es nur eine Täuschung? Ihre Augen weiteten sich, und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wollte die Gedanken abwehren, die wie unheimliche Schatten in ihrem Kopf umherirrten.

„Was ist los?", fragte ihr Bruder, als er ihre plötzliche Verwirrung bemerkte.

„Nichts. Dachte ich hätte was gesehen...", flüsterte Wanda und wandte hastig den Blick ab. Doch in ihrem Herzen wusste sie, dass das Gefühl, beobachtet zu werden, nicht einfach verschwinden würde. Während sie sich umdrehten und hastig den Weg nach Hause einschlugen, schien der Wind zu flüstern, und die Luft um sie herum wurde schwerer, als ob die Nacht ihnen dunkle Geheimnisse zuflüsterte.

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