12.12.2024 - Hoffnung
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Original Work
TW: Gängelung (Mobbing), Blut, Mord, Tod
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Das Licht der beiden untergehenden Sonnen wurde vom kargen Boden reflektiert. Es hinterließ ein unheimliches Flimmern knapp über der Oberfläche des Mondes.
Die Stille wurde nur durch Schritte von zwei der Goana unterbrochen. Die beiden Karom flüchteten durch eine uralte Stadt, die schon seit Jahrtausenden verlassen war. Der Weg vor ihnen war von altertümlichen Steinplatten gesäumt, die kalt, dreckig und abgewetzt dalagen. Sie rannten an kleineren Ruinen vorbei, hin und wieder erhaschten sie in ihrer Hast einen Blick auf ihre Umgebung. Doch im Moment scherten sie sich nicht um die schaurig-schöne Atmosphäre einer verlassenen Welt.
Angetrieben von ihren Verfolgern, hasteten die beiden in Richtung ihres Verstecks. Hier störte sie im Normalfall niemand. Doch an diesem Tag war alles anders.
»Los, beeil dich!«, drängte Nolor. Er war Mirui einige Schritte voraus. Keuchend folgte sie ihm, doch trotz ihrer herausragenden Kondition konnte sie nicht mit ihm mithalten. Zu lange war sie bereits auf den Beinen und so langsam begannen ihre Lungen zu streiken. Sie konnte sehen, wie Nolor hektisch über seine Schulter schaute. Er verlangsamte sein Tempo, auch wenn er es garantiert besser wusste, denn ihre Verfolger kamen immer näher.
Ihr ganzer Körper schrie nach einer Pause. Ihre Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, sie spürte jede Faser einzeln. Ihre Lungen fühlten sich an, als wären sie auf die Größe einer Mandarine geschrumpft, doch das entband sie nicht von ihrer Pflicht: Mirui zwang sie dazu, weiter Luft in ihre Bronchien zu pumpen. Sie biss die Zähne zusammen und überwand noch immer keuchend ihre körperlichen Grenzen. Ein plötzlicher Kraftschub durchfuhr sie, als Nolor ihre Hand packte und sie hinter sich herzog. Sie durfte nicht schlapp machen, denn ihr Ziel war bereits in Sichtweite.
Die beiden rannten auf eines der größeren Gebäude zu. Nolor stieß die Tür einfach mit einer Schulter auf und schwenkte seine freie Hand spiralförmig in der Luft. Doch Mirui schenkte dem kaum Aufmerksamkeit. Sie hatte Mühe genug damit, ausreichend Luft zu bekommen. Vor ihren Augen bildeten sich Sterne, die nur langsam wieder verschwanden. Kaum konnte sie wieder klar sehen, richtete sich ihr Blick auf den Raum, in den sie in ihrer Eile eingetreten waren.
Es handelte sich um einen großen Versammlungsraum, dessen äußerer Eingang im Schatten verborgen lag. Vor einigen Jahrhunderten hatten die beiden ihn rein zufällig auf einem ihrer Streifzüge entdeckt. Damals, als sie einander noch nicht so nahegestanden hatten, wie es inzwischen der Fall war. Die Tische und Stühle, die diesen Raum einst gesäumt hatten, waren von den beiden Karom achtlos an die Wände geschoben worden, damit sie mehr Platz für sich hatten. In diesem Raum war es auch gewesen, dass sie sich einander langsam angenähert hatten.
Während Mirui mitten im Raum stehen blieb, sich mit den Händen auf ihren Knien abstützte und nach Atem rang, versiegelte Nolor mit seinem Sethur den Eingang. Er murmelte eine leise Formel, dicht gefolgt durch ein atemloses Keuchen. Dann eine neue Formel.
»Wir sind noch nicht in Sicherheit«, keuchte Mirui. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Nolor sich ihr zuwandte, langsam auf sie zutrat und sie in den Arm nahm, seine Schultern hoben sich stoßweise.
»Ich weiß«, raunte er in ihr Ohr. Zu mehr war er nicht fähig, auch er war noch immer außer Atem. Nolor war offensichtlich erschöpft und benötigte ebenfalls eine Pause.
Verzweifelt klammerten sie sich aneinander. Mirui atmete tief durch, bis sich ihr Atem beruhigt hatte. Sie drückte ihr Gesicht an Nolors Oberteil und schloss die Augen. »Ich habe Angst, dass wir es nicht lebend hier raus schaffen«, murmelte sie schließlich. »Wir wissen beide, wozu er fähig ist.«
»Ich habe auch Angst«, gab Nolor nach einer kurzen Pause zu. Sein Brustkorb hob sich inzwischen ruhig und gleichmäßig. »Ich will mir gar nicht ausmalen, was passieren wird, wenn sie uns dieses Mal tatsächlich erwischen.«
Mirui schluckte schwer. »Ich will dich nicht verlieren ...«, wimmerte sie und verzog das Gesicht, auch wenn sie wusste, dass Nolor sich nicht daran störte. »Wenn ich mir vorstelle, dass sie uns beide trennen, dann –«
»Denk so etwas nicht«, unterbrach Nolor sie. Er löste sich ein wenig von ihr, um ihr in die Augen zu sehen und schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. »Sie werden uns niemals trennen können.«
Mirui erwiderte seinen Blick, doch ein Lächeln brachte sie nicht zustande. »Es wäre wirklich schön, wenn dem so wäre«, antwortete sie mit erstickter Stimme. Ihre Augen begannen verräterisch zu brennen, der Anblick ihres Partners verschwamm immer wieder. Sie blinzelte hektisch, um ihre Tränen zurückzuhalten. Damit hatte sie nur wenig Erfolg.
»Nicht weinen ...«, hauchte Nolor und verteilte sanfte Küsse auf ihrem Gesicht: Auf ihren Augenlidern, die sie reflexartig geschlossen hatte, auf ihrer langen, geraden Nase, die an ihrem Ende einen sanften Bogen nach oben schlug, auf ihre hohen Wangenknochen und schließlich auf ihre rosigen Lippen. Mirui kräuselte vergnügt die Nase, öffnete ihre Augen wieder und schenkte ihm im Gegenzug ein sanftes Lächeln.
Für einen einzigen Moment war die Welt für sie in Ordnung. Die Geräusche um sie herum verblassten, während die Zeit um sie herum stillzustehen schien. »Du wirst immer in meinem Herzen sein, egal was passiert«, flüsterte Nolor, während er seine Stirn an die von Mirui schmiegte.
Nur langsam öffnete sie ihre Augen und begegnete seinem Blick. Einen Moment lang versuchte sie, sich alles von ihm einzuprägen. Das schmale Gesicht, das von hellbraunem Haar umrahmt wurde. Seine Augen wirkten auf den ersten Blick pechschwarz, doch aus nächster Nähe konnte sie einen klaren, warmen Braunton erkennen. Mit ihren eigenen Augen versuchte sie, sich jedes einzelne Detail seines Gesichts einzuprägen – seien es seine markanten Gesichtszüge oder seine kurze Nase mit einem sachten Höcker in der Mitte. Dann war da noch das Gefühl seiner starken Arme, die ihre Taille noch immer umschlossen und ihr Sicherheit gaben und seine Stimme, die warmherzig und rauchig zu ihr sprach.
Mirui schnaubte leise. Erschrocken bemerkte sie, wie ihr dabei ein wenig Rotz aus der Nase flog und die Uniform ihres Partners benetzte. Verlegen hob sie ihre Hand und wischte die kleinen Flecken von dem hellen Stoff. Sie konnte hören, dass Nolor schmunzelte und schaute auf, wo sie erneut seinem warmen, liebevollen Blick begegnete. »Sag so etwas nicht«, antwortete sie schließlich und schaute betreten zur Seite. »Das klingt so, als hättest du dich bereits damit abgefunden, dass sie uns fangen werden.«
»Tut mir leid, das wollte ich damit nicht sagen«, sagte Nolor, doch weiter kam er nicht. Vor dem Eingang, den er wenige Minuten zuvor versiegelt hatte, erklangen gedämpfte Stimmen. Die beiden Karom erstarrten und lauschten. Wenig später war ein leises Knarren auf der anderen Seite der Barriere zu hören.
»Was ist das?«, flüsterte Mirui. Ihre Augen weiteten sich panisch, während sie zwischen der Tür und Nolor hin und her blickte. Auch Nolors Blick war über seine Schulter in Richtung der Tür gerichtet.
»Er ist es«, erklang Nolors leise Stimme ohne Zögern. Sie konnte sehen, wie es in seinem Kopf auf der Suche nach einem Fluchtweg arbeitete. »Hör zu«, sagte er und schaute wieder zu Mirui. »Versteck dich in unserem Nest.« Er nickte in Richtung des Nebenraums, den sie sich vor einiger Zeit gemütlich eingerichtet hatten. Nolor hatte bereits im Vorfeld damit gerechnet, dass man früher oder später hinter das Geheimnis ihrer ganz besonderen Bindung zueinander kommen würde und hatte einen zusätzlichen schützenden Bann über ihr kleines Reich gelegt.
Miruis Augen weiteten sich panisch. »Und was ist mit dir?«
»Ich komme schon klar«, versicherte er ihr. »Und nun bitte ich dich ... vertraue mir.« Erneut zog er sie an sich und küsste sie auf die Stirn. »Ich verspreche dir, dass alles gut wird. Sollten sie mich festnehmen, warte ein paar Stunden, bis sie weg sind und geh dann zu Yaël.«
»Zu Yaël?«
»Ja«, antwortete Nolor und schaute über seine Schulter, bevor er Mirui erneut ins Auge fasste. »Erzähl ihm, was passiert ist. Ich bin mir sicher, dass er uns helfen kann.«
Zweifelnd suchte Mirui Nolors Blick. »Ich glaube nicht, dass er irgendetwas ausrichten kann. Dafür ist er nicht in der Position.«
»Er nicht, aber er hat Verbindungen zum Rat.«
Das ergab natürlich Sinn.
»Und jetzt, schnell – versteck dich, bevor sie durchbrechen und uns hier zusammen sehen.«
Bevor Mirui noch etwas sagen konnte, schubste er sie sachte in Richtung ihres liebevoll eingerichteten Nests. Auch wenn es ihr widerstrebte, ihren Gefährten den Eindringlingen zu überlassen, gehorchte sie ihm doch. Sie vertraute Nolor mehr, als sie in diesem Moment zugeben wollte. Doch auch wenn sie ihn nicht allein lassen wollte, gab sie seinen Anweisungen nach.
Unbeholfen stolperte sie in das Innere des kleinen verzauberten Nebenraums, den ein ungeübtes Auge niemals ohne Hilfe erblicken würde. Wie Nolor es ihr gesagt hatte, kauerte sie sich in eine Ecke der Kissenburg und verhielt sich ruhig. Ihr war bewusst, dass ihre Hände zitterten, dass ihr ganzer Körper vor Angst schlotterte. Auch wenn sie nicht an Götter oder dergleichen glaubte, so schickte sie doch stille Stoßgebete an eine Entität, die sie womöglich erhören und Gnade walten lassen würde.
Sie presste ihre Lippen aufeinander, als sie hörte, wie es tatsächlich jemand schaffte, die Barriere zu durchbrechen, die Nolor bei ihrem Eintreffen errichtet hatte. Unmittelbar danach erklangen, durch den Bann gedämpft, Schritte im Raum. Ein, zwei ... nein gleich drei verschiedene Karom hatten den großen Saal betreten. Zuletzt erklangen die Schritte eines vierten Karom, die ihr zu bekannt vorkamen. Als der Eindringling zu sprechen begann, bewahrheitete sich Miruis Befürchtung. Diese Stimme, kalt wie das ewige Eis, kannte sie nur zu gut.
»Asvanal.« Wie so oft, jagte Mirui diese Stimme einen kalten Schauer über den Rücken. Für Mirui war diese Stimme ein hässliches Geräusch, das sie gern mit Fingernägeln verglich, die auf einer altertümlichen Tafel kratzten. Angeekelt verzog sie das Gesicht. Gleichzeitig war sie froh, dass der Karom sie in ihrem Versteck nicht sehen konnte. »Du hier?«, hörte sie ihn wenig später fragen.
»Fuchtu. Wie schön dich zu sehen.« Nolors Stimme troff vor Verachtung, das konnte sie selbst durch die geräuschdämmende Wirkung der Barriere hinweg hören. Ranuk Fuchtu stand in der Hierarchie des Militärs ein paar Ränge über ihnen, doch das änderte nichts an seiner Art. Es gab viele Karom, die sie nicht leiden konnten, und Fuchtu gehörte definitiv dazu.
Mirui bemühte sich, ihren Atem ruhig zu halten. Sie holte tief Luft, hielt sie an und zählte bis zehn. Das wiederholte sie ein paar Mal, doch dieses Mal half es ihr nicht.
»Heute ganz allein?«, durchbrach irgendwann Fuchtus Stimme die Stille.
»Sieht wohl so aus«, gab Nolor zähneknirschend zurück. Wie Mirui ihren Gefährten kannte, versuchte er gar nicht erst, seine Abscheu zu verbergen. Hoffentlich war Fuchtu an diesem Tag milde gestimmt und sah es ihm nach.
»Bringt ihn nach Kolo na'Mil. Dort werde ich ihn vernehmen«, wies der Karom sein Gefolge an.
Nein! Mirui fuhr panisch auf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bedenklich und sie machte einen Schritt in Richtung des Ausgangs, doch gleichzeitig kam ihr das Versprechen an Nolor in den Sinn. Sie haderte mit sich selbst und erstarrte wieder, als Fuchtu weitersprach: »Und den Raum hier untersucht ihr weiter. Ich bin mir sicher, dass Lonal hier noch irgendwo ist. Wo er ist, ist sie nie weit.«
Hoffentlich hält der Schutzzauber. Mirui atmete tief durch; sie versuchte, sich zu beruhigen. Nolors Stimme drang wie durch einen Schleier an ihre Ohren: »Ich bin allein.«
Es herrschte für einen Moment Stille, bevor Fuchtu seinen Befehl wiederholte: »Durchsucht den Raum.«
Mirui kniff die Augen zusammen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie entdeckt wurde. Sie kauerte sich wieder zusammen und griff nach einem Kissen, das in Reichweite lag. In ihrer Panik erkannte sie, dass es sich um das rosafarbene Kissen handelte, das Nolor ihr einst zum Geschenk gemacht hatte. Mit zitternden Händen drückte sie es an ihre Brust und wiegte sich hin und her. Diese kleine Geste hatte sie sich zur Gewohnheit gemacht, wann immer sie im Begriff war, in Panik zu verfallen. Eine ausgewachsene Panikattacke konnte sie sich im Moment nicht leisten.
»Warte!«, erklang Nolors flehende Stimme. »Sie ... ist wirklich nicht hier«, murrte er leise, Mirui musste sich anstrengen, um ihn zu verstehen. »Sie ist daheim und ... wartet, bis ich nach Hause komme.«
»Daheim? Bis du nach Hause kommst?«, wiederholte Fuchtu seine Worte. »Also gibst du zu, dass ihr straffällig geworden seid?«
Die nächsten Worte ihres Gefährten klangen traurig und gebrochen. Auch wenn Mirui wusste, dass Nolor sie nur schützen wollte ... Seine Worte versetzten ihr einen Stich ins Herz. »Sie hat nichts damit zu tun. Für sie sind wir nur ... Freunde.«
»Oh, ist das so?«, schnarrte der Hauptmann. Mirui musste aufsteigende Galle unterdrücken, so schadenfroh klang er.
»Ja ...«, hauchte Nolor. Mirui wusste, dass ihr Gefährte ihre Beziehung nicht leugnen würde, wenn es nicht nötig war. Trotzdem brachen ihr seine Worte das Herz. »Wenn ihr jemanden bestraft ... dann bestraft bitte mich. Nur mich.«
»Nun, wir werden Lonal trotzdem befragen müssen. Das verstehst du doch sicher, nicht wahr?«, ertönte Fuchtus Stimme voller Häme.
»Macht mit mir, was ihr wollt. Nur, ich flehe euch an ... verschont sie. Sie weiß von nichts.«
»Das ist wirklich ein verlockendes Angebot.« Ohne ihn zu sehen, wusste Mirui, dass Fuchtu breit grinste. »Wenn das so ist, können wir sicherlich auch ein wenig Spaß miteinander haben. Meinst du nicht auch?«
Mit Schrecken hörte Mirui die Worte des Hauptmanns und das Lachen seines gefolges. Ihre Glieder wurden taub und kalt bei dem Gedanken daran, was Fuchtu und seine Leute mit ihrem Partner anstellen würde. Vor ihrem geistigen Auge wurde sie Zeugin von seinen Folterpraktiken, von denen man sich im gesamten Militär erzählte. Doch bevor der Hüne ihm auch nur ein Härchen krümmen konnte, hielt Mirui es nicht mehr aus. Sie fuhr abermals auf und bahnte sich ihren Weg durch die Barriere hindurch, zurück in den Versammlungsraum. »RÜHR IHN NICHT AN!«
Hätte Fuchtu ihn nicht an seinem Kragen festgehalten, wäre Nolor sicherlich vor Schreck herumgefahren. Doch so reichte es gerade einmal dazu, dass er sich über seine Schulter schauen konnte.
»MIRUI!«, schrie er, befreite sich hektisch aus dem Griff des Karom, der ihn mit einem hämischen Grinsen nur allzu bereitwillig losließ, und stolperte zu ihr. »WAS SOLL DAS?!«, brüllte er panisch und packte sie an den Schultern. Verzweifelt erwiderte er ihren Blick, seine Lippen bebten. »Was soll das, meine Mohar?«
Dieser Anblick brach Mirui das bisschen, was von ihrem Herzen noch intakt war. »Ich kann doch nicht zulassen, dass er ...« Sie konnte nicht weitersprechen, so sehr sie sich auch bemühte.
»Du hast es mir versprochen!«, hauchte er. »Wie soll ich dich jetzt noch beschützen?«
»Du musst mich nicht beschützen. Wir beide sind da zusammen drin ...«, antwortete sie mit bebenden Lippen. Eine von Nolors zitternden Händen fand ihren Weg zu ihrer Wange und strich sanft darüber.
»Och, wie rührend«, ätzte Fuchtu. Mirui hatte ihn nicht vergessen und trotzdem zuckte sie zusammen.
Nolor wandte sich um und versuchte, sie hinter sich zu verstecken. »Bitte, tu ihr nichts«, flehte er erneut. »Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ihr etwas zustoßen würde ... Sie ist für mich die wichtigste Person in allen Welten.«
Fuchtu bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze auf die beiden zu. Er blieb dicht vor Nolor stehen und schaute abwechselnd mit seinen milchigen, kalten, toten Augen auf die beiden herab. Er wirkte einschüchternd auf Mirui und auch an Nolor ging seine massige Statur sicherlich nicht spurlos vorbei. Mirui schluckte, sah zu ihm hinauf und versuchte verzweifelt, den sich bildenden Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken.
»Wieso sollte ich sie verschonen?«, fragte der Hauptmann mit einem Lächeln, das Mirui das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Du – ihr beide – habt mich belogen. Ich finde nicht, dass das belohnt werden sollte.«
»Bitte, ich bitte dich ...«, flehte Nolor. »Auch wenn du nicht der Typ bist, der andere verschont ... Bitte mach dieses Mal eine Ausnahme ...«
Erneut erfüllte Fuchtus kaltes Lachen den Raum. Die beiden konnten nicht einmal reagieren, als der Hauptmann eine ruckartige Bewegung machte. Mirui fragte sich für einen Moment, was er damit bezweckte, denn auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert.
Doch dann spürte sie es. Zuerst war da ein Zwicken in ihrem Rücken, dann breitete sich ein dumpfer Schmerz in ihrer Magengegend aus. Irritiert blickte sie an sich herab und beobachtete stumm, wie sich etwas Rotes auf ihrem Oberteil ausbreitete. Sie griff mit ihrer Hand danach, versuchte es wegzuwischen ... doch vergebens. Es war Blut, das aus einer Wunde an ihrem Bauch austrat.
Wie betäubt, streckte Mirui ihre Hände aus und klammerte sich an Nolor. Sie zog an seinem Oberteil und sank auf die Knie. Nolor stand nach wie vor beschützend vor ihr, sein Kopf wandte sich suchend nach links und rechts. Schließlich wandte er sich um. Seine Augen weiteten sich erschrocken, während Mirui sich bereits am nackten Boden wand.
»Willst du ihr nicht helfen?«, hörte sie Fuchtu fragen.
Langsam ließ Nolor sich vor ihr auf die Knie sinken und schloss sie in die Arme. »Meine Mohar ...«, flüsterte er immer und immer wieder. Er fasste an einen Punkt an ihrem Rücken, wo sich der rote Blutfleck immer rascher ausbreitete. Mirui wusste, dass diese Berührung ihr Schmerzen bereiten musste, doch sie spürte nichts außer einer Kälte, die sich langsam in ihren Gliedern ausbreitete.
»N-Nol...or ...«, flüsterte sie mit heiserer Stimme. Sie wusste, was das bedeutete. Mit flehendem, tränenerfülltem Blick schaute sie zu ihm auf und formte Worte mit ihrem Mund, die ihren Weg nicht bis zu ihren Stimmbändern fanden. Die Verzweiflung auf dem Gesicht ihres Gefährten wurde immer trüber.
»Es wird alles gut, meine Mohar ...«, versicherte er ihr immer und immer wieder. »Ich bin bei dir ... Ich werde immer bei dir sein ...«
Um sie herum rückte alles in den Hintergrund. Ihr war, als hätte jemand einen Schleier über sie und ihren Gefährten gelegt. Was Fuchtu und sein Gefolge taten, nahm Mirui nicht mehr wahr. Einzig und allein Nolor, der fast drei Jahrhunderte lang ihre Welt gewesen war und der sie nun in seinen starken Armen hielt, spielte für sie eine Rolle. Ihn sah sie klar vor sich, wie er sie festhielt und ihren langsam schwindenden Blick voller Liebe erwiderte.
Schließlich wurde auch sein Bild vor ihren Augen immer trüber. Es war anstrengend für sie, bei Bewusstsein zu bleiben, und trotzdem gab sie sich alle Mühe. Ihr war bewusst, dass jede Hilfe für sie zu spät kam. Trotzdem war sie froh, dass er ihr das Gefühl gab, dass alles wieder gut werden würde. Egal was sie auf der anderen Seite erwarten würde ... Mirui würde ohne Last und ohne Schuld hinübertreten.
Ihre Augen wurden trüb. Die Farben um sie herum verschwammen zu einer Einheit. Jede Anspannung verließ langsam ihren Körper. Einzig den Kontakt zu Nolors Körper nahm sie wahr. Warm und haltgebend drückte er sie weiter an sich. Wie durch einen Schleier hörte sie die verzweifelten Worte, die Nolor vor sich her flüsterte. Worte, die er all die Zeit nie offen geäußert hatte. Sie hätte ihn gern getröstet, doch dazu fehlte ihr die Kraft. Die letzten Worte, die sie hörte, waren nicht in ihrer Muttersprache formuliert. Trotzdem waren sie ihr fremd und vertraut zugleich.
»Ich werde dich immer lieben.«
Dann wurde alles schwarz.
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Hoffnung
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