Sei ganz ruhig

Sei ganz ruhig.
Das Leben besteht nicht aus Sensationen,
es läuft nicht davon,
es bietet keine verpassten Gelegenheiten,
es wird nicht einmal weniger mit den Jahren.
Dreh dich nur beiläufig um:
Es wird mehr.

~Angela Krauß~

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Chris erst drei Tage später eine Nachricht schrieb. Die Tage zuvor hatte ich mit schreiben verbracht und den jüngeren total vergessen. Und ich fand nur Zeit, ihm zu schreiben, weil Sofia mich angerufen hatte, um mir mitzuteilen, dass ich nun bis zu drei Monate Aufschub bekommen hatte. Danach würde ich zwar ein paar Vorlesungen halten müssen, aber das sollte ich hinbekommen.

Die Nachricht schrieb ich am Ende nur, weil ich in meiner Kontaktliste durch Zufall auf ‚C' gekommen war. Und die Nachricht fiel äußerst knapp aus.

Hallo Chris, das ist meine Nummer.
Elias D.

Danach setzte ich mich wieder an meinen Laptop. Wenn ich in dem Tempo weitermachte, dann würde ich zwei Bücher schreiben können, bis die drei Monate um waren. Ich machte nur Pausen, wenn ich wieder mal auf der Tastatur eingeschlafen war, um Essen zu bestellen, Kaffee zu trinken und zu duschen.

Mein anti-sozialer Lifestyle war momentan wirklich günstig. Meine Nachbarn wussten, dass ich sowieso nicht mit ihnen reden würde und all meine Freunde – es gab drei ehemalige Mitschüler, die mich noch nicht aufgegeben hatten – wussten, dass ich sie kontaktieren würde, wenn ich mal wieder Interaktionen mit anderen Menschen brauchte.

Da war es wohl kein Wunder, dass ich Chris' Nachricht erst las, als ich schließlich mal wieder etwas bei der lokalen Pizzeria bestellen wollte.

Hey! Du musst wirklich mitten im
nirgendwo leben, um so lange
keinen Empfang zu haben 😉

Ich musste automatisch lächeln, als ich sah, dass er nicht sauer auf mich war. Und ich konnte erleichtert aufatmen. Er schrieb nicht, als sei er besoffen auf seiner Tastatur eingeschlafen. Zwar nutzte er Emojis, aber darüber würde ich wohl hinweg sehen können.

Ich war mittlerweile soweit von meinem Schreibrausch entfernt, dass ich mich, statt tatsächlich etwas bei der Pizzeria zu bestellen, zu Bewegung entschloss. Nachdem ich meinen fast fertigen Roman mehrfach gespeichert hatte fuhr ich den Laptop herunter und verstaute ihn in meinem Safe.

Das wirkte zwar etwas paranoid, aber ich hatte schon von mehr als einem Autoren gehört, dessen Laptops geklaut worden waren, während sie nicht zuhause gewesen waren. Und Sicherheit ging vor.

Sobald ich sicher war, dass ich nicht zu schlimm aussah, schlüpfte ich in eine saubere Jogginghose, einen Hoodie und meine Laufschuhe. Dann verstaute ich Handy, Portemonnaie und Schlüssel in meinen Taschen und verließ das Haus.

Bis zum nächsten Supermarkt würde ich eine knappe halbe Stunde joggen müssen, aber das war genau das, was ich nach so vielen Tagen an meinem Schreibtisch brauchte.

Also setzte ich mich trotz der Kälte in Bewegung. Es war gerade Mittagszeit, also würde ich mir keine Sorgen darum machen müssen, erst im Dunkeln heim zu kommen.

Schließlich angekommen kaufte ich mir etwas Wasser, Kaffeepulver, Milch, Eier, Butter, Brot und Käse. Mit einer nagelneuen Stofftasche ausgerüstet machte ich mich dann gemächlich daran, wieder nach Hause zu gehen.

In meiner Küche kochte ich daraufhin Kaffee und machte mir Rührei, eine der fünf Mahlzeiten, die ich tatsächlich kochen konnte. Mit einem Käsebrot dazu setzte ich mich schließlich in mein Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an. Dort lief gerade eine Show mit Rückblick in das Jahr.

Während ich dem Moderator dabei zusah, wie er uninteressante Nachrichten aus dem Jahr mit Menschen teilte, die das sowieso schon alles wussten, aß ich mein spätes Mittagessen.

In dieser Nacht würde ich wohl keinen Schlaf finden. Meine Nachbarn waren nämlich große Fans von Feuerwerken und meine Eltern würden von mir erwarten, dass ich sie pünktlich zu Neujahr anrief.

Vor lauter Langweile holte ich irgendwann mein Handy aus der Küche, in der ich es liegen gelassen hatte, und rief Chris Nummer auf. Dann zögerte ich. Sollte ich ihm wirklich schreiben? Er war garantiert sauer, weil ich ihn schon wieder hatte warten lassen.

Schlussendlich siegte dann die Langweile und ich begann zögernd, eine Nachricht zu tippen:

Ja, ich lebe in wirklich
in einer Höhle.
Es tut mir leid, dass ich dir
nicht direkt geschrieben habe,
aber ich musste mich noch
um etwas kümmern.
Hast du schon darüber
entschieden, wie ich mich
revanchieren kann?

Es dauerte noch ein paar Momente, bis ich die Nachricht schließlich abschickte. Dann legte ich das Smartphone schnell weg. Solange ich es nicht sah musste ich auch nicht über die Nachricht nachdenken. Also schaltete ich mich etwas durch das Programm. Doch es liefen beinah nur Jahresrückblicke oder Serien, die den IQ eines Menschen in Rekordgeschwindigkeit senken konnten.

Also machte ich schließlich den Fernseher aus und warf einen vorsichtigen Blick auf das Handy. Mit einer ungewohnten Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung sah ich, dass Chris noch nicht geantwortet hatte.

Dann stand ich auf und sah mich in meinem Wohnzimmer um. Eigentlich war das Haus viel zu groß für mich. Welcher alleinstehende Mann brauchte schon ein dreistöckiges Haus mit Bibliothek, vier Schlafzimmern, ebenso vielen Bädern, einem Arbeitszimmer, Küche und Wohnzimmer?

Als ich es vor zwei Jahren gekauft hatte war es mein Plan gewesen, mir einen netten Mann zu suchen, Kinder zu adoptieren und im allgemeinen ein totaler Familienmensch zu werden.

Doch ich scheiterte sogar daran, einen Hund oder eine Katze aufzunehmen. Also saß ich als trauriges Individuum in meinem Haus und erschreckte mich im Dunkeln, wenn ich mal wieder dachte, ich hätte etwas gehört.

Auch meine Haushälterin, die zwei Mal die Woche vorbeikam um zu putzen konnte die Einsamkeit nicht vertreiben. Ihr liebstes Thema war es nämlich, mir vorzuhalten, dass ich das Haus ganz allein bewohnte.

Ein plötzliches Klingeln riss mich aus meinen trübseligen Gedanken. Es dauerte ein paar Sekunden bis ich verstand, dass das tatsächlich mein Smartphone gewesen war, welches den Ton von sich gegeben hatte. Überraschend nervös entsperrte ich es und las mir die Nachricht durch.

Du musst dich nicht entschuldigen,
ist schon vergessen 😊
Wie wäre es, wenn wir
im Verlauf der nächsten Woche
etwas essen gehen?
Also, wenn dich dein Job
nicht davon abhält. Ich
muss nämlich zugeben, dass
ich seit einer Ewigkeit nicht
mehr außer Haus gegessen
habe.

Erleichtert, dass Chris nicht wütend war, atmete ich durch. Dann las ich die Nachricht ein weiteres mal und spürte, wie ich schon wieder nervös wurde. Dabei gab es dazu keinen Grund. Wir würden als Freunde etwas essen. Außerdem war ich viel zu alt für Chris.

Nicht das ich mich für ihn interessieren würde oder so. Wie gesagt, wir würden als Freunde etwas essen. Also antwortete ich ihm.

Klar, können wir machen.
Du musst mir nur schreiben
wo und wann.

Es dauerte keine Minute bis seine Antwort kam.

Am Donnerstag so gegen
19 Uhr? Du kannst mich
in der Rosenstraße 17
abholen. Ich sage dir dann
wohin wir fahren.

Okay, damit konnte ich leben. Es war ganz normal, jemanden mit dem Ort zu überraschen, an dem man als Freunde essen wollte, Chris hatte schließlich schon lange nicht mehr in einem Restaurant gegessen.

Ist gut, ich hole dich
ab.

Entgegen meiner Erwartung sendete Chris noch eine Antwort.

Ich freue mich 😉

Kopfschüttelnd legte ich das Handy weg und machte mich auf den Weg in mein Arbeitszimmer. Mir war gerade der perfekte Schluss eingefallen. In den nächsten Tage würde ich das fertige Manuskript wohl an den Verleger schicken können. Das würde Sofia und meine Fans freuen.

Als am Ende des Tages schließlich die Feuerwerke anfingen hatte ich Sofia informiert und das Manuskript versendet. Nun standen nur noch meine Eltern zwischen mir und meinem zwölf-Stunden-Schlaf-Marathon. Nach der Fertigstellung war es ein Ritual für mich, bis in den Nachmittag des nächsten Tages hinein zu schlafen.

Um auch die lästige Pflicht noch hinter mich zu bringen folgte ich meinem Ritual zur Sicherheit meines Laptops – Also quasi meiner Gedanken – und holte mir im Wohnzimmer mein Festnetztelefon. Dann wählte ich die Nummer meiner Eltern.

Am Ende des Telefonats hatten mir meine Eltern schließlich wieder mehrere Dinge klar gemacht: Mein Job wurde immer noch nicht akzeptiert, ich würde frühestens im Juli, meinem Geburtsmonat, von ihnen hören und meine Cousine war mal wieder schwanger.

Letzteres bedeutete im Wortschatz meiner Eltern soviel wie: Wir wissen, dass du eigentlich auf Männer stehst, aber das ist bestimmt nur eine Phase und du wirst uns bald ganz viele kleine Enkel machen, damit wir dafür sorgen können, dass wenigsten ein paar unserer Nachfahren ordentlich Berufe ergreifen. 

^^^^^
Seit wann bin ich so produktiv? Ein Wunder ist geschehen.

Wusstet ihr, dass Eissorten namens Büffelmozzarella-Basilikum oder Malzbier-Kirsche existieren?

Over and Out, _Amnesia_Malum_ 

4/1/19

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