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𝐏𝐥𝐞𝐚𝐬𝐞 𝐡𝐮𝐠 𝐦𝐞
Yoongi kam nicht zu meiner Schicht und auch, wenn ich froh darüber war, war ein kleiner Teil von mir auch traurig. Die ganze Nacht über saß ich alleine im Tankstellenshop und trank Kaffee. Zwischendurch kamen Kunden, doch es waren nur Wenige. Bei Nacht ging kaum einer zur Tankstelle. Ich lernte. Weil ich in meiner Zeit bei Yoongi so viel versäumt hatte zu lernen, lernte ich nun auf der Arbeit. Am nächsten Morgen war ich völlig erschöpft. Ich räumte meine Sachen zusammen und taumelte aus dem kleinen Laden.
Die Kälte empfing mich und ich verfluchte mich dafür am Vortag nicht an eine Jacke gedacht zu haben. Bibbernd machte ich mich auf den Weg nach Hause, wo ich meine Schulsachen packte und mir einen Pullover überzog. Schnell ging ich nochmal die Englisch Vokabeln durch, bevor ich zur Schule wankte. Yoongi war nicht da. Das schlechte Gewissen machte sich in mir breit. Ich wollte doch nur das Beste für ihn, auch, wenn er das nicht sah.
Ich gab mir Mühe aufzupassen und meldete mich viel. Mein Kopf dröhnte. Zum Glück hatte ich in den nächsten beiden Nächten keine Schicht. Nach der Schule setzte ich mich sofort wieder an den Schreibtisch und lernte. Wenn ich zu müde wurde, schluckte ich eine Tablette. Langsam hatte ich auch schon den Stoff der elften Klasse geschafft. Ich musste mir den Stoff der Zwölften besorgen. Ich schlief nicht. Diese Nacht nicht, die darauf Folgende nicht. Yoongi kam nicht zur Schule und ich machte mir langsam immer mehr Sorgen.
Am Freitag saß er wieder auf seinem Platz neben mir. Ich tat so, als würde ich ihn ignorieren, aber insgeheim war ich froh, dass er gesund und wohlauf war. Inzwischen war ich wieder so erschöpft, dass ich kaum laufen konnte, doch ich wusste, dass ich weitermachen musste. Mama kam heute nach Hause. Ich dachte an den Freizeitpark. An die geröteten Wangen des Älteren und den Geschmack von Erdbeerzuckerwatte und gebrannten Mandeln. Ich dachte an die Stunden, in denen wir miteinander kuschelnd auf seinem Bett gelegen hatten. Ein stechender Schmerz meldete sich in mir. Ich vermisste es. Aber ich wusste, dass ich das Richtige tat. Der Schwarzhaarige sollte nicht an mir kaputt gehen.
Mein Blick glitt zu ihm. Die schwarzen Haare, die ihm zerzaust und flauschig in die Stirn hingen. Die helle, harte Haut. Ich hatte ihn berührt und beschmutzt. Warum ekelte er sich nicht vor mir? Mein Engel... Mein kleiner Engel, der nur das Gute in mir sehen wollte. Meine Augen waren dabei zuzuklappen und gewaltsam riss ich sie wieder auf.
Als ich nach der Schule nach Hause kam, standen Mamas roten Absatzschuhe im Flur. Ich musterte sie und stellte meine Eigenen ordentlich dazu. "Ich hoffe du hast fleißig gelernt, als ich nicht da war." Mit strengem Blick kam die Frau, die sich meine Mutter nannte, aus der Küche und musterte mich. "Hallo, Mama", lächelte ich zaghaft. "Hast du?" Ihre Stimme klang schneidend und eingeschüchtert nickte ich. "Ich habe nur gelernt. Ich habe nicht geschlafen, nicht gegessen, nur gelernt." Ihr Gesichtsausdruck wurde sanfter. "Das ist brav, Jimin." Aus ihrem Mund klang mein Name nach Etwas Abstoßendem. Sie sollte ihn nicht so aussprechen. Ihre Hand legte sich auf meinen Kopf und sie wuschelte mir durchs Haar. "Du weißt, dass ich nur das Beste für dich will, nicht wahr?" Ich nickte gehorsam. "Und bei der Arbeit warst du auch?", hakte sie nach und erneut nickte ich. "So ein guter Junge. Jetzt darfst du nicht nachlassen!" Ein Anflug von Freude überkam mich. Dieses Mal hatte sie Nichts an mir auszusetzen. Sie hatte mich sogar gelobt! "Ich geh wieder lernen, Mama." Insgeheim hoffte ich, dass sie mich aufhalten würde. Mit mir in die Küche gehen würde und mir etwas zu Essen anbieten würde, bevor sie mich ermahnen würde, dass ich mich auch mal Etwas ausruhen solle. Doch meine Mutter nickte mir nur zu und trat beiseite. "Denk daran nicht mit dem Lernen aufzuhören, bis du zur Arbeit musst. Du kannst es dir nicht leisten jetzt nachzulassen."
Sah sie nicht, dass ich kurz davor war umzukippen? Wollte sie mich noch weiter quälen, mich kaputt machen, bis ich meine Grenzen zu weit überschritt und endgültig zusammenbrach? Langsam glaubte ich wirklich, dass sie es liebte mich leiden zu sehen. Mühsam stolperte ich die Treppe hoch in mein Zimmer.
Namjoon und Hoseok kamen wieder mit ihrer Truppe zur Tankstelle. Yoongi war auch dabei, doch er sah mich nicht einmal an. Stumm rechnete ich die Duploriegel ab, die Namjoon bei mir kaufte. Meine Handflächen schwitzten und mein Herz raste. Wahrscheinlich hatte ich mit dem Koffein maßlos übertrieben. Ich reichte dem riesigen jungen Mann vor mir sein Wechselgeld. "Einen schönen Tag noch", wünschte ich monoton. Er verzog sich wieder nach Draußen, ohne mir zu antworten. Seufzend setzte ich mich auf meinen Stuhl hinter der Kasse und beugte mich über meine Geschichtsaufzeichnung. Alles drehte sich. Mein Kopf dröhnte und mir war unglaublich schwindelig. Jetzt betrat Hoseok den kleinen Shop und bestellte einen Kaffee. Also kam ich irgendwie wieder auf die Beine und wankte zur Kaffeemaschine. Ich konnte nicht mehr.
"Ist alles in Ordnung?" Hoseoks Stimme drank kaum zu mir durch. Ein lautes Rauschen füllte meine Ohren und die Welt drehte sich, verschwamm zu einem Wirbel vor meinen Augen. Jetzt war ich wohl an dem Punkt angekommen, wo mein Körper nicht mehr mitmachte. Mein Herz raste und ich schwitzte wie wahnsinnig, obwohl ich nur ein dünnes T-Shirt trug. Yoongis T-Shirt. Aber es roch nicht mehr nach Weichspüler, sondern nur nach meinem Schweiß. Ich vermisste den Älteren so sehr. Obwohl ich selber schuld war, dass er nicht mehr bei mir war. "Jimin!" Ich wollte eisern weitergehen. Sonst schaffte ich es doch auch immer irgendwie auf den Beinen zu bleiben. Doch ich hatte keine Kraft mehr. Meine letzten Reserven waren aufgebraucht.
Meine Beine gaben unter mir nach und ich knallte hart auf den Boden. War das jetzt mein Ende? Würde ich jetzt sterben, weil ich immer weiter gemacht hätte, ohne auf meine Grenzen zu achten? Ein leises Wimmern entkam mir. Irgendwie schaffte ich es meine Augen wieder zu öffnen. Doch ich nahm alles nur sehr verschwommen wahr. "Oh mein Gott." Hoseok hatte sich über mich gebeugt. "Ist alles in Ordnung?" War er blind? Natürlich war Nichts in Ordnung! Aber er sollte weggehen! Ich hasste es, wenn Jemand meine Schwäche sah. "Lass mich in Ruhe", brachte ich hervor. Er stand auf und ließ mich tatsächlich alleine. Doch dann hörte ich ihn rufen: "Yoongi? Komm mal bitte schnell! Es ist dringend!" Nein. Ich würde Yoongi beschmutzen und in meine dunkle Welt hinabziehen. Ich musste ihn doch vor mir beschützen! Winselnd krümmte ich mich zusammen.
Und dann war er bei mir. Beugte sich über mich, durch den Schleier meiner Tränen erkannte ich seinen Umriss. Mein Engel! Mein Schutzengel! Er war hier trotz Allem! Seine Hände wischten meine Tränen weg. "Kannst du mich hören, Jimin?" "Ja", schluchzte ich und ich war so froh, dass er hier bei mir war. "Ja, kann ich!" Ich verfluchte mich dafür, dass ich so egoistisch war den Älteren bei mir behalten zu wollen, obwohl ich ihm schadete. "Umarm mich", flehte ich und hob schwach meine Arme. Er griff mich an der Taille und zog mich auf seinen Schoß. "Shh, ich bin hier. Ich bin da. Alles wird gut", murmelte er, während ich meinen schwachen, zitternden Körper an ihn presste. Mein Engel. Er war da! Egal, was ich ihm antat, er war da! "Es tut mir leid", wimmerte ich in seine Schulter. "Ich wollte dich doch nur vor mir schützen!" Seine Umarmung wurde fester. "Es ist in Ordnung, Jimin! Ich bin nicht böse", sagte der Schwarzhaarige ruhig. Mein Name klang so schön, wenn er ihn aussprach. Ganz anders, als bei meiner Mutter. Ich fühlte mich auf einmal mehr wertgeschätzt.
Langsam stand Yoongi auf und zog mich mit hoch. "Namjoon übernimmt wieder für dich." Sollte das zur Gewohnheit werden? "Mama war heute zufrieden mit mir", nuschelt ich in seine Schulter. "Bist du auch stolz? Ich hab ganz viel gelernt." "Ich bin stolz auf dich, Jimin! Aber jetzt musst du schlafen gehen, okay?" Der Ältere nahm mich Huckepack. "Ich habe nicht gegessen und nicht geschlafen. Seit Montag. Nur gelernt und gearbeitet", plapperte ich vor mich hin. "Und ich war böse auf mich, weil ich nicht gut für dich bin." Vor Erschöpfung und Müdigkeit war mir gar nicht mehr wirklich bewusst, was ich da redete. "Ich hab dich lieb... Du bist doch nicht böse auf mich, oder?" "Nein, ich bin nicht böse auf dich!"
"Danke." Mein Kopf lag schwer auf der Schulter des Schwarzhaarigen. "Bin ich nicht zu schwer?", fragte ich nach einer Weile. "Nein, bist du nicht, du bist echt leicht." Er klang traurig. "Bitte iss mehr." "Keine Zeit", sagte ich erschöpft. Es war kalt, aber ich spürte die Kälte kaum. "Gehen wir nach Hause?", fragte ich leise. "Wir gehen nach Hause." Erleichtert vergrub ich mein Gesicht an seinem Nacken. "Danke! Danke, dass du für mich da bist." Yoongi schwieg.
Und dann waren wir bei ihm zu Hause angekommen. Er trug mich in sein Zimmer, wo er mich auf seinem Bett absetzt. "Ich hab dein T-Shirt an", kicherte ich, als er mir Schlafsachen gab. "Darf ich eines deiner T-shirts behalten? Sie riechen gut." Kopfschüttelnd half er mir beim Umziehen. "Wenn es dich glücklich macht." Mir ging es schon deutlich besser. Der Ältere hatte mir wirklich gefehlt. "Kuscheln", verlangte ich und streckte die Arme nach ihm aus. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Mein Engel. Ich brauchte ihn. Mir war gar nicht klar gewesen, wie sehr ich ihn inzwischen brauchte!
Seine Arme schlangen sich um mich und ich kuschelte mich an ihn. "Schlaf endlich, Jimin! Bitte schlaf! Du brauchst es so dringend!" Ich nickte und gähnte. "Ich muss morgen um 6 Uhr Morgens zu Hause sein. Damit Mama nichts merkt." Sanft strich er mir über den Kopf. "Ich sage meiner Mutter sie soll morgen bei euch anrufen und sagen, dass wir ein Referat vorbereiten müssen und du deswegen direkt zu uns gekommen bist." Das klang gut. Es klang wirklich gut. Ich lächelte. Mein Engel, der mir half. "Danke."
Ich schlief ein. Endlich gönnte ich meinem völlig überarbeiteten Körper und Gehirn Ruhe. Tatsächlich schlief ich die ganze Nacht durch und am nächsten Morgen wachte ich ausgeruht auf. Yoongi hatte Frühstück ans Bett gebracht. "Guten Morgen", wünschte ich ihm leise. Er sah auf. "Hallo, Jimin! Geht es dir wieder besser?" Er lächelte mich traurig an. Irgendwie war er in letzter Zeit oft traurig und es war immer mir zu verdanken. Ich nickte und krabbelte unter der Bettdecke hervor, bevor ich zu ihm stolperte und ihn umarmte. Etwas überrumpelt fing er mich auf und schlang ebenfalls seine Arme um mich. "Lass uns frühstücken. Du hast seit Montag nichts mehr gegessen!", murmelte der Ältere gegen meine Schulter. Warum hatte ich vorherige Nacht auch so viel plappern müssen? Aber ich war vor Erschöpfung auch nicht mehr ganz bei Sinnen gewesen und hatte die Worte nicht kontrollieren können, die aus mir gesprudelt waren.
"Okay." Ich griff nach seiner Hand und wollte unsere Finger miteinander verschränken, doch er entzog sie meinem Griff. "Lass gut sein. Ich bin nicht sauer. Aber ich bin verletzt", sagte er leise. Mit gesenktem Kopf nickte ich. "Tut mir leid." Ich brauchte ihn doch! Aber ich musste es respektieren, wenn er meine Nähe nicht wollte. "Lass uns essen." Ich stapfte zum Schreibtisch und nahm mir eine der bereits geschmierten Toast-Scheiben. Doch mein Appetit war nicht groß. Lustlos kaute ich darauf rum. Irgendwann legte ich den halb-aufgegessenen Toast auf den Teller zurück. "Jimin!" Yoongi sah streng aus. Automatisch zuckte ich zurück und zog die Schultern hoch. "T-tut mir leid." Sofort griff ich nach dem Toast und aß ihn auf. Der Schwarzhaarige seufzte. Dann streckte er die Hand nach Meiner aus und verschränkte unsere Finger. Ich sah auf unsere Hände. "Du musst nicht... Ich meine, ich akzeptiere das, wenn du meine Nähe nicht willst", stotterte ich leise.
"Halt die Klappe, Jimin!" Meine Augen weiteten sich. Sein Händedruck wurde fester. "Wie kann man deine Nähe nicht wollen? Du denkst so sehr an Andere und kümmerst dich viel zu gut um deren Befinden. Das macht nicht Jeder. Weißt du nur, was das Doofe dabei ist?" Zögerlich blickte ich ihn an. "I-ich nerve?" Er verdrehte die Augen. "Um Gottes Willen, nein, Jimin! Das Problem ist, dass du dabei vergisst dich um dich selber zu kümmern." Das war nicht wahr. Immerhin war ich so verdammt egoistisch bei Yoongi zu bleiben und mich wie eine Klette an ihn zu hängen, weil ich ihn so sehr brauchte. Dabei schadete ich ihm nur. Der Ältere musterte mich." Was geht jetzt schon wieder in deinem hübschen Köpfchen vor, hm?" Ich war nicht hübsch! "Ich b-bin egoistisch", stotterte ich. "Nennst du es egoistisch, wenn du du wegrennst, weil du mich vor dir schützen willst? Nennst du es egoistisch dich kaputt zu machen, weil es deine Mutter glücklich macht? Ist das egoistisch?"
Zaghaft nickte ich. "Ich lerne ja, weil es mich glücklich macht, wenn meine Mutter glücklich ist. Siehst du? Es ist zum Selbstzweck..." Kopfschüttelnd tippte der Schwarzhaarige mir gegen die Stirn. "Nein. Nein, das ist nicht egoistisch, Jimin!" Er seufzte. "Aber ich tue jetzt was Egoistisches." Mit diesen Worten drückte er mir einen kurzen Kuss auf den Mund, hielt mich aber an den Händen fest, damit ich nicht wieder wegrennen konnte. Schon wieder. Er hatte mich schon wieder geküsst. Sah er nicht, dass ich schlecht für ihn war? Aber er wollte, dass ich egoistisch war. Hatte er das nicht gesagt? Wenn er das wollte, musste ich es tun. Ich durfte niemanden enttäuschen! Was wollte ich? Meine Hände entzogen sich den Seinen und legten sich stattdessen um seine Taille.
"Das war nicht egoistisch, Yoongi-Hyung", meinte ich leise. "Es ist nicht egoistisch, wenn es Beiden gefällt und Beide es wollen, oder?" War es falsch, was ich hier tat? Aber ich tat doch das, was Yoongi wollte. Und, was ich wollte. Seine Augen weiteten sich. Vorsichtig lächelte ich. "Ist es doch nicht, oder?", fragte ich erneut. "Ist es nicht", brachte er hervor. Ich brauchte ihn. Er war mein Engel. "Darf ich dich nochmal küssen?", fragte ich leise. Es war keine Lüge. Alles, was er für mich tat, war echt. Mein Engel. Zaghaft nickte der Ältere. Ich neigte mich vor und küsste ihn. Automatisch fielen meine Augen zu. Ich konnte spüren, wie der Schwarzhaarige sich in mein Oberteil krallte, als er erwiderte. Er war mein Engel und ich war seine Sünde. Doch ich wollte ihn. Ich brauchte ihn. Denn er ließ mich fühlen, wie es war im Himmel zu sein. Verdammt war ich egoistisch.
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