Stufen
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Kurzer Disclaimer: Für alle, die vielleicht verwirrt sind: Ich habe meinen Benutzernamen geändert. Es wurde Zeit für etwas Anderes, etwas Neues.
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Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an der Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch in einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
~Hermann Hesse~
„Das wird reichen, Elias. Und jetzt verlassen Sie die Küche!"
Paula gestikulierte wild mit einem Messer und warf mir einen bösen Blick über die Kücheninsel hinweg zu. Rückwärts laufend verließ ich die Küche, die Arme beruhigend erhoben. Es war wohl keine gute Idee, noch einmal dort hinein zu gehen. Aber ich musst irgendetwas tun.
Ich durfte noch immer nicht an meinen Laptop, meine Bibliothek war neu sortiert, der Schrank nach Farben geordnet und ich hatte das Esszimmer neu gestrichen und eingerichtet. Okay, vielleicht hatte ich mich bei der Einrichtung beraten lassen.
„Du solltest dich echt mal entspannen."
Ich war mittlerweile im Wohnzimmer angekommen, wo ich zwischen Fernseher und Couch hin und her lief. Doch bei den Worten hielt ich inne und warf Chris einen bösen Blick zu. Er hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht, den Laptop am Schoß, um eine Hausarbeit zu beenden. Ich beneidete ihn dafür, dass er arbeiten durfte. Es hatte nicht viel gefehlt und Sofia hätte meinen Rechner konfisziert, aus Angst ich würde etwas Dummes tun.
„Komm her."
Chris legte seinen Laptop zur Seite und klopfte auf den Platz neben sich. Langsam setzte ich mich, ihm zugewandt. Chris tat es mir gleich, sodass unsere Knie sich berührten. Noch vor ein paar Wochen hätte diese Nähe mich nervös gemacht, doch mittlerweile beruhigte die leichte Berührung mich nur noch. Für ein paar Momente blieben wir einfach nur sitzen und ich genoss die Zweisamkeit. Die Tatsache, dass Chris heute besonders gut aussah, war auch nicht schlecht. Er hatte sich für heute mit einem weißen Hemd und einem dunkelblauen Anzug, dessen Jackett nirgends zu finden war, aus meiner Garderobe eigekleidet und ich musste zugeben, dass ihm dieser Look besser stand als mir. Es betonte die überraschend breiten Schultern und seinen dunkleren Teint.
„Was macht dich denn so nervös, Elias? Du weißt, dass sie mich wahrscheinlich nicht akzeptieren werden. Und dir ist doch bewusst, dass das in einer großen Katastrophe enden wird. Warum also machst du dir so viele Gedanken?"
Ich seufzte und schüttelte den Kopf, während ich mein Hemd, zur Feier des Tages dunkelrot, glattstrich.
„Ich weiß auch nicht. Ich schätze ich habe einfach Angst vor dem, wie sie es zu dir sagen. Die beiden haben ein Talent dafür die Worte zu wählen, die am meisten wehtun."
„Hm-hm", war die einzige Antwort, die ich erhielt.
Wie aufbauend. Doch dann spürte ich eine Hand an meiner Wange und Chris sah mich ernst an, bevor er sich vorlehnte.
„Ich meine es ernst. Entspann dich. Die beiden können nichts sagen, was ich nicht schon gehört habe. Also entspann dich. Wir gucken jetzt eine Doku und du denkst nicht an deine Eltern. Okay?"
Ich nickte ergeben und Chris grinste, dann beugte er sich vor, um mir einen Kuss auf die Lippen zu drücken. So ganz konnte ich mein eigenes glückliches Grinsen nicht verbergen. Bei jeder zärtlichen Geste zwischen uns machte mein Herz einen übergroßen Sprung, obwohl es nicht das erste Mal war.
Unseren ersten Kuss hatten wir nach einem Date vor einer knappen Woche gehabt. Es war klassisch und kitschig und romantisch und einfach absolut unglaublich gewesen. Zuerst hatten wir uns einen Film angesehen, dann waren wir zu meinem bevorzugten Italiener gegangen. Der Spaziergang im Park danach war eigentlich nicht geplant, aber dafür umso schöner gewesen. Schließlich hatten wir uns an einen See gesetzt und geredet. Es war einfach, mit Chris zu reden und irgendwie war es ganz natürlich gewesen, ihn dort zu küssen.
„Zweiter Weltkrieg oder Unabhängigkeitskrieg?"
Ich warf Chris einen Seitenblick zu, während ich näher an ihn heranrückte. Dabei landete sein Arm auf meinen Schultern, mein Kopf auf seiner abgelegt.
„Such weiter. Wir werden uns gleich schon genug bekriegen müssen. Wie wäre es mit Faultieren?"
Die nächste Stunde beschäftigten wir uns nicht nur mit Faultieren, sondern auch seiner Hausarbeit. Denn ich kannte das Buch, über welches er schrieb, und mir gefiel Chris' Interpretation überhaupt nicht. Erst ein lautes Läuten beendete unsere Diskussion abrupt. Oh Gott. Sie waren hier.
Schwerfällig erhob ich mich und warf Chris einen letzten leidenden Blick zu, den er bloß mit einem schiefen Grinsen beantwortete. Also fügte ich mich meinem Schicksal. Dabei warf ich einen Blick in das Esszimmer und stellte erleichtert fest, dass Paula den Tisch auch schon vorbereitet hatte. Ich sollte ihr wahrscheinlich mehr zahlen.
Vor der Tür hielt ich noch einmal inne und versuchte, mir selbst Mut zuzusprechen. Dann setzte ich ein wenig überzeugendes Lächeln auf und öffnete die Tür. Annika und Georg Dumort, waren ernste Leute. Meine Mutter war groß, mit blonden Haaren im Bob und einem überraschend spitzen Kinn sowie Adleraugen, denen man lieber auswich, wenn man keinen Ärger wollte. Mein Vater war auch groß, mit dunkelbraunen Haaren sowie braunen Augen und er schielte, auch wenn man das lieber nicht erwähnen sollte.
Für heute hatten die beiden sich, wie immer eigentlich, in Schale geworfen. Meine Mutter trug eine teure Jeans und, wenn ich das unter der eleganten Jacke aus, wie ich hoffte, falschem Pelz, erkennen konnte, eine aufwendige Bluse in rosa. Mein Vater trug einen einfachen schwarzen Anzug ähnlich dem, den ich trug. Doch sein Hemd war weiß und ließ ihn noch blasser erscheinen als sonst.
„Hallo Elias."
Meine Mutter trat einen Schritt auf mich zu und umarmte mich steif, was ich erwiderte. Mein Vater hingegen schüttelte mir bloß die Hand. Dabei entging mir der zweifelnde Blick nicht, den er meinem Hemd zuwarf. Wahrscheinlich würde ich mir im Laufe des Abends noch so einiges anhören dürfen.
„Kommt doch herein."
Bemüht trat ich zur Seite und schloss die Tür, während ich ihnen die Jacken abnahm. Dabei wiederstand ich dem Drang, die Jacke meiner Mutter mit spitzen Fingern von mir weg zu halten. Irgendetwas sagte mir nämlich, dass es sich um echten Pelz handelte. Igitt.
„Wie geht es dir, mein Junge?"
Mein Vater sah mich bemüht besorgt an, doch wir wussten beide, dass er nur aus Pflichtgefühl und nicht aus echter Sorge hier war.
Also konzentrierte ich mich auf die Jacken und antwortete betont ruhig: „Es geht mir soweit gut. Ich soll mich zwar noch ausruhen, aber bald kann ich wieder mit der Arbeit anfangen."
Meine Mutter gab ein leises Schnauben von sich, was ich einfach mal überhörte. Stattdessen lenkte ich sie ins Wohnzimmer, wo Chris auf uns wartete. Im ersten Moment war es sehr still, während ich meinen Eltern die Möglichkeit gab, Chris zu mustern. Er war aufgestanden und ich war neben ihm, sodass es offensichtlich war, dass er größer war. Auch der Altersunterschied fiel mir wieder ein, als meine Mutter kurz das Gesicht verzog, während sie zwischen uns hin und her sah.
„Mutter, Vater, das ist Chris. Ich habe euch von ihm erzählt. Chris, das sind meine Eltern, Annika und Georg Dumort."
Mit einem beinah überlegenen Blick streckte mein Vater ihm die Hand entgegen.
„Freut mich, Sie kennenzulernen. Elias hat das ein oder andere erzählt."
Bei diesen Worten schaffte er es zu klingen, als wäre Chris ein entflohener Mörder und ich würde ihn zwingen, die Sache zu vertuschen. Auch meine Mutter klang nicht viel erfreuter, während sie ihm die Hand schüttelte.
Zu meiner Rettung erschien Paula kurz darauf in der Tür, um uns mitzuteilen, dass die Vorspeise fertig war. Erleichtert, dass ich die beiden nicht viel länger als nötig bespaßen musste, dirigierte ich meine Eltern ins Esszimmer, Chris dicht hinter mir.
Wie der Gentleman der er sein konnte, rückte mein Vater meiner Mutter den Stuhl zurecht, während Chris und ich es uns ihnen gegenüber bequem machten. Paula hatte die Vorspeise, eine Kartoffel-Creme-Suppe, bereits aufgetragen, also begannen wir zu essen. Dabei entging mir nicht der kritische Blick meiner Mutter durch den Raum.
„Nette Deko", kommentierte sie dann, als ich ihren Blick einfing. Wieder klang sie nicht von ihren eigenen Worten überzeugt, doch es musste ihr auch nicht gefallen.
Der Tisch war aus schwerer Eiche angefertigt und die dunklen Holzstühle an Rück- und Sitzpolster mit Leder überspannt. Eine Kommode stand zwischen den beiden großen Fenstern, auf der ein großer Spiegel stand, um den Raum größer erscheinen zu lassen. Unter dem Tisch lag ein dicker Teppich, über den Paula sich schon beschwert hatte und an der dunkelgrün gestrichenen Wand gegenüber der Fenster hing eine große Weltkarte, die Chris und ich bei einer Einkaufstour, um ein Wiedergutmachungsgeschenk für Sofia zu finden, gekauft hatten.
„Als was verdienen sie eigentlich Ihren Lebensunterhalt?", durchbrach mein Vater schließlich die schwere Stille.
Ich hielt in meiner Bewegung inne und sah zu Chris, der ruhig einen weiteren Löffel der Suppe nahm, bevor er sich meinem Vater zuwandte.
„Momentan? Als Kellner. Ich finanziere damit mein Studium."
Mein Vater nickte, doch der Blick, den er mir zuwarf, war keinesfalls glücklich. Viel eher schien er an mir zu zweifeln. Auch nichts Neues.
„Und Spanien, wie kam es dazu?", bohrte nun meine Mutter weiter.
Ich hatte den beiden nur das Nötigste erzählt, als sie mich vor zwei Wochen angerufen hatten. Über ein paar Ecken hatten sie von meiner Gehirnerschütterung erfahren und natürlich angerufen, was sollten denn sonst die Nachbarn denken? Das einzige, was ich ihnen erzählt hatte, war, dass es im Urlaub in Spanien mit Chris passiert war. Ich war mir nämlich nicht ganz sicher, ob sie die Wahrheit verstehen könnten.
„Wir wollten meinen Vater... besuchen, was leider schief gegangen ist", erklärte Chris so zurückhaltend, dass eigentlich jeder die Geschichte hätte in Frage stellen müssen.
Doch meine Eltern nicht. Wäre ich jemand anderes hätten sie vielleicht nachgeharkt, doch so wirklich hatte ihr Interesse an meinem Leben noch nie ausgereicht, um tiefer zu graben.
Die nächste Stunde überstanden wir mit Small Talk über ein paar Bekannte, das Wetter und die Berufe meiner Eltern. Als es Zeit wurde, dass die beiden gingen, verabschiedete Chris sich und zog sich ins Wohnzimmer zurück, mit der Ausrede, er müsste noch etwas für die Uni erledigen. In Wirklichkeit gab er damit nur meinen Eltern die Chance zu sagen, was sie sich vor ihm nicht getraut hatten. Vielleicht hatten sie keine Angst vor ihm, aber Fremden gegenüber würden sie nie aussprechen, was sie wirklich dachten. Das gehörte sich ja nicht.
„Ich hoffe, dass du weißt, was du da tust", meinte meine Mutter an der Tür, während mein Vater noch in seine Jacke schlüpfte.
„Mach nichts Dummes, Elias. Noch ist es nicht zu spät, sich eine hübsche Frau mit gutem Einkommen zu sichern. Wenn das aber mit dem Jungen ernst wird, wird dich wohl Keine mehr wollen", merkte dann auch mein Vater an.
Mit größter Anstrengung unterdrückte ich ein Augenrollen.
„War es das?"
Meine Mutter warf mir einen mahnenden Blick zu, als wäre ich ein Junge, der sich nicht benehmen konnte, doch dann nickte sie.
„Ja. Gute Nacht. Und vergiss dieses Jahr nicht den Geburtstermin von Jessis Kind. Sie würde sich freuen, wenn du mal an sie denkst."
„Ich werde sehen, was sich machen lässt. Aber ihr wisst auch, dass so ein Baby nicht immer dann kommt, wenn man es erwartet."
Mein Vater schüttelte den Kopf und zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
„Und du weißt das ja aus eigener Erfahrung, nicht wahr?"
Der höhnische Klang seiner Stimme ließ mich etwas zusammenzucken. Normalerweise beließen sie es bei einem Versuch. Bevor ich jedoch noch etwas sagen konnte hatten die beiden sich bereits auf den Weg zu ihrem VW gemacht und ließen mich in der Tür stehen. Seufzend drehte ich mich von ihnen weg und stieß die Tür hinter mir zu. Wie ich die beiden manchmal hasste.
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Ich denke, es wird noch ein Kapitel nächste Woche kommen, dann der Epilog. Uiuiui, ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, das Buch noch zu beenden. Für alle, die danach nicht wissen, was sie lesen sollen (Achtung! Schamlose Eigenwerbung), habe ich tolle Nachrichten. Juli 2020 werde ich mit einer neuen Fantasy-Geschichte beginnen, auf die ich mich schon sehr freue. Auf meinem Profil findet ihr bereits das Cover und einen klitzekleinen Vorgeschmack auf die Charaktere.
Over and Out,
DasLebenLesen
08/06/2020
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