11.12.2021 || My Favorite Part
Der Schnee rieselte leise vom Himmel hinab und bedeckte die Tokioter Straßen mit seiner weißen Pracht. Aus den Ständen des Weihnachtsmarktes duftete es herrlich nach frisch gebackenen Plätzchen, Kinderpunsch und Glühwein. Aber auch die Häuser waren passend zur dieser Jahreszeit geschmückt worden – seien es die Weihnachtskränze welche an den Türen platziert wurden oder die farbenfrohen Lichterketten an den Fenstern. Die lachenden Menschen genossen sichtlich die besonnenen Momente, anlässlich des heiligen Tages. Der Start zum Fest der Liebe hätte nicht besser eingeläutet werden können.
Für alle außer Baji.
Dieser bekam zu seinem Glück nicht wirklich etwas vom Weihnachtstrubel mit. Stattdessen befand er sich nun im Park – inmitten seines Stadtviertels und saß auf der Parkbank. Sein Blick richtete sich nachdenklich auf den Himmel, aus welchem federleichte Schneeflocken herabfielen und zart sein Gesicht berührten. Konnte seinen warmen Atem emporsteigen sehen, gleichzeitig bildete sich ein trauriges Lächeln auf seinen Lippen.
Bis vor wenigen Minuten hatte er noch den nahegelegenen Friedhof besucht. Genauer gesagt einen Strauß scharlachroter Weihnachtssterne an das Grab seiner Mutter gelegt, wie jedes Jahr an diesem besonderem Tag. Und auch wenn sie nicht mehr unter ihm weilte, blieben die Erinnerungen an das gemeinsame Fest allgegenwärtig für Baji. Die tagelange Aufregung bis zur abendlichen Bescherung, die Vorbereitungen der süßen Köstlichkeiten und natürlich die vielen Dekorationen in ihrer Wohnung. Aber auch wenn er stets mit einem Lächeln an diese Zeiten zurück dachte, verbrachte er seit jeher diesen Tag alleine. Außer seiner Mutter besaß er keine weiteren Verwandten, was keinen sonderlich großen Unterschied gemacht hätte und was seine Freunde betraf, hatte er über die Jahre hinweg sämtliche Versuche von ihnen abgeblockt, dass Fest gemeinsam mit ihnen zu feiern.
Niemand sollte merken, wie er sich in Wirklichkeit fühlte.
Allmählich wurde es kälter und Baji stand auf und klopfte sich den Schnee von seiner Hose ab. Die Kälte kroch langsam unter seinen schwarzen Mantel hindurch, also zupfte er seinen marineblauen Schal bis zur Nasenspitze hoch und trat den Heimweg an.
Darauf eingestellt, den vermutlich wichtigsten Tag des Beisamenseins alleine in seinem Apartment zu verbringen.
[🌟]
Ein tiefer Seufzer verließ Bajis Lippen, als er das Gebäude seines Apartments erreichte und anschließend aufschloss. Die wohltuende Wärme im Hauseingang war ein ziemlich großer Kontrast zu dem eisigen Wind, der draußen tobte. Er schüttelte von seinen Armen den restlichen Schnee ab und öffnete den Briefkasten, nur um festzustellen, dass er nicht einmal eine einzige Weihnachtskarte erhalten hatte. Noch nicht einmal von Chifuyu.
Okay, sie kannten sich zwar erst seit dem neuen Semester diesen Frühjahrs, aber so viel Zeit wie sie miteinander verbrachten und auch die intensive Bindung, die sie dadurch in der Zwischenzeit entwickelt hatten, sollte doch wenigstes irgendeine Bedeutung haben, oder?
Warum die plötzliche Enttäuschung sich jedoch vorrangig auf Chifuyu bezog, wusste er selbst nicht genau. Eher gesagt, versuchte er den Grund in der hintersten Ecke seiner Gedanken zu verdrängen.
Langsam stieg er die Treppenstufen zu seinem Apartment hinauf und fragte sich beiläufig, ob er sich von seinem Lieblingslokal sein heißgeliebtes Peyoung Yakisoba nach Hause liefern lassen sollte – ihrer gemeinsamen Leibspeise. Jetzt musste er schon wieder unweigerlich an Chifuyu denken. Die Gedanken an ihn bei Seite zu schieben, klappte hervorragend. Nicht.
Davon genervt, holte Baji seinen Schlüsselbund hervor und fummelte an seinen Schlüsseln herum, ehe er den passenden ins Schloss steckte und letztlich die Wohnungstür öffnete. Kaum hatte er seine vier Wände betreten, tastete er neben sich entlang der Wand und betätigte direkt den Lichtschalter – mit überraschenden Folgen.
„Frohe Weihnachten!", wurde Baji sogleich von zahlreichen Leuten begrüßt, welche von den verschiedensten Winkeln seiner Wohnung auf ihn zukamen und ihn im Chor begrüßten.
Völlig sprachlos, starrte er jeden Einzelnen von ihnen an und wusste nicht so recht, ob es sich hier gerade um ein weihnachtliches Hirngespinst oder die Realität handelte. Seine kompletter Freundeskreis stand ihm, wenn auch etwas chaotisch, im engen Flur gegenüber und grinste ihn voller Freude an. Ein warmes Gefühl durchströmte seinen Körper.
„Ihn hat es scheinbar ziemlich von den Socken gehauen", kommentierte Draken und stemmte seine Hand locker in die Hüfte. „Oder seine mentale Festplatte hatte einen Absturz. Wäre schließlich nicht das erste Mal."
Die Stichelei war scheinbar der notwendige Anreiz gewesen, um Bajis kurzzeitige Sprachlosigkeit zu Fall zu bringen. „Schnauze."
Während allesamt das Lachen anfingen, trat sein bester Freund Mikey aus der Gruppe hervor und klopfte ihm bedeutsam auf die Schulter. „Willkommen Zuhause."
[🌟]
Eine Vielzahl an Getränken und Speisen standen auf dem Wohnzimmertisch. Neben dem Sideboard war ein geschmückter Weihnachtsbaum. Seine Freunde hatten wirklich an jedes noch so kleine Detail gedacht – auch wenn er glaubte, dass er diesen Teil wohl eher den beiden Mädchen aus der Gruppe zu verdanken hatte.
Nichts gegen seine männlichen Freunde – allerdings besaßen wohl eher Emma und Hina einen gewissen Spürsinn für das gesamte Tamtam, rund ums Schmücken.
„Gefällt dir deine Überraschung?" Kazutora war an ihn herangetreten und verschränkte seine Arme vor die Brust, während er ein sachtes Heben seine Mundwinkel umspielte.
Beide wussten, dass dies keinerlei Antwort benötigte. Was Baji jedoch nach wie vor schleierhaft blieb...
„Wie zur verfluchten Hölle seid ihr eigentlich hier reingekommen?"
Kazutora lachte auf und drehte einen Schlüsselbund an seinem Zeigefinger. „Erinnerst du dich noch an das hier?"
Natürlich. Wie hatte er vergessen können, dass er ihm seinen Ersatzschlüssel gegeben hatte? Schließlich wohnten sie nicht wirklich weit voneinander entfernt und besuchten obendrein noch die gleiche Universität.
„Also habe ich den Quasi-Einbruch dir zu verdanken?"
Verwundert schielte sein Kumpel zu ihm, schüttelte allerdings langsam den Kopf und deutete auf den wahren Verantwortlichen. Derjenige, dem er das erste, richtige Fest seit dem Tod seiner Mutter zu verdanken hatte. Als sich für einen kurzen Moment ihre Blicke trafen, schimmerten ihm die türkisfarbenen Seelenspiegel entgegen – und zündete womöglich ein Licht in seinem Herzen an.
[🌟]
Die frische Abendluft tat ihm wirklich gut. Jedoch konnte er selbst auf dem Balkon noch den Lärm von drinnen hören, was ihn tatsächlich veranlasste voller Unglauben seinen Kopf zu schütteln. Alleine schon wegen dem Schabernack, den seine Leute dort teilweise verursacht hatten. So war Mikey in seinem etwas beschwipsten Zustand auf die glorreiche Idee gekommen mit Hilfe von einem Mistelzweig und ein bisschen Klebeband, jenen an seinen Hintern zu befestigen und hatte Draken aufgefordert seinen Kopf unter dem Zweig zu halten. Möglicherweise ist dadurch eine kleine Rangelei zwischen den beiden entstanden, worüber sich selbstverständlich alle amüsiert hatten.
Als Baji sich auf dem Balkongeländer anlehnte, kehrten unweigerlich Kazutoras Worte in seinem Kopf zurück. Aber egal wie viel er darüber nachdachte, er verstand es nicht.
Wieso hatte Chifuyu all diese Mühe für ihn auf sich genommen? Außer Mikey, Draken und Kazutora kannte niemand den wahren Grund seiner Ablehnung zum Weihnachtsfest. Hatten ihm die anderen etwa davon erzählt?
Er atmete tief ein und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er war keineswegs jemand, der seine Gefühle auf dem Silbertablett reservierte und wirkte teilweise auch temperamentvoll. Dennoch sollte er demnächst reingehen und sich bei ihm bedanken...
„Ah...hier steckst du also Baji-san."
Wenn man vom Teufel sprach...
Ein angenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus, ließ sich allerdings äußerlich nichts davon anmerken und schielte unbekümmert zu Chifuyu, der mit erhitzten Wangen und zerzauster Frisur nun neben ihm stand und ihn regelrecht anstrahlte.
Wie konnte jemand wie er nur durch Hilfe seiner Ausstrahlung alles andere in ihrer Umgebung ausblenden lassen?
„Hai...ich wollte eine Pause von den Wahnsinnigen da drinnen haben."
Er beobachtete, wie Chifuyu sich kurz zur Tür drehte und lachend mit der Hand abwinkte. „Die braucht man irgendwann."
Danach herrschte zwischen ihnen kurz Stille. Es war definitiv nicht unangenehm, sondern hatte etwas...vertrautes an sich.
„Oi Chifuyu." Baji hatte sich nun vollends zu seinem Kumpel gedreht, welcher ihn mit großen Augen ansah und darauf wartete, was er zu sagen hatte. „Kazutora hat mir erzählt, dass du das alles für mich organisiert hast...arigatou."
„Gern geschehen", kam prompt die Antwort und starrte mit einem seligen Lächeln über die Dächer der anderen Wohnanlagen. „Sonst hättest du dieses Jahr womöglich alleine in deiner Wohnung gefeiert, nicht wahr?"
„Woher...-?"
„Instinkt."
Ein belustigtes Schnauben entkam aus seiner Kehle. Irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, dass Chifuyu ihn ziemlich gut durchschauen konnte. Seine Fassade hatte wohl absolut keine Wirkung auf ihn.
„Baji-san...warum wolltest du eigentlich
Weihnachten alleine feiern?"
Erstaunt über diese plötzliche Frage verweilten seine Augen für einen Augenblick auf ihm, ehe sein Blick dem Chifuyus folgte und hörbar ausatmete. „Naja, alles hatte damit angefangen, dass...-"
Während Baji ihm seinen Beweggrund erzählte, bemerkte er, wie in ihm ein vertrautes Gefühl wiederkehrte, welches er vor langer Zeit geglaubt hatte, verloren zu haben: Die Wärme und die Liebe mit geliebten Menschen diesen bedeutsamen Tag feiern zu können.
Besonders mit jener Person, die in ihm die kleine Flamme seines Herzens für das Weihnachtsfest wieder entzündet hatte. Denn dank Chifuyu würde er nie wieder das Fest der Liebe alleine verbringen, dessen war er sich mehr als sicher.
Nie mehr.
「 ⚜CRSP 」
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top