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𝐈 𝐣𝐮𝐬𝐭 𝐰𝐚𝐧𝐭𝐞𝐝 𝐭𝐨 𝐟𝐥𝐲...
Leise schloss ich die Haustür hinter mir. Im ganzen Haus war es still. Bis ein lauter, hysterischer Schrei die Stille durchbrach. "Park Jimin? Was fällt dir ein? Wo zur Hölle warst du?" Sie war wirklich stocksauer. Das Stöcken der Absatzschuhe auf dem steinernen Flurboden durchschnitt die Stille. Die Wärme, die ich bei Yoongi verspürt hatte, verschwand aus mir und wurde von einer kalten Leere ersetzt. Ich war wieder in der Hölle. Mein Blick war auf den Boden und ich traute mich nicht meine Mutter anzusehen.
Jetzt stand sie direkt vor mir und verpasste mir eine schallende Ohrfeige. Mein Kopf flog zur Seite, doch ich gab keinen Laut von mir. "Wo warst du? Antworte gefälligst!" Ich zitterte am ganzen Körper. "Spazieren", murmelte ich. "Achja? Lügen tust du auch noch! Wie willst du mir dann das an deinem Hals erklären?" Ihre Fingernägel waren spitz und bohrten sich schmerzhaft in meine Haut, als sie angewidert gegen meinen Knutschfleck piekste. Mit gesenktem Kopf zog ich die Schultern hoch. Verächtlich zischte die Frau vor mir. "Du bist echt das Allerletzte! Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!" Gehorsam richtete ich meinen Blick auf sie. Voller Verachtung sah sie mich an. Und ihre Stimme klang kalt und schneidend, als sie sagte: "Du bist nicht mein Sohn! So etwas Widerliches hat kein Recht sich meinen Sohn zu nennen."
Es tat so weh. Ihre Worte schmerzten und ihr Blick ebenfalls. "Aber Mama...", murmelte ich leise und blickte sie flehend an. Ich tat doch Alles, um ihr zu gefallen. "Ich bin nicht deine Mutter." Sie gab mir erneut eine Ohrfeige. "Geh! Geh sterben du Ratte! Ich will dich nie wieder sehen! Du bist eine einzige Enttäuschung!" Und innerhalb dieser wenigen Sekunden hatte sie es geschafft aus meinem Himmel wieder die Hölle zu machen. Alles in mir tat weh. "Ich hasse dich." Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ mich stehen.
Ich weinte. Lautlos rollten die Tränen über meine Wangen und ich presste mir die Hand vor den Mund, um kein Geräusch von mir zu geben. Mechanisch bewegten sich meine Füße in Richtung meines Zimmers. Alles war kaputt. Ich konnte nicht mehr. Langsam ließ ich mich an der Innenseite meiner Zimmertür hinabgleiten. Ich hatte doch Alles für Mama getan. Warum hasste sie mich nur so? Ich hatte ihr doch nichts getan! Oder doch? Vielleicht war ich einfach immer noch nicht genug. Durch das Holz meiner Zimmertür vernahm ich das laute Knallen der Haustür. Mama war gegangen.
Mein ganzer Körper zitterte. Warum war ich nie gut genug? Meine ganze Existenz war doch eigentlich überflüssig. Weil ich es nicht schaffte gut genug zu sein. Mein Blick wanderte zu meiner Schreibtischschublade. Doch ich wollte nicht an einer Überdosis sterben. Ich wollte wieder fliegen. Ich wollte in den Himmel zurück. Diese Hölle erdrückte mich. Gequält schloss ich die Augen. Doch dann stand ich langsam auf. Schlurfend machte ich mich auf den Weg nach Draußen. Barfuß und mein Oberkörper nur mit einem dünnen T-Shirt bedeckt, doch es war mir egal. Alles war egal. Ich war egal.
Ich spürte die Kälte des Bürgersteig unter meinen nackten Füßen kaum. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus, doch auch das nahm ich nur am Rande wahr. Morgen war mein Geburtstag. Mein siebzehnter Geburtstag. Den ich nicht mehr erleben würde. Denn meine Mutter wollte, dass ich starb. Und ich würde ihr gehorchen. Wenigstens dieses eine Mal wollte ich alles richtig machen und sie nicht enttäuschen. Obwohl ich das immer tat. Immer enttäuschte ich sie. Nie war ich genug. Doch dieses Mal würde sie stolz auf mich sein. Ein letztes Mal. Das Bürogebäude, welches mein Ziel war, tauchte vor mir auf. Ich schluckte, doch dann atmete ich tief durch und hielt auf das riesige Gebäude zu.
Die Straßenlaternen schalteten sich an, es war dunkel geworden. Die ersten Sterne leuchteten am Himmel und der Mond ging auf. Noch blass, doch je dunkler es wurde, desto heller schien er. So schön. Beinahe bedauerte ich es, dass ich dieses Leben nun beenden wollte. Erneut traten Tränen in meine Augen. Meine Sicht verschwamm. Halb blind vor Tränen betrat ich das Bürogebäude.
Meine Füße waren bleischwer, während ich mich die Treppen hochschleppte. Mein Weinen wurde immer heftiger und das Schluchzen wurde so stark, dass ich kaum noch gehen konnte. Und dann war ich Oben angekommen. Die kalte Nachtlift schlug mir entgegen und ich trat nach draußen aufs Dach. Die Stadt lag zu meinen Füßen, so schön glitzernd und leuchtend, während oben am Himmel die Sterne funkelten. Ich trat ganz an den Rand des Daches und sah nach Unten. Auf der Straße fuhren die Autos, glänzende, sich bewegende Punkte, deren Scheinwerfer hell strahlten.
Zittrig atmete ich aus. Und gerade in dem Moment, als ich meine Augen schließen und mich fallen lassen wollte, vibrierte mein Handy. Ich griff nach dem kleinen Gerät und wollte es stumm schalten, doch dann streiften meine Finger den grünen Hörer. "Jimin? Ist deine Mutter sehr böse geworden? Wie geht es dir?" Ich starrte das kleine Gerät an, aus dessen Lautsprecher Yoongis Stimme schallte. Etwas sagen konnte ich nicht, das Schluchzen schüttelte mich immer noch zu stark. "Oh, Jimin! Was ist passiert? Bitte Wein doch nicht..." Mein Engel. Warum machte er sich solche Sorgen um eine so wertlos Person, wie mich? "Y-Yoongi", schniefte ich. "Ich bin hier. Was ist los? Soll ich zu dir kommen?" Bitter lachte ich.
"Würdest du mich vermissen, wenn ich gehen würde?" Hoffentlich verstand er dieses unverständliche Wimmern überhaupt. Die Lichter der Stadt funkelten unverändert vor sich hin und es sah so schön aus. Warum war diese Hölle so schön? "Natürlich würde ich das! Ich brauche dich doch!" Er klang bedrückt. "Was hast du vor, Jimin?" Ich musterte die Autos, die unter mir vorbeizogen. "Fliegen", hauchte ich traurig. "Ich will endlich fliegen." Und dann hörte ich ein Schniefen am anderen Ende der Leitung. "Und was ist mit mir? Du willst dich umbringen, oder? Aber was ist mit mir? Ohne dich will ich doch gar nicht mehr leben." Und dann weinten wir gemeinsam. Weil wir litten und diese Welt ein grausamer Ort war, der uns kein Glück vergönnte.
"Yoongi", wimmerte ich. "Ich will doch nur einmal im Leben das Richtige machen. Wenn ich sterbe, mache ich sie glücklich." Er schluchzte. "Kann ich nicht zu dir und dich umarmen? Bitte!" Mit zittrigen Fingern schickte ich ihm meinen Standort. Inzwischen war ich völlig unterkühlt. "Leg nicht auf", bat ich ihn. Ich wollte nicht, dass er mich mit meinen Gedanken alleine ließ. "Niemals." Ich konnte hören, wie er sich seine Jacke überzog und mit einem Klicken die Haustür öffnete. Rannte er? Sein Atem ging hektisch und das Mikro raschelte laut. Ich starrte auf meine nackten Zehen, die etwas über den Rand des Daches hinausragten.
Es dauerte keine zehn Minuten, dann war er da. "Jimin." Yoongis Wangen glänzten feucht von seinen Tränen. Ich drehte den Kopf in seine Richtung. Er zog mich vom Rand des Daches weg und ich taumelte in seine Arme. Sanft fing er mich auf und ich weinte in seine Halsbeuge, während seine Tränen auf meinem dünnen T-Shirt landeten. "Tu mir das nicht an, ich liebe dich doch! Bitte verlass mich nicht!" Seine Arme waren fest um meinen zitternden Körper geschlungen. "Aber ich kann nicht mehr", winselte ich. "Ich weiß. Das weiß ich doch." Er drückte mir mit bebenden Lippen einen Kuss auf den Haarschopf und ich krallte meine Hände in seine Jacke. "Oh Gott, wie kalt du bist." Er wiegte uns hin und her. "Ich liebe dich! Es tut mir leid." Endlich kroch wieder etwas Wärme in meine tauben Glieder. "Ich liebe dich auch." Mein Freund schniefte und sah mir ins Gesicht. Seine Augen waren ganz gerötet vom Weinen.
Es war meine Schuld. Ich hatte ihn zum Weinen gebracht. "Es tut mir leid, mein Engel. Ich wollte dir nicht wehtun", sagte ich heiser. Seine Arme pressen mich eng an ihn. Als wolle er mich nie wieder loslassen. Als hätte er Angst, dass ich dann zum Rand des Daches gehen würde und ihn verlassen würde. "Hör auf immer jede Schuld bei dir zu suchen." Ich nickte nur schwach. "Können wir nach Hause gehen?" "Ja, Jimin, das können wir." Seine Augen glänzten so traurig.
Er trug mich huckepack, weil ich nicht einmal mehr genug Kraft hatte, um zu laufen. Außerdem trug ich jetzt Yoongis Winter Jacke, die so gut nach ihm roch. Mein Kopf lag schwer auf seiner Schulter und mein Hals tat weh vom vielen Weinen. "Yoongi?", krächzte ich. "Ja?" Ich legte den Kopf in den Nacken. "Die Sterne leuchten so schön heute Nacht." Mein Freund lachte, doch es war ein trostloses Lachen. "Ja, das tun sie, Jimin. Doch keiner leuchtet so schön, wie du es für mich tust. Ich weiß, dass das kitschig klingt, aber es ist irgendwie die Wahrheit." Sein Geruch umhüllte mich tröstlich und ich war froh, dass er bei mir war. "Ich liebe dich", nuschelte ich. "Ich dich auch", antwortete er leise.
Das gelbliche Licht der Straßenlaternen erleuchtete uns den Weg. "Ich bin eine Enttäuschung", murmelte ich leise. "Jetzt habe ich sie schon wieder enttäuscht." "Halt die Klappe", knurrte mein Freund. "Deine Mutter hat kein Recht von dir zu verlangen, dass du stirbst." Ich seufzte und schmiegte meine kalte Wange an seine. "Aber ich will doch nur einmal gut genug sein." Er ließ mich von seinem Rücken rutschen, doch bevor meine Beine einknicken konnten, wurde ich aufgefangen und gegen die nächste Hauswand gedrückt.
"Du bist verdammt noch mal gut genug. Schau dir meine Mutter an. Sie verlangt kaum Etwas von mir und liebt mich trotzdem. So, wie deine Mutter dich behandelt, das ist unmenschlich. So hat sich keine Mutter zu verhalten. Eine richtige Mutter liebt dich, egal, was du machst." Ich vermisste seine Körperwärme. Zitternd zog ich die Schultern hoch und traute mich nicht ihn anzusehen. Stattdessen sah ich auf meine nackten Füße und presste mich ängstlich gegen die kalte Hauswand hinter mir. Wut war Etwas, womit ich nicht gut umgehen konnte. "E-entschuldigung", gab ich verängstigt von mir. Mein Freund legte seine Hand unter mein Kinn und hob es an. "Warum hast du Angst vor mir, Jimin?" Mein Blick traf auf seinen. "Tut mir leid", stammelte ich erneut. Er seufzte, dann strich er mir sanft über die Wange. "Ich würde eher sterben, als dir wehzutun." Ich blieb stumm, schmiegte mich aber der Berührung entgegen. Womit hatte ich diesen Engel verdient?
Sumi kochte uns einen Kakao. Eimgewickt in eine Wolldecke und mit warmen Socken an den Füßen saß ich in der Küche auf einem Küchenstuhl. Yoongis Mutter reichte mir meine Tasse. Sie hatte uns sofort in die Küche beordert, als sie gesehen hatte, wie verweint und fertig wir waren. "Jetzt erzählt mir mal, was los ist, Jungs." Sie stellte einen Teller mit den Plätzchen, die wir heute gebacken hatten, auf den Küchentisch. Ich trank meinen Kakao und spielte stumm mit den Zipfeln meiner Decke. "Jimins Mutter hat ihn entgültig verstoßen." Yoongis Stimme klang bitter. Mitleidig sah Sumi mich an. "Das ist ja schrecklich!" Ich nickte und mied ihren Blick. "Aber das ist noch nicht alles, nicht wahr?" Sie war wirklich rien clevere Frau. "Jimin?", sprach sie mich jetzt direkt an. Ich zog die Schultern hoch. Alles schien so trostlos. "Mama hat gesagt, dass ich nicht mehr ihr Sohn bin und..." Ich schluckte die aufkommenden Tränen vergeblich hinunter. "Und, dass ich sterben soll." Immer noch sah ich Sumi nicht ins Gesicht, sondern zog nur die Decke enger um mich. "Ich will doch nur, dass ich einmal im Leben gut genug bin. Dass ich einmal Alles richtig mache."
"Ist das wahr? Wolltest du dich umbringen, Jimin?" Sie klang fassungslos. Meine Finger krallten sich in den Stoff der Decke, während ich kläglich nickte. Mein Freund schlang die Arme um mich und ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge, während mir heiße Tränen über die Wangen rollten." Ich wollte doch nur gut genug sein. Immer enttäusche ich sie", wimmerte ich erschöpft. Dann weinte ich nur noch hilflos vor mich hin und sagte nichts mehr.
"Hätte ich nicht im richtigen Moment angerufen, wäre er gesprungen." Yoongi sprach leise und mit belegter Stimme, während sich seine Arme noch fester um mich schlangen. Meine Glieder fühlten sich bleischwer an und ich war erschöpft und geschwächt. Was Sumi sagte, verstand ich nicht mehr, ihre Worte drangen zu verschwommen zu mir durch. In mir war nur Leere und Schmerz und trotzdem war ich froh, dass mein Freund bei mir war. Ich war so müde. Mein Kopf lag schwer auf der Brust des Schwarzhaarigen.
Diese Welt war so dunkel. Meine eigene Mutter hasste mich und wünschte mir den Tod. Ich fragte mich, was ich in meinem Leben falsch gemacht hatte, dass ich das verdiente. Alles verschwamm hinter einem dichten Nebel, meine Gedanken waren nicht mehr klar, sondern nur noch verzerrte Fetzen. Und in mir der präsente Schmerz, der mich leiden ließ. Es sollte aufhören. Der Schmerz sollte weggehen! Warum tat es nur so weh?
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