Nicht Mutig
Die Mutigen wissen
Dass sie nicht auferstehen
Dass kein Fleisch um sie wächst
Am jüngsten Morgen
Dass sie nichts mehr erinnern
Niemandem wiederbegegnen
Dass nichts ihrer wartet
Keine Seligkeit
Keine Folter
Ich
Bin nicht mutig.
~Marie Luise Kaschnitz~
Nachdem Chris mir das Glas gereicht hatte, hatten wir eine Weile geredet. Ich hatte ihm von meinem langweiligen Alltag berichtet, er von seinen Freunden an der Uni. Doch so wie ich die Vermutung, beschattet zu werden, für mich behalten hatte, hatte er auch etwas verschwiegen. Das spürte ich.
Doch für den Moment war das in Ordnung, ich wollte ihn schließlich nicht dazu zwingen, etwas zu verraten, was ihm zu Privat war oder ihn in eine schlechte Laune versetzte.
Bei unserem zweiten Glas hatten wir dann den Film „The Imitation Game" angemacht. Den letzten Schluck aus der Flasche hatte Chris am Ende des Films getrunken.
Momentan lagen wir beide in seinem Bett, ich weiter außen, Chris innen. Der Film hatte mich nachdenklich gemacht, weshalb ich die Stille, die in dem kleinen Zimmer eingetreten war, begrüßte.
„Wir sollten uns wirklich glücklich schätzen."
Müde drehte ich meinen Kopf zu Chris, der seinen Blick gen Zimmerdecke gerichtet hatte.
„Hm."
Er drehte seinen Kopf in meine Richtung, seine Augen wie meine vor Müdigkeit halb geschlossen.
„Ich meine es ernst. Du hast gesehen, was die damals gemacht haben. Ich bin froh, dass wir darüber hinaus sind."
Ich nickte, dann runzelte ich die Stirn.
„Was genau meinst du? Die Nazis oder..."
„Auch die ganzen Methoden des Weltkrieges, aber eher noch, was die Regierung zum Schluss mit ihm gemacht hat. Er hat ihnen geholfen, den Krieg zu gewinnen und so dankt man es ihm. Das ist traurig."
Ich nickte ein weiteres Mal.
„Ich denke, in unserer Zeit können wir uns schon irgendwie glücklich schätzen."
Wieder kehrte die Stille zurück. Dieses Mal jedoch schien sie schwerer zu wiegen als zuvor, die Leichtigkeit der ersten nur noch eine entfernte Erinnerung.
„Ich bin froh, dass wir uns getroffen haben."
Ich drehte mich wieder zu Chris. Sein Blick lag immer noch auf mir, wie in dem Moment, in dem er sich zuerst zu mir gedreht hatte.
„Eigentlich wollte ich dich am Anfang gar nicht ansprechen", fuhr er fort und schenkte mir ein ungewohnt schüchternes Lächeln.
„Du schienst so viel erwachsener als alle anderen, was du ja auch warst. Ich dachte, dass du mir vielleicht nicht antworten wollen würdest.
„Aber dann habe ich mich noch einmal umgesehen und beschlossen, dass jemand, der seinen eigenen Kaffee mitbringt, statt die Brühe aus der Bibliothek zu trinken, mir tausend mal lieber war als alle anderen."
Ich erwiderte sein Lächeln.
„Du hast keine Ahnung wie verwirrt ich im ersten Moment war, als du dich zu mir gesetzt hast."
Jetzt lachte er leise.
„Ich habe es wirklich nicht bemerkt. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke war es eigentlich offensichtlich."
Es wurde wieder still, auch Chris' Lachen endete schnell. Stattdessen schenkte er mir ein weiteres Lächeln, dieses mal wieder gewohnt verschmitzt.
„Ich habe dich vermisst."
Überrascht zog ich meine Augenbrauen in die Höhe. Es dauerte einige Sekunden, bis mein müdes Gehirn die Worte verarbeitet hatte, dann antwortete ich zögernd.
„Ich dich auch."
„Ich habe mehrfach mit dem Gedanken gespielt, dir zu schreiben oder anzurufen, aber irgendwie bin ich nicht dazu gekommen. Es tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe."
„Keine Sorge, du hattest zu tun. Außerdem hätte ich dir ja auch schreiben können."
Meine Worte waren beruhigend gemeint, doch auf Chris schienen sie den gegenteiligen Effekt zu haben.
Beinah peinlich berührt wandte er den Blick ab, dann nickte er.
„Stimmt, du hast recht."
Aufgrund der unerwarteten Reaktion zog ich die Stirn kraus. Doch bevor ich nachhaken konnte wechselte Chris das Thema.
„Bist du eigentlich gläubig? Also katholisch, evangelisch, muslimisch, buddhistisch oder so?"
Müde schüttelte ich den Kopf.
„Nein, ich bin Atheist. In meiner Familie ist niemand gläubig. Und bei dir?"
„Ich bin katholisch aufgewachsen, aber wirklich glaube ich nicht."
„Ist deine Familie eher strengkatholisch oder lockerer?"
Chris verzog nachdenklich das Gesicht.
„Also, meine Großeltern waren immer ziemlich strickt, aber meine Mutter nicht. Ich denke, dass es bei uns einfach von Generation zu Generation lockerer wird."
„Und dein Vater?"
Sobald ich die Frage gestellt hatte, bereute ich sie. Wenn er ihn vorher nicht erwähnt hatte, dann würde er meine Frage bestimmt ungerne beantworten. Oder nicht? Interaktionen waren anstrengend.
„Ich weiß nicht so recht. Er ist gegangen, als ich fünf Jahre alt war."
„Oh."
Wow, welch geistreicher Beitrag zu dem Gespräch. Meine Eloquenz war heute mal wieder bemerkenswert. Wirklich, ich war auf der Höhe.
„Ja, die wenigsten Leute wissen, wie sie reagieren sollen. Glaub mir, „Oh" ist eine der harmlosen Reaktionen."
Er schenkte mir ein beruhigendes Lächeln, für das ich unglaublich dankbar war. Es konnte schließlich nicht jeder so wenig sozialisieren wie ich.
„Wie reagieren denn andere Leute so?"
Chris lachte kurz, dann drehte er sich mir noch etwas mehr zu. Ich blieb auf dem Rücken liegen und beobachtete ihn neugierig.
„Ich wurde schon einmal gefragt, ob ich denn schon einen Psychologen aufgrund meiner fehlenden Vaterliebe aufgesucht hätte. Dann wurde ich mal gefragt, ob ich mich deswegen eher für Männer als für Frauen interessiere. Und ein anderes mal hat mich jemand gefragt, ob das bedeutet, meine Mutter sei Single. Das war wohl die seltsamste Reaktion."
Ich nickte geistesabwesend. Wieder wurde es still, doch ich verspürte nicht wirklich den Wunsch, etwas daran zu ändern. Eine bleierne Müdigkeit hatte von mir besitz ergriffen. Hat Chris früher schon einmal erwähnt, dass er schwul ist? Mit diesem letzten Gedanken glitt ich langsam in einen tiefen Schlaf, in dem mir Bomben und Zahlen nur so um den Kopf flogen.
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I'm back. Tut mir leid, dass so lange nichts kam, aber die Klausurenphase hat mich ziemlich gestresst. Aber dafür habe ich Ferien und einen Praktikumsplatz. Juhu!
Ich denke, dass die Updates ab jetzt wieder regelmäßig kommen. Und ich überarbeite momentan meine erste Geschichte! Meine Motivation ist wirklich überragend, ich weiß.
Frohe Ostern an alle die feiern.
Over and Out, _Amnesia_Malum_
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